Instant Messenger
Der Chef liest mit
Von Jochen A. Siegle, San Francisco
Das Instant Messaging am Arbeitsplatz erfreut sich immer größerer Beliebtheit. US-Firmen fürchten, Angestellte könnten nicht nur mit Kunden und Kollegen chatten, sondern zu viel privat online plaudern - und Firmengeheimnisse preisgeben. Abhilfe soll nun IM-Überwachungssoftware schaffen.
[M] DPA; SPIEGEL ONLINE
Von wegen abhörsicher: Auch IM-Nachrichten lassen sich überwachen
Das Instant Messaging hat sich längst vom Teenagerkult zum Massenphänomen entwickelt. Immer beliebter wird die clevere und vor allem auch so schnelle Alternative zu E-Mail und Telefon mittlerweile auch in Unternehmen.
Den Online-Marktforschern von Jupiter Media Metrix zufolge chatten über Dienste wie ICQ, MSN-Messenger oder AIM von AOL allein in den USA tagtäglich bereits 16 Millionen Internetnutzer - am Arbeitsplatz. Im vergangenen Jahr soll sich die IM-Zeit in US-Firmen gegenüber 2000 auf 4,9 Milliarden Chatminuten mehr als verdoppelt haben.
Mit der zunehmenden Popularität der Echtzeit-Web-Kommunikation steigt nun allerdings auch das Bedürfnis, diesen Datenverkehr zu überwachen. "Die Unternehmen fürchten im Zuge des IM-Booms nicht nur, Arbeitszeit einzubüßen, sondern auch die Preisgabe geistigen Eigentums in Chats", erklärt Glen Vondrick, Präsident und CEO von FaceTime Communications in Foster City. "Daher haben immer mehr Firmen großes Interesse daran, den IM-Verkehr ihrer Angestellten zu archivieren oder nach bestimmten Stichwörtern durchsuchen zu lassen."
Schnüffler sorgen dafür, dass sich nichts "versendet"
Die entsprechende Software liefert Vondricks Silicon-Valley-Company. Erst vor einem halben Jahr gestartet, zählt FaceTime Communications mit ihrem IM Auditor neben Firmen wie ICaughtYou oder Vericept bereits zu den Marktführern in der noch jungen Branche.
Typischerweise speichern Programme wie IM Auditor alle über Firmennetzwerke verteilte Mitteilungen auf einem Zentralrechner, und das unabhängig vom IM-Anbieter. Im Gegensatz zu E-Mails werden die Instant Messages in der Regel nicht über zentrale Server abgewickelt - ergo dort gespeichert - und verschwinden ohne entsprechende Software nach Beendigung des Chats im Digi-Nirvana. Instant Messaging galt daher bislang als wesentlich "abhörsicherer" als die E-Mail-Kommunikation.
Vericept: Software zur Überwachung
Diese Zeiten scheinen nun jedoch vorbei zu sein. Immer mehr Unternehmen, insbesondere aus der Finanzbranche, setzen auf die IM-Schnüffler. Vondrick hat etwa extra ein Verkaufsbüro an der Wall Street eröffnet, um die vielen Anfragen aus der Börsenmetropole besser bearbeiten zu können. Konkurrent Communicator Inc. konnte allein diesen Monat acht neue Kunden aus der Geldindustrie für sein Programm HubIM gewinnen.
Das Interesse der Finanzwirtschaft an den Chat-Archivierungssystemen ergibt sich auch daraus, dass die amerikanische Börsenaufsicht SEC vorschreibt, die Kommunikation mit Kunden zu Prüfzwecken zu protokollieren. Für IMs sind bislang keine entsprechenden Regelungen erlassen, Branchenbeobachter gehen allerdings davon aus, dass dies demnächst geschehen wird.
Auf den Chat folgt die Entlassung
Zu wichtig ist die IM-Kommunikation mittlerweile für die US-Wirtschaft geworden - und scheinbar auch riskant: "Die rasante Entwicklung von IM-Diensten zu ignorieren, ist ebenso gefährlich, wie mit einer geladenen Waffe zu spielen", finden etwa Analysten der Gartner Group in einer Studie zum Instant Messaging.
Oftmals sei den Unternehmen zudem gar nicht bewusst, wie viele Angestellte vom Büro aus chatten. "Sehr oft wird die Software einfach ohne Erlaubnis installiert", sagt Vondrick. "Für viele Angestellte ist der Chat am Arbeitsplatz fast so, wie im Büro das private Mobiltelefon zu benutzen."
Setzt das Unternehmen allerdings Monitoring-Software ein, können die Konsequenzen fatal sein. Bürgerrechtler und Privacy-Advokaten wie etwa das Washingtoner Electronic Privacy Information Center (Epic) berichten immer öfter von Usern, die ohne ihr Wissen vom Arbeitgeber beschnüffelt und auf Grund "problematischer" Nachrichten entlassen wurden. "Und das darf einfach nicht sein", sagt EPIC-Aktivistin Sarah Andrews. "Viele Unternehmen warten doch nur darauf, bestimmte Mitarbeiter durch solche Techniken auszuspionieren und dann rausschmeißen zu können."
So geschehen etwa bei einem Klienten von Vericept: Ein Unternehmen aus der Telekommunikationsbranche hat scheinbar mit Hilfe der Vericept-Software den Racheakt eines verstimmten Mitarbeiters vereiteln können. Über ICaughtYou soll eine Regierungsbehörde einen Beamten gestellt haben, der mit Drogen handelte.
... aller Formen elektronischer Kommunikation
Vondrick hält diese Schnüffelerfolge kaum für bedenklich. Schließlich gehe es nicht darum, "Leute auszuspionieren", versichert der FaceTime-Chef. Zudem würden IM-Nutzer bei seiner Software über ein Pop-up-Fenster darauf hingewiesen, dass die Chats aufgezeichnet werden.
Für die Epic ist allerdings auch diese Praxis sehr bedenklich. "Die Entscheidung, Angestellte von der Überwachung zu unterrichten, liegt bei den Firmen selbst - da helfen auch Hersteller-Beteuerungen nicht," erklärt Andrews. "Wir plädieren daher für ganz klare Richtlinien, was für Daten wie gesammelt werden dürfen, damit das IM-Monitoring nicht zu tief in die Privatsphäre von Angestellten eingreift."
Wie weit und vor allen Dingen bis wann sich diese Forderungen umsetzen lassen, ist fraglich. Amerikanische Arbeitgeber sind schließlich seit jeher nicht zimperlich, was die Überwachung von Mitarbeitern betrifft: Wie Studien der American Management Association belegen, werden geradezu paranoid fast 80 Prozent aller Beschäftigten in US-Großfirmen am Arbeitsplatz elektronisch überwacht - darunter fällt etwa die Bespitzelung des E-Mail-Verkehrs, von Webzugriffen, Telefongesprächen und selbst die Überwachung per Videokamera.