Bericht eines Aussteigers in London
Vom zynischen Spiel der Analysten
(SZ vom 27. März 2001) - Im Grunde ist Tony Goldings
Botschaft simpel. Analysten, lautet ein Fazit des
Ex-Investmentbankers, sind gekauft. Und Fondsmanager, so
eine weitere Einsicht, haben längst aufgehört, den
geschriebenen Analysten-Empfehlungen zu trauen.
Dabei ist Golding kein Rebell. Der schmale Mittfünfziger mit den
schneeweißen Haaren hat lediglich in den letzten zwei Jahren
seine Insidersicht auf die City, das Finanzzentrum London,
niedergeschrieben.
Zuvor hat er vierundzwanzig Jahre lang selbst dort gearbeitet.
1974 begann er als Analyst bei einer kleinen Brokerfirma. Vier
Jahre später wechselte er zur Investmentbank Flemings,
zunächst als Forschungsdirektor in der Anlageabteilung,
zuletzt auf der Seite der Investmentbanker, die Geschäfte mit
Unternehmenskunden abschließen. 1998 ließ er sich vorzeitig
pensionieren, zog sich in den Londoner Vorort Chiswick zurück,
wo er in einem Backsteinhäuschen mit Erker wohnt.
„Meine Sicht von dem, was Analysten tun, ist ziemlich zynisch“,
räumt Golding ein. Kein Lächeln mildert das Urteil. In der
Theorie ist der Rat von Analysten, die externe Kunden beraten,
unabhängig: Empfiehlt der Analyst von Merrill Lynch für die
Telekom-Branche, Vodafone zu kaufen, so sollte der so
informierte Fondsmanager davon ausgehen können, dass das
Lob nicht einem verdeckten Interesse von Merrill Lynch folgt.
In der Branche spricht man von der Chinesischen Mauer, die
Analysten von den Investmentbankern zu trennen habe. Die
Praxis jedoch funktioniere anders, erzählt Golding und zitiert
einen Freund, Investmentbanker bei einer großen
amerikanischen Bank: „Unser Verhältnis zu Analysten ist ganz
klar geregelt: Sie arbeiten für uns.“
Üppige Bezahlung
Das aber, sagt Golding, sei schlicht eine Frage der Bezahlung.
Analysten verdienen viel. Ein internes Papier des
Personalkonzerns TMP Worldwide hielt mit Stand November
2000 fest, dass amerikanische Analysten bereits in ihren
ersten drei Berufsjahren ein Gesamteinkommen von bis zu
einer Millionen DM erwarten könnten, in Europa seien immerhin
bis zu 400000 DM drin.
Erfahrenere Analysten könnten in Amerika mit vier Millionen
und in Europa immerhin noch mit rund 1,5 Millionen DM
rechnen, wobei die Gehälter der Sell-side-Analysten, die die
Kunden beim Aktienkauf beraten, deutlich über denen der
Buy-side-Analysten liegen, die die Fondsmanager des eigenen
Hauses beraten.
Die üppigen Gehälter, sagt Tony Golding, könnten aber nicht
mehr aus den Gebühren gezahlt werden – etwa 0,1 bis 0,2
Prozent des Gesamtwertes, zu dem Aktien ge- oder verkauft
werden. Ein Klacks im Vergleich zu den Handelsgebühren, wie
sie bis Mitte der siebziger Jahre üblich waren. Deren Verfall
setzte ein mit der Liberalisierung der Börsengesetze, zunächst
1975 in New York, dann im Oktober 1986 in London (Big Bang).
Heute müssen Analysten subventioniert werden: „Ich würde
mich sehr wundern“, sagt Golding, „wenn heute noch irgendein
Investmenthaus eine in sich profitable Forschungsabteilung
hätte.“
Damit kamen die Investmentabteilungen ins Spiel. „Das
Aktiengeschäft“, schreibt der Ex-Banker in seinem Buch, „kann
ruhig Verluste machen, solange es als Hebel dient für andere
Geschäfte.“ Bei Flemings zum Beispiel habe er sich unter
anderem um ein mittelständisches Unternehmen bemüht. Sein
Ziel: Flemings als Berater für eine Fusion zu empfehlen, ein
Geschäft, das typischerweise ein halbes bis ein Prozent vom
Gesamtumfang des Abschlusses einbringt.
„Unser Konkurrent war Morgan Stanley. Sie erschienen mit
ihrem Merger-and-Acquisition-Team, und mit im Tross war ihr
Analyst. Der hielt seine Präsentation, glänzte mit seinen
Branchenkenntnissen und warb damit für die Kompetenz
seiner Bank. Als es dann zur Sache ging, musste er den Raum
verlassen. Aber seinem Bonus hat dieser Auftritt gewiss nicht
geschadet. Wir hingegen als kleines Investmenthaus konnten
mit solch einem Analysten nicht aufwarten, und das war
deutlich von Nachteil.“
Golding glaubt, dass die Hälfte der Kosten, die Analysten
verursachen, mittlerweile vom Investmentgeschäft getragen
werden, also der Beratung von Unternehmenskunden bei
Fusionen, Firmenkäufen oder beim Börsengang. „Ich weiß,
dass Goldman Sachs es so handhabt. Und UBS Warburg.“
Credit Suisse First Boston habe sogar ganz offen den Schleier
fallen lassen. Im vergangenen März ernannte die Bank
kurzerhand ein und dieselbe Person zum Leiter des
Investmentbanking und des Aktiengeschäftes, für das die
Analysten arbeiten.
Mit ihren Branchenkenntnissen und ihren engen Kontakten
zum Management seien Analysten ideal positioniert, um ihre
Kollegen vom Investment Banking bei Unternehmen
einzuführen und den Weg für deren Finanzierungsgeschäfte zu
ebnen, schreibt Golding. Das heißt: Analysten lassen sich ihre
Unabhängigkeit vom eigenen Haus abkaufen.
„Wenn Analysten einer Bank heute eine Aktie besonders
loben, geht die Branche mittlerweile davon aus, dass sie
versuchen, den Preis des Unternehmens vor einer Übernahme
hochzureden.“ Und: „Kein institutioneller Anleger traut heute
noch den geschriebenen Empfehlungen eines
Sell-side-Analysten.“
Anderes gelte jedoch für das vertrauliche Gespräch. Wenn ein
Fondsmanager das Urteil eines Analysten schätze, dann greife
er zum Telefon und frage nach dessen wahrer Meinung. Die
könne sich dann so anhören: „Wir empfehlen für das Papier X
Kaufen. Das buchstabieren Sie bitte folgendermaßen:
V-e-r-k-a-u-f-e-n.“
Und die Unternehmen? Warum spielen sie das Spiel mit, lassen
sich von Analysten beeindrucken, von positiven Berichten
schmeicheln, die anscheinend doch niemand glaubt? „Die
Unternehmen haben Angst,“ sagt Golding. Der Grund dafür sei
wieder Geld. Das Geld nämlich, das Investmentbanken damit
verdienen, der einen Firma den Kauf einer anderen
vorzuschlagen. Dabei kann jeder Jäger, aber auch Beute sein.
Die Konsequenz: Kein Unternehmen will es sich mit einer
Investmentbank verscherzen. „Die größeren achten darauf,
dass sie mit jedem Finanzgeschäft eine andere Bank
beauftragen, um nur ja keine zu verärgern. Jedes
Unternehmen ist angreifbar. Da muss nur einmal die
Jahresbilanz schlechter ausgefallen sein als erwartet, der
Börsenkurs sinkt, und schon wäre ein Aufkauf billiger.“
Abgekartetes Spiel
Hier wiederum schließt sich der Kreis. Denn welche Zahlen das
Publikum von einer Bilanz erwartet, entscheiden Analysten. Die
brauchen für ihre Vorhersagen Zahlen.
„Das Spiel geht dann folgendermaßen“, erzählt Golding: „Ein
Finanzvorstand gibt dem Analysten ein paar Einblicke in die
Lage des Unternehmens. Darauf sagt der Analyst: Das sieht
nach diesem oder jenem Gewinn oder Verlust aus. Wenn der
Vorstand damit einverstanden ist, murmelt er etwas vor sich
hin, oder grunzt zustimmend.
Und man kann davon ausgehen, dass er den Analysten auf
eine leicht pessimistische Vorhersage hinlenkt, damit am
Bilanztag selbst die positive Überraschung den Aktienpreis
nach oben treibt.“
Imke Henkel
Vom zynischen Spiel der Analysten
(SZ vom 27. März 2001) - Im Grunde ist Tony Goldings
Botschaft simpel. Analysten, lautet ein Fazit des
Ex-Investmentbankers, sind gekauft. Und Fondsmanager, so
eine weitere Einsicht, haben längst aufgehört, den
geschriebenen Analysten-Empfehlungen zu trauen.
Dabei ist Golding kein Rebell. Der schmale Mittfünfziger mit den
schneeweißen Haaren hat lediglich in den letzten zwei Jahren
seine Insidersicht auf die City, das Finanzzentrum London,
niedergeschrieben.
Zuvor hat er vierundzwanzig Jahre lang selbst dort gearbeitet.
1974 begann er als Analyst bei einer kleinen Brokerfirma. Vier
Jahre später wechselte er zur Investmentbank Flemings,
zunächst als Forschungsdirektor in der Anlageabteilung,
zuletzt auf der Seite der Investmentbanker, die Geschäfte mit
Unternehmenskunden abschließen. 1998 ließ er sich vorzeitig
pensionieren, zog sich in den Londoner Vorort Chiswick zurück,
wo er in einem Backsteinhäuschen mit Erker wohnt.
„Meine Sicht von dem, was Analysten tun, ist ziemlich zynisch“,
räumt Golding ein. Kein Lächeln mildert das Urteil. In der
Theorie ist der Rat von Analysten, die externe Kunden beraten,
unabhängig: Empfiehlt der Analyst von Merrill Lynch für die
Telekom-Branche, Vodafone zu kaufen, so sollte der so
informierte Fondsmanager davon ausgehen können, dass das
Lob nicht einem verdeckten Interesse von Merrill Lynch folgt.
In der Branche spricht man von der Chinesischen Mauer, die
Analysten von den Investmentbankern zu trennen habe. Die
Praxis jedoch funktioniere anders, erzählt Golding und zitiert
einen Freund, Investmentbanker bei einer großen
amerikanischen Bank: „Unser Verhältnis zu Analysten ist ganz
klar geregelt: Sie arbeiten für uns.“
Üppige Bezahlung
Das aber, sagt Golding, sei schlicht eine Frage der Bezahlung.
Analysten verdienen viel. Ein internes Papier des
Personalkonzerns TMP Worldwide hielt mit Stand November
2000 fest, dass amerikanische Analysten bereits in ihren
ersten drei Berufsjahren ein Gesamteinkommen von bis zu
einer Millionen DM erwarten könnten, in Europa seien immerhin
bis zu 400000 DM drin.
Erfahrenere Analysten könnten in Amerika mit vier Millionen
und in Europa immerhin noch mit rund 1,5 Millionen DM
rechnen, wobei die Gehälter der Sell-side-Analysten, die die
Kunden beim Aktienkauf beraten, deutlich über denen der
Buy-side-Analysten liegen, die die Fondsmanager des eigenen
Hauses beraten.
Die üppigen Gehälter, sagt Tony Golding, könnten aber nicht
mehr aus den Gebühren gezahlt werden – etwa 0,1 bis 0,2
Prozent des Gesamtwertes, zu dem Aktien ge- oder verkauft
werden. Ein Klacks im Vergleich zu den Handelsgebühren, wie
sie bis Mitte der siebziger Jahre üblich waren. Deren Verfall
setzte ein mit der Liberalisierung der Börsengesetze, zunächst
1975 in New York, dann im Oktober 1986 in London (Big Bang).
Heute müssen Analysten subventioniert werden: „Ich würde
mich sehr wundern“, sagt Golding, „wenn heute noch irgendein
Investmenthaus eine in sich profitable Forschungsabteilung
hätte.“
Damit kamen die Investmentabteilungen ins Spiel. „Das
Aktiengeschäft“, schreibt der Ex-Banker in seinem Buch, „kann
ruhig Verluste machen, solange es als Hebel dient für andere
Geschäfte.“ Bei Flemings zum Beispiel habe er sich unter
anderem um ein mittelständisches Unternehmen bemüht. Sein
Ziel: Flemings als Berater für eine Fusion zu empfehlen, ein
Geschäft, das typischerweise ein halbes bis ein Prozent vom
Gesamtumfang des Abschlusses einbringt.
„Unser Konkurrent war Morgan Stanley. Sie erschienen mit
ihrem Merger-and-Acquisition-Team, und mit im Tross war ihr
Analyst. Der hielt seine Präsentation, glänzte mit seinen
Branchenkenntnissen und warb damit für die Kompetenz
seiner Bank. Als es dann zur Sache ging, musste er den Raum
verlassen. Aber seinem Bonus hat dieser Auftritt gewiss nicht
geschadet. Wir hingegen als kleines Investmenthaus konnten
mit solch einem Analysten nicht aufwarten, und das war
deutlich von Nachteil.“
Golding glaubt, dass die Hälfte der Kosten, die Analysten
verursachen, mittlerweile vom Investmentgeschäft getragen
werden, also der Beratung von Unternehmenskunden bei
Fusionen, Firmenkäufen oder beim Börsengang. „Ich weiß,
dass Goldman Sachs es so handhabt. Und UBS Warburg.“
Credit Suisse First Boston habe sogar ganz offen den Schleier
fallen lassen. Im vergangenen März ernannte die Bank
kurzerhand ein und dieselbe Person zum Leiter des
Investmentbanking und des Aktiengeschäftes, für das die
Analysten arbeiten.
Mit ihren Branchenkenntnissen und ihren engen Kontakten
zum Management seien Analysten ideal positioniert, um ihre
Kollegen vom Investment Banking bei Unternehmen
einzuführen und den Weg für deren Finanzierungsgeschäfte zu
ebnen, schreibt Golding. Das heißt: Analysten lassen sich ihre
Unabhängigkeit vom eigenen Haus abkaufen.
„Wenn Analysten einer Bank heute eine Aktie besonders
loben, geht die Branche mittlerweile davon aus, dass sie
versuchen, den Preis des Unternehmens vor einer Übernahme
hochzureden.“ Und: „Kein institutioneller Anleger traut heute
noch den geschriebenen Empfehlungen eines
Sell-side-Analysten.“
Anderes gelte jedoch für das vertrauliche Gespräch. Wenn ein
Fondsmanager das Urteil eines Analysten schätze, dann greife
er zum Telefon und frage nach dessen wahrer Meinung. Die
könne sich dann so anhören: „Wir empfehlen für das Papier X
Kaufen. Das buchstabieren Sie bitte folgendermaßen:
V-e-r-k-a-u-f-e-n.“
Und die Unternehmen? Warum spielen sie das Spiel mit, lassen
sich von Analysten beeindrucken, von positiven Berichten
schmeicheln, die anscheinend doch niemand glaubt? „Die
Unternehmen haben Angst,“ sagt Golding. Der Grund dafür sei
wieder Geld. Das Geld nämlich, das Investmentbanken damit
verdienen, der einen Firma den Kauf einer anderen
vorzuschlagen. Dabei kann jeder Jäger, aber auch Beute sein.
Die Konsequenz: Kein Unternehmen will es sich mit einer
Investmentbank verscherzen. „Die größeren achten darauf,
dass sie mit jedem Finanzgeschäft eine andere Bank
beauftragen, um nur ja keine zu verärgern. Jedes
Unternehmen ist angreifbar. Da muss nur einmal die
Jahresbilanz schlechter ausgefallen sein als erwartet, der
Börsenkurs sinkt, und schon wäre ein Aufkauf billiger.“
Abgekartetes Spiel
Hier wiederum schließt sich der Kreis. Denn welche Zahlen das
Publikum von einer Bilanz erwartet, entscheiden Analysten. Die
brauchen für ihre Vorhersagen Zahlen.
„Das Spiel geht dann folgendermaßen“, erzählt Golding: „Ein
Finanzvorstand gibt dem Analysten ein paar Einblicke in die
Lage des Unternehmens. Darauf sagt der Analyst: Das sieht
nach diesem oder jenem Gewinn oder Verlust aus. Wenn der
Vorstand damit einverstanden ist, murmelt er etwas vor sich
hin, oder grunzt zustimmend.
Und man kann davon ausgehen, dass er den Analysten auf
eine leicht pessimistische Vorhersage hinlenkt, damit am
Bilanztag selbst die positive Überraschung den Aktienpreis
nach oben treibt.“
Imke Henkel