Bei ihrem Angriff aufs Telekom-Monopol setzten viele Anbieter auf kurzfristigen Erfolg. Nun straucheln etliche. Und der Wettbewerb? Die Marktkontrolleure sitzen in der Klemme
Es war ein fulminanter Start. Gleich zu Beginn des Wettbewerbs auf dem deutschen Telefonmarkt sahen viele Hunderte neuer Anbieter ihre Chance. Die Gesprächsgebühren sind in den vergangenen vier Jahren so rapide gesunken wie in keinem anderen Land je zuvor. Womöglich aber wurde nur ein Strohfeuer entfacht.
Auf dem Markt macht sich Untergangsstimmung breit. So mancher Rivale des Exmonopolisten Telekom ist bereits pleite. Viele kämpfen nur noch ums Überleben. Der Fernmelderiese selbst schreibt rote Zahlen (siehe Kasten oben). Etliche Tarife steigen wieder. Das alles spricht nicht gerade dafür, dass die Liberalisierung des Milliardenmarktes nachhaltig von Erfolg gekrönt sein wird. Schon macht das Wort von der Remonopolisierung die Runde.
Auf der Suche nach den Schuldigen zeigt jeder auf den anderen. Ron Sommer, der Chef der Deutschen Telekom, behauptet: "Die Wettbewerber haben gepennt." Die wehren sich mit dem Vorwurf, der Exmonopopolist missbrauche seine Marktmacht, um Konkurrenz schon im Keim zu ersticken. Die Marktkontrolle habe versagt. Die Telekom müsse viel strenger an die Kandare genommen werden.
Das grundsätzliche Problem für alle am Markt: Nur das Mobilfunkgeschäft wächst noch. Zwar wird auch im Festnetz so viel telefoniert und gesurft wie nie zuvor, aber zu so günstigen Preisen, dass dort der Umsatz stagniert. Von Gewinnen können die meisten nur träumen. Daran ändert wenig, dass nationale Ferngespräche im Februar wieder um zwei Prozent teurer waren als im Vorjahr.
Einige Anbieter der ersten Stunde wie die großen Herausforderer Veba, RWE, Viag, Thyssen oder DaimlerChrysler haben ihre Telefon-Töchter längst verkauft. Etliche kleinere, wie beispielsweise Teldafax, Callino oder Viatel, überlebten nicht. Andere, wie Talkline, wollen sich aus dem Geschäft mit dem Festnetz verabschieden. Selbst Mobilcom, jenes Unternehmen, das den Markt zunächst am heftigsten aufmischte, kündigte schon vor seinem bizarren Streit mit France Télécom über den Mobilfunk (siehe nächste Seite) an, das Festnetzgeschäft in seine Internet-Tochter Freenet auszulagern.
Es könnte noch schlimmer kommen. "Ein großer Teil unserer Mitglieder wird das Jahr nicht überleben", prophezeite bereits Joachim Dreyer vom Branchenverband VATM. Er fürchtet sogar eine Remonopolisierung zugunsten der Telekom. Der wirft auch Verbandsgeschäftsführer Jürgen Grützner "massive Behinderungs- und Verzögerungsstrategien" vor, wenn es darum geht, ihre Infrastruktur zu nutzen. Kein Wunder, dass der Druck auf den Chef der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post, Matthias Kurth, wächst. Grützner: "Wettbewerb muss hart erkämpft werden. Kurth lässt nach wie vor offen, wie er den Kampf gewinnen will."
Zwei Minister im Clinch
Nicht so gern reden die Branchenvertreter darüber, dass sich ihr Klientel, zum großen Teil jedenfalls, selbst in die Sackgasse manövriert hat. Die Hasardeure in den eigenen Reihen initiierten einen geradezu ruinösen Preiskampf: Schon im April 1998, also vier Monate nach der Marktöffnung, stürzte der Preis einer Ferngesprächsminute von 31 auf 10 Cent. Inzwischen sind die günstigsten Angebote bei rund 3 Cent angekommen. Billiger geht's jetzt nicht mehr.
Die Telekom verlor - gemessen an den Gesprächsminuten - rund 40 Prozent bei nationalen Ferngesprächen und 50 Prozent bei Auslandsgesprächen. Auch in den Ortsnetzen einiger großer Städte büßte sie schon Marktanteile bis zu 12 Prozent ein. Allerdings konnte sie im großen Rest der Republik ihre lokalen Gehege verteidigen - sehr zum Ärger ihrer Rivalen. Sie sind auf den direkten Draht zum Kunden angewiesen, wollen sie sich langfristig am Markt etablieren. Im Kampf um jede Telefonbuchse schlagen etliche womöglich ihr letztes Gefecht.
Der heftigste Vorwurf: Die Telekom versuche, alle anderen Anbieter mit unschlagbar günstigen Tarifen bei der superschnellen Verbindung DSL kaltzustellen - und so ihre Dominanz in den Ortsnetzen zu betonieren. Ein Missbrauchsverfahren der Regulierungsbehörde führte inzwischen zwar dazu, dass der komfortable Internet-Zugang beim Fernmelderiesen demnächst teurer wird. Nicht teuer genug, protestiert aber die Schar der Wettbewerber. Die sieht sich zur "Geldvernichtung" gezwungen, will sie die Telekom unterbieten.
Das absurd erscheinende Ergebnis nach vier Jahren Wettbewerb: Die Telekom wird immer häufiger gewungen, die Preise für ihre Kunden zu erhöhen, damit den Wettbewerbern nicht die Luft ausgeht. Schon gleich zu Beginn der Marktöffnung musste sie die Tarife für die Telefonauskunft anheben, damit ihre Rivalen überhaupt eine Chance hatten. Im kommenden Mai werden jetzt auch noch für die Masse der Telekom-Kunden die Grundgebühren für analoge und ISDN-Anschlüsse steigen. Hinter den Kulissen tobt derweil ein komlizierter Streit um die "wahren Kosten" der begehrten Ortsnetze.
Jahrelang galt ein Anstieg der Grundgebühren politisch als tabu, so wie früher der Brotpreise. Das aber führte unter anderem dazu, dass sich alternative Technologien, wie beispielsweise Richtfunk auf der so genannten letzten Meile, erst gar nicht durchsetzen konnten. Auch die Anbieter von Telefonie und Internet-Zugängen via Fernsehkabel müssen scharf kalkulieren, bevor sie in den Ausbau der Netze investieren. Dass sich ein solches Engagement - vorerst jedenfalls - für ihn nicht lohnt, wusste auch John Malone, der amerikanische Kabelkönig. Er wollte der Telekom einen großen Teil ihres TV-Netzes abkaufen, sich aber vom Kartellamt nicht zwingen lassen, sofort in den Kampf um Telefonkunden und Surfer einzusteigen. Er ließ den Deal schließlich platzen.
Der Wirtschaftsminister und seine Behörde sitzen, das zeigt auch noch ein weiteres Beispiel, regelrecht in der Klemme. So zwingt die EU den deutschen Gesetzgeber dazu, auf hierzulande höchst umstrittene Weise für mehr Wettbewerb im Ortsnetz zu sorgen: mit der Einführung des Call-by-Call-Verfahrens, dass auf den Fernstrecken zwar für einen drastischen Preissturz, nicht aber für einen nachhaltigen Wettbewerb sorgte.
Zähneknirschend fügte sich Wirtschaftsminister Werner Müller dem Ukas aus Brüssel. Hans Eichel, der Finanzminister, stellt sich hingegen inzwischen quer. Vergangene Woche stoppte er seinen Kollegen - erst einmal. Das Call-by-Call-Verfahren im Ortsnetz sei "ökonomischer Unsinn", verlautet aus seinem Ministerium. Ähnlich sieht das nicht nur die Telekom. Auch etliche ihrer Rivalen haben in Brüssel und Berlin schon lauthals Protest angemeldet.
Die Citycarrier, also regionale Telefongesellschaften wie Isis in Düsseldorf oder NetCologne in Köln, fürchten um ihre vielen Milliarden Mark, die sie bislang in die Ortsnetze investierten, um dem Platzhirschen Telekom Paroli bieten zu können. Das Call-by-Call-Verfahren würde Billiganbietern die Chance eröffnen, mit minimalem Aufwand in dieses Geschäft einzusteigen. Die Kunden könnten, wie schon bei Ferngesprächen, von Fall zu Fall den Anbieter wechseln. Für die Citycarrier ein Desaster. Paradox: Was für mehr Wettbewerb sorgen soll, würde ihn womöglich zerstören.
Guter Rat ist rar
Der Fall zeigt: Die Lage wird immer heikler. Zu unterschiedlich sind inzwischen die Interessen der Telekom-Rivalen, um ihnen allen gerecht werden zu können. Was dem einen nutzt, schadet dem anderen. Das für alle frustrierende Resultat: Der Wettbewerb in Deutschland wird zunehmend von Richtern gestaltet. Viele hundert Klagen landeten inzwischen bereits vor dem Kadi.
Die komplizierte Gemengelage ist die Folge einer Fehleinschätzung gleich zu Beginn des Wettbewerbs. Weil der Gesetzgeber verhindern wollte, dass lediglich einige wenige finanzkräftige Konzerne durchstarten, die sich den Aufbau einer eigenen Infrastruktur leisten konnten, gab man auch kleinen Newcomern eine Chance. Sie brauchten nur einen Rechner auf- und ein paar Informatikstudenten einzustellen - und schon brummte das Geschäft: allerdings nur im Call-by-Call-Verfahren und bislang nur bei den Ferngesprächen.
Hunderte gingen an den Start. Die Telekom musste ihre Infrastruktur zur Verfügung stellen - zu amtlich verordneten Preisen, die fortan als Schmerzgrenze für alle Preiskämpfe fungierten. Von den staatlich regulierten Margen sollten alle gleichermaßen profitieren. Das taten sie auch. Doch statt - wie vom Gesetzgeber seinerzeit erhofft - ihre Gewinne zu investieren, setzten viele auf kurzfristigen Erfolg - und kassierten nur ab. Und weil sich die Kunden als höchst flüchtig erwiesen, drückten die Billiganbieter ihre Tarife immer weiter.
Zu Innovationen und nachhaltigen Geschäftsmodellen hat diese Entwicklung bei den meisten Anbietern nicht geführt. Ein stabiler, sich tragender Wettbewerb blieb aus. "Eine Phase der Konsolidierung", konstatierte Matthias Kurth jüngst nach einer Bestandsaufnahme der vergangenen zwei Jahre. Und das heißt: noch mehr Pleiten und Übernahmen.
Daraus aber gleich - wie der VATM - die Bedrohung einer Remonopolisierung abzuleiten, "entbehrt jeder Grundlage", kontert Telekom-Chef Sommer. "Nach dem Preisverfall der vergangenen Jahre und den damit verbundenen Margenverlusten scheiden jetzt genau diejenigen Anbieter auf dem Markt aus, die rein auf Arbitrage gesetzt haben", sagt er.
Zudem kann er darauf verweisen, dass nach wie vor noch jede Menge Anbieter am Markt präsent sind. Darunter aber viele kleine Nischenanbieter, deren Langlebigkeit fraglich ist. Und nur einige wenige Herausforderer mit tragfähigen Konzepten, wie beispielsweise Colt. Die aber konzentrieren sich in der Regel auf das lukrative Geschäft mit Großkunden.
Lediglich ein Einziger auf dem zersplitterten Markt versucht sich rundum als ernsthafter Gegenspieler der Telekom zu positionieren: Harald Stöber, der Chef von Arcor. Pech für ihn, dass die britische Konzernmutter Vodafone ein reiner Mobilfunker ist und zum Geschäft mit den Festnetzen keinen Draht hat. Bislang schaffte es der ambitionierte Arcor-Chef, sich den nötigen Freiraum zu erhalten. Doch auch er gerät unter Druck: Ende Februar musste er verkünden, 600 Stellen zu streichen. Obwohl Jammern nicht zu seinen Stärken zählt, beklagt zwar auch er die geschickte Taktiererei der Telekom. Gleichzeitig aber gibt er zu: "Der im Call-by-Call-Markt eingetretene Preisverfall hat ein Niveau erreicht, das für den wirtschaftlichen Aufbau eines Unternehmens nicht mehr ausreichend ist."
Gepannt schaut die Branche nun nach Berlin. Im Wirtschaftsministerium denkt man inzwischen über einen neuen Ordnungsrahmen für den kippeligen Markt nach. Zurzeit sondieren die Experten dort noch, wo es künftig langgehen soll. Ihr Problem: Die Branche macht es ihnen nicht gerade leicht, herauszufinden, was dem Markt wirklich nutzt: "Es gibt kaum noch ein Thema, bei dem die Wettbewerber der Telekom eine einheitliche Auffassung vertreten", bedauert Staatssekretär Alfred Tacke.
Es war ein fulminanter Start. Gleich zu Beginn des Wettbewerbs auf dem deutschen Telefonmarkt sahen viele Hunderte neuer Anbieter ihre Chance. Die Gesprächsgebühren sind in den vergangenen vier Jahren so rapide gesunken wie in keinem anderen Land je zuvor. Womöglich aber wurde nur ein Strohfeuer entfacht.
Auf dem Markt macht sich Untergangsstimmung breit. So mancher Rivale des Exmonopolisten Telekom ist bereits pleite. Viele kämpfen nur noch ums Überleben. Der Fernmelderiese selbst schreibt rote Zahlen (siehe Kasten oben). Etliche Tarife steigen wieder. Das alles spricht nicht gerade dafür, dass die Liberalisierung des Milliardenmarktes nachhaltig von Erfolg gekrönt sein wird. Schon macht das Wort von der Remonopolisierung die Runde.
Auf der Suche nach den Schuldigen zeigt jeder auf den anderen. Ron Sommer, der Chef der Deutschen Telekom, behauptet: "Die Wettbewerber haben gepennt." Die wehren sich mit dem Vorwurf, der Exmonopopolist missbrauche seine Marktmacht, um Konkurrenz schon im Keim zu ersticken. Die Marktkontrolle habe versagt. Die Telekom müsse viel strenger an die Kandare genommen werden.
Das grundsätzliche Problem für alle am Markt: Nur das Mobilfunkgeschäft wächst noch. Zwar wird auch im Festnetz so viel telefoniert und gesurft wie nie zuvor, aber zu so günstigen Preisen, dass dort der Umsatz stagniert. Von Gewinnen können die meisten nur träumen. Daran ändert wenig, dass nationale Ferngespräche im Februar wieder um zwei Prozent teurer waren als im Vorjahr.
Einige Anbieter der ersten Stunde wie die großen Herausforderer Veba, RWE, Viag, Thyssen oder DaimlerChrysler haben ihre Telefon-Töchter längst verkauft. Etliche kleinere, wie beispielsweise Teldafax, Callino oder Viatel, überlebten nicht. Andere, wie Talkline, wollen sich aus dem Geschäft mit dem Festnetz verabschieden. Selbst Mobilcom, jenes Unternehmen, das den Markt zunächst am heftigsten aufmischte, kündigte schon vor seinem bizarren Streit mit France Télécom über den Mobilfunk (siehe nächste Seite) an, das Festnetzgeschäft in seine Internet-Tochter Freenet auszulagern.
Es könnte noch schlimmer kommen. "Ein großer Teil unserer Mitglieder wird das Jahr nicht überleben", prophezeite bereits Joachim Dreyer vom Branchenverband VATM. Er fürchtet sogar eine Remonopolisierung zugunsten der Telekom. Der wirft auch Verbandsgeschäftsführer Jürgen Grützner "massive Behinderungs- und Verzögerungsstrategien" vor, wenn es darum geht, ihre Infrastruktur zu nutzen. Kein Wunder, dass der Druck auf den Chef der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post, Matthias Kurth, wächst. Grützner: "Wettbewerb muss hart erkämpft werden. Kurth lässt nach wie vor offen, wie er den Kampf gewinnen will."
Zwei Minister im Clinch
Nicht so gern reden die Branchenvertreter darüber, dass sich ihr Klientel, zum großen Teil jedenfalls, selbst in die Sackgasse manövriert hat. Die Hasardeure in den eigenen Reihen initiierten einen geradezu ruinösen Preiskampf: Schon im April 1998, also vier Monate nach der Marktöffnung, stürzte der Preis einer Ferngesprächsminute von 31 auf 10 Cent. Inzwischen sind die günstigsten Angebote bei rund 3 Cent angekommen. Billiger geht's jetzt nicht mehr.
Die Telekom verlor - gemessen an den Gesprächsminuten - rund 40 Prozent bei nationalen Ferngesprächen und 50 Prozent bei Auslandsgesprächen. Auch in den Ortsnetzen einiger großer Städte büßte sie schon Marktanteile bis zu 12 Prozent ein. Allerdings konnte sie im großen Rest der Republik ihre lokalen Gehege verteidigen - sehr zum Ärger ihrer Rivalen. Sie sind auf den direkten Draht zum Kunden angewiesen, wollen sie sich langfristig am Markt etablieren. Im Kampf um jede Telefonbuchse schlagen etliche womöglich ihr letztes Gefecht.
Der heftigste Vorwurf: Die Telekom versuche, alle anderen Anbieter mit unschlagbar günstigen Tarifen bei der superschnellen Verbindung DSL kaltzustellen - und so ihre Dominanz in den Ortsnetzen zu betonieren. Ein Missbrauchsverfahren der Regulierungsbehörde führte inzwischen zwar dazu, dass der komfortable Internet-Zugang beim Fernmelderiesen demnächst teurer wird. Nicht teuer genug, protestiert aber die Schar der Wettbewerber. Die sieht sich zur "Geldvernichtung" gezwungen, will sie die Telekom unterbieten.
Das absurd erscheinende Ergebnis nach vier Jahren Wettbewerb: Die Telekom wird immer häufiger gewungen, die Preise für ihre Kunden zu erhöhen, damit den Wettbewerbern nicht die Luft ausgeht. Schon gleich zu Beginn der Marktöffnung musste sie die Tarife für die Telefonauskunft anheben, damit ihre Rivalen überhaupt eine Chance hatten. Im kommenden Mai werden jetzt auch noch für die Masse der Telekom-Kunden die Grundgebühren für analoge und ISDN-Anschlüsse steigen. Hinter den Kulissen tobt derweil ein komlizierter Streit um die "wahren Kosten" der begehrten Ortsnetze.
Jahrelang galt ein Anstieg der Grundgebühren politisch als tabu, so wie früher der Brotpreise. Das aber führte unter anderem dazu, dass sich alternative Technologien, wie beispielsweise Richtfunk auf der so genannten letzten Meile, erst gar nicht durchsetzen konnten. Auch die Anbieter von Telefonie und Internet-Zugängen via Fernsehkabel müssen scharf kalkulieren, bevor sie in den Ausbau der Netze investieren. Dass sich ein solches Engagement - vorerst jedenfalls - für ihn nicht lohnt, wusste auch John Malone, der amerikanische Kabelkönig. Er wollte der Telekom einen großen Teil ihres TV-Netzes abkaufen, sich aber vom Kartellamt nicht zwingen lassen, sofort in den Kampf um Telefonkunden und Surfer einzusteigen. Er ließ den Deal schließlich platzen.
Der Wirtschaftsminister und seine Behörde sitzen, das zeigt auch noch ein weiteres Beispiel, regelrecht in der Klemme. So zwingt die EU den deutschen Gesetzgeber dazu, auf hierzulande höchst umstrittene Weise für mehr Wettbewerb im Ortsnetz zu sorgen: mit der Einführung des Call-by-Call-Verfahrens, dass auf den Fernstrecken zwar für einen drastischen Preissturz, nicht aber für einen nachhaltigen Wettbewerb sorgte.
Zähneknirschend fügte sich Wirtschaftsminister Werner Müller dem Ukas aus Brüssel. Hans Eichel, der Finanzminister, stellt sich hingegen inzwischen quer. Vergangene Woche stoppte er seinen Kollegen - erst einmal. Das Call-by-Call-Verfahren im Ortsnetz sei "ökonomischer Unsinn", verlautet aus seinem Ministerium. Ähnlich sieht das nicht nur die Telekom. Auch etliche ihrer Rivalen haben in Brüssel und Berlin schon lauthals Protest angemeldet.
Die Citycarrier, also regionale Telefongesellschaften wie Isis in Düsseldorf oder NetCologne in Köln, fürchten um ihre vielen Milliarden Mark, die sie bislang in die Ortsnetze investierten, um dem Platzhirschen Telekom Paroli bieten zu können. Das Call-by-Call-Verfahren würde Billiganbietern die Chance eröffnen, mit minimalem Aufwand in dieses Geschäft einzusteigen. Die Kunden könnten, wie schon bei Ferngesprächen, von Fall zu Fall den Anbieter wechseln. Für die Citycarrier ein Desaster. Paradox: Was für mehr Wettbewerb sorgen soll, würde ihn womöglich zerstören.
Guter Rat ist rar
Der Fall zeigt: Die Lage wird immer heikler. Zu unterschiedlich sind inzwischen die Interessen der Telekom-Rivalen, um ihnen allen gerecht werden zu können. Was dem einen nutzt, schadet dem anderen. Das für alle frustrierende Resultat: Der Wettbewerb in Deutschland wird zunehmend von Richtern gestaltet. Viele hundert Klagen landeten inzwischen bereits vor dem Kadi.
Die komplizierte Gemengelage ist die Folge einer Fehleinschätzung gleich zu Beginn des Wettbewerbs. Weil der Gesetzgeber verhindern wollte, dass lediglich einige wenige finanzkräftige Konzerne durchstarten, die sich den Aufbau einer eigenen Infrastruktur leisten konnten, gab man auch kleinen Newcomern eine Chance. Sie brauchten nur einen Rechner auf- und ein paar Informatikstudenten einzustellen - und schon brummte das Geschäft: allerdings nur im Call-by-Call-Verfahren und bislang nur bei den Ferngesprächen.
Hunderte gingen an den Start. Die Telekom musste ihre Infrastruktur zur Verfügung stellen - zu amtlich verordneten Preisen, die fortan als Schmerzgrenze für alle Preiskämpfe fungierten. Von den staatlich regulierten Margen sollten alle gleichermaßen profitieren. Das taten sie auch. Doch statt - wie vom Gesetzgeber seinerzeit erhofft - ihre Gewinne zu investieren, setzten viele auf kurzfristigen Erfolg - und kassierten nur ab. Und weil sich die Kunden als höchst flüchtig erwiesen, drückten die Billiganbieter ihre Tarife immer weiter.
Zu Innovationen und nachhaltigen Geschäftsmodellen hat diese Entwicklung bei den meisten Anbietern nicht geführt. Ein stabiler, sich tragender Wettbewerb blieb aus. "Eine Phase der Konsolidierung", konstatierte Matthias Kurth jüngst nach einer Bestandsaufnahme der vergangenen zwei Jahre. Und das heißt: noch mehr Pleiten und Übernahmen.
Daraus aber gleich - wie der VATM - die Bedrohung einer Remonopolisierung abzuleiten, "entbehrt jeder Grundlage", kontert Telekom-Chef Sommer. "Nach dem Preisverfall der vergangenen Jahre und den damit verbundenen Margenverlusten scheiden jetzt genau diejenigen Anbieter auf dem Markt aus, die rein auf Arbitrage gesetzt haben", sagt er.
Zudem kann er darauf verweisen, dass nach wie vor noch jede Menge Anbieter am Markt präsent sind. Darunter aber viele kleine Nischenanbieter, deren Langlebigkeit fraglich ist. Und nur einige wenige Herausforderer mit tragfähigen Konzepten, wie beispielsweise Colt. Die aber konzentrieren sich in der Regel auf das lukrative Geschäft mit Großkunden.
Lediglich ein Einziger auf dem zersplitterten Markt versucht sich rundum als ernsthafter Gegenspieler der Telekom zu positionieren: Harald Stöber, der Chef von Arcor. Pech für ihn, dass die britische Konzernmutter Vodafone ein reiner Mobilfunker ist und zum Geschäft mit den Festnetzen keinen Draht hat. Bislang schaffte es der ambitionierte Arcor-Chef, sich den nötigen Freiraum zu erhalten. Doch auch er gerät unter Druck: Ende Februar musste er verkünden, 600 Stellen zu streichen. Obwohl Jammern nicht zu seinen Stärken zählt, beklagt zwar auch er die geschickte Taktiererei der Telekom. Gleichzeitig aber gibt er zu: "Der im Call-by-Call-Markt eingetretene Preisverfall hat ein Niveau erreicht, das für den wirtschaftlichen Aufbau eines Unternehmens nicht mehr ausreichend ist."
Gepannt schaut die Branche nun nach Berlin. Im Wirtschaftsministerium denkt man inzwischen über einen neuen Ordnungsrahmen für den kippeligen Markt nach. Zurzeit sondieren die Experten dort noch, wo es künftig langgehen soll. Ihr Problem: Die Branche macht es ihnen nicht gerade leicht, herauszufinden, was dem Markt wirklich nutzt: "Es gibt kaum noch ein Thema, bei dem die Wettbewerber der Telekom eine einheitliche Auffassung vertreten", bedauert Staatssekretär Alfred Tacke.