US-Ökonomin sieht "neue Phase der Geldpolitik"
Die für Mittwoch erwartete Erhöhung der US-Leitzinsen markiert nach Ansicht von Gail Fosler, Chefökonomin des renommierten US-Wirtschaftsforschungsinstituts Conference Board, "den Beginn einer neuen Phase der Geldpolitik".
Handelsblatt: Pessimisten werfen der US-Notenbank Fed vor, eine Erhöhung der Leitzinsen um 25 Basispunkte reiche nicht aus, um die Inflationsgefahren zu bekämpfen. Zu Recht?
Gail Fosler: Aus heutiger Sicht kann man argumentieren, dass die Fed etwas spät dran ist. Die US-Konjunktur läuft so gut, dass sie nicht darum herumkommt, sie durch Zinssenkungen abzukühlen. Trotzdem halte ich einen kleinen Zinsschritt zunächst für angemessen. Natürlich wird es dabei nicht bleiben – der heutige Mittwoch ist der Beginn einer neuen Phase der Geldpolitik.
Aber Zinserhöhungen hat es doch bis zum Jahr 2000 immer wieder gegeben – was ist heute also neu?
Die systematische Verzerrung hin zu niedrigeren Zinsen, die es seit den neunziger Jahren gab, ist heute Sache der Vergangenheit. Bis jetzt hatte die Fed einen sehr großen Handlungsspielraum und konnte flexibel reagieren, wenn die amerikanische oder die globale Wirtschaft in Schwierigkeiten geriet – sie konnte wegen der niedrigen Inflation, des hohen Produktivitätswachstums auf Schocks wie die Beinahe-Pleite des Hedge-Fonds LTCM oder auf die Russland-Krise mit Zinssenkungen reagieren, ohne ihre Glaubwürdigkeit zu gefährden.
Nun gibt es eine systematische Verzerrung hin zu höheren Zinsen?
Ja, die Fed hat künftig deutlich weniger Handlungsfreiheit. Das bedeutet nicht zwingend, dass die Leitzinsen in Schwindel erregende Höhen steigen. Es würde mich aber nicht überraschen, wenn die Leitzinsen in den nächsten 18 bis 24 Monaten von jetzt noch einem auf dann sechs Prozent steigen.
Damit wären sie immerhin fast genauso hoch wie in den Boom-Zeiten Ende der neunziger Jahre.
Aber trotzdem würde die Fed nicht wirklich aggressiv ans Werk gehen. Sie hat 18 bis 24 Monate Zeit. Selbst wenn sie ab heute auf jeder Sitzung die Zinsen um 25 Basispunkte erhöhen würde, wären wir Ende 2006 bei sechs Prozent. Wahrscheinlicher ist allerdings, dass die Fed auch mal abwartet und dafür bei anderen Gelegenheiten um 50 Basispunkte erhöhen wird. Aber wenn die Fed die Konjunktur wirklich abkühlen will, kommt sie wohl nicht darum herum, eine inverse Zinsstruktur zu schaffen – eine Situation, in der die kurzfristigen Zinsen höher sind als die langfristigen.
Droht sonst eine neue Ära der Inflation?
Nein, so ein Szenario halte ich für überzogen. Sicherlich kann es passieren, dass die Inflation in den USA zwischenzeitlich mal auf vielleicht vier Prozent hochschnellt – aber das ist doch gar nichts im Vergleich zu den siebziger Jahren.
was ist heute anders?
In den Siebzigern führte eine Verkettung zahlreicher unglücklicher Umstände zu der hohen Inflation: Erstens war der Arbeitsmarkt Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre extrem leer gefegt – diese Knappheit des Faktors Arbeit führte zu deutlichen Lohnerhöhungen. Zweitens verteuerten sich Öl und alle anderen wichtigen Rohstoffe schnell und drastisch. Und drittens haben die Notenbanken die Inflation eine ganze Weile zugelassen. Heute gibt es zwar einige Parallelen, vor allem die gestiegenen Ölpreise – aber von so einer extremen Zusammenballung negativer Faktoren wie damals kann keine Rede sein.
Die US-Wirtschaft wird also weiterlaufen wie geschmiert?
Mit Blick auf die nächsten zwölf Monate, ja. Alan Greenspan hat kein Interesse daran, dass sich die Situation von 1994 wiederholt – damals haben schnelle Zinserhöhungen der Konjunktur erheblichen Schaden zugefügt. Mittelfristig sind die Aussichten aber weniger rosig.
Was macht Ihnen Sorgen?
Die US-Wirtschaft verliert gerade einen entscheidenden Vorteil der vergangenen 20 Jahre – die deutliche Reduzierung der staatlichen Regulierung der Wirtschaft. Nach der langen Ära der Deregulierung, von der das Wachstum deutlich profitierte, erlebt die USA derzeit eine Re-Regulierung der Wirtschaft – noch ist das kaum jemandem aufgefallen, aber darunter leidet ganz ohne Zweifel das Wachstumspotenzial. Ab Ende 2005, Anfang 2006 wird dies spürbar werden.
Wo werden der US-Wirtschaft denn neue Regeln übergestülpt?
Denken Sie an den Sabanes-Oxley-Act als Reaktion auf die Bilanzskandale – die Einführung und Beachtung des neuen Kontrollsystems verursacht in den Unternehmen erhebliche Kosten. Hinzu kommen zahlreiche neue Vorschriften der Börsenaufsicht, höhere Kosten für Sicherheitsvorkehrungen im Zuge der Terrorgefahr und steigende Ausgaben für die Krankenversicherung. Für sich betrachtet ist jeder einzelne Punkt unerheblich – aber zusammengenommen ergibt sich eine Belastung für das Wachstum.
Wie groß wird die Belastung sein?
Die Sache ist nicht dramatisch, aber spürbar. Das Potenzialwachstum wird von rund 3,7 auf vielleicht 3 bis 3,25 Prozent sinken. Zusammen mit der tendenziell höheren Inflation, steigenden Löhnen und steigenden Zinsen ergibt sich allerdings ein Umfeld, dass dann doch mehr der Stagflation der Siebziger als den Boomzeiten der späten Neunziger ähnelt.
Die Fragen stellte Olaf Storbeck.
handelsblatt
Die lang erwartete und heute schließlich stattgefundene erste Leitzinserhöhung nach 4 Jahren hat bei Analysten ein überwiegend positives und versöhnliches Echo hervorgerufen. Sie sehen die Entwicklung offenbar ähnlich wie die Marktteilnehmer, die sich im Anschluss an die Entscheidung der FED heute wieder zu Aktienkäufen hinreißen ließen. Gruß Twinson_99 PS Guten Morgen! .
-Lynn Reaser, Chefökonom bei der Banc of America, sieht die amerikanische Geldpolitik nun an einem entscheidenden Wendepunkt. Die FED werde aller erwartung nach aber ihre bisherige Strategie beibehalten und weitere Zinserhöhungen nur dann vornehmen, wenn die Situation es erfordere.
-Auch Peter Cardillo, Chefanalyst von SW Bach & Co., sieht an dem heutigen Geschehen vor allem positive Seiten. Die FED sage zwar, sie werde die Inflationstendenz ebenso wie die Wirtschaftsentwicklung genau beobachten. Der moderate Zinsschritt nehme nun aber erst einmal die „dunklen Wolken“ vom Aktienmarkt.
-Art Hogan, Chefstratege bei Jefferies & Co., freut sich darüber, dass nichts geschehen sei, was man am Markt nicht auch vorher schon so erwartet habe. Der Aktienmarkt werde sich in den kommenden Tagen dementsprechend nach oben entwickeln. Es gebe nach wie vor für die Marktteilnehmer kaum Gründe, sich übermäßige Sorgen zu machen.
-Diane Swonk, Ökonomin bei der Bank One, glaubt, dass sich die FED gegenüber den Marktteilnehmern dazu verpflichtet habe, mit Zinserhöhungen relativ sparsam umzugehen. Die Zentralbank-Mitglieder hätten dies immer wieder betont und würden diese inoffizielle Vereinbarung auch sehr ernst nehmen. Bis zum Ende des Jahres sehe sie das Leitzinsniveau bei 1,75 Prozent.
-Skeptischer sieht Ian Shepherdson von High Frequency Economics die Lage. Er geht davon aus, dass weitere Zinserhöhungen schlichtweg unvermeidlich seien. Zwar habe die FED ausgeführt, dass ein Teil der jüngsten Preissteigerung auf vorübergehenden Effekten beruhten. Diese könnten aber schnell chronisch werden, wenn das Zinsniveau nicht bald ansteige. Es handle sich eben doch um eine Trendwende im Zinszyklus. Shepherdson sieht den US-Leitzins zum Jahresende bei 2,25 Prozent und Mitte 2005 bei 3,25 Prozent.