Widerspruch zahlt sich meistens aus
Beinahe jeder vierte Steuerbescheid ist falsch - Mehrzahl der Einsprüche beim Finanzamt erfolgreich - Musterprozesse bieten Chancen
von Barbara Brandstetter
Berlin - Gudrun Lange hat am Ende gesiegt. Ganze acht Jahre hat sie vor Gericht um Kindergeld für ihren Sohn gestritten. Daß dieser in seiner Ausbildung zu viel verdiente und sie daher keine Zuschüsse mehr bekam, wollte sie nicht gelten lassen und zog bis vor das Bundesverfassungsgericht. Dieses gab nun Gudrun Lange Recht und stärkte damit den Kindergeldanspruch aller Eltern, deren Kinder bereits selbst Geld verdienen. Danach sind bei der Freigrenze, deren Überschreiten zum Verlust des Kindergelds führt, nicht - wie bisher vom Fiskus angenommen - das Einkommen, sondern die Einkünfte nach Abzug der Sozialversicherungsbeiträge entscheidend. "Nun können etliche Eltern Kindergeld und Steuerfreibeträge nachfordern", stellt Peter Kauth vom Online-Dienst Steuerrat24.de fest. Doch über die Entscheidung der obersten Richter und einen nachträglichen Geldregen können sich nicht alle Eltern freuen.
Denn wer für die entsprechenden Jahre über keinen offenen Steuerbescheid verfügt und seine Steuer- und Kindergeldbescheide einfach so hingenommen und nicht angefochten hat, dürfte unter dem Strich leer ausgehen. "Schließlich gilt das Urteil nur für alle noch offenen Steuerbescheide, rückwirkend für die vergangenen vier Jahre", bemerkt Steuerexperte Kauth. Allein dieses Beispiel zeigt, daß sich ein Einspruch gegen den Steuerbescheid mit dem Hinweis auf ein anhängiges Verfahren lohnen kann.
Schließlich sind beim Bundesverfassungsgericht sowie beim obersten Steuergericht - dem Bundesfinanzhof - etliche tausend Verfahren anhängig. Allein im vergangenen Jahr entschieden die Münchener Richter in 3663 Fällen - Tendenz seit Jahren steigend.
"In anhängige Verfahren können sich Betroffene mit Einsprüchen gegen ihren Steuerbescheid unter Hinweis auf die entsprechenden Aktenzeichen einklinken", sagt Stephanie Zipp, Steuerexpertin bei "Finanztest". Der Vorteil: Eine eigene Klage erübrigt sich und das Risiko horrender Prozeßkosten entfällt. Eine Übersicht über alle anhängigen Verfahren befindet sich auf der Internetseite des Bundesfinanzhofs unter www.bundesfinanzhof.de.
Doch nicht in jedem Fall muß der Steuerzahler Einspruch einlegen. Um Massenprotesten entgegenzuwirken, nehmen die Finanzämter von Amt wegen Vorläufigkeitsvermerke in die Bescheide auf. In diesen Punkten bleiben die Steuerbescheide dann offen. Ein Einspruch ist nicht notwendig. Für 2004 gibt es eine ganze Reihe von Regeln, die rechtlich umstritten sind. Das Bundesfinanzministerium erweitert regelmäßig in Rundschreiben (aktuell BMF-Schreiben vom 27.06.2005, IV A 7 - S 0338 - 54/05) die Liste der Vorläufigkeitsvermerke. Dazu gehören derzeit unter anderem die Kürzung des Arbeitnehmerpauschbetrags, des Sparerfreibetrags und der Freibeträge für Abfindungen sowie weitere Punkte des Haushaltsbegleitgesetzes. Auch Bescheide, in denen Werbungskosten pauschal berücksichtigt wurden, werden mit einem Vorläufigkeitsvermerk versehen. Denn das Bundesverfassungsgericht muß letztlich entscheiden, ob es rechtmäßig ist, daß normale Steuerbürger beruflich veranlaßte Kosten lediglich bis zu einer Höhe von 920 Euro steuerlich geltend machen können, während Bundestagsabgeordnete ohne einen einzigen Beleg eine steuerfreie Pauschale von 42 036 Euro angeben können. "Von dieser Entscheidung werden die Steuerzahler jedoch wahrscheinlich nicht profitieren", sagt Wolfgang Wawro vom deutschen Steuerberaterverband. "Denn eine Anhebung des Arbeitnehmerpauschbetrags auf die Höhe des Pauschbetrags für Abgeordnete dürfte ausgeschlossen sein."
