Gefangenen-Dilemma
Asiens Notenbanken haben mit der Umschichtung von Dollar-Reserven in Euro begonnen. Dies dürfte den Sturz der US-Währung beschleunigen.
Yu Yongding ruderte schnell zurück. Seine Äußerungen seien „verzerrt“ dargestellt worden, ließ das Mitglied des geldpolitischen Komitees der chinesischen Notenbank die Finanzwelt über das Internet wissen. Anlass für das Dementi war ein Bericht der Wirtschaftszeitung „China Business News“, in dem Yu mit den Worten zitiert wurde, die chinesische Notenbank habe ihre Anlagen in US-Staatspapieren reduziert. Der Dollar fiel daraufhin auf ein Rekordtief gegenüber dem Euro – vorübergehend kostete die Gemeinschaftswährung am vergangenen Freitag 1,3330 Dollar.
Auch wenn dieser Rekord schon Anfang dieser Woche wieder eingestellt wurde: Zentralbanker müssen zurzeit besonders gut aufpassen, was sie sagen. Diese Erfahrung hatte zuvor schon der Vizechef der russischen Notenbank, Alexej Uljukajew, gemacht. Seine Bemerkung, die russische Zentralbank werde eventuell ihre Devisenreserven zu Gunsten des Euro umschichten, hatte ebenfalls zu Dollar-Verkäufen an den Devisenmärkten geführt und den Greenback unter Druck gesetzt. „Alle starren jetzt auf die Zentralbanken“, sagt Paul Mackel, Devisenstratege bei ABN Amro.
Dass die Märkte so nervös reagieren, hat einen Grund – die Notenbanken sind mächtige Spieler im internationalen Devisenpoker. So entsprechen die Devisenreserven der russischen Notenbank immerhin einem Dollar-Wert von rund 113 Milliarden.
Peanuts im Vergleich zu den Summen, um die es in Asien geht. Mit 838 Milliarden Dollar besitzt Japan den größten Devisenschatz der Welt, gefolgt von China mit 515 Milliarden Dollar – die gut 120 Milliarden Dollar, die Hongkong auf der hohen Kante hat, nicht mitgerechnet. Selbst die südkoreanische Notenbank mit 195 Milliarden Dollar und die indische mit 122 Milliarden Dollar Reserven haben mehr Gewicht als ihre russischen Kollegen. Rund 80 Prozent der weltweiten Devisenreserven, umgerechnet rund 2,2 Billionen Dollar, lagern in den Tresoren der Notenbanken im Raum zwischen Indien und Japan.
Auch wenn die Notenbanken über die Zusammensetzung ihrer Devisenreserven keine Auskunft geben, dürften sie den weitaus größten Teil in US-Dollar angelegt haben. So schätzen Experten, dass die Chinesen etwa zwei Drittel ihrer Währungsreserven in Dollar halten und erst 15 Prozent in Euro. So hängt der Kursverlauf des Dollar – und damit auch das weitere Schicksal des Euro und der deutschen Exportwirtschaft – nach Einschätzung von Devisenanalysten vor allem von Entscheidungen der asiatischen Notenbanken ab.
Zwar ist der Anteil der Notenbanken am täglichen Umsatz an den Devisenmärkten, der 1,9 Billionen Dollar beträgt, gering. Ihre Interventionen an den Märkten gelten aber als wichtige Signale für die Kursentwicklung der Währungen. Insofern könnten Umschichtungen in ihren Portfolios den Fall des Greenback weiter beschleunigen – und den Euro auf neue Höchststände treiben.
Den Asiaten, in den vergangenen Jahren die Hauptnachfrager amerikanischer Staatsanleihen, scheint inzwischen der Appetit a auf weitere Dollar-Anlagen zu vergehen.
Von den Devisen, die Chinas Notenbank zwischen Januar und August kaufte, waren nur 12 Prozent amerikanische Staatsanleihen – verglichen mit 90 Prozent in den Jahren zuvor. Wenn der Rest komplett in den Euro gegangen ist, rechnet James Malcolm von der Deutschen Bank in Singapur vor, dann hat China in diesem Jahr jeden Monat Euro-Anlagen im Wert von neun Milliarden Euro gekauft.„Wir sind schon mitten im Prozess des Umschichtens“, meint Folker Hellmeyer von der Bremer Landesbank. Weil die traditionell am Dollar orientierten Länder vor allem in Asien sich immer stärker von ihren US-Devisenbeständen trennen, könnte der Euro-Kurs im nächsten Jahr auf bis zu 1,45 Dollar steigen, prognostiziert Hellmeyer.
An der privilegierten Position des Greenback als Weltleitwährung kann der Euro dann zwar immer noch nicht rütteln. Der Dollar-Standard besteht seit 1971, als der damalige US-Präsident Richard Nixon die Goldbindung des Dollar aufhob. Gerade in Asien ist die Rolle des Dollar als Ankerwährung unumstritten. Der Anteil des Euro an den weltweit gehaltenen Währungsreserven hat aber seit seinem Start 1999 kräftig zugenommen (siehe Grafik).
