ftd.de, Mo, 22.4.2002, 2:00
Geldanlage: Verdrossenheit statt Vertrauen
Von Florian Schröder
Enron, Comroad, Merrill Lynch - die Skandale reißen nicht ab. Experten sprechen bereits von Kapitalmarktverdrossenheit. Was Anleger tun können.
Wenn es nicht mehr schlimmer kommen kann, kommt es noch schlimmer. Das gilt nicht nur für viele Aktienkurse, sondern auch für die nicht enden wollende Kette von Skandalen an den Kapitalmärkten: Henry Blodget, einstiger US-Staranalyst, soll bewusst falsche Analysen erstellt haben. Am Neuen Markt brennt die Hütte: Telematik-Spezialist Comroad und Moorhuhn-Erfinder Phenomedia bilanzierten mit Fantasiezahlen, die die Wirtschaftsprüfungsgesellschaften nicht entlarven konnten oder wollten, bis heute
"Nach dem Enron-Debakel sehen sich auch andere US-Giganten wie Xerox Vorwürfen ausgesetzt, die Gewinne seien manipuliert worden und die Vorstände hätten sich bereichert", sagt Reuven Lehavy, Bilanzexperte an der Berkeley University. "Das Vertrauen der Anleger droht bis auf unbestimmte Zeit verloren zu gehen."
Steht uns nach der Politik- nun eine Kapitalmarktverdrossenheit bevor? Warnsignale gibt es zuhauf: So verabschieden sich nicht nur immer mehr gefrustete Investoren vom Neuen Markt. Auch dort gelistete Vorzeigeunternehmen - es gibt sie tatsächlich noch - erwägen einen Segmentwechsel. "Thiel Logistik etwa", sagt Ekkehard Wenger, Kapitalmarktexperte an der Universität Würzburg. "Was übrig bleibt, ist ein Schrottaufen." Ein noch düstereres Bild der Lage zeichnet Günther Ogger, Publizist und langjähriger Kritiker der Finanzbranche: "Der Neue Markt löst sich in absehbarer Zeit auf."
Einige US-Aktien-Analysten namhafter Banken sollen während der Tech-Blase Aktien gepusht haben, auf die sie selbst keinen Pfifferling mehr setzten, dafür aber geschäftliche Beziehungen pflegten - so die Vorwürfe des New Yorker Staatsanwalts Eliot Spitzer. Sehr konkret sind die Vorwürfe, denen sich Merrill Lynchs ehemaliger Internet-Guru, Henry Blodget, ausgesetzt sieht (siehe Grafik). So wurde die Aktie von Infospace öffentlich zum Kauf empfohlen, während Henry Blodget sie intern als "Piece of Shit" kommuniziert haben soll. Die FTD bat Blodget um eine Stellungnahmen, wurde aber von ihm an James Wiggins von Merrill Lynch verwiesen. "Die Beweise sind aus dem Zusammenhang gerissen, weil sie nur Zwischenergebnisse einer regen Diskussion per E-Mail widerspiegeln", so Wiggins. Eine Meinung, die der Staatsanwalt Spitzer nicht teilt. Die Ermittlungen werden zurzeit auf andere Großbanken wie Salomon Smith Barney, Lehman Brohers, Bear Stearns oder Goldman Sachs ausgedehnt.
Schärfere Regeln
Auch die US-Börsenaufsicht SEC will noch schärfer vorgehen. "Es ist eine erweiterte Offenlegungspflicht für Analysten geplant", sagt Reuven Lehavy von der Universität Berkeley. Danach muss bei jeder Aktien-Analyse auf etwaige Verbindungen zwischen der Bank und dem betrachteten Unternehmen hingewiesen werden.
"Deutsche Analysten sind keinen Deut besser als ihre US-Kollegen", kritisiert Bestseller-Autor Ogger. Zwar feilt die Bundesregierung am vierten Finanzmarktförderungsgesetz, um die "Übersteigerungen und Manipulationen" am Finanzmarkt einzudämmen. Doch gilt unter den meisten Experten das neue Gesetzeswerk als zahnloser Tiger.
So sollen Unternehmen in Zukunft nach falschen Ad-hoc-Mitteilungen stärker haftbar gemacht werden können. "Überhaupt nicht ausreichend und im Prinzip für den Papierkorb", kritisiert Ekkehard Wenger. "Das gesamte Prozesskostenrisiko ist an den Anleger delegiert. Sinnvoll wäre ein institutionell verankerter Berufskläger, der unabhängig und belohnungsorientiert die Anlegerinteressen vor Gericht vertritt."