Doch auch unabhängig von Musterverfahren und Vorläufigkeitsvermerken sollte jeder seinen Steuerbescheid genauer unter die Lupe nehmen. Schließlich ist nach Einschätzung des Bundes der Steuerzahler jeder vierte Bescheid falsch. Häufig liegt es an kleinen Fehlern wie etwa Zahlendrehern oder aber auch Quittungen, die nicht oder nicht vollständig berücksichtigt wurden. "Um seinen Bescheid einfach prüfen zu können, sollte man eine Kopie seiner Steuererklärung machen", rät Steuerexperte Wawro. Wer an der korrekten Steuerberechnung des Fiskus zweifelt oder sich in anhängige Verfahren einklinken möchte, muß innerhalb eines Monats Einspruch einlegen. Das kostet nichts und die Chancen auf einen Erfolg sind nicht schlecht - schließlich gaben die Finanzämter im vergangenen Jahr in gut 65 Prozent aller Fälle den Einsprüchen statt. Zudem kann jeder durch sein Veto Abzugsbeträge, die er in der Steuererklärung vergessen hat anzugeben, so auch noch nachträglich geltend machen. Ein Risiko geht der Steuerzahler mit seinem Einspruch nicht ein. Im schlimmsten Fall kann das Finanzamt durch eine nochmalige Prüfung des Bescheids unterm Strich mehr Geld verlangen oder weniger erstatten. "Dann muß der Steuerzahler jedoch darauf hingewiesen werden und die Möglichkeit bekommen, den Einspruch zurückzuziehen", sagt Wawro. In diesem Fall kommt der Bürger zwar mit seinem Einspruch nicht weiter, ist aber vor weitergehenden Forderungen des Finanzamts gefeit.
Welt.de
Beinahe jeder vierte Steuerbescheid ist falsch - Mehrzahl der Einsprüche beim Finanzamt erfolgreich - Musterprozesse bieten Chancen
von Barbara Brandstetter
Berlin - Gudrun Lange hat am Ende gesiegt. Ganze acht Jahre hat sie vor Gericht um Kindergeld für ihren Sohn gestritten. Daß dieser in seiner Ausbildung zu viel verdiente und sie daher keine Zuschüsse mehr bekam, wollte sie nicht gelten lassen und zog bis vor das Bundesverfassungsgericht. Dieses gab nun Gudrun Lange Recht und stärkte damit den Kindergeldanspruch aller Eltern, deren Kinder bereits selbst Geld verdienen. Danach sind bei der Freigrenze, deren Überschreiten zum Verlust des Kindergelds führt, nicht - wie bisher vom Fiskus angenommen - das Einkommen, sondern die Einkünfte nach Abzug der Sozialversicherungsbeiträge entscheidend. "Nun können etliche Eltern Kindergeld und Steuerfreibeträge nachfordern", stellt Peter Kauth vom Online-Dienst Steuerrat24.de fest. Doch über die Entscheidung der obersten Richter und einen nachträglichen Geldregen können sich nicht alle Eltern freuen.
Denn wer für die entsprechenden Jahre über keinen offenen Steuerbescheid verfügt und seine Steuer- und Kindergeldbescheide einfach so hingenommen und nicht angefochten hat, dürfte unter dem Strich leer ausgehen. "Schließlich gilt das Urteil nur für alle noch offenen Steuerbescheide, rückwirkend für die vergangenen vier Jahre", bemerkt Steuerexperte Kauth. Allein dieses Beispiel zeigt, daß sich ein Einspruch gegen den Steuerbescheid mit dem Hinweis auf ein anhängiges Verfahren lohnen kann.
Schließlich sind beim Bundesverfassungsgericht sowie beim obersten Steuergericht - dem Bundesfinanzhof - etliche tausend Verfahren anhängig. Allein im vergangenen Jahr entschieden die Münchener Richter in 3663 Fällen - Tendenz seit Jahren steigend.
