Und ewig lockt das Jenseits

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vega2000:

Und ewig lockt das Jenseits

 
31.07.02 22:10
Der Aufstieg der Dschihad-Krieger
Am 22. Dezember 1998 gab einer, der sich damit brüsten konnte, dass die Mudschaheddin die Sowjets aus Afghanistan gejagt hatten, dem Time Magazine sein nächstes Ziel bekannt: "Die Feindschaft zu den Vereinigten Staaten ist uns religiöse Pflicht. Wir werden sehen, dass Muslime die Legende von der Supermacht Amerika zerstören werden." Das ist die unumstößliche Überzeugung von Fanatikern wie Osama bin Laden: Der Glaube wird am Ende stärker sein als alle Flugzeugträger, Kampfhubschrauber und Atomraketen.

Der religiöse Terrorismus hat den Vorteil, dass er seine Gewaltakte nicht im Diesseits, sondern im Jenseits rechtfertigen muss. Dagegen müssen ethnische oder politische Untergrundgruppen wie die nordirische IRA, die baskische Eta oder der griechische 17. November stets darauf achten, ihre Sympathisantenszene nicht durch überzogene Gräueltaten zu verschrecken. Aber der enthemmende Jenseitsbezug ist nicht das Einzige, was den religiösen Terrorismus zur gefährlichsten Form des Extremismus macht. Immer mehr Islamisten einigt der Widerstand gegen die globalisierte Moderne. So ist der Dschihad viel mehr als ein antiwestlicher Feldzug. Er versteht sich, und hier ähnelt der religiöse Terrorismus wieder sozialrevolutionären Bewegungen, als Aufbegehren der Gedemütigten. Mit einem wichtigen Unterschied: Während die klassischen europäischen Terroristen ihre Operation im Wesentlichen auf ihre nationalen Territorien beschränken, finden die religiösen Extremisten ihre Ziele auf der ganzen Welt. Ungläubige Juden und Amerikaner zu töten, "wo immer ihr sie findet", lautet der Aufruf in Erklärungen von al-Qaida.

Scharia gegen MTV

Die Zügellosigkeit des religiösen Terrorismus äußert sich auch in der Opferstatistik. Schon vor dem 11. September forderten Attentate religiöser Organisationen deutlich mehr Tote als diejenigen weltlich orientierter Gruppen. Die RAND Corporation ermittelte 1995 in einer Studie, dass zwar nur 25 Prozent aller terroristischen Gewalttaten auf das Konto religiöser Gruppen gingen; diese Attentate forderten jedoch 58 Prozent aller Opfer von Terrorakten in diesem Jahr. So hatten die verheerendsten Anschläge des vergangenen Jahrzehnts allesamt religiöse Beweggründe: die von Islamisten gezündeten dreizehn Autobomben im indischen Bombay, die im Februar 1993 rund 400 Menschen töteten und mehr als 1000 verletzten; der Nervengasanschlag der Aum-Sekte auf die Tokyoter U-Bahn im März 1995, der ein Dutzend Tote forderte; der Sprengstoffanschlag der "christlichen Patrioten" auf die US-Bundesbehörde in Oklahoma, bei dem 168 Menschen den Tod fanden; das Massaker an 85 Touristen im ägyptischen Luxor im November 1997, verübt von der Dschama'at al-Islamija (Islamische Gruppierung).

"Sie können uns mit Alkohol, Schönheitsprodukten (...), der so genannten Mode überhäufen, nichts wird uns aufhalten", schrieb der ägyptische Fundamentalistenführer Rifai Taha kurz dem Attentat von Luxor und formulierte damit das Feindbild der islamistischen Bewegung. Die Globalisierung kommt in den muslimischen Ländern als Säkularisierungswelle in Form von MTV, Jeans und Coca-Cola an. Viele fromme Muslime ziehen den Schluss, dass diese Sittenverderbnis vom durch und durch dekadenten, ungläubigen Satan Amerika gesteuert wird - als postmoderne Form des Kolonialismus.

Das Gegenprogramm der Bedrängten heißt Dschihad und ist weniger ein mörderischer "Heiliger Krieg", sondern bedeutet wörtlich übersetzt so viel wie "Anstrengung aller Kräfte". Der Islamwissenschaftler Peter Heine sagt: "Muslimische Gelehrte sind mehrheitlich der Ansicht, dass mit der Ausbreitung des Islams vor allem die Ausbreitung des Islams als politisches System und als Rechtssystem gemeint war, nicht etwa die Verbreitung einer religiösen Überzeugung."

Osama bin Ladens weltweite Kampagne gegen die USA und ihre Verbündeten ist also nichts weniger als der Versuch, die Verwestlichung der islamischen Welt zu stoppen. Damit ist der Terrorismus freilich in eine neue Dimension getreten. Denn auch die Angegriffenen organisieren ihre Verteidigung nun global. Nicht mehr als quasipolizeiliche, punktuelle Vergeltungsschläge, sondern als internationale Militäroperation.
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