Tief im Erinnerungsloch

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Schwedenkug.:

Tief im Erinnerungsloch

 
10.10.02 17:38
Das hegemoniale Projekt der USA / Von Norman Birnbaum
Die Debatte über George Bushs geplanten Krieg gegen den Irak folgt einem festen Schema. Der Ombudsmann der Washington Post tadelte seine Kollegen, weil sie versäumt hatten, angemessen über den Londoner Protestmarsch zu berichten. Die Herausgeber der Post pflegen den Präsidenten mit Argumenten beizupflichten, die fast ebenso banal sind wie dessen eigene Verlautbarungen. Noch am selben Tag nahmen sie Rache für den Tadel und veröffentlichten einen Artikel, der Geheimdienstangehörige mit der Aussage zitierte, Armee und Regierung des Irak würden Saddam absetzen, sobald die USA angriffen. Als Quellen nannte die Post pensionierte Geheimdienstler. Ob es wohl dieselben Agenten waren, die im April 1961 Kennedy versichert hatten, die Kubaner würden sich gegen Castro erheben, sobald ihre Befreier in der Schweinebucht landen?

In Anbetracht der journalistischen Liebdienerei und der Feigheit der Demokratischen Partei, die nur bei größter Übertreibung als Opposition bezeichnet werden kann, ist kaum zu erwarten, dass Bushs großes Projekt landesweit ernsthaft kritisiert wird. Der Angriff auf den Irak soll ja den Beginn eines Jahrhundertprojektes markieren. Den Europäern stünde es gut an, sich mit den Problemen auseinander zu setzen, die dieses Projekt eher früher als später zu einem unrühmlichen Ende bringen könnte.

Das erste wurzelt tief in der amerikanischen Geschichte. Bushs Proklamation der moralischen Überlegenheit Amerikas und dessen Rechts, als ultimativer Herrscher der Weltgeschichte zu fungieren, kollidiert mit zentralen Elementen der amerikanischen religiösen Tradition. Allerdings, schon die Puritaner kollidierten mit ihrer eigenen Tradition, als sie ihr Bewusstsein von Sünde nicht gegen sich selbst, sondern – besonders während des Gründerkrieges der neuen Gesellschaft – gegen die Indianer richteten. Ähnlich wie jene haben nun Bush, Cheney, Rumsfeld andere Gewissen durch Selbstgerechtigkeit ersetzt.

Und sie haben das Christentum zur nationalen Religion erhoben. Nach Bushs Version der Eschatologie hat Gott die Vereinigten Staaten nicht nur autorisiert, die Welt zu führen, er hat sie aufgerufen, die Welt zu beherrschen. Die Bergpredigt ist dabei einem „Erinnerungsloch“, wie Orwell es nannte, zum Opfer gefallen. Wenn andere nicht so reich und mächtig sind wie die amerikanische Nation, dann ist das deren eigene Schuld. Und warum sollten wir Ausländer besser behandeln als das ärmste Drittel unserer eigenen Bevölkerung?

Die Weihe der Seriosität

Doch viele Amerikaner ziehen gänzlich andere Schlüsse aus ihrem Katholizismus, Judaismus oder Protestantismus. Sie glauben wie eh und je, dass Mitleid und Solidarität die Eigenschaften sind, die in einer Nation obsiegen sollten. Generosität als demokratischer Grundimpuls hat, auch in ihrer noch so säkularen Ausprägung, stets sein religiöses Fundament behalten. International vertreten werden diese Werte nach wie vor von unserem Peace Corps, unseren nichtstaatlichen Organisationen, und auch von unserer Politik, soweit sie sich für Entwaffnung, Menschenrechte und die Bekämpfung globaler Armut einsetzt.

Auch die 90 Millionen Wähler der Republikaner haben diese universellen Werte nicht ausgerottet – trotz aller Eiferer, die den vorhandenen Fundamentalismus ausnutzen. Und auch trotz jener Strategen und Denker, die ihren Fanatismus um so wirksamer machen, je geschickter sie ihn kaschieren und (wie es eine Riege von Denkfabriken tut) in die verschleiernde Sprache der „Politischen Wissenschaften“ kleiden.