Hoher Nachholbedarf
Auch Rechtsanwalt Werner Amadeus Meier, Spezialist für Kapitalanlagerecht, sieht reichlich Nachholbedarf: "Die Ansprüche gegen einzelne Personen müssen verbessert werden, sodass Vorstände nicht ihr Unternehmen gewissermaßen als Schutzwall gegenüber den Ansprüchen der Geschädigten missbrauchen können." Zudem seien die Bußgelder viel zu gering; aufgedeckte Betrügereien könnten sich damit sogar noch rechnen.
"Dass der Gesetzentwurf in entscheidenden Passagen entschärft wurde, liegt an der Lobbyarbeit der Banken", moniert Wenger. Zudem werde das Bundesaufsichtsamt für den Wertpapierhandel zu 70 Prozent von den Banken finanziert - was dessen Unabhängigkeit infrage stelle.
Das Kleine Ein-Mal-Eins
Aktien-Anleger, die sich von der aufkommenden Verdrossenheit nicht anstecken lassen wollen, sollten Folgendes beachten:
- Die Empfehlung eines Analysten sollte bei der Anlageentscheidung immer nur ein Kriterium sein.
- Sorgfältig sollten zuvor mögliche Interessenkonflikte zwischen Analyse-Ersteller und analysiertem Unternehmen bedacht werden. (Etwa prüfen, ob die Bank den Börsengang begleitet hat.)
- Schon bei ersten negativen Gerüchten Aktien verkaufen, vor allem wenn es sich um kleinere Firmen handelt; nur abgebrühte Zocker warten ab oder kaufen gar nach in der Hoffnung, dass sich die Vorwürfe in Luft auflösen und sich die Aktie wieder erholt. Dennoch gilt: Nur weil eine Aktie fällt, müssen nicht zwingend finstere Gaunereien dahinterstecken.
- Stopp-Loss-Kurse setzen.
- Bilanzen lesen. Wenn etwas unverständlich oder ungereimt erscheint, ist Vorsicht angebracht. Hier soll möglicherweise etwas vertuscht werden.
Geldanlage: Verdrossenheit statt Vertrauen
Von Florian Schröder
Enron, Comroad, Merrill Lynch - die Skandale reißen nicht ab. Experten sprechen bereits von Kapitalmarktverdrossenheit. Was Anleger tun können.
Wenn es nicht mehr schlimmer kommen kann, kommt es noch schlimmer. Das gilt nicht nur für viele Aktienkurse, sondern auch für die nicht enden wollende Kette von Skandalen an den Kapitalmärkten: Henry Blodget, einstiger US-Staranalyst, soll bewusst falsche Analysen erstellt haben. Am Neuen Markt brennt die Hütte: Telematik-Spezialist Comroad und Moorhuhn-Erfinder Phenomedia bilanzierten mit Fantasiezahlen, die die Wirtschaftsprüfungsgesellschaften nicht entlarven konnten oder wollten, bis heute
"Nach dem Enron-Debakel sehen sich auch andere US-Giganten wie Xerox Vorwürfen ausgesetzt, die Gewinne seien manipuliert worden und die Vorstände hätten sich bereichert", sagt Reuven Lehavy, Bilanzexperte an der Berkeley University. "Das Vertrauen der Anleger droht bis auf unbestimmte Zeit verloren zu gehen."
Steht uns nach der Politik- nun eine Kapitalmarktverdrossenheit bevor? Warnsignale gibt es zuhauf: So verabschieden sich nicht nur immer mehr gefrustete Investoren vom Neuen Markt. Auch dort gelistete Vorzeigeunternehmen - es gibt sie tatsächlich noch - erwägen einen Segmentwechsel. "Thiel Logistik etwa", sagt Ekkehard Wenger, Kapitalmarktexperte an der Universität Würzburg. "Was übrig bleibt, ist ein Schrottaufen." Ein noch düstereres Bild der Lage zeichnet Günther Ogger, Publizist und langjähriger Kritiker der Finanzbranche: "Der Neue Markt löst sich in absehbarer Zeit auf."