Ein Ende dieser Umschichtung ist nicht in Sicht. Mit der Folge, dass das sensible Gleichgewicht, das bisher den Absturz der US-Währung aufgehalten hat, gefährdet ist. Denn das amerikanische Leistungsbilanzdefizit könnte in diesem Jahr 600 Milliarden US-Dollar überschreiten, das wären 5,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) der Vereinigten Staaten und über 1 Prozentder Wirtschaftsleistung der ganzen Welt – „nie da gewesene Zahlen“, warnt Lawrence Summers, Präsident der Harvard-Universität und unter US-Präsident Bill Clinton amerikanischer Finanzminister. Es waren vor allem die massiven Dollar-Käufe der Chinesen und Japaner, die dieses Leistungsbilanzdefizit in den vergangenen Jahren finanzierten und den Dollar stabilisierten.
Aus purem Eigennutz: Denn so hielten die Asiaten ihre Währungen künstlich billig und verschafften ihren Exporteuren einen preislichen Wettbewerbsvorteil auf dem Weltmarkt. Aber auch die Amerikaner freuten sich über die asiatischen Dollar-Käufer, die ihnen mit niedrigen Zinsen den Immobilien- und Konsumboom finanzierten und so die Konjunktur stabilisierten.
Die Chinesen halten unverändert an ihrer Wechselkurspolitik fest, sie haben den Yuan fest an den Dollar gekoppelt. Und sind jetzt starkem amerikanischem Druck ausgesetzt, ihre Währung aufzuwerten. Die USA hoffen so, ihr Leistungsbilanzdefizit mit China zu verringern. Das Defizit mit China ist für fast ein Viertel des Gesamtdefizits im US-Außenhandel verantwortlich.
Andere asiatische Währungen dagegen haben seit einigen Monaten aufgewertet. Der südkoreanische Won ist gegenüber dem Vorjahr um elf Prozent auf ein Sieben-Jahres-Hoch gestiegen, der Singapur-Dollar in den vergangenen vier Monaten um fünf Prozent.
Auch Japan hat seit März nicht mehr am Devisenmarkt interveniert und so eine deutliche Aufwertung des Yen zugelassen: Seit ihrem Tiefstand im Mai hat die japanische Währung mehr als zehn Prozent gegenüber dem Dollar zugelegt. Angesichts des kräftigen Aufschwungs der japanischen Wirtschaft im ersten Halbjahr schien es nicht mehr nötig, die Exporte durch eine künstlich unterbewertete Währung hochzupäppeln.Nachdem Japans Wachstum aber im dritten Quartal praktisch zum Stehen kam, könnte es bald wieder so weit sein. „Das nationale Interesse liegt eindeutig in der Konjunkturstabilisierung durch die Exportwirtschaft“, sagt Jesper Koll, Chefvolkswirt von Merrill Lynch in Tokio. „Die Schmerzgrenze ist erreicht, die Währungspolitiker müssen wieder an die Kursfront.“
Die stehen schon parat. Auf einem Treffen in Laos Anfang der Woche äußerten sich die Regierungschefs von China, Japan und Südkorea besorgt über den Dollar-Fall. Unverblümt griff Ministerpräsident Wen Jiabao die USA an: „Sollten nicht die dafür Verantwortlichen Maßnahmen ergreifen?“
Doch viele Experten bezweifeln, dass die Kombination aus hohem US-Leistungsbilanzdefizit und starren Wechselkursen in Asien auf Dauer stabil sein kann. „Das System kann nur erhalten werden, wenn die asiatischen Notenbanken ein Kartell bilden, indem sie alle weiter in den Dollar investieren“, glaubt Nouriel Roubini von der New York University.
Die Versuchung, aus dem System auszuscheren, wird aber immer größer: Je höher die Auslandsschuld der USA, desto höher das Risiko einer drastischen Dollar-Abwertung, und je größer der bei den Notenbanken angehäufte Dollar-Berg, desto mehr Geld verlieren sie, wenn der Dollar tatsächlich abstürzt. „Ein klassisches Gefangenen-Dilemma“, sagt Deutsche-Bank-Analyst Malcolm: eine Situation, in der das rationale Verhalten jedes einzelnen Beteiligten zu einem kollektiv unerwünschten Ergebnis führt – der Dollar im freien Fall.
Das ruft auch die Europäische Zentralbank (EZB) auf den Plan. Doch was kann sie tun? Verbal hat EZB-Chef Jean-Claude Trichet schon interveniert und den Euro-Anstieg als „brutal“ und „nicht willkommen“ bezeichnet – ohne aber die Wechselkursentwicklung wirklich aufhalten zu können. Dass die EZB auf ihrer Ratssitzung am heutigen Donnerstag die Zinsen senkt, um Euro-Anlagen relativ zum Dollar weniger attraktiv zu machen, erwartet niemand. Sollte der Dollar jedoch weiter gegenüber dem Euro abwerten, schließen Experten nicht aus, dass die EZB am Devisenmarkt intervenieren könnte, um die US-Währung zu stützen.
Kurzfristig würde das helfen – aber langfristig wohl kaum, da die Bereinigung der weltwirtschaftlichen Defizite nur hinausgeschoben würde. Roubini von der New York University ist deshalb skeptisch: „Die Wahrscheinlichkeit, dass es am Ende eine harte Landung für den Dollar gibt, würde nur steigen.“
ÜBER DAS SCHICKSAL DES DOLLAR WIRD IN ASIEN ENTSCHIEDEN DIE VERSUCHUNG, AUS DER US-WÄHRUNG AUSZUSTEIGEN, WIRD GRÖSSERRolf Ackermann, Angela Köhler/Tokio,Frank Sieren/Peking, Vera Sprothen