Vorzeigeschüler Ungarn: Das Land der drei Millionen Bedürftigen
Nahezu ein Drittel der ungarischen Gesellschaft lebt in Armut. Die Politik macht wenig Anstalten, das Los der Bedürftigen zu verbessern. - Wachsende Kinderarmut
BUDAPEST. Trotz der großen reformpolitischen und wirtschaftlichen Erfolge des vergangenen Jahrzehnts leben in Ungarn heute fast drei Millionen Menschen in Armut. Die Ursachen hierfür liegen vornehmlich im ökonomischen Transformationsprozeß nach der demokratischen Wende 1989 verborgen.
Nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Systems hatten die Reformpolitiker und Ökonomen ein schweres Erbe zu tragen. Sie mußten ein heruntergewirtschaftetes Land mitsamt den gigantischen Schuldenbergen, die von den kommunistischen Machthabern aufgehäuft worden waren, übernehmen. Eine umfassende Sanierung der ungarischen Wirtschaft war unumgänglich.
Die erste frei gewählte Regierung schreckte angesichts des sozialen Sprengstoffs noch vor rigiden Maßnahmen zurück. So war es schließlich die Nachfolgepartei der ehemaligen Kommunisten, die den drohenden Bankrott des Landes abzuwenden hatte. Der damalige Finanzminister der sozialistischen Regierung, Lajos Bokros, schnürte 1995 ein Sparpaket, das eine radikale Kürzung der staatlichen Sozialleistungen mit sich brachte.
Das berühmt-berüchtigte "Bokros-Paket", unter dessen Roßkur das gesamte Land stöhnte, traf insbesondere die Menschen mit niedrigen Einkommen. Die finanziellen Lebensumstände Hunderttausender verschlechterten sich drastisch. Zu den größten Verlierern des Sparpakets zählten vornehmlich Pensionisten, kinderreiche Familien, die große Roma-Minderheit in Ungarn sowie Arbeitslose. Die Pensionisten mußten im Zuge der Einführung des Bokros-Pakets einen massiven Wertverfall ihrer ohnehin kärglichen Pensionen hinnehmen.
Wachsende Kinderarmut
Viele alte Menschen schlitterten in die bittere Armut. Ende der neunziger Jahre, als sich die ungarische Wirtschaft allmählich wieder zu erholen begann, ging die Politik zwar daran, die Renten wieder anzuheben. Doch blieben die Erhöhungen bis heute bescheiden. Der Zentralen Statistischen Behörde (KSH) zufolge beträgt die Durchschnittspension in Ungarn etwa 32.000 Forint (rund 130 Euro). Eineinhalb Millionen ungarische Rentner leben am oder unter dem Existenzminimum.
In den vergangenen Jahren war auch ein merklicher Anstieg der Kinderarmut zu beobachten. 45 Prozent der ungarischen Kinder leben heute in Familien, deren Einkommensbezieher zum einkunftsschwächsten Drittel der Gesellschaft gehören. 30 Prozent wachsen gar in den ärmlichsten Verhältnissen auf. Das Gros dieser Kinder hat kaum Aussichten, aus der Armutsfalle auszubrechen. Innerhalb vieler Familien wird die Arbeitslosigkeit von einer Generation an die nächste "vererbt".
Neben der großen Zahl an Pensionisten und Kindern lebt auch ein Gutteil der rund 500.000 ungarischen Roma in Armut. In den Reihen der Minderheit ist vor allem die Langzeitarbeitslosigkeit ein weitverbreitetes Phänomen. Während vor der demokratischen Wende noch nahezu 90 Prozent der "Zigeuner" beschäftigt waren, ist es heute nur noch ein Drittel.
An der Armut vieler Menschen in Ungarn hat auch die seit 1998 regierende bürgerlich-konservative Koalition einen nicht geringen Anteil. So hat sie in den vergangenen vier Jahren den Schwerpunkt ihrer Sozialpolitik vor allem auf die Begünstigung der ungarischen Mittelschicht gelegt, in der sie das Rückgrat der ungarischen Gesellschaft sieht. Die Ärmsten und Bedürftigen vernachlässigte sie indessen über die Maßen.
Armut ist auch an den großen regionalen Entwicklungsunterschieden des Landes abzulesen. Ein erklecklicher Teil der Bedürftigen lebt im Osten und Nordosten des Landes. Diese Regionen sind in erster Linie von Agrar- und Schwerindustrie geprägt und gelten als rückständig. Die Arbeitslosigkeit übersteigt hier jene der prosperierenden westlichen Regionen Ungarns um das Vielfache.
