Wirtschafts-Weiser: "Uns Deutschen fehlt das Vertrauen in den Markt"
Horst Siebert, Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW) und einer der fünf "Weisen", zur Lage der deutschen Wirtschaft und zum EU- Stabilitätspakt.
IWF-Chef stellt Revision der Konjunkturprognose nach oben in Aussicht
DIE PRESSE: Herr Professor, knapp 4,3 Millionen Arbeitslose, das Wirtschaftswachstum liegt deutlich unter EU-Durchschnitt. Was ist los mit der ehemaligen Zugmaschine Deutschland?
Horst Siebert: Die Wachstumsrate liegt seit 1994 unter dem EU-Durchschnitt und seit 1998 können wir uns mit Italien darüber streiten, wer von uns das Schlußlicht ist. Offenbar leidet die deutsche Wirtschaft derzeit unter einer ausgeprägten Wachstumsschwäche.
Welche Faktoren bestimmen diese Wachstumsschwäche?
Siebert: Viele Faktoren sind dafür verantwortlich. Zum einen liegt es daran, daß unser Universitätssystem die relevanten technologischen Impulse nicht aussendet. Es liegt zum anderen daran, daß wir einen wichtigen Produktionsfaktor, die Arbeit, brach liegen lassen: vier Millionen offiziell arbeitslos, weitere 1,7 Millionen in arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen. Schließlich liegt es auch an der deutschen Wiedervereinigung mit einem hohen Transfer-Volumen von bis zu vier Prozent des Bruttoinlandsproduktes nach Ostdeutschland. Dies schränkt die Bewegungsfähigkeit der deutschen Finanzpolitik ein. Hinzu kommt, daß wir in den neunziger Jahren beträchtliche Wettbewerbsanteile in der Welt verloren haben.
Mangelt es Deutschland an Arbeit?
Siebert: Nein, Arbeit ist genug da. Allerdings nur, wenn es uns gelingt, technologische und wirtschaftliche Dynamik zu entwickeln und wenn wir das Regelwerk der Arbeit so zuschneiden, daß Arbeitskräfte auch genügend nachgefragt werden.
Was ist zu tun, damit Arbeit ausreichend nachgefragt wird?
Siebert: Die Belastung des Faktors Arbeit ist aus der Sicht des Arbeitnehmers wie des Arbeitgebers zu hoch: von dem letzten verdienten Euro bleiben dem deutschen Arbeitnehmer als Durchschnittsverdiener 40 Cent. Gleichzeitig wirkt die hohe Belastung für die Unternehmen wie eine Steuer auf den Faktor Arbeit. Dies würde ich zurücknehmen. Das aber setzt voraus, daß wir einen gesellschaftlichen Konsens darüber finden, was kleine und was große Risiken sind. Kleine Risiken sind beispielsweise, am ersten, zweiten und dritten Tag der Arbeitslosigkeit kein Einkommen zu haben. Dem können die Menschen durch entsprechende Ersparnisse selbst vorsorgen.
Wenn Sie Regierungsverantwortung für die deutsche Wirtschaft zu tragen hätten, welche drei Dinge würden Sie als erstes anpacken?
Siebert: Die Unternehmen sollten stärker vom Tarifvertrag abweichen können. Es darf nicht nur heißen, höherer Lohn und geringere Arbeitszeit, auch die Sicherheit des Arbeitsplatzes muß eine Rolle spielen. Für diese Sicherheit sollte auch eine Entlohnung unter Tarif in Kauf genommen werden können. Ich würde zudem betriebliche Bündnisse für Arbeit gesetzlich zulassen. Zweitens: Die Ansprüche an das soziale System müssen verringert werden. Das Arbeitslosengeld sollte statt der derzeit 32 Monate auf ein Jahr befristet und die Arbeitslosenhilfe mit der Sozialhilfe integriert werden. Drittens das Universitätssystem. Ich würde es nicht nach administrativen Kennziffern und Sollgrößen steuern, sondern strikt nach dem Wettbewerbsprinzip organisieren. Also, Wettbewerb der Universitäten um die Studenten, Wettbewerb der Studenten um die besten Universitäten, natürlich auch Wettbewerb der Professoren und Wettbewerb der Universitäten um die besten Professoren. So kann man die junge Generation verstärkt zu Risikobereitschaft und Wagemut erziehen und dafür sorgen, daß Innovationen vermehrt aus den Universitäten kommen.
Was macht die amerikanische Wirtschaft so robust gegenüber der deutschen?
