Der Erfolg im Tarifkonflikt um die Häfen der US-Westküste zeugt vom Selbstbewusstsein der amerikanischen Gewerkschaften. Die Angst vor Jobverlust macht sie wieder populär.
In James Donovans Welt gibt es Gut und Böse, Rot und Blau. Die beiden Farben bedecken den Stadtplan von New York, der an der Wand seines Büros mitten in Manhattan vor sich hin gilbt. Rot für Hotels, in denen die Hotelgewerkschaft vertreten ist, Blau für die, in denen die Angestellten nicht organisiert sind. Die roten Fahnen überwiegen bei weitem, "und die anderen kriegen wir auch noch", sagt Donovan stolz. Von seinem Büro aus befehligt der Funktionär ein Dutzend "Organizers", Männer und Frauen im Dienste der Gewerkschaft, die versuchen, Nichtgewerkschaftsmitglieder zum Beitritt zu bewegen.
Bislang war "Organizer" ein harter Job. 20 Jahre lang war die Quote von Gewerkschaftsmitgliedern in privatwirtschaftlichen Betrieben gesunken. Zuletzt war nicht einmal jeder neunte Arbeitnehmer Mitglied in einer "Union".
Durchbruch im Hafen
Doch neuerdings erfreuen sich die Arbeiter-Organisationen ungekannter Popularität. Erst am Sonntag konnte die Dockarbeiter-Gewerkschaft ILWU (International Longshore and Warehouse Union) einen Durchbruch nach wochenlangen Verhandlungen im Tarifkonflikt mit den Hafengesellschaften vermelden. Der Streit war in einer zehntägigen Blockade aller 29 Häfen der Westküste gegipfelt, die erst durch ein Machtwort des Präsidenten beendet wurde. Die Arbeitnehmervertreter rangen der Gegenpartei nun einen Pensionsplan ab und die Garantie, dass bei einer Automatisierung der Verladeanlagen keine Dockarbeiter gekündigt werden - soweit sie Gewerkschaftsmitglieder sind.
Schienen die Arbeitnehmervertretungen vor wenigen Jahren noch in der Bedeutungslosigkeit versunken zu sein, werden sie nun von den Amerikanern wieder entdeckt: Nach einer Studie des Forschungsinstituts Peter Hart Research Associates, im Auftrag des Gewerkschaftsdachverbands AFL-CIO, wäre die Hälfte der amerikanischen Arbeiter bereit, einer Gewerkschaft beizutreten, wenn es in ihrem Betrieb eine Vertretung gäbe. Ein Anstieg um acht Prozentpunkte gegenüber dem Vorjahr.
Angst und Verunsicherung
Anders als in Deutschland sind Gewerkschaften in den USA nicht regional organisiert, sondern pro Betrieb. Ob ein Unternehmensstandort "vergewerkschaftet" wird, darüber stimmen die Angestellten dort ab - und die Gewerkschaften hoffen, dass sie ihre jüngsten Erfolge schon bald in steigende Mitgliederzahlen umsetzen können. "Die arbeitende Bevölkerung ist verunsichert und ängstlich", sagt John Sweeney, Vorsitzender des AFL-CIO.
Auch die Bilanzskandale in amerikanischen Unternehmen, die horrenden Gehälter vieler Vorstände, bescheren den Vertretern der Arbeiterrechte ungeahnten Zuspruch. "Wir warnen seit Jahren, dass die Überbezahlung der Chefs in keinem Verhältnis zu ihrer Leistung steht", sagt AFL-CIO-Funktionär Sam Luebke: "Jetzt sehen die Leute, dass wir Recht haben."
Skandale bescheren neue Mitglieder
Mit dieser Meinung ist der Gewerkschafts-Manager nicht allein. "Die Amerikaner sind empört über das illegale Verhalten vieler Großunternehmen, und die Gewerkschaften werden versuchen, das für sich zu nutzen", sagt John Heywood, Professor für Arbeitsökonomie an der Universität von Wisconsin in Milwaukee: "Die Skandale können kurzfristig tatsächlich einen Schub bringen."
Vor Ort in den Betrieben warten die leidgeprüften Gewerkschaftsvertreter sehnsüchtig auf den Boom: "Die Leute sind jetzt viel offener, in letzter Zeit hören wir oft: ,Gut, dass es euch gibt‘", sagt Funktionär Ed Eagen: "Aber deshalb stimmen sie noch nicht für uns." Eagen beackert für seine Einzelhandelsgewerkschaft ein ganz besonders steiniges Feld: den Einzelhandelsriesen Wal-Mart.
Mit einer Million Beschäftigten ist Wal-Mart der mit Abstand größte Arbeitgeber der USA - und bisher weitgehend gewerkschaftsfrei. Nur 7 der 3250 Filialen des Landes haben eine Arbeitnehmervertretung. "Wir kämpfen gegen einen übermächtigen Gegner", seufzt Eagen.
Wal-Mart beschäftigt eine ganze Riege von Antigewerkschaftsanwälten, die die "Unions" und die eigenen Angestellten mit Klagen bedrohen. "Sobald ein Filialleiter mitbekommt, dass wir mit einem Angestellten gesprochen haben, zitiert er ihn zu sich und malt ihm die Schrecken aus, die ihm drohen, wenn er weiter Kontakt zu uns hat. Demokratie in den USA stoppt an der Tür des Arbeitgebers."
Wenig Rechte für Arbeitnehmer
Bislang nahmen das die Beschäftigten in Kauf - dem Urglauben folgend, dass dem Tüchtigen der Wohlstand blüht - oder zumindest nicht die Armut. Seit jedoch die Börse abgestürzt ist und die US-Wirtschaft am Rande der Rezession entlangschlingert, verfliegen die Bilder des amerikanischen Traums. Zum Vorschein kommt die Realität einer Arbeitnehmerschaft, die wenig Rechte hat - und kaum Schutz: Amerikanische Beschäftigte arbeiten von allen Industrieländern die meisten Stunden pro Jahr und haben am wenigsten Urlaub - die legendär fleißigen Japaner haben sie schon Mitte der 90er Jahre abgehängt. Gesetzlich haben US-Arbeiter nicht einmal Anspruch auf einen einzigen Tag bezahlten Urlaub. Die meisten Firmen gewähren zwei Wochen, die sich mit der Dauer der Betriebszugehörigkeit auf drei oder vier erhöhen können. Kündigungsschutz ist so gut wie unbekannt.
Dazu stagniert das Lohnniveau: Gehaltskürzungen sind in der Rezession gang und gäbe. In den 90er Jahren hat sich der Abstand zwischen den Klein- und den Großverdienern in den USA dramatisch vergrößert. Während die obersten 20 Prozent ihre Einkommen zwischen 1990 und 2000 im Durchschnitt um 27 Prozent steigerten, sanken die der untersten 20 Prozent um sieben Prozent.
Hohes Konfliktpotenzial
Welches Konfliktpotenzial das birgt, zeigt sich in den Betrieben, in denen die Gewerkschaften eine relativ hohe Präsenz haben. Dort fechten die Arbeitervertreter schon heute heftige Schaukämpfe aus und drohen schon mal, das "gesamte Land lahm zu legen". Erst in letzter Minute konnte beim größten Expressdienst UPS diesen Sommer ein Streik verhindert werden. Drohen Gehaltskürzungen bei Unternehmen, die kurz vor der Pleite stehen, wehren sich die Gewerkschaften bis zum Letzten, wie in diesen Tagen bei der zweitgrößten US-Fluggesellschaft United Airlines.
Nicht ohne Grund geben sich die Gewerkschaftsvertreter derart klassenkämpferisch, sie haben noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten, wollen sie ihre Mitgliederrate in den Betrieben merklich heben: Viele Arbeitnehmer trauen den "Unions" traditionell nicht über den Weg. Jahrzehntelang steckten viele große US-Gewerkschaften tief im Filz von Vetternwirtschaft und Korruption. Mitgliedsbeiträge flossen in die Taschen der Gewerkschaftsbosse, die Familien der Funktionäre wurden mit Posten versorgt. In den 20er und 30er Jahren arbeiteten die Gewerkschaften in Chicago sogar mit der Mafia zusammen.
Experten bezweifeln zwar, dass die US-Gewerkschaften jemals wieder über einen Mitgliedsstand von 20 Prozent kommen. "Aber im Moment gibt es wenigstens einen Ansatz dazu, dass es sich in diese Richtung bewegt", sagt Dan Cornfield, Professor für Arbeitssoziologie an der Vanderbilt University in Nashville. Dafür spreche, dass die Arbeitnehmer-Organisationen inzwischen mehr als die Hälfte aller Abstimmungen in Betrieben für sich entscheiden, im Gegensatz zu knapp 40 Prozent in den 80er Jahren. "Wenn die Gewerkschaften es schaffen, daraus eine breitere Bewegung zu machen, können sie wieder Boden gutmachen."