Nahezu ein Drittel der ungarischen Gesellschaft lebt in Armut. Die Politik macht wenig Anstalten, das Los der Bedürftigen zu verbessern. - Wachsende Kinderarmut
BUDAPEST. Trotz der großen reformpolitischen und wirtschaftlichen Erfolge des vergangenen Jahrzehnts leben in Ungarn heute fast drei Millionen Menschen in Armut. Die Ursachen hierfür liegen vornehmlich im ökonomischen Transformationsprozeß nach der demokratischen Wende 1989 verborgen.
Nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Systems hatten die Reformpolitiker und Ökonomen ein schweres Erbe zu tragen. Sie mußten ein heruntergewirtschaftetes Land mitsamt den gigantischen Schuldenbergen, die von den kommunistischen Machthabern aufgehäuft worden waren, übernehmen. Eine umfassende Sanierung der ungarischen Wirtschaft war unumgänglich.
Die erste frei gewählte Regierung schreckte angesichts des sozialen Sprengstoffs noch vor rigiden Maßnahmen zurück. So war es schließlich die Nachfolgepartei der ehemaligen Kommunisten, die den drohenden Bankrott des Landes abzuwenden hatte. Der damalige Finanzminister der sozialistischen Regierung, Lajos Bokros, schnürte 1995 ein Sparpaket, das eine radikale Kürzung der staatlichen Sozialleistungen mit sich brachte.
Das berühmt-berüchtigte "Bokros-Paket", unter dessen Roßkur das gesamte Land stöhnte, traf insbesondere die Menschen mit niedrigen Einkommen. Die finanziellen Lebensumstände Hunderttausender verschlechterten sich drastisch. Zu den größten Verlierern des Sparpakets zählten vornehmlich Pensionisten, kinderreiche Familien, die große Roma-Minderheit in Ungarn sowie Arbeitslose. Die Pensionisten mußten im Zuge der Einführung des Bokros-Pakets einen massiven Wertverfall ihrer ohnehin kärglichen Pensionen hinnehmen.
Wachsende Kinderarmut
Viele alte Menschen schlitterten in die bittere Armut. Ende der neunziger Jahre, als sich die ungarische Wirtschaft allmählich wieder zu erholen begann, ging die Politik zwar daran, die Renten wieder anzuheben. Doch blieben die Erhöhungen bis heute bescheiden. Der Zentralen Statistischen Behörde (KSH) zufolge beträgt die Durchschnittspension in Ungarn etwa 32.000 Forint (rund 130 Euro). Eineinhalb Millionen ungarische Rentner leben am oder unter dem Existenzminimum.
In den vergangenen Jahren war auch ein merklicher Anstieg der Kinderarmut zu beobachten. 45 Prozent der ungarischen Kinder leben heute in Familien, deren Einkommensbezieher zum einkunftsschwächsten Drittel der Gesellschaft gehören. 30 Prozent wachsen gar in den ärmlichsten Verhältnissen auf. Das Gros dieser Kinder hat kaum Aussichten, aus der Armutsfalle auszubrechen. Innerhalb vieler Familien wird die Arbeitslosigkeit von einer Generation an die nächste "vererbt".
Neben der großen Zahl an Pensionisten und Kindern lebt auch ein Gutteil der rund 500.000 ungarischen Roma in Armut. In den Reihen der Minderheit ist vor allem die Langzeitarbeitslosigkeit ein weitverbreitetes Phänomen. Während vor der demokratischen Wende noch nahezu 90 Prozent der "Zigeuner" beschäftigt waren, ist es heute nur noch ein Drittel.
An der Armut vieler Menschen in Ungarn hat auch die seit 1998 regierende bürgerlich-konservative Koalition einen nicht geringen Anteil. So hat sie in den vergangenen vier Jahren den Schwerpunkt ihrer Sozialpolitik vor allem auf die Begünstigung der ungarischen Mittelschicht gelegt, in der sie das Rückgrat der ungarischen Gesellschaft sieht. Die Ärmsten und Bedürftigen vernachlässigte sie indessen über die Maßen.
Armut ist auch an den großen regionalen Entwicklungsunterschieden des Landes abzulesen. Ein erklecklicher Teil der Bedürftigen lebt im Osten und Nordosten des Landes. Diese Regionen sind in erster Linie von Agrar- und Schwerindustrie geprägt und gelten als rückständig. Die Arbeitslosigkeit übersteigt hier jene der prosperierenden westlichen Regionen Ungarns um das Vielfache.