"In anhängige Verfahren können sich Betroffene mit Einsprüchen gegen ihren Steuerbescheid unter Hinweis auf die entsprechenden Aktenzeichen einklinken", sagt Stephanie Zipp, Steuerexpertin bei "Finanztest". Der Vorteil: Eine eigene Klage erübrigt sich und das Risiko horrender Prozeßkosten entfällt. Eine Übersicht über alle anhängigen Verfahren befindet sich auf der Internetseite des Bundesfinanzhofs unter www.bundesfinanzhof.de.
Doch nicht in jedem Fall muß der Steuerzahler Einspruch einlegen. Um Massenprotesten entgegenzuwirken, nehmen die Finanzämter von Amt wegen Vorläufigkeitsvermerke in die Bescheide auf. In diesen Punkten bleiben die Steuerbescheide dann offen. Ein Einspruch ist nicht notwendig. Für 2004 gibt es eine ganze Reihe von Regeln, die rechtlich umstritten sind. Das Bundesfinanzministerium erweitert regelmäßig in Rundschreiben (aktuell BMF-Schreiben vom 27.06.2005, IV A 7 - S 0338 - 54/05) die Liste der Vorläufigkeitsvermerke. Dazu gehören derzeit unter anderem die Kürzung des Arbeitnehmerpauschbetrags, des Sparerfreibetrags und der Freibeträge für Abfindungen sowie weitere Punkte des Haushaltsbegleitgesetzes. Auch Bescheide, in denen Werbungskosten pauschal berücksichtigt wurden, werden mit einem Vorläufigkeitsvermerk versehen. Denn das Bundesverfassungsgericht muß letztlich entscheiden, ob es rechtmäßig ist, daß normale Steuerbürger beruflich veranlaßte Kosten lediglich bis zu einer Höhe von 920 Euro steuerlich geltend machen können, während Bundestagsabgeordnete ohne einen einzigen Beleg eine steuerfreie Pauschale von 42 036 Euro angeben können. "Von dieser Entscheidung werden die Steuerzahler jedoch wahrscheinlich nicht profitieren", sagt Wolfgang Wawro vom deutschen Steuerberaterverband. "Denn eine Anhebung des Arbeitnehmerpauschbetrags auf die Höhe des Pauschbetrags für Abgeordnete dürfte ausgeschlossen sein."
Doch auch unabhängig von Musterverfahren und Vorläufigkeitsvermerken sollte jeder seinen Steuerbescheid genauer unter die Lupe nehmen. Schließlich ist nach Einschätzung des Bundes der Steuerzahler jeder vierte Bescheid falsch. Häufig liegt es an kleinen Fehlern wie etwa Zahlendrehern oder aber auch Quittungen, die nicht oder nicht vollständig berücksichtigt wurden. "Um seinen Bescheid einfach prüfen zu können, sollte man eine Kopie seiner Steuererklärung machen", rät Steuerexperte Wawro. Wer an der korrekten Steuerberechnung des Fiskus zweifelt oder sich in anhängige Verfahren einklinken möchte, muß innerhalb eines Monats Einspruch einlegen. Das kostet nichts und die Chancen auf einen Erfolg sind nicht schlecht - schließlich gaben die Finanzämter im vergangenen Jahr in gut 65 Prozent aller Fälle den Einsprüchen statt. Zudem kann jeder durch sein Veto Abzugsbeträge, die er in der Steuererklärung vergessen hat anzugeben, so auch noch nachträglich geltend machen. Ein Risiko geht der Steuerzahler mit seinem Einspruch nicht ein. Im schlimmsten Fall kann das Finanzamt durch eine nochmalige Prüfung des Bescheids unterm Strich mehr Geld verlangen oder weniger erstatten. "Dann muß der Steuerzahler jedoch darauf hingewiesen werden und die Möglichkeit bekommen, den Einspruch zurückzuziehen", sagt Wawro. In diesem Fall kommt der Bürger zwar mit seinem Einspruch nicht weiter, ist aber vor weitergehenden Forderungen des Finanzamts gefeit.
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