In James Donovans Welt gibt es Gut und Böse, Rot und Blau. Die beiden Farben bedecken den Stadtplan von New York, der an der Wand seines Büros mitten in Manhattan vor sich hin gilbt. Rot für Hotels, in denen die Hotelgewerkschaft vertreten ist, Blau für die, in denen die Angestellten nicht organisiert sind. Die roten Fahnen überwiegen bei weitem, "und die anderen kriegen wir auch noch", sagt Donovan stolz. Von seinem Büro aus befehligt der Funktionär ein Dutzend "Organizers", Männer und Frauen im Dienste der Gewerkschaft, die versuchen, Nichtgewerkschaftsmitglieder zum Beitritt zu bewegen.
Bislang war "Organizer" ein harter Job. 20 Jahre lang war die Quote von Gewerkschaftsmitgliedern in privatwirtschaftlichen Betrieben gesunken. Zuletzt war nicht einmal jeder neunte Arbeitnehmer Mitglied in einer "Union".
Durchbruch im Hafen
Doch neuerdings erfreuen sich die Arbeiter-Organisationen ungekannter Popularität. Erst am Sonntag konnte die Dockarbeiter-Gewerkschaft ILWU (International Longshore and Warehouse Union) einen Durchbruch nach wochenlangen Verhandlungen im Tarifkonflikt mit den Hafengesellschaften vermelden. Der Streit war in einer zehntägigen Blockade aller 29 Häfen der Westküste gegipfelt, die erst durch ein Machtwort des Präsidenten beendet wurde. Die Arbeitnehmervertreter rangen der Gegenpartei nun einen Pensionsplan ab und die Garantie, dass bei einer Automatisierung der Verladeanlagen keine Dockarbeiter gekündigt werden - soweit sie Gewerkschaftsmitglieder sind.
Schienen die Arbeitnehmervertretungen vor wenigen Jahren noch in der Bedeutungslosigkeit versunken zu sein, werden sie nun von den Amerikanern wieder entdeckt: Nach einer Studie des Forschungsinstituts Peter Hart Research Associates, im Auftrag des Gewerkschaftsdachverbands AFL-CIO, wäre die Hälfte der amerikanischen Arbeiter bereit, einer Gewerkschaft beizutreten, wenn es in ihrem Betrieb eine Vertretung gäbe. Ein Anstieg um acht Prozentpunkte gegenüber dem Vorjahr.
Angst und Verunsicherung
Anders als in Deutschland sind Gewerkschaften in den USA nicht regional organisiert, sondern pro Betrieb. Ob ein Unternehmensstandort "vergewerkschaftet" wird, darüber stimmen die Angestellten dort ab - und die Gewerkschaften hoffen, dass sie ihre jüngsten Erfolge schon bald in steigende Mitgliederzahlen umsetzen können. "Die arbeitende Bevölkerung ist verunsichert und ängstlich", sagt John Sweeney, Vorsitzender des AFL-CIO.
Auch die Bilanzskandale in amerikanischen Unternehmen, die horrenden Gehälter vieler Vorstände, bescheren den Vertretern der Arbeiterrechte ungeahnten Zuspruch. "Wir warnen seit Jahren, dass die Überbezahlung der Chefs in keinem Verhältnis zu ihrer Leistung steht", sagt AFL-CIO-Funktionär Sam Luebke: "Jetzt sehen die Leute, dass wir Recht haben."
Skandale bescheren neue Mitglieder
Mit dieser Meinung ist der Gewerkschafts-Manager nicht allein. "Die Amerikaner sind empört über das illegale Verhalten vieler Großunternehmen, und die Gewerkschaften werden versuchen, das für sich zu nutzen", sagt John Heywood, Professor für Arbeitsökonomie an der Universität von Wisconsin in Milwaukee: "Die Skandale können kurzfristig tatsächlich einen Schub bringen."
Vor Ort in den Betrieben warten die leidgeprüften Gewerkschaftsvertreter sehnsüchtig auf den Boom: "Die Leute sind jetzt viel offener, in letzter Zeit hören wir oft: ,Gut, dass es euch gibt‘", sagt Funktionär Ed Eagen: "Aber deshalb stimmen sie noch nicht für uns." Eagen beackert für seine Einzelhandelsgewerkschaft ein ganz besonders steiniges Feld: den Einzelhandelsriesen Wal-Mart.