Siebert: Eine hohe Elastizität. Das hängt mit der Flexibilität des US-Arbeitsmarktes ursächlich zusammen. Bereits im Januar ist die Arbeitslosigkeit in den USA von 5,8 auf 5,6 Prozent zurückgegangen. In Deutschland haben wir es mit einer Verharzung des Arbeitsmarktes zu tun, mit einem schubweisen Anstieg der Arbeitslosigkeit in jeder Rezession. Anders als den Amerikanern fehlt uns das Vertrauen in Marktprozesse. Wenn aber eine Behörde nicht richtig funktioniert, wie jetzt die Bundesanstalt für Arbeit, dann ist Deutschland erregt. Aber die Arbeitslosigkeit ist kein Behördenproblem. Die Ursachen liegen tiefer.
Die US-Wirtschaft verabschiedet sich bereits aus der Rezession. Haben auch die Deutschen die konjunkturelle Talsohle endgültig durchschritten?
Siebert: In den USA war bereits das vierte Quartal nicht mehr negativ. In Deutschland hatten wir im dritten und vierten Quartal des letzten Jahres eine leichte Rezession. Nach meiner Einschätzung wendet sich die Konjunktur noch im ersten Quartal. Das IfW rechnet seit Dezember 2001 mit einer durchschnittlichen Wachstumsrate von 1,2 Prozent. Alle anderen Prognosen liegen bei 0,7 Prozent. Die Konjunkturwende ist in Sicht, aber es ist eine mäßige Belebung, ein Auf ohne großen Schwung.
Der Euro ist gut zwei Monaten im Umlauf. Glauben Sie, er wird ein Erfolg?
Siebert: Im Prinzip traue ich dem Euro den Erfolg zu. Man muß nur sehen, daß ein wichtiger Konflikt in der Währungsunion angelegt ist. Der Konflikt zwischen der vergemeinschafteten Geldpolitik auf der europäischen Ebene einerseits und den weiterhin nationalen Willensbildungsprozessen vor allem im Bezug auf die Wirtschafts- und Finanzpolitik andererseits. Eine stabile Währung setzt immer auch solide Staatsfinanzen voraus. Um das Finanzgebaren der Nationalstaaten in das System einzubinden, hat man den Stabilitätspakt ins Leben gerufen.
Der Stabilitätspakt muß sich aber erst noch bewähren.
Siebert: Richtig, besonders nach dem nicht geschriebenen oder besser, dem nicht angenommenen "blauen Brief". Der war angemessen und hätte angenommen werden müssen. Jetzt haben wir den Präzedenzfall. In Zukunft wird es schwerer fallen, den "blauen Brief" zu schreiben.
Horst Siebert, Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW) und einer der fünf "Weisen", zur Lage der deutschen Wirtschaft und zum EU- Stabilitätspakt.
IWF-Chef stellt Revision der Konjunkturprognose nach oben in Aussicht
DIE PRESSE: Herr Professor, knapp 4,3 Millionen Arbeitslose, das Wirtschaftswachstum liegt deutlich unter EU-Durchschnitt. Was ist los mit der ehemaligen Zugmaschine Deutschland?
Horst Siebert: Die Wachstumsrate liegt seit 1994 unter dem EU-Durchschnitt und seit 1998 können wir uns mit Italien darüber streiten, wer von uns das Schlußlicht ist. Offenbar leidet die deutsche Wirtschaft derzeit unter einer ausgeprägten Wachstumsschwäche.
Welche Faktoren bestimmen diese Wachstumsschwäche?
Siebert: Viele Faktoren sind dafür verantwortlich. Zum einen liegt es daran, daß unser Universitätssystem die relevanten technologischen Impulse nicht aussendet. Es liegt zum anderen daran, daß wir einen wichtigen Produktionsfaktor, die Arbeit, brach liegen lassen: vier Millionen offiziell arbeitslos, weitere 1,7 Millionen in arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen. Schließlich liegt es auch an der deutschen Wiedervereinigung mit einem hohen Transfer-Volumen von bis zu vier Prozent des Bruttoinlandsproduktes nach Ostdeutschland. Dies schränkt die Bewegungsfähigkeit der deutschen Finanzpolitik ein. Hinzu kommt, daß wir in den neunziger Jahren beträchtliche Wettbewerbsanteile in der Welt verloren haben.
Mangelt es Deutschland an Arbeit?
Siebert: Nein, Arbeit ist genug da. Allerdings nur, wenn es uns gelingt, technologische und wirtschaftliche Dynamik zu entwickeln und wenn wir das Regelwerk der Arbeit so zuschneiden, daß Arbeitskräfte auch genügend nachgefragt werden.
Was ist zu tun, damit Arbeit ausreichend nachgefragt wird?
