Durch die Kopie vom eigenen Ich zur Unsterblichkeit: Schon gibt es Angebote im Internet, und Forscher liefern die Argumente
Von unserer Redakteurin Marianne Quoirin
Welcome to CLONAID" so begrüßen zwei flatternde weiße Tauben und eine sich endlos drehende Doppel-Helix (das Symbol für Erbanlagen) den Fortschrittsgläubigen im Internet (www.clonaid.com/): "Willkommen bei der Klon-Hilfe". Keine Frage: Die Sekte "Raelian Movement" hat die Zeichen der Zeit schneller erkannt als der amerikanische Biologe und Physiker Richard Seed, der am Mittwoch mit seiner Ankündigung in die Schlagzeilen geriet, er wolle den ersten Menschen klonen. Die Sekte mit Hauptsitz in Genf bietet schon seit Monaten für 200.000 Dollar über eine auf den Bahamas gegründete Gesellschaft weltweit solche Dienste an.
Da die Jünger der Bewegung glauben , daß ein Außerirdischer vor Millionen von Jahren die Erde in einem Labor erschaffen habe und Jesus ein Klon dieses Schöpfers war, soll auch der Mensch auf Erden Gott spielen dürfen. Aber nur dann, wenn er wohlhabend genug ist und das Land gefunden hat, in dem die Regierung das Klonen erlaubt und die Forschung finanziell fördert. Für den Preis von umgerechnet etwa 360.000 Mark offeriert die Sekte auch homosexuellen Paaren ein Kind nach dem Ebenbild eines der beiden Partner und - zum doppelten Preis natürlich - eine Kopie von beiden.
Scherz oder Vision?
Dr. Brigitte Boisselier, die als Wissenschaftsdirektorin von "clonaid" firmiert, sieht keine moralischen Bedenken, sondern nur Freude allerorten. "Stellen Sie sich das Glück vor, wenn eine Witwe ein Kind aufziehen kann, das genauso aussieht wie ihr geliebter verstorbener Ehemann", kommentiert sie das Projekt und nennt die schon in einigen Ländern praktizierte Übertragung tiefgefrorenen Spermas von Toten.
Wer auf dem bekannt altmodischen Wege ein Kind gezeugt hat, muß aber nicht auf die Dienste von "clonaid" verzichten. Bei Zufriedenheit mit dem eigenen Nachwuchs kann man ihm Zellen entnehmen lassen für jenen Fall, daß es früh stirbt und die Eltern ein Double wünschen. Der Preis für dieses Angebot: 80.000 Mark.
Ein übler Scherz oder eine kühne Vision? Eine Frau, in ihr Ebenbild verliebt, geht mit der Kopie von sich selbst schwanger. Oder mit der des eigenen Vaters, des Ehemannes oder der von Claudia Schiffer. Fast jeder fünfte Bundesbürger würde einen genetischen Doppelgänger von sich erzeugen lassen. Das ergab gestern eine TED-Umfrage des RTL-Mittagsjournals "Punkt 12". Warum? Die Antwort gibt Rael, der Schutzpatron aller Fortschrittsgläubigen, im Internet:" Das Klonen wird die Menschheit zu ewigem Leben verhelfen."
Ausgerechnet sind es Pioniere der modernen Biologie, die für den alten Menschheitstraum und die damit verbundenen verheißungsvollen Geschäfte die Begründungen liefern. Als einige Wissenschaftler gerade begonnen hatten, den genetischen Code zu entschlüsseln, prophezeite der amerikanische Biologe und Nobelpreisträger Herman J. Muller einen "Neubau des Menschen von Grund auf". Der Forschergeist werde einst, so schwärmte der Genetiker, "gottgleiche Wesen" hervorbringen, "deren dürftige Vorahnungen wir elenden Kreaturen von heute sind".
Muller, dem es 1946 gelungen war, durch Röntgenstrahlen die Erbsubstanzen der Taufliege zu manipulieren, ließ auf dem weltberühmten Symposium des Ciba-Pharmakonzerns "Der Mensch und seine Zukunft" 1962 seiner Phantasie freien Lauf. Er und auch Kollegen seines Fachs unterbreiteten dem staunenden Publikum Vorschläge, wie die Biotechnologie dem Wohle der Menschheit dienen könne: durch Veränderung als schlecht empfundener Erbanlagen oder der Bewahrung der guten. Muller hielt seine Erbanlage für Spitzenklasse, so daß er sich öffentlich als Samenspender für kommerzielle Zwecke bekannte.
Mullers Traum von einer Kopie seiner ganzen Genialität ließ sich nicht erfüllen: Erst 1968, ein Jahr nach seinem Tode, gelang englischen Wissenschaftlern das erste Klon -Experiment. Damals hatten Biologen bis zu 30 identische Frösche, die über relativ große Eizellen verfügen, vervielfältigen können. Versuche mit anderen Lebewesen gestalteten sich schwieriger wegen der Mini-Maße von Zelle und Zellkern. Jahrlang blieb deshalb umstritten, ob dem Genfer Biologen Karl Illmenssee 1981 die ungeschlechtliche Fortpflanzung bei Mäusen gelungen war, deren Eizellen etwa 150mal kleiner sind als die der in Oxford geklonten Krallenfrösche. Sicher ist, daß 1983 dem Freiburger Entwicklungsbiologen Davor Solter der Durchbruch gelang, weil er ein Verfahren (Elektrofusion) entwickelte, das auch den Zellkerntransfer bei Säugetieren ermöglicht. Seit 1986 gibt es Embryonal-Klonen von fast allen Nutztieren, das gleiche Verfahren hat 1993 auch der US-Forscher Jerry L. Hall mit menschlichen Embryonen angeblich erfolgreich erprobt.