Mit einer Million Beschäftigten ist Wal-Mart der mit Abstand größte Arbeitgeber der USA - und bisher weitgehend gewerkschaftsfrei. Nur 7 der 3250 Filialen des Landes haben eine Arbeitnehmervertretung. "Wir kämpfen gegen einen übermächtigen Gegner", seufzt Eagen.
Wal-Mart beschäftigt eine ganze Riege von Antigewerkschaftsanwälten, die die "Unions" und die eigenen Angestellten mit Klagen bedrohen. "Sobald ein Filialleiter mitbekommt, dass wir mit einem Angestellten gesprochen haben, zitiert er ihn zu sich und malt ihm die Schrecken aus, die ihm drohen, wenn er weiter Kontakt zu uns hat. Demokratie in den USA stoppt an der Tür des Arbeitgebers."
Wenig Rechte für Arbeitnehmer
Bislang nahmen das die Beschäftigten in Kauf - dem Urglauben folgend, dass dem Tüchtigen der Wohlstand blüht - oder zumindest nicht die Armut. Seit jedoch die Börse abgestürzt ist und die US-Wirtschaft am Rande der Rezession entlangschlingert, verfliegen die Bilder des amerikanischen Traums. Zum Vorschein kommt die Realität einer Arbeitnehmerschaft, die wenig Rechte hat - und kaum Schutz: Amerikanische Beschäftigte arbeiten von allen Industrieländern die meisten Stunden pro Jahr und haben am wenigsten Urlaub - die legendär fleißigen Japaner haben sie schon Mitte der 90er Jahre abgehängt. Gesetzlich haben US-Arbeiter nicht einmal Anspruch auf einen einzigen Tag bezahlten Urlaub. Die meisten Firmen gewähren zwei Wochen, die sich mit der Dauer der Betriebszugehörigkeit auf drei oder vier erhöhen können. Kündigungsschutz ist so gut wie unbekannt.
Dazu stagniert das Lohnniveau: Gehaltskürzungen sind in der Rezession gang und gäbe. In den 90er Jahren hat sich der Abstand zwischen den Klein- und den Großverdienern in den USA dramatisch vergrößert. Während die obersten 20 Prozent ihre Einkommen zwischen 1990 und 2000 im Durchschnitt um 27 Prozent steigerten, sanken die der untersten 20 Prozent um sieben Prozent.
Hohes Konfliktpotenzial
Welches Konfliktpotenzial das birgt, zeigt sich in den Betrieben, in denen die Gewerkschaften eine relativ hohe Präsenz haben. Dort fechten die Arbeitervertreter schon heute heftige Schaukämpfe aus und drohen schon mal, das "gesamte Land lahm zu legen". Erst in letzter Minute konnte beim größten Expressdienst UPS diesen Sommer ein Streik verhindert werden. Drohen Gehaltskürzungen bei Unternehmen, die kurz vor der Pleite stehen, wehren sich die Gewerkschaften bis zum Letzten, wie in diesen Tagen bei der zweitgrößten US-Fluggesellschaft United Airlines.
Nicht ohne Grund geben sich die Gewerkschaftsvertreter derart klassenkämpferisch, sie haben noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten, wollen sie ihre Mitgliederrate in den Betrieben merklich heben: Viele Arbeitnehmer trauen den "Unions" traditionell nicht über den Weg. Jahrzehntelang steckten viele große US-Gewerkschaften tief im Filz von Vetternwirtschaft und Korruption. Mitgliedsbeiträge flossen in die Taschen der Gewerkschaftsbosse, die Familien der Funktionäre wurden mit Posten versorgt. In den 20er und 30er Jahren arbeiteten die Gewerkschaften in Chicago sogar mit der Mafia zusammen.
Experten bezweifeln zwar, dass die US-Gewerkschaften jemals wieder über einen Mitgliedsstand von 20 Prozent kommen. "Aber im Moment gibt es wenigstens einen Ansatz dazu, dass es sich in diese Richtung bewegt", sagt Dan Cornfield, Professor für Arbeitssoziologie an der Vanderbilt University in Nashville. Dafür spreche, dass die Arbeitnehmer-Organisationen inzwischen mehr als die Hälfte aller Abstimmungen in Betrieben für sich entscheiden, im Gegensatz zu knapp 40 Prozent in den 80er Jahren. "Wenn die Gewerkschaften es schaffen, daraus eine breitere Bewegung zu machen, können sie wieder Boden gutmachen."