Wie einflussreich auch immer die moralische Opposition jener ist, die sich der Bush-Doktrin widersetzen, wie man sich im Kalten Krieg einer Denkweise widersetzt hat, die bereit war, die Welt zu zerstören, um sie zu retten – Bush muss jedenfalls auch mit einer politischen und sozialen Opposition rechnen. Globale Hegemonie ist teuer – egal, wie viele soziale Krisen oder gar Aufstände in anderen Ländern durch Autokraten oder Gewaltherrschern verhindert werden, die von amerikanischen Gnaden abhängig sind, und die uns die Arbeitskraft ihrer Völker und ihre Resourcen billig verkaufen. Die Resourcen, die ein Imperium allein zur Aufrechterhaltung seiner Vormacht verbraucht, fehlen natürlich an anderer Stelle, vor allem bei der Verbesserung des Bildungssystems, der Gesundheitsfürsorge und der öffentlichen Dienste. Imperiale Militärausgaben verschlingen mehr Geld als jegliche Pyramide keynesianischer Haushaltskosten – wenn es diese noch gäbe. Bush fehlt die Weisheit der chinesischen Kaiser, die vor Eroberungen im Ausland zurückschreckten: Man wollte lieber die Bauern zufrieden sehen.

Diejenigen, die nach amerikanischer „Stärke“ oder „Willenskraft“ verlangen, überlassen das Kämpfen meist Schwarzen, Hispanics und ärmeren Weißen – die nicht ewig zur Verfügung stehen werden. Die Beendigung des Vietnamkriegs wurde bekanntlich durch innere Widerstände unserer eigenen Truppen beschleunigt. Später hat Washington die Wehrpflicht aufgehoben. Würde sie wieder eingeführt werden, müsste sich unser Imperium auch im eigenen Land mit starken politischen Konflikten auseinandersetzen. Es bleibt abzuwarten, ob sich die wachsende Mobilisierung von Oppositionskräften wie bisher an den Rand spielen oder aber nur um den Preis einer zunehmenden Verwandlung in einen autoritären Staat beherrschen lässt. Im letzteren Fall stünden selbst dem krudesten Antiamerikanismus Tür und Tor offen.

Zuletzt ist da ein epistemologischer Punkt: Es gibt eine Welt außerhalb der USA. Nehmen wir an, der aktuelle große Plan hätte in den nächsten Jahrzehnten Erfolg. Feinde würden eingeschüchtert, Rebellen, wo auch immer, wüteten nur noch im stillen Kämmerlein, und die meisten Nationen gäben ihr sinnloses Unabhängigkeitsstreben auf. Ist diese Vision etwa auf China oder Indien oder einem wiedererstarkten Russland übertragbar? Nicht nur diese uralten Kulturen werden permanente Unterordnung nicht akzeptieren.

Auch die Araber und Moslems werden nicht auf Dauer die Erniedrigungen hinnehmen, denen sie ausgesetzt sind. Man erwartet nicht, dass ein US- Präsident Tukydides oder Hegel liest. Und sicher garantiert die Lektüre der Klassiker keine Vernunft. Doch die derzeitige Regierung wird, wie gesagt, auch von Akademikern ermutigt, deren Fantasien von amerikanischer Macht denen von Fundamentalisten ähneln, die Bücher ebenso gern verbrennen, wie sie sie lesen. Auf unserer Welt gibt es nicht nur einen bin Laden, sondern auch einen Lula, einen Berlusconi, aber auch einen Schröder. Im Norden der USA gibt es ein unabhängiges Kanada, im Süden ein geschichtsbewusstes Mexiko. Der Teil der amerikanischen Elite, die Bush unterstützt, sitzt einer grandiosen Illusion auf. Ein Europa, das auch nur im Mindesten auf die eigenen Interessen achtete, würde sich Chirac und Schröder darin anschließen, dies offen auszusprechen.

Der Autor ist Professor Emeritus des Georgetown University Law Center.
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