Neue Uberwachungssysteme, Orwells Überwachungsstaat perfekt verwirklicht: (phi 26.10.2001)
Dank MPS (Mobile Positioning System), einer sich rapide verbreitenden
Technologie, wird es demnächst möglich sein, jeden Handybenutzer jederzeit zu
orten. In Frankreich waren derlei Praktiken bisher nur im Rahmen polizeilicher
Ermittlungen gestattet (etwa nach der Ermordung des Präfekten von Korsika,
Claude Erignac).
Das kommerzielle Potential dieser modernen Überwachungstechniken ist
beträchtlich. So könnte etwa ein Kino, wenn die abendliche Vorstellung nicht
ausverkauft ist, ganz zielgerichtet Passanten in der Umgebung Plätze zu
reduzierten Preisen anbieten. Dieses Angebot würde dann, zusammen mit einem
Umgebungsplan, auf dem Display des Handys erscheinen. Die Lokalisierung des
jeweiligen Benutzers ist ohne sein Wissen möglich: Sobald er in eine «Zelle»
der mit Empfangsantennen ausgestatteten Zone kommt, wird ein nicht
wahrnehmbares Signal von seinem Gerät zur Antenne gesendet. Die Zeitspanne, die
für die Übertragung nötig ist, gibt den Überwachern Aufschluss darüber, wie
weit der Betroffene von der Antenne entfernt ist, das heisst, sie können fast
auf den Meter genau feststellen, wo sich der potentielle Kunde gerade befindet.
In Grossbritannien werden die Nutzer des Handy-Service-Unternehmens Zagme,
nachdem sie ihre jeweiligen Interessensgebiete mitgeteilt haben, automatisch
und persönlich über ihr Handy benachrichtigt, wenn sie an einem Laden mit einem
Angebot vorbeikommen, das sie möglicherweise interessieren könnte. Das ziellose
Flanieren durch die Stadt gehört der Vergangenheit an - um deine Freizeit
kümmert sich jetzt die Maschine. Sie entscheidet an deiner Stelle, lockt dich
mit Sonderpreisen, bezirzt dich mit einer Werbung, die deinem ganz persönlichen
Geschmack entspricht. Weitere Nutzungsmöglichkeiten dieser Überwachungstechnik:
Ein Arbeitgeber kann das Verhalten seiner Angestellten kontrollieren; Eltern
können die Spur ihres Sprösslings verfolgen und sich jederzeit über seinen
Aufenthaltsort auf dem Laufenden halten, ohne dass er etwas davon weiss, usw.
Auch die Technik des «intelligenten Sehens» (smart vision) breitet sich
zunehmend aus. Dies belegen die Kameras des Projekts «Chromatica», die zurzeit
in Pariser, Londoner und Mailänder U-Bahn-Stationen getestet werden und die in
der Lage sind, «normabweichende» Verhaltensweisen der Fahrgäste zu
registrieren. «In bestimmten Bereichen der Metro sollte man besser nicht
stehenbleiben», erklärt Louahdi Khoudour, einer der Verantwortlichen des
Projekts in Frankreich, «damit das System dies nicht als eine gefährliche oder
zumindest verdächtige Situation bewertet.»
Der an das gesamte Kameranetz angeschlossene Zentralcomputer verfügt über ein
Softwareprogramm zum Aufspüren «verdächtiger» Personen: Sobald etwa ein
illegaler Händler oder ein Bettler in der U-Bahn-Station eintrifft, wird er von
der Kamera erfasst. Bewegt er sich länger als eine Minute nicht, verfärbt sich
sein Gesicht auf dem Kontrollmonitor grün. Nach zwei Minuten wird es rot, was
einen Alarm auslöst. Ruhig und unbeweglich verharren, in die falsche Richtung
laufen, in Gruppen zusammenstehen, verbotene Bereiche überschreiten - all das
sind höchst dubiose Verhaltensweisen, die von den Kameras sofort weitergemeldet
werden.
Es gibt bereits zahlreiche kommunale Verwaltungen - von ganz unterschiedlicher
politischer Couleur -, die sich ohne Bedenken mit hochperfektionierten Systemen
ausstatten. Vor einem Jahr beschloss die prosperierende Stadt Lyon, im
Stadtzentrum etwa fünfzig hochempfindliche Überwachungskameras zu installieren,
die einen Schwenkradius von 360 Grad haben und mit denen noch aus über 300
Metern Entfernung Personen identifiziert werden können.
In der Schaltzentrale überwachen drei Leute am Bildschirm Tag und Nacht das
Kommen und Gehen in den Strassen. Mit Mausklick steuern sie die 52
Digitalkameras. Ob die Videoüberwachung wirklich etwas gegen die Unsicherheit
in den Strassen ausrichtet, ist freilich keineswegs erwiesen.
In Lyon in Frankreich und in Newham, eine Kommune am Stadtrand von London ist
man noch einen Schritt weiter gegangen und setzt inzwischen auf
Gesichtserkennung. In den Strassen sind biometrische Kameras installiert, die
die Gesichter der Passanten scannen. Diese Aufnahmen werden vom Computer
systematisch mit den Fahndungsfotos der Polizei abgeglichen, um gesuchte
Personen aus der Menschenmenge herauszufiltern.
Quelle dieses Berichts ist überwiegend "Le Monde diplomatique", Ausgabe August
2001.
[_Quelle_: /PHI/ /Deutschlanddienst/ Nr. 44/2001 | www.phi-presse.de/]