"Benzin auf dem Boden"
Der Aufwärtsdrang des Dow Jones ist vorerst gestoppt. Nach den katastrophalen Konjunkturdaten reden die Börsianer wieder und nur noch vom "Double Dip", dem zweiten Sturz in die Rezession. Und Notenbankchef Greenspan droht ein peinliches Eingeständnis.
New York - Stephen Roach hat Oberwasser. Der Chef-Volkswirt von Morgan Stanley, der im Januar den "Double Dip" vorhersagte, erhält in diesen Tagen süße Genugtuung.
"Spinner" hatten die Kollegen ihn genannt, und ihn behandelt, als sei er völlig durchgeknallt. Nie im Leben werde die US-Wirtschaft nochmals in die Rezession abtauchen, hatten sie Anfang des Jahres gesagt. Alle Daumen wiesen nach oben: vier Prozent Wachstum für 2002 - mindestens.
Jetzt ist der Begriff "Double Dip" plötzlich in aller Munde. Roach ist weiterhin der radikalste Pessimist - auf der Morgan-Stanley-Webseite beziffert er die Wahrscheinlichkeit des Dipps auf 66 Prozent. Doch auch andere wollen den Rückfall in die Rezession nicht mehr ausschließen.
Volkswirte zeigen Nerven
Nachdem vergangene Woche fast alle Konjunkturdaten weit unter den Erwartungen blieben, schrauben die Wall-Street-Ökonomen ihre Erwartungen für die zweite Jahreshälfte zurück. Zwei Prozent Wachstum, vielleicht drei, so heißt es kleinlaut.
Auch die Börsen sind wieder in Tauchmodus übergegangen: Der Dow Jones, am Montag mit einer kraftvollen 5,4-Prozent-Rallye gestartet, konnte die Woche gerade so im Plus beenden (0,6 Prozent). Der Nasdaq Composite verlor weitere 1,2 Prozent und notiert nur noch 18 Punkte über dem Tief vom 23. Juli. "Die Märkte könnten erneut ihre Tiefs testen", warnt Stan Shipley von Merrill Lynch.
Die Konjunkturdaten waren ein echter Dämpfer, eine Konfrontation mit der Realität. Roach gibt sich abgeklärt-cool ("Die Richtung der Revision war kaum ein Schocker"), doch die meisten Beobachter zeigen Nerven: "Wir fühlen uns, als wäre Benzin auf den Boden gekippt worden, und es fehlt nicht viel, um es anzuzünden", sagt James Glassman, Ökonom bei JP Morgan Chase.
Aufschwung ohne Jobs und Wachstum?
Die Optimisten sind still geworden, die ersten Vergleiche mit 2001 werden gezogen. Damals hätten auch alle den Aufschwung in der zweiten Jahreshälfte vorhergesagt, sagt Sam Stovall von Standard & Poor's. Stattdessen kam der 11. September.
Vergangene Woche brachte eine wichtige Gewissheit: 2001 war ein Rezessionsjahr - definitiv. Die Wirtschaft ist neun Monate lang geschrumpft, statt drei, wie bisher angenommen.
Und nun, was ist das für ein merkwürdiger Aufschwung? Schlappe 6000 Jobs wurden im Juli geschaffen. Im zweiten Quartal wuchs die Wirtschaft um 1,1 Prozent. Das liegt weit unter dem historischen Durchschnitt: Roach zufolge expandierte die Konjunktur um 5,6 Prozent im dritten Quartal vergangener Aufschwünge.
Nächstes Kapitel der Cisco-Story
Roach meint, ein bis zwei Prozent Wachstum könne man im US-Fall nicht Wachstum nennen, es handele sich vielmehr um Stagnation. In diesem Zustand "braucht es nicht viel, um die Wirtschaft in die Rezession zu stürzen", schreibt der meinungsfreudige Ökonom. Eine Runde neuer Massenentlassungen oder ein Rückgang der Immobilienpreise würden schon genügen.
Diese Woche werden keine wichtigen Daten bekannt gegeben, die den Double-Dip oder ein anderes Szenario unterstützen könnten. Börsianer haben jedoch nicht viel Hoffnung. "Wir werden die Woche auf einer schiefen Note beginnen", fürchtet Hugh Johnson, Investment-Chef bei First Albany.
Am Dienstag nach Börsenschluss gibt Cisco Systems die Zahlen für das vierte Quartal bekannt. Das Geschäftsjahr des Netzwerk-Spezialisten endete am 28. Juli. Analysten erwarten einen Gewinn von 12 Cents pro Aktie - zehn Cents mehr als im Vorjahr.
Zinssenkung gilt als sicher
Cisco wird wahrscheinlich einen leichten Umsatzanstieg für das laufende Quartal ankündigen. Der Netzwerke-Riese hat die IT-Krise relativ unbeschädigt überstanden, und wie andere Tech-Marktführer (Microsoft, Intel) sitzt Cisco auf einem Riesenberg an Cash-Reserven: 21 Milliarden Dollar waren es bei der letzten Zählung. Unternehmenschef John Chambers kann daher zuversichtlich in die Zukunft blicken.
Doch keine Quartalszahl wird die Konjunkturängste der Börsianer zerstreuen können. Dass Roach mit seinen Szenarien nicht mehr allein ist, zeigt schon die plötzlich aufgeflammte Debatte über eine Leitzinssenkung der Federal Reserve. Vor wenigen Monaten noch wurde über eine Zinserhöhung spekuliert (ein typischer "Beweis" für den Aufschwung), jetzt halten viele Beobachter eine Senkung für so gut wie sicher. Der Leitzinssatz liegt bereits bei 1,75 Prozent - so tief wie seit 40 Jahren nicht mehr.
Doppel- und Tripel-Dips
Die Futures-Märkte rechnen mit einer Senkung spätestens im September, zu 39 Prozent auch schon beim nächsten Treffen des Offenmarktausschusses am 13. August. Sollte die Fed tatsächlich senken, dann wahrscheinlich radikal: Die Deutsche Bank erwartet mindestens eine Senkung von 50 Basispunkten, Goldman Sachs sogar 75 Basispunkte vor Jahresende.
Es wäre ein weiterer Glaubwürdigkeitsverlust für den Großen Chairman Alan Greenspan. Der Fed-Chef hatte noch Mitte Juli vor dem Kongress ein rosiges Bild von der US-Wirtschaft gemalt. Eine Zinssenkung wäre das Eingeständnis eines Fehlurteils.
Und Roach? Der spinnt schon an seinem nächsten Coup. In der Rezessionsgeschichte, bemerkt er, habe es nicht nur Double-Dips gegeben. Schon mal was vom Triple-Dip gehört?