T-Aktie: Dumm gelaufen
Von Gabriele Albers, Anton Notz, Ina Bauer und Andreas Krosta
Der spektakuläre Verkauