Übereilte Entwarnung für die Krisenkandidaten
Von Thomas Fricke, Berlin
Die Stimmung hat sich gebessert. Noch Anfang Juli schien es, als würden die Krisen in Argentinien und der Türkei zum internationalen Finanzdebakel ausarten.
Damals schwächelten auch die Währungen anderer Wackelkandidaten wie Brasilien, Polen oder Indonesien. Jetzt sind sie wieder gestiegen. Und schon melden sich wieder jene zu Wort, die eine Ausbreitung wie zu Zeiten der Asienkrise für kaum mehr denkbar halten.
Ist das globale Finanzsystem stabiler geworden? Und haben die Bemühungen von Regierungen und internationalen Organisationen dazu beigetragen, Krisen zu vermeiden? Der Optimismus könnte sich schon bald als verfrüht erweisen. Die jüngste Beruhigung an den Finanzmärkten der Emerging Markets in Lateinamerika, Asien und Osteuropa droht über die tatsächlich verbleibenden Risiken hinwegzutäuschen. Und darüber, dass manche Korrekturen an der Finanzarchitektur bisher noch viel zu zaghaft blieben - und die meisten womöglich an den eigentlichen Krisenursachen sogar vorbeizielen. Ein Debakel wie zu Zeiten der Asienkrise wäre dann nach wie vor möglich.
Vor vier Jahren weitete sich die Krise binnen weniger Wochen von Thailand über die Philippinen und Malaysia auf andere asiatische Länder aus. Im Sommer 1998 folgte Russland, Anfang 1999 stürzte der brasilianische Real. Reihenweise gaben Regierungen die Anbindung ihrer Währungen an den Dollar auf, die Anleger zogen sich panikartig aus vielen Schwellenländern zurück. Weltweit gerieten fast zwei Dutzend Währungen stark unter Druck.
Riskante Anlagen
Diesmal soll es anders kommen, sagen Optimisten. Seit 1997 seien zahlreiche Gremien wie etwa das Forum für Finanzmarktstabilität entstanden, in denen sich die Finanzwelt aus Industrie- und Schwellenländern über mögliche Gefahren austauscht. Anleger und Banken seien seit dem Asienschock ohnehin vorsichtiger geworden. Je weniger riskante Anlagen gemacht werden, so die Hoffnung, desto geringer müsste die Gefahr böser Überraschungen und panikartiger Fluchtbewegungen sein.
Als Bonus wird gewertet, dass es vor allem in Asien seit 1997 gelungen ist, die Reserven an Fremdwährungen wieder aufzustocken. Anhänger freier Wechselkurse verweisen schließlich auf die abnehmende Zahl fester Kursanbindungen. Die Gefahr politisch bedingter Fehlbewertungen samt späterem Absturz der Kurse sei daher heute weit geringer.
Manches davon mag stimmen. In der Tat flossen vergangenes Jahr netto nur noch 33 Mrd. $ an privatem Kapital in die Emerging Markets; 1997 waren es noch vier mal so viel. Aus den hochspekulativen Hedge Fonds wurden seitdem knapp 20 Mrd. $ abgezogen. Studien ergaben zudem, dass hohe Währungsreserven die Wahrscheinlichkeit, in eine Finanzkrise zu geraten, auf ein Drittel verringern.
Neue Zweifel
Bei genauerem Hinsehen kommen dennoch Zweifel auf, ob all dies zur Gelassenheit reicht. Allein die jüngsten Krisenfälle Argentinien und Türkei lassen daran zweifeln, dass die Anleger so viel weiser und vernünftiger geworden sind. Beide Krisen kamen für die Finanzwelt überraschend - trotz aller Standards und neuen Meldepflichten für Wirtschaftsdaten, wie sie seit der Asienkrise eingefordert werden.
Als trügerisch erweist sich auch der Verweis auf gestiegene Währungsreserven in den Schwellenländern. Zum einen verbirgt der Durchschnitt, dass neben Argentinien und der Türkei zahlreiche einzelne Länder wie Indonesien, Brasilien oder Südafrika derzeit kaum in der Lage wären, mit den eigenen Reserven ihre kurzfristigen Schulden im Ausland zu begleichen. Zum anderen hat sich während der Asienkrise gezeigt, dass hohe Reservebestände zwar ein Bonus sein können, aber keine Garantie für Stabilität. Damals gerieten auch Länder wie Malaysia in die Krise, deren Reserven bei Ausbruch der Turbulenzen um 40 Prozent höher lagen als die Summe ihrer kurzfristigen Schulden gegenüber Ausländern.
Reichlich gewagt ist selbst die Hoffnung auf das wundersame Wirken freier Wechselkurse. So haben Studien des Würzburger Währungsexperten Peter Bofinger ergeben, dass viele Länder inoffiziell nach wie vor versuchen, ihre Währungen über Interventionen an den Devisenmärkten politisch zu steuern. Das belegen auch Daten der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, wonach die Wechselkurse in den Emerging Markets heute "nach wie vor sehr wenig" schwanken.
Systematische Risiken
Fälle wie Polen oder Mexiko zeigen überdies, dass es selbst bei wirklich frei schwankendem Wechselkurs zu krassen Fehlbewertungen kommen kann. Der reale und nach Anteilen der Handelspartner gewichtete Außenwert des polnischen Zloty ist seit seiner Freigabe um dreißig Prozent nach oben geschossen. Die Währung wird teurer, obwohl die Preise und Kosten im Inland ohnehin schon schneller wachsen als bei den wichtigsten Konkurrenten im Ausland. In Mexiko etwa folgte einem ähnlich starken Verlust an Wettbewerbsfähigkeit 1994/95 der Absturz des Peso.
Politiker und Notenbanker haben dafür gesorgt, dass vieles in der Finanzwelt heute transparenter geworden ist. Bei der Beseitigung "systematischer Risiken" habe es aber nur "marginale Fortschritte" gegeben, sagt Peter Nunnenkamp, Währungsexperte beim Kieler Institut für Weltwirtschaft - und das entgegen allen Versprechungen, die noch während der Asienkrise gemacht worden waren. Gescheitert ist der Versuch, private Anleger beim Ausbruch von Krisen systematisch in die Verantwortung zu nehmen und an den Kosten zu beteiligen. Nichts geworden ist auch aus dem Bestreben, Hedge Fonds stärker zu überwachen.
Abschied vom Vorbild Argentinien
Alle Transparenz hilft wenig, solange über die Ursachen reichlich Unklarheit bleibt. Bis zum Ausbruch der jüngsten Krise galt Argentiniens Dollarisierung unter führenden Währungsexperten als vorbildlich. Jetzt will sich niemand mehr so recht daran erinnern.
Was die Finanzwelt dringend braucht, sindReformen, die über das bisherige Ausmaß deutlich hinausgehen. Laut Nunnenkamp müsste es eine Art Konkursverfahren geben, bei dem große Investoren von vornherein wissen, dass sie im Krisenfall mitzahlen müssen. Nur so ließen sich allzu leichtsinnige Engagements eindämmen.
Nötig wäre aber auch ein Paradigmenwechsel in der Währungspolitik. Denn: So unterschiedlich die Finanzkrisen der vergangenen Jahre ausfielen - meist ging dem Crash eine krasse Überbewertung der Währung voraus. Spätestens die jüngste Entwicklung hat gezeigt, dass dies, entgegen zuletzt herrschender Lehre, weder mit dem argentinischen Modell der Dollarisierung noch mit völlig freien Wechselkursen wie in Mexiko oder Polen zu erreichen ist.
Notenbanken und Regierungen müssten nach Ansicht von Währungsexperte Bofinger dafür sorgen, dass sich die Wechselkurse nicht mehr losgelöst von Preisen und Zinsen im Inland entwickeln können.
Die Ruhe nach den jüngsten Turbulenzen trügt. Noch sind die Krisen in Argentinien und der Türkei nicht ausgestanden. Noch bleibt die Gefahr, dass sich der Virus erneut ausbreitet.
© 2001 Financial Times Deutschland
Von Thomas Fricke, Berlin
Die Stimmung hat sich gebessert. Noch Anfang Juli schien es, als würden die Krisen in Argentinien und der Türkei zum internationalen Finanzdebakel ausarten.
Damals schwächelten auch die Währungen anderer Wackelkandidaten wie Brasilien, Polen oder Indonesien. Jetzt sind sie wieder gestiegen. Und schon melden sich wieder jene zu Wort, die eine Ausbreitung wie zu Zeiten der Asienkrise für kaum mehr denkbar halten.
Ist das globale Finanzsystem stabiler geworden? Und haben die Bemühungen von Regierungen und internationalen Organisationen dazu beigetragen, Krisen zu vermeiden? Der Optimismus könnte sich schon bald als verfrüht erweisen. Die jüngste Beruhigung an den Finanzmärkten der Emerging Markets in Lateinamerika, Asien und Osteuropa droht über die tatsächlich verbleibenden Risiken hinwegzutäuschen. Und darüber, dass manche Korrekturen an der Finanzarchitektur bisher noch viel zu zaghaft blieben - und die meisten womöglich an den eigentlichen Krisenursachen sogar vorbeizielen. Ein Debakel wie zu Zeiten der Asienkrise wäre dann nach wie vor möglich.
Vor vier Jahren weitete sich die Krise binnen weniger Wochen von Thailand über die Philippinen und Malaysia auf andere asiatische Länder aus. Im Sommer 1998 folgte Russland, Anfang 1999 stürzte der brasilianische Real. Reihenweise gaben Regierungen die Anbindung ihrer Währungen an den Dollar auf, die Anleger zogen sich panikartig aus vielen Schwellenländern zurück. Weltweit gerieten fast zwei Dutzend Währungen stark unter Druck.
Riskante Anlagen
Diesmal soll es anders kommen, sagen Optimisten. Seit 1997 seien zahlreiche Gremien wie etwa das Forum für Finanzmarktstabilität entstanden, in denen sich die Finanzwelt aus Industrie- und Schwellenländern über mögliche Gefahren austauscht. Anleger und Banken seien seit dem Asienschock ohnehin vorsichtiger geworden. Je weniger riskante Anlagen gemacht werden, so die Hoffnung, desto geringer müsste die Gefahr böser Überraschungen und panikartiger Fluchtbewegungen sein.
Als Bonus wird gewertet, dass es vor allem in Asien seit 1997 gelungen ist, die Reserven an Fremdwährungen wieder aufzustocken. Anhänger freier Wechselkurse verweisen schließlich auf die abnehmende Zahl fester Kursanbindungen. Die Gefahr politisch bedingter Fehlbewertungen samt späterem Absturz der Kurse sei daher heute weit geringer.
Manches davon mag stimmen. In der Tat flossen vergangenes Jahr netto nur noch 33 Mrd. $ an privatem Kapital in die Emerging Markets; 1997 waren es noch vier mal so viel. Aus den hochspekulativen Hedge Fonds wurden seitdem knapp 20 Mrd. $ abgezogen. Studien ergaben zudem, dass hohe Währungsreserven die Wahrscheinlichkeit, in eine Finanzkrise zu geraten, auf ein Drittel verringern.
Neue Zweifel
Bei genauerem Hinsehen kommen dennoch Zweifel auf, ob all dies zur Gelassenheit reicht. Allein die jüngsten Krisenfälle Argentinien und Türkei lassen daran zweifeln, dass die Anleger so viel weiser und vernünftiger geworden sind. Beide Krisen kamen für die Finanzwelt überraschend - trotz aller Standards und neuen Meldepflichten für Wirtschaftsdaten, wie sie seit der Asienkrise eingefordert werden.
Als trügerisch erweist sich auch der Verweis auf gestiegene Währungsreserven in den Schwellenländern. Zum einen verbirgt der Durchschnitt, dass neben Argentinien und der Türkei zahlreiche einzelne Länder wie Indonesien, Brasilien oder Südafrika derzeit kaum in der Lage wären, mit den eigenen Reserven ihre kurzfristigen Schulden im Ausland zu begleichen. Zum anderen hat sich während der Asienkrise gezeigt, dass hohe Reservebestände zwar ein Bonus sein können, aber keine Garantie für Stabilität. Damals gerieten auch Länder wie Malaysia in die Krise, deren Reserven bei Ausbruch der Turbulenzen um 40 Prozent höher lagen als die Summe ihrer kurzfristigen Schulden gegenüber Ausländern.
Reichlich gewagt ist selbst die Hoffnung auf das wundersame Wirken freier Wechselkurse. So haben Studien des Würzburger Währungsexperten Peter Bofinger ergeben, dass viele Länder inoffiziell nach wie vor versuchen, ihre Währungen über Interventionen an den Devisenmärkten politisch zu steuern. Das belegen auch Daten der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, wonach die Wechselkurse in den Emerging Markets heute "nach wie vor sehr wenig" schwanken.
Systematische Risiken
Fälle wie Polen oder Mexiko zeigen überdies, dass es selbst bei wirklich frei schwankendem Wechselkurs zu krassen Fehlbewertungen kommen kann. Der reale und nach Anteilen der Handelspartner gewichtete Außenwert des polnischen Zloty ist seit seiner Freigabe um dreißig Prozent nach oben geschossen. Die Währung wird teurer, obwohl die Preise und Kosten im Inland ohnehin schon schneller wachsen als bei den wichtigsten Konkurrenten im Ausland. In Mexiko etwa folgte einem ähnlich starken Verlust an Wettbewerbsfähigkeit 1994/95 der Absturz des Peso.
Politiker und Notenbanker haben dafür gesorgt, dass vieles in der Finanzwelt heute transparenter geworden ist. Bei der Beseitigung "systematischer Risiken" habe es aber nur "marginale Fortschritte" gegeben, sagt Peter Nunnenkamp, Währungsexperte beim Kieler Institut für Weltwirtschaft - und das entgegen allen Versprechungen, die noch während der Asienkrise gemacht worden waren. Gescheitert ist der Versuch, private Anleger beim Ausbruch von Krisen systematisch in die Verantwortung zu nehmen und an den Kosten zu beteiligen. Nichts geworden ist auch aus dem Bestreben, Hedge Fonds stärker zu überwachen.
Abschied vom Vorbild Argentinien
Alle Transparenz hilft wenig, solange über die Ursachen reichlich Unklarheit bleibt. Bis zum Ausbruch der jüngsten Krise galt Argentiniens Dollarisierung unter führenden Währungsexperten als vorbildlich. Jetzt will sich niemand mehr so recht daran erinnern.
Was die Finanzwelt dringend braucht, sindReformen, die über das bisherige Ausmaß deutlich hinausgehen. Laut Nunnenkamp müsste es eine Art Konkursverfahren geben, bei dem große Investoren von vornherein wissen, dass sie im Krisenfall mitzahlen müssen. Nur so ließen sich allzu leichtsinnige Engagements eindämmen.
Nötig wäre aber auch ein Paradigmenwechsel in der Währungspolitik. Denn: So unterschiedlich die Finanzkrisen der vergangenen Jahre ausfielen - meist ging dem Crash eine krasse Überbewertung der Währung voraus. Spätestens die jüngste Entwicklung hat gezeigt, dass dies, entgegen zuletzt herrschender Lehre, weder mit dem argentinischen Modell der Dollarisierung noch mit völlig freien Wechselkursen wie in Mexiko oder Polen zu erreichen ist.
Notenbanken und Regierungen müssten nach Ansicht von Währungsexperte Bofinger dafür sorgen, dass sich die Wechselkurse nicht mehr losgelöst von Preisen und Zinsen im Inland entwickeln können.
Die Ruhe nach den jüngsten Turbulenzen trügt. Noch sind die Krisen in Argentinien und der Türkei nicht ausgestanden. Noch bleibt die Gefahr, dass sich der Virus erneut ausbreitet.
© 2001 Financial Times Deutschland