13:14 04Sep2002 RTRS-Schröder - US-Regierung ohne Konzept für Zeit nach Irak-Angriff
Berlin, 04. Sep (Reuters) - Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) hat der US-Regierung vorgeworfen, sie habe kein Konzept für die Neuordnung des Nahen Ostens nach einem Angriff auf Irak. "Es fehlt an einer Konzeption für die theoretische Frage eines Danach, (...) eine politische Neuordnung im Nahen Osten", sagte Schröder am Mittwoch vor Journalisten in Berlin. "Die sehe ich nicht, bei keinem der Beteiligten, die jetzt zu einer Intervention raten." An die Befürworter einer Intervention gewandt, sagte er weiter, diese verfolgten einen Regierungswechsel im Irak und damit ein anderes Ziel als in den Vereinten Nationen (UNO) vereinbart und müssten die Partner darüber informieren. Schröder betonte mit Blick auf die jüngsten Äußerungen des britischen Premierministers Tony Blair, die Bundesregierung stehe mit ihrer Ablehnung in Europa keineswegs allein da.
Schröder bekräftigte: "Unter meiner Führung wird sich Deutschland an einer Intervention im Irak nicht beteiligen." Eine solche Intervention würde die internationale Koalition gegen den Terrorismus erschüttern, deren Kampf noch weiter gehe. Ein solcher Einsatz wäre keine Reaktion auf die Anschläge vom 11. September in New York und Washington.
ANGRIFFS-BEFÜRWORTER MÜSSTEN PARTNER ÜBER ZIELE INFORMIEREN
Bei dieser Haltung werde man auch entgegen den Vorstellungen der USA bleiben: "Freundschaft kann doch nicht heißen, dass man tut, was der Freund will, wenn man zu einer anderen Auffassung kommt." Freundschaft bedeute, "dass man auf der Basis gemeinsamer Werte, gemeinsamer gesicherter Beziehungen auch unterschiedliche Positionen auszutragen in der Lage ist", ohne dass dadurch die freundschaftlichen Beziehungen beeinträchtigt würden. "Alles andere wäre doch nicht Freundschaft, sondern wäre Unterordnung, und das halte ich für falsch", sagte der Kanzler.
Gefragt, ob er seine Bedenken der US-Regierung nicht persönlich vortragen sollte, sagte Schröder, bis vor kurzem hätten alle hinter dem gemeinsamen Ziel gestanden, die Waffeninspektoren der UNO zurück in den Irak zu bringen. "Deutschland ist nicht davon abgegangen, aber wichtige Personen in den USA verfolgen ein anderes Ziel." Mit Blick auf die von US-Präsident George W. Bush zugesagten Konsultationen sagte Schröder: "Dann ist die Frage, wer muss wem was sagen."
KEIN ANLASS, UNSERE POLITIK ZU KORRIGIEREN
Zu Blairs Äußerungen, der wie führende US-Politiker von einem "Regimewechsel" im Irak gesprochen hatte, sagte Schröder, Blair spreche mit solchen Aussagen nicht für die ganze Europäische Union (EU). Bei den Beratungen der EU-Außenminister am Wochenende im dänischen Helsingör sei Deutschlands Position unterstützt worden. Die Minister hatten dort einen Angriff der USA auf den Irak zwar abgelehnt, aber keine konkreten Beschlüsse gefasst, wie die Rückkehr der Inspekteure erreicht werden soll.
Zu den von Blair angekündigten Beweisen für Waffenprogramme Iraks sagte der Kanzler, solange er diese nicht kenne, könne er sich nicht äußern. "Die Informationen, die wir haben, legen keine neue Bedrohungsanalyse nahe." Es bestehe daher "kein Anlass, unsere Politik zu korrigieren, und wir werden das auch nicht tun".