Einige US-Aktien-Analysten namhafter Banken sollen während der Tech-Blase Aktien gepusht haben, auf die sie selbst keinen Pfifferling mehr setzten, dafür aber geschäftliche Beziehungen pflegten - so die Vorwürfe des New Yorker Staatsanwalts Eliot Spitzer. Sehr konkret sind die Vorwürfe, denen sich Merrill Lynchs ehemaliger Internet-Guru, Henry Blodget, ausgesetzt sieht (siehe Grafik). So wurde die Aktie von Infospace öffentlich zum Kauf empfohlen, während Henry Blodget sie intern als "Piece of Shit" kommuniziert haben soll. Die FTD bat Blodget um eine Stellungnahmen, wurde aber von ihm an James Wiggins von Merrill Lynch verwiesen. "Die Beweise sind aus dem Zusammenhang gerissen, weil sie nur Zwischenergebnisse einer regen Diskussion per E-Mail widerspiegeln", so Wiggins. Eine Meinung, die der Staatsanwalt Spitzer nicht teilt. Die Ermittlungen werden zurzeit auf andere Großbanken wie Salomon Smith Barney, Lehman Brohers, Bear Stearns oder Goldman Sachs ausgedehnt.
Schärfere Regeln
Auch die US-Börsenaufsicht SEC will noch schärfer vorgehen. "Es ist eine erweiterte Offenlegungspflicht für Analysten geplant", sagt Reuven Lehavy von der Universität Berkeley. Danach muss bei jeder Aktien-Analyse auf etwaige Verbindungen zwischen der Bank und dem betrachteten Unternehmen hingewiesen werden.
"Deutsche Analysten sind keinen Deut besser als ihre US-Kollegen", kritisiert Bestseller-Autor Ogger. Zwar feilt die Bundesregierung am vierten Finanzmarktförderungsgesetz, um die "Übersteigerungen und Manipulationen" am Finanzmarkt einzudämmen. Doch gilt unter den meisten Experten das neue Gesetzeswerk als zahnloser Tiger.
So sollen Unternehmen in Zukunft nach falschen Ad-hoc-Mitteilungen stärker haftbar gemacht werden können. "Überhaupt nicht ausreichend und im Prinzip für den Papierkorb", kritisiert Ekkehard Wenger. "Das gesamte Prozesskostenrisiko ist an den Anleger delegiert. Sinnvoll wäre ein institutionell verankerter Berufskläger, der unabhängig und belohnungsorientiert die Anlegerinteressen vor Gericht vertritt."
Hoher Nachholbedarf
Auch Rechtsanwalt Werner Amadeus Meier, Spezialist für Kapitalanlagerecht, sieht reichlich Nachholbedarf: "Die Ansprüche gegen einzelne Personen müssen verbessert werden, sodass Vorstände nicht ihr Unternehmen gewissermaßen als Schutzwall gegenüber den Ansprüchen der Geschädigten missbrauchen können." Zudem seien die Bußgelder viel zu gering; aufgedeckte Betrügereien könnten sich damit sogar noch rechnen.
"Dass der Gesetzentwurf in entscheidenden Passagen entschärft wurde, liegt an der Lobbyarbeit der Banken", moniert Wenger. Zudem werde das Bundesaufsichtsamt für den Wertpapierhandel zu 70 Prozent von den Banken finanziert - was dessen Unabhängigkeit infrage stelle.
Das Kleine Ein-Mal-Eins
Aktien-Anleger, die sich von der aufkommenden Verdrossenheit nicht anstecken lassen wollen, sollten Folgendes beachten:
- Die Empfehlung eines Analysten sollte bei der Anlageentscheidung immer nur ein Kriterium sein.
- Sorgfältig sollten zuvor mögliche Interessenkonflikte zwischen Analyse-Ersteller und analysiertem Unternehmen bedacht werden. (Etwa prüfen, ob die Bank den Börsengang begleitet hat.)
- Schon bei ersten negativen Gerüchten Aktien verkaufen, vor allem wenn es sich um kleinere Firmen handelt; nur abgebrühte Zocker warten ab oder kaufen gar nach in der Hoffnung, dass sich die Vorwürfe in Luft auflösen und sich die Aktie wieder erholt. Dennoch gilt: Nur weil eine Aktie fällt, müssen nicht zwingend finstere Gaunereien dahinterstecken.
- Stopp-Loss-Kurse setzen.
- Bilanzen lesen. Wenn etwas unverständlich oder ungereimt erscheint, ist Vorsicht angebracht. Hier soll möglicherweise etwas vertuscht werden.