Versicherer fürchten Aktiencrash
Von Herbert Fromme, Köln, und Peter Ehrlich, Berlin
Die deutsche Versicherungswirtschaft fordert von der Bundesregierung eine schnelle Änderung der Bilanzierungsregeln, da sonst eine neue starke Belastung des Aktienmarktes drohe.
Wenn die Politik nicht in wenigen Tagen ein Signal gibt, dass die Änderungen bis Jahresende in Kraft treten, würden die Unternehmen in großem Umfang Aktien und Investmentfonds verkaufen, fürchtet der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). Betroffen sind vor allem Lebensversicherer.
"Aktuell erwächst den Unternehmen die Gefahr unkalkulierbarer bilanzieller Verluste zum 31. Dezember 2001. Sie sind daher - auch aus steuerlichen Gründen - gezwungen, ihre Aktienbestände zu veräußern", heißt es in einem GDV-Papier für das Finanzministerium, das der Financial Times Deutschland vorliegt.
Die Auswirkungen könnten dramatisch sein: Die Versicherer hielten Ende des ersten Quartals Kapitalanlagen mit einem Buchwert von 1779 Mrd. DM. Davon waren nach Schätzungen des GDV 437 Mrd. DM direkt oder indirekt in Aktien angelegt. Ihr Marktwert beträgt laut GDV immer noch fast 700 Mrd. DM. Das wären mehr als ein Drittel des deutschen Aktienmarktes von 889 Mrd. Euro. Wenn die Versicherer auch nur zehn Prozent davon in den nächsten Tagen auf den Markt werfen, dürften Dax und Neuer Markt einbrechen.
Ministerium will Vorschlag prüfen
Erste Gespräche mit dem Finanzministerium fanden bereits statt, bestätigten GDV und Ministerium. Es habe eine entsprechende Bitte des GDV gegeben, sagte eine Ministeriums-Sprecherin. Der Vorschlag werde geprüft. "Es geht um Maßnahmen zur Stabilisierung der Kapitalmärkte", sagte ein Sprecher des GDV.
Die Versicherer verlangen die Änderung des Paragrafen 341 b Absatz 2 des Handelsgesetzbuchs, der nur für Versicherer das so genannte "strenge Niederstwertprinzip" enthält. Bisher hatte die Branche dieses Prinzip aus steuerlichen Gründen stets verteidigt.
Aber bei stark fallenden Märkten hat die Sonderbehandlung plötzlich katastrophale Auswirkungen. Ohne Änderung des Gesetzes würden viele Versicherer ihre angepeilten Jahresgewinne kaum erreichen, denn sie müssten entweder die Verluste aus Verkäufen oder hohe Abschreibungen auf ihre Aktien im Ergebnis ausweisen. Das würde zwar die Fähigkeit der Versicherer, die zugesagten Leistungen an ihre Kunden zu erbringen, zunächst nicht beeinträchtigen, wohl aber ihre Ergebnisse und damit ihren eigenen Aktienkurs nachhaltig negativ beeinflussen.
So funktioniert das Niederstwertprinzip: Kauft eine Versicherung eine Million Aktien zu je 5 DM, steht dieser Posten mit 5 Mio. DM in den Büchern. Steigt der Kurs, bleibt der Buchwert der Aktien bei diesen 5 Mio. DM. Sinkt der Kurs aber unter den Einstandspreis, zum Beispiel auf 4 DM, muss der Versicherer 1 Mio. DM voll in diesem Jahr abschreiben, also als Verlust buchen. Der Verfall der Aktienkurse in den vergangenen Wochen hat dazu geführt, dass bei den meisten Versicherern die Einstandspreise für große Teile ihres Aktienportefeuilles erreicht oder unterschritten sind. Aus Furcht, dass die Kurse weiter abrutschen und das Ergebnis 2001 noch mehr belasten könnten, sowie aus steuerlichen Gründen müssen sie - wenn das Gesetz nicht geändert wird - diese Papiere jetzt verkaufen.
Mit Banken gleichstellen
Der GDV verlangt von der Regierung, dass die Aktienbestände der Versicherer künftig ähnlich behandelt werden wie bei den Banken. Diese müssen Wertpapiere, die sie langfristig halten, erst dann abschreiben, wenn der Wertverlust dauerhaft ist.
Auch internationale Bilanzstandards wie International Accounting Standards (IAS) und US-GAAP kennen das strenge deutsche Niederstwertprinzip nicht. Deshalb sind die wenigen deutschen Konzerne, die wie die Allianz nach einem dieser Standards bilanzieren, weniger betroffen.
Mehrere Versicherer verkaufen noch aus einem zweiten Grund Aktien. Das Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen hatte am 7. September eine Reihe von Lebensversicherern aufgefordert, Aktien zu verkaufen und das Geld festverzinslich anzulegen, um das Risiko zu reduzieren.
© 2001 Financial Times Deutschland
Von Herbert Fromme, Köln, und Peter Ehrlich, Berlin
Die deutsche Versicherungswirtschaft fordert von der Bundesregierung eine schnelle Änderung der Bilanzierungsregeln, da sonst eine neue starke Belastung des Aktienmarktes drohe.
Wenn die Politik nicht in wenigen Tagen ein Signal gibt, dass die Änderungen bis Jahresende in Kraft treten, würden die Unternehmen in großem Umfang Aktien und Investmentfonds verkaufen, fürchtet der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). Betroffen sind vor allem Lebensversicherer.
"Aktuell erwächst den Unternehmen die Gefahr unkalkulierbarer bilanzieller Verluste zum 31. Dezember 2001. Sie sind daher - auch aus steuerlichen Gründen - gezwungen, ihre Aktienbestände zu veräußern", heißt es in einem GDV-Papier für das Finanzministerium, das der Financial Times Deutschland vorliegt.
Die Auswirkungen könnten dramatisch sein: Die Versicherer hielten Ende des ersten Quartals Kapitalanlagen mit einem Buchwert von 1779 Mrd. DM. Davon waren nach Schätzungen des GDV 437 Mrd. DM direkt oder indirekt in Aktien angelegt. Ihr Marktwert beträgt laut GDV immer noch fast 700 Mrd. DM. Das wären mehr als ein Drittel des deutschen Aktienmarktes von 889 Mrd. Euro. Wenn die Versicherer auch nur zehn Prozent davon in den nächsten Tagen auf den Markt werfen, dürften Dax und Neuer Markt einbrechen.
Ministerium will Vorschlag prüfen
Erste Gespräche mit dem Finanzministerium fanden bereits statt, bestätigten GDV und Ministerium. Es habe eine entsprechende Bitte des GDV gegeben, sagte eine Ministeriums-Sprecherin. Der Vorschlag werde geprüft. "Es geht um Maßnahmen zur Stabilisierung der Kapitalmärkte", sagte ein Sprecher des GDV.
Die Versicherer verlangen die Änderung des Paragrafen 341 b Absatz 2 des Handelsgesetzbuchs, der nur für Versicherer das so genannte "strenge Niederstwertprinzip" enthält. Bisher hatte die Branche dieses Prinzip aus steuerlichen Gründen stets verteidigt.
Aber bei stark fallenden Märkten hat die Sonderbehandlung plötzlich katastrophale Auswirkungen. Ohne Änderung des Gesetzes würden viele Versicherer ihre angepeilten Jahresgewinne kaum erreichen, denn sie müssten entweder die Verluste aus Verkäufen oder hohe Abschreibungen auf ihre Aktien im Ergebnis ausweisen. Das würde zwar die Fähigkeit der Versicherer, die zugesagten Leistungen an ihre Kunden zu erbringen, zunächst nicht beeinträchtigen, wohl aber ihre Ergebnisse und damit ihren eigenen Aktienkurs nachhaltig negativ beeinflussen.
So funktioniert das Niederstwertprinzip: Kauft eine Versicherung eine Million Aktien zu je 5 DM, steht dieser Posten mit 5 Mio. DM in den Büchern. Steigt der Kurs, bleibt der Buchwert der Aktien bei diesen 5 Mio. DM. Sinkt der Kurs aber unter den Einstandspreis, zum Beispiel auf 4 DM, muss der Versicherer 1 Mio. DM voll in diesem Jahr abschreiben, also als Verlust buchen. Der Verfall der Aktienkurse in den vergangenen Wochen hat dazu geführt, dass bei den meisten Versicherern die Einstandspreise für große Teile ihres Aktienportefeuilles erreicht oder unterschritten sind. Aus Furcht, dass die Kurse weiter abrutschen und das Ergebnis 2001 noch mehr belasten könnten, sowie aus steuerlichen Gründen müssen sie - wenn das Gesetz nicht geändert wird - diese Papiere jetzt verkaufen.
Mit Banken gleichstellen
Der GDV verlangt von der Regierung, dass die Aktienbestände der Versicherer künftig ähnlich behandelt werden wie bei den Banken. Diese müssen Wertpapiere, die sie langfristig halten, erst dann abschreiben, wenn der Wertverlust dauerhaft ist.
Auch internationale Bilanzstandards wie International Accounting Standards (IAS) und US-GAAP kennen das strenge deutsche Niederstwertprinzip nicht. Deshalb sind die wenigen deutschen Konzerne, die wie die Allianz nach einem dieser Standards bilanzieren, weniger betroffen.
Mehrere Versicherer verkaufen noch aus einem zweiten Grund Aktien. Das Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen hatte am 7. September eine Reihe von Lebensversicherern aufgefordert, Aktien zu verkaufen und das Geld festverzinslich anzulegen, um das Risiko zu reduzieren.
© 2001 Financial Times Deutschland