Siebert: Die Belastung des Faktors Arbeit ist aus der Sicht des Arbeitnehmers wie des Arbeitgebers zu hoch: von dem letzten verdienten Euro bleiben dem deutschen Arbeitnehmer als Durchschnittsverdiener 40 Cent. Gleichzeitig wirkt die hohe Belastung für die Unternehmen wie eine Steuer auf den Faktor Arbeit. Dies würde ich zurücknehmen. Das aber setzt voraus, daß wir einen gesellschaftlichen Konsens darüber finden, was kleine und was große Risiken sind. Kleine Risiken sind beispielsweise, am ersten, zweiten und dritten Tag der Arbeitslosigkeit kein Einkommen zu haben. Dem können die Menschen durch entsprechende Ersparnisse selbst vorsorgen.
Wenn Sie Regierungsverantwortung für die deutsche Wirtschaft zu tragen hätten, welche drei Dinge würden Sie als erstes anpacken?
Siebert: Die Unternehmen sollten stärker vom Tarifvertrag abweichen können. Es darf nicht nur heißen, höherer Lohn und geringere Arbeitszeit, auch die Sicherheit des Arbeitsplatzes muß eine Rolle spielen. Für diese Sicherheit sollte auch eine Entlohnung unter Tarif in Kauf genommen werden können. Ich würde zudem betriebliche Bündnisse für Arbeit gesetzlich zulassen. Zweitens: Die Ansprüche an das soziale System müssen verringert werden. Das Arbeitslosengeld sollte statt der derzeit 32 Monate auf ein Jahr befristet und die Arbeitslosenhilfe mit der Sozialhilfe integriert werden. Drittens das Universitätssystem. Ich würde es nicht nach administrativen Kennziffern und Sollgrößen steuern, sondern strikt nach dem Wettbewerbsprinzip organisieren. Also, Wettbewerb der Universitäten um die Studenten, Wettbewerb der Studenten um die besten Universitäten, natürlich auch Wettbewerb der Professoren und Wettbewerb der Universitäten um die besten Professoren. So kann man die junge Generation verstärkt zu Risikobereitschaft und Wagemut erziehen und dafür sorgen, daß Innovationen vermehrt aus den Universitäten kommen.
Was macht die amerikanische Wirtschaft so robust gegenüber der deutschen?
Siebert: Eine hohe Elastizität. Das hängt mit der Flexibilität des US-Arbeitsmarktes ursächlich zusammen. Bereits im Januar ist die Arbeitslosigkeit in den USA von 5,8 auf 5,6 Prozent zurückgegangen. In Deutschland haben wir es mit einer Verharzung des Arbeitsmarktes zu tun, mit einem schubweisen Anstieg der Arbeitslosigkeit in jeder Rezession. Anders als den Amerikanern fehlt uns das Vertrauen in Marktprozesse. Wenn aber eine Behörde nicht richtig funktioniert, wie jetzt die Bundesanstalt für Arbeit, dann ist Deutschland erregt. Aber die Arbeitslosigkeit ist kein Behördenproblem. Die Ursachen liegen tiefer.
Die US-Wirtschaft verabschiedet sich bereits aus der Rezession. Haben auch die Deutschen die konjunkturelle Talsohle endgültig durchschritten?
Siebert: In den USA war bereits das vierte Quartal nicht mehr negativ. In Deutschland hatten wir im dritten und vierten Quartal des letzten Jahres eine leichte Rezession. Nach meiner Einschätzung wendet sich die Konjunktur noch im ersten Quartal. Das IfW rechnet seit Dezember 2001 mit einer durchschnittlichen Wachstumsrate von 1,2 Prozent. Alle anderen Prognosen liegen bei 0,7 Prozent. Die Konjunkturwende ist in Sicht, aber es ist eine mäßige Belebung, ein Auf ohne großen Schwung.
Der Euro ist gut zwei Monaten im Umlauf. Glauben Sie, er wird ein Erfolg?
Siebert: Im Prinzip traue ich dem Euro den Erfolg zu. Man muß nur sehen, daß ein wichtiger Konflikt in der Währungsunion angelegt ist. Der Konflikt zwischen der vergemeinschafteten Geldpolitik auf der europäischen Ebene einerseits und den weiterhin nationalen Willensbildungsprozessen vor allem im Bezug auf die Wirtschafts- und Finanzpolitik andererseits. Eine stabile Währung setzt immer auch solide Staatsfinanzen voraus. Um das Finanzgebaren der Nationalstaaten in das System einzubinden, hat man den Stabilitätspakt ins Leben gerufen.
Der Stabilitätspakt muß sich aber erst noch bewähren.
Siebert: Richtig, besonders nach dem nicht geschriebenen oder besser, dem nicht angenommenen "blauen Brief". Der war angemessen und hätte angenommen werden müssen. Jetzt haben wir den Präzedenzfall. In Zukunft wird es schwerer fallen, den "blauen Brief" zu schreiben.