"USA stecken längst in der Rezession"
Die USA "tricksen" sich ihre Konjunkturdaten schön, warnt Vermögensverwalter Jens Ehrhardt im Gespräch mit boerse.ARD.de. "In Wirklichkeit ist die größte Volkswirtschaft schon seit Monaten in der Rezession!"
boerse.ARD.de: Herr Dr. Ehrhardt, alle Welt redet von der Angst vor einer möglichen US-Konjunkturdelle. Sie glauben dagegen, die USA steckten bereits tief in der Rezession. Wie kommen Sie denn darauf?
Ehrhardt: Im Endeffekt stimmen die Zahlen einfach nicht: Die USA sind Weltmeister darin, die Inflationsrate klein zu rechnen und den Wert ihres Warenkorbes lächerlich niedrig zu halten. Die Qualitätsverbesserungen bei Produkten wie Computer werden stets viel höher angesetzt als der Preisanstieg, nach dem Motto: Die neuen Computer können ja auch viel mehr als die alten. Da wird ganz wüst herumgerechnet, das geht bis hin zu Schulheften, die angeblich eine höhere Qualität aufweisen als noch die alten und daher niedrigere Preise rechtfertigen. Das reale Wirtschaftswachstum ergibt sich durch Abzug der Inflationsrate vom nominalen Wirtschaftswachstum. Rechnet man aber die Trickserei der Amerikaner bei der Inflationsrate heraus, so ist in Wirklichkeit das reale Wirtschaftswachstum viel niedriger als angegeben. Spätestens seit Anfang des vierten Quartals befinden sich die USA in einer Rezession.
boerse.ARD.de: Laut den zugegebenermaßen verheerend schlechten US-Arbeitsmarktdaten von vergangener Woche wurden aber immerhin noch 18.000 neue Stellen geschaffen ...
Ehrhardt: Aber selbst diese Zahl ist völlig irreführend: Es handelt sich ja nicht wie beim Ifo-Index um solide Umfragewerte, sondern um oberflächliche Schätzungen. Da wird einfach angenommen, dass wenn es ein Mehr an Bevölkerungswachstum gibt, auch die Zahl der neuen Stellen steigt. Da gab es im Jahr 2007 "Korrekturen" um bis zu 300.000 Stellen nach oben pro Monat allein aufgrund der Veränderungen in der Geburten- und Sterbetabelle. Auch hier sind die Zahlen also in Wirklichkeit weitaus schlechter als man beim Blick auf die offiziellen Statistiken glauben sollte.
boerse.ARD.de: Wie lange wird diese Schwächephase der US-Wirtschaft noch andauern?
Ehrhardt: Das hängt stark davon ab, ob sich die US-Haushalte von den niedrigen Zinsen tatsächlich zu mehr Konsum verleiten lassen. Auch in der Vergangenheit war das Wirtschaftswachstum ja nicht von einer gesunden Investitionskultur getragen, sondern allein vom Konsum. Motor der US-Konjunktur waren eine Vermögenspreisinflation bei Häusern und Schuldentreiberei. Das wird aber in Zukunft so nicht mehr funktionieren. Die Konsumstimulierung über niedrige Zinsen, niedrige Steuern und Beleihung der Häuser im großen Stil hat ausgedient. Denn die Leute sind mittlerweile so stark verschuldet, dass die Banken hier Grenzen ziehen. Die Kreditgewährung wird schwer zurückgehen. Zuletzt ging die Hauptkreditgewährung aufs eigene Haus. Das ist aber jetzt nicht mehr möglich, weil die Häuserpreise nicht mehr steigen, sondern sogar fallen. Übrigens das erste Mal seit 30 Jahren. Da kann Ben Bernanke, der diese ganze Subprime-Geschichte total verschlafen hat, die Zinsen jetzt noch so sehr senken, die Konjunktur wird allein dadurch nicht in Gang kommen.
boerse.ARD.de: Aber bremst das nicht auch die anderen Nationen aus, wenn die größte Volkswirtschaft der Welt schwächelt?
Ehrhardt: Die große Frage ist dabei, wen könnte es treffen. Ich war gerade erst in Asien: Hongkong, China, Thailand, Malaysia – das sind Länder, in denen es eigentlich immer noch ganz gut brummt. Zumal deren Währungen häufig eng an den US-Dollar gekoppelt sind, das heißt diese Länder bekommen jetzt ebenfalls extrem niedrige Zinsen wie die USA verpasst. Das sollte nochmals Öl in das flackernde Konjunkturfeuer dort gießen. Meiner Meinung nach unterschätzten die Pessimisten Asien stark, wenn sie behaupten, Asien könne den Riesenbrocken USA nicht auffangen. Doch in asiatischen Ländern gibt es Wachstumsraten von 15 Prozent beim Konsum, die könnten einen leichten Rückgang beim US-Konsum sehr wohl ausgleichen.
boerse.ARD.de: Trauen Sie nicht nur der Realwirtschaft, sondern auch den Börsen in den asiatischen Schwellenländern oder in Europa tatsächlich eine längerfristige Abkopplung von der Wall Street zu?
Ehrhardt: In einer ganzen Reihe von asiatischen Ländern könnte sich die konjunkturelle Abkopplung auch in einer positiven Abkopplung der Aktienmärkte widerspiegeln. Ich empfehle deshalb Anlegern, ihre Aktienstrategie in Richtung Asien auszudifferenzieren. In Europa werden wir uns dagegen nicht ganz abkoppeln können. Drei Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts gehen in die USA. Doch selbst wenn sich das halbieren sollte, hätten wir natürlich nicht gleich die absolute Ultrarezession hierzulande. Allerdings dürfte es auch für Europa gerade mit Blick auf die osteuropäischen Länder, die in eine Schuldenklemme geraten könnten, eher ein holpriges Aktienjahr werden.
Ich würde eher zu Aktien in Hongkong, Singapur oder Malaysia raten als zu hochbewerteten China-Aktien. Allerdings würde ich mir immer noch lieber eine hochbewertete China-Aktie als eine überbewertete US-Aktie ins Depot legen. Die Kurs-Gewinn-Verhältnisse amerikanischer Unternehmen sind auf historisch hohem Niveau, doch das ist vor allem auf die sinkenden Gewinne zurückzuführen. Ich sehe für 2008 aber auch nicht den großen Zusammenbruch des US-Aktienmarkts, weil die Leute noch nicht überinvestiert sind. Trotzdem bringt ein Investment in US-Aktien, selbst wenn es leicht steigen sollte, für einen in Euro denkenden Anleger gar nichts. Zumal ich denjenigen Analysten nicht folgen kann, die eine Wiedererstarkung des Dollars prognostizieren. Ich sehe den Dollar in diesem Jahr eher bei minus fünf Prozent als bei plus zehn Prozent.
boerse.ARD.de: Welche Branchen, Länder und längerfristigen Trends würden Sie darüber hinaus Anlegern ans Herz legen?
Ehrhardt: Gold ist sicherlich noch eine gute Idee: Ich rate weiterhin zu einem großzügigen Investment in Gold. Denn wenn die Zinsen so niedrig sind wie jetzt, und die Inflation ist höher, dann haben wir einen negativen Realzins. Und dann geht Gold fast immer durch die Decke. Außerdem geht auf lange Frist die Goldproduktion zurück, während die Chinesen jedes Jahr bis zu 30 Prozent mehr Gold kaufen. Gold kann noch weit über die 1000-Dollar-Grenze gehen. Bislang verfügen aber die meisten institutionellen Anleger und vor allem die vielen Privatinvestoren über keinen nennenswerten Depotanteil in Gold.
Auch agrarpreisabhängige Investments sind für mich ein langfristiger Trend: Zumal die Agrarpreise zuletzt allein wegen der starken Nachfrage so hoch waren. Werden die Ernten aber erst einmal richtig schlecht, zum Beispiel wegen der Klimaveränderung, dann sollten die ganze Agrarpreisgeschichte so richtig anspringen. Hier würde es sich unter Umständen auch empfehlen, kurzfristige Kursrücksetzer abzuwarten. Allerdings ist der Agrarzyklus gerade erst angesprungen, da sollte es langfristig noch weit nach oben gehen.
Das Interview führte Angela Göpfert.