"Verluste minimieren"

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"Verluste minimieren"

 
08.09.06 13:16
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"Verluste minimieren"

Von Dietmar Palan

Finanzprofessor Martin Weber spricht im Interview mit manager magazin über Verlustängste, Selbstüberschätzung und die positive Tendenz an den Börsen.

Weber forscht an der Uni Mannheim über das Anlegerverhalten an der Börse

mm: Herr Weber, vergessen wir mal für eine Minute, dass Sie den Großteil Ihrer Zeit als
Finanzmarktforscher arbeiten. Wie hat sich denn der Privatanleger Martin Weber gefühlt, als die Börsenkurse Mitte Mai ins Rutschen kamen?

Weber: Ich habe mich geärgert, schließlich habe ich ja Geld verloren.

mm: Haben Sie sich so geärgert, dass Sie ausgestiegen sind?

Weber: Nein, ich konnte mich gerade noch beherrschen.

mm: Wie haben Sie das angestellt?

Weber: Ich habe mir drei Kursverläufe des europäischen Leitindex ausgedruckt und mir angeschaut, was tatsächlich passiert ist. Das erste Bild, das den EuroStoxx-50-Verlauf seit Anfang Mai zeigt, macht einen in der Tat depressiv. Schaue ich mir den Chart an, der im Juli 2005 anfängt, sieht die Angelegenheit schon weit freundlicher aus, und wenn ich bis zum Januar 2003 zurückgehe, dann sehen die Kursturbulenzen des Frühjahrs 2006 eigentlich ziemlich harmlos aus. Meine Gefühlslage ändert sich also je nachdem, welches Bild ich mir gerade anschaue. Die Skala geht von "nie wieder Aktien" bis "eigentlich harmlos".

mm: Viele Anleger, die ihre ersten Börsenerfahrungen um die Jahrtausendwende gemacht haben, werden sich vor allem daran erinnern, dass sich auch scheinbar harmlose Ereignisse schnell zum Desaster entwickeln können.

Weber: Sicher, die Kurse können abstürzen. Aber darum geht es schließlich an der Börse: Aktien werfen doch nur deshalb höhere Renditen als Staatsanleihen oder Sparbücher ab, weil die Verlustgefahr an den Aktienmärkten größer ist und die Anleger für die Risiken, auf die sie sich einlassen, eine Kompensation in Form höherer Erträge erwarten. Jeder, der sein Geld an die Börse trägt, muss diese Gesetzmäßigkeit akzeptieren. Das Einzige, was ein Anleger dagegen tun kann, ist, seine potenziellen Verluste zu minimieren, ganz ausschließen wird er sie nie können.


Weber: Wenn sie nicht gerade ein paar Millionen Euro als Spielgeld übrig haben, sollten sie es vermeiden, auf einzelne Titel zu wetten. Warum sollte ein Privatanleger besser sein als ein Fondsmanager, der auf hunderte von Analystenstudien zurückgreifen kann, der die Gelegenheit hat, das Topmanagement eines interessanten Unternehmens in die Zange zu nehmen, und der sich mit ein paar Anrufen ein Bild von der Stimmung in den Handelssälen verschaffen kann? Diesen Vorsprung der Profis kann kein Privatanleger einholen, auch wenn ihm das diverse Blättchen mit ihren reißerischen Titelgeschichten von den 20 Aktien, die alle ganz schnell reich machen sollen, immer wieder vorgaukeln.

mm: Mit anderen Worten: Finger weg von Aktien?

Weber: Nein, überhaupt nicht. Wenn wir unterstellen, dass die Aktienmärkte auch in den kommenden Jahrzehnten der gleichen Logik gehorchen wie in den vergangenen 100 Jahren, dann muss die Börse langfristig eine positive Grundtendenz aufweisen. Als Anleger muss ich mich so positionieren, dass ich davon profitiere.

mm: Geht es nicht etwas konkreter?


Kleine Börsen-Beruhigungspille: Je weiter der Anlagehorizont, desto weniger fallen Kurseinbrüche ins Gewicht - die Bedeutung der gefühlten Verluste nimmt ab.

Weber: Es ist im Grunde ganz simpel. Ich muss mir zunächst Gedanken darüber machen, welchen Teil meines Vermögens ich einem gewissen Verlustrisiko aussetzen kann. Nur diese Summe kann ich überhaupt an der Börse investieren. Mit dem Geld kaufe ich mir dann einen börsengehandelten Indexfonds auf den EuroStoxx 50. Damit erreiche ich zweierlei. Erstens verteile ich mein Risiko auf eine ausreichend große Zahl verschiedener Unternehmen, und zweitens minimiere ich den Betrag, den ich für Gebühren und Börsenspesen ausgeben muss.

mm: Wenn es so einfach ist, warum hält sich dann kaum einer daran?

Weber: Zahlreiche Studien und Experimente belegen, dass die meisten Anleger ihre Fähigkeiten schlicht und einfach überschätzen. Das hat verschiedene Ursachen. Eine davon ist die Funktionsweise des menschlichen Erinnerungsvermögens. Nehmen wir einen Anleger, der zehn verschiedene Aktien gekauft hat. Viermal lag er richtig, sechsmal falsch. Woran erinnert er sich? An die vier Wetten, die aufgegangen sind. Wir denken einfach lieber an Erfolgserlebnisse als an negative Erfahrungen. Das hilft einem im normalen Leben sicherlich über manche Misserfolge hinweg. An der Börse aber ist es fatal, wenn wir uns für besser halten, als wir tatsächlich sind.

mm: Wie macht sich diese Selbstüberschätzung bemerkbar?

Weber: Die wirklichen Risiken werden vernachlässigt. Ob ich als Anleger Bayer- oder BASF-Aktien kaufe, ist doch irrelevant. Die wirklichen Risiken liegen ganz woanders. Was passiert mit mir, wenn ich durch einen Unfall oder eine Krankheit meine Arbeitskraft verliere und ich keine Berufsunfähigkeitsversicherung habe? Oder wenn ich merke, dass ich mit der falschen Frau verheiratet bin und wir uns also im Fall einer Scheidung finanziell richtig wehtun können? Über solche Dinge muss ich mir doch zuerst Gedanken machen, bevor ich mich mit der Frage Bayer oder BASF beschäftige.

mm: Vor dem Gang an die Börse also erst ein finanzieller Check-up?

Weber: Anleger müssen sich bei den wirklich wichtigen Dingen beraten lassen. Sie brauchen jemanden, der sie auf die existenzbedrohenden finanziellen Risiken aufmerksam macht, der ihnen zeigt, wie sie ihr Vermögen auf verschiedene Anlageklassen wie Aktien, Immobilien oder Anleihen verteilen müssen. Einen Berater, der ihnen lediglich erzählen will, welche Aktienfonds oder Zertifikate sie kaufen müssen, den braucht in Wahrheit niemand.


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