Vorschlag zur Steuervereinfachung

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Vorschlag zur Steuervereinfachung

 
21.08.03 16:53
Steuervereinfachung

Zu viele Gesetze und Paragrafen machen das deutsche Steuerrecht kompliziert und nicht praktikabel. Plädoyer für ein einfaches und gerechtes Steuersystem

Von Wilfried Herz

Wie schafft ein Finanzminister ein neues Marterwerkzeug für Steuerzahler und Finanzbeamte? Die Antwort gibt Hans Eichel: Eine simple Entfernungspauschale für den Weg zur Arbeit wird Stück für Stück zum komplizierten Regelwerk umgebaut – mit unterschiedlichen Steuerbestimmungen je nach kurzer oder langer Strecke. Und wer mit Bus oder Bahn zur Arbeit kommt, soll mehr Steuern sparen als der Autofahrer. Unverständlicher und unübersichtlicher geht es kaum.Illustr.: Wieslaw Smetek

Auch wenn die eigenen Genossen Hans Eichel zu Beginn der Woche stoppten, allein der Versuch ist typisch für eine endlose Kette von Fehlentwicklungen. Zwar haben Generationen von Finanzministern den Bürgern einfachere und verständlichere Steuern versprochen, herausgekommen aber ist das genaue Gegenteil. Das Steuerrecht, klagt Iris Ebeling, die Präsidentin des Bundesfinanzhofs, habe sich „zu einem Steuerdschungel entwickelt“.

Nicht ein einziger Experte in diesem Land kann für sich in Anspruch nehmen, das Chaos von 205 Steuergesetzen und -verordnungen mit unzähligen Paragrafen, 96000 Verwaltungsvorschriften und nahezu ebenso vielen Finanzgerichtsentscheidungen zu durchschauen. Kein Politiker, der Gesetze beschließt, schafft das, auch kein Finanzbeamter, der Steuerbescheide erteilt, kein Finanz- oder Verfassungsrichter und kein noch so ausgebuffter Steuerberater – von den normalen Steuerzahlern ganz zu schweigen. Auch die ständigen Veränderungen machen einen Überblick unmöglich. In der vergangenen Legislaturperiode wurden im Einkommensteuerrecht 110 Paragrafen nicht nur einmal, sondern gleich mehrfach überarbeitet.

Regulierungswut der Beamten

Schuld am hoffungslosen Overkill von Vorschriften haben jedoch nicht allein Politiker, die mit Steuern die notwendigen Einnahmen für den Staat erzielen und zugleich Wirtschaft und Gesellschaft ökonomisch, ökologisch und sozial lenken wollen. Es sind auch regulierungswütige Beamte oder Finanzrichter mit ihren häufig allzu komplizierten Urteilen. Ein Gutteil der Verantwortung trägt darüber hinaus die kreative Steuersparbranche, die das Letzte an Sparmöglichkeiten herausquetschen will, was Gesetze und Erlasse hergeben. Das führt zu „einer Entwicklung, die sich immer weiter aufschaukelt“, sagt Heinz-Jürgen Pezzer, Richter am höchsten deutschen Finanzgericht. „Die Steuersparer entwickeln Modelle, die hart auf die Grenze gesetzt sind, und der Gesetzgeber versucht, sie wieder einzufangen. Er entwickelt Gegenmittel, die auch den ganz normalen Steuerzahler treffen und nicht nur den Gestaltungsathleten.“

So sind sich Politiker und Experten aus Wissenschaft, Wirtschaftsverbänden und Unternehmen einig, dass das Steuerrecht vereinfacht werden muss. Denn der Wirrwarr hat fatale Folgen: Nicht nur die Gerechtigkeit bleibt auf der Strecke, auch das Wirtschaftswachstum wird gehemmt und damit der Wohlstand der Gesellschaft insgesamt geschädigt. Viele Entscheidungen in der Wirtschaft orientieren sich weniger am ökonomischen Erfolg als an einer maximalen Steuerersparnis. „Deutschland verliert Kapital und Arbeitsplätze“, warnt der Finanzwissenschaftler Manfred Rose vor den Folgen des Steuerchaos.

Modelle für eine transparentere und einfachere Steuer gibt es jedenfalls – manche radikal, inklusive Systemwechsel, andere pragmatisch innerhalb des geltenden Rahmens. Die Politiker brauchen nur zuzugreifen. Je größer die anvisierte Vereinfachung, desto größer sind allerdings auch die Risiken und Nebenwirkungen für die öffentlichen Haushalte ebenso wie für die Wirtschaftsentwicklung. Wer die Eigenheimzulage streicht, darf sich nicht wundern, dass vorübergehend die Nachfrage nach Einfamilienhäusern und Eigentumswohnungen zusammenbricht. Korrekturen am Steuersystem, sagt Finanzminister Eichel, gleichen Reparaturen an einem Auto „in voller Fahrt“.

Der Exverfassungsrichter Paul Kirchhof meint dagegen, das Fahrzeug sei durch „1000 Reparaturen fast funktionsunfähig“ geworden. Kirchhof zählt wie der Heidelberger Steuerprofessor Rose zu den Radikalreformern. Er hat den Ehrgeiz, die mehr als 100 Steuergesetze in einem einzigen Gesetzbuch zu komprimieren – so wie vor 100 Jahren das „zersplitterte Zivilrecht“ im Bürgerlichen Gesetzbuch zusammengefasst wurde. Am Ende sollen von den heute fast 40 Steuern für den Bund nur noch drei oder vier Steuern übrig bleiben: Einkommen-, Umsatz-, Erbschaft-/Schenkungsteuer „und eventuell eine Verbrauchsteuer“.

Bereits vor zwei Jahren hat Kirchhof sein Einkommensteuerkonzept vorgelegt, den „Karlsruher Entwurf“. An ihm hat auch der Wissenschaftler Hans-Peter Bareis mitgearbeitet, der Mitte der neunziger Jahre im Auftrag des damaligen Finanzministers Theo Waigel eine durchgreifende Reform entwarf, die es nie bis zum Gesetz schaffte. Die sieben Einkunftsarten will Kirchhof zu einer einzigen zusammenfassen, von der dann für die Steuer im Wesentlichen nur noch das Existenzminimum, typisierte Aufwendungen, die der Sicherung des Erwerbs dienen, und gemeinnützige Spenden bis zu einer Obergrenze abgezogen werden sollen. Wie Kirchhof will Rose die meisten Vergünstigungen und Abzugsmöglichkeiten – von der Entfernungspauschale über die Steuerfreiheit von Nacht- und Feiertagszuschlägen bis zu Sonderabschreibungen – „mit einer gewissen Radikalität“ über Bord werfen.

Dafür gibt es gute Gründe: Warum soll der Staat jene, die preiswert weit draußen im Grünen wohnen, mit der ökonomisch und ökologisch zweifelhaften Pendlerpauschale unterstützen? Mit gleichem Recht könnten andere einen steuerlichen Ausgleich für die höheren Mieten und die höheren Lebenshaltungskosten in der Stadt verlangen. Und auch für die Steuerfreiheit der Lohnzuschläge, die während des Zweiten Weltkriegs zur Ankurbelung der Rüstungsindustrie eingeführt wurde, auf die aber immer noch die Gewerkschaften und viele Sozialdemokraten pochen, gibt es keine Rechtfertigung. Die gerechte Entlohnung von Nachtarbeitern ist Sache der Unternehmen und der Tarifparteien, nicht des Staates.

Es gibt noch ein anderes triftiges Argument dafür, die meisten Ausnahmen abzuschaffen: Durch die Ausnahmetatbestände werden überhaupt erst viele Abgrenzungsprobleme geschaffen, mit denen sich Steuerzahler, Behörden und Gerichte bis hin zum Bundesfinanzhof herumschlagen müssen: Wann sind Ferienwohnungen ein Privatvergnügen, wann eine Erwerbsquelle? Unter welchen Bedingungen ist ein Sprachkursus oder der Empfang für einen Mitarbeiter steuerlich abzugsfähig? Selbst die Frage, wie groß das Firmenemblem auf den Anzugsknöpfen der Pförtner sein muss, damit der vom Unternehmen bezahlte Dienstanzug nicht als „lohnsteuerpflichtiger Sachbezug“ gilt, hat schon zu Streitigkeiten geführt.

Bloß noch drei Steuersätze?

Doch Kirchhof wie auch Rose ernteten für ihre schlanken Entwürfe nicht nur Lob. Das Konzept des Heidelbergers Rose, des Revolutionärs unter den Steuerprofessoren, wurde sogar von Finanzpolitikern aller Parteien als unpraktikabel verworfen. Rose will mit seiner „Einfachsteuer“ einen Systemwechsel hin zu einer „konsumorientierten“ Einkommens- und Gewinnbesteuerung (siehe nebenstehenden Artikel). Auf Einkünfte soll der Fiskus nur dann zugreifen können, wenn sie konsumiert werden. Sämtliche Sparbeiträge bleiben steuerfrei, und Gewinne und Kapitalerträge werden erst oberhalb einer Grundrendite von Roses „Einfachsteuer“ erfasst.

Am Kirchhof-Plan rügte ausgerechnet der frühere Hochschullehrer Klaus Tipke, eine unangefochtene Autorität des Steuerrechts, dass dessen „Markteinkommenstheorie“ letztlich „mehr Probleme schafft, als sie löst“. Zudem müssten zu viele Details, die die Reformer aus dem Gesetz entfernen wollen, künftig durch Rechtsverordnungen der Ministerialbürokratie erledigt werden – angesichts der Erfahrungen mit Beamtentexten keine gute Aussicht. Auch Richter Heinz-Jürgen Pezzer warnt: „Wenn zu wenig geregelt und das nachher in freier Wildbahn von Finanzamt und Steuerpflichtigen ausgekämpft wird, führt das wahrscheinlich nicht zu mehr Rechtsfrieden.“ Auch im Berliner Finanzministerium fürchten Eichels Experten, dass „für weniger Paragrafen“ der „hohe Preis erheblicher Rechtsunsicherheit gezahlt werden“ müsse.

Ganz anders geht der Darmstädter Arbeitskreis für Steuervereinfachung an die Arbeit, der seinen Reformkonkurrenten Kirchhof und Rose vorwirft, „erhebliche Vereinfachungspotenziale unberücksichtigt“ gelassen zu haben. Anders als die beiden, spürt der Darmstädter Kreis, dem neben Wissenschaftlern wie der Allzweck-Ökonom Bert Rürup auch Praktiker aus dem Finanzamt Darmstadt angehören, im „bestehenden historisch gewachsenen Steuerrecht“ Möglichkeiten für Vereinfachungen auf. Mit drei Maßnahmen – einer deutlichen Erhöhung der Werbungskostenpauschale auf 2500 Euro, einer Abgeltungssteuer von 20 Prozent auf Kapitalerträge und einer Steuererklärung nur noch im Zweijahresturnus – glaubt er, die Arbeitsbelastung in den Finanzämtern um die Hälfte mindern zu können. Die Steuerzahler wiederum könnten ihren Aufwand für die Steuererklärung immerhin noch um mehr als zehn Prozent senken.

In der Politik geht es nach dem alten Muster: Die Opposition gibt sich als mutiger Reformer, die Regierung als Bedenkenträger. Die Union will im Herbst ein eigenes Reformmodell vorlegen, wobei sie sich auch auf den Rat von Kirchhof stützt. Nach den Worten ihres Finanzpolitikers Friedrich Merz strebt sie eine „grundlegende Vereinfachung“ des Steuersystems an. Bereits vor einem Jahr versprach er: „Wir werden die Hälfte der Paragrafen streichen.“ Die FDP, die ebenfalls ein Konzept vorbereitet, verfolgt einen ähnlichen Kurs: einen einheitlichen Dreistufentarif zwischen 15 und 35 Prozent für Einkommen- und Körperschaftsteuer bei gleichzeitigem Streichen zahlreicher Ausnahmen.

Finanzminister Eichel, der mit seinen Plänen zum Abbau von Steuervergünstigungen erst vor wenigen Monaten an der Unionsmehrheit im Bundesrat gescheitert ist und nun einen neuen Anlauf unternimmt, ist dagegen skeptisch. „Die Rede von einem Steuerrecht, das jeder versteht“, meinte er schon vor drei Jahren auf einem Steuerberaterkongress, „ist entweder naiv oder opportunistisch.“ Mit seinem Entwurf eines „Steueränderungsgesetzes 2003“ will er jetzt vor allem den Papierkrieg bekämpfen. So soll eine „elektronische Steuerkarte“ das alte, vor sieben Jahrzehnten entwickelte Lohnsteuerverfahren mit Lohnsteuerkarte, Lohnsteueranmeldung und Ermäßigungsantrag ablösen. Außerdem soll der Papierwust in den Behördenstuben kleiner werden – wenigstens die zahllosen inhaltsgleichen Erlasse von Bundesfinanzministerium, Länderministerien und Oberfinanzdirektionen wird es bald nicht mehr geben.

Doch schon droht die nächste Paragrafenflut. Im Herbst will der Finanzminister den Gesetzentwurf zur Rentenbesteuerung präsentieren. Dann können Ministeriale und Parlamentarier beweisen, dass sie es mit ihren Bekenntnissen, das Steuersystem zu vereinfachen, ernst meinen.

Zeit.de


 
ecki:

Für sowas gibts keine grünen Sterne

 
21.08.03 17:13
Und die ariva-Beamten begeistern sich auch nicht. ;-)

Grüße
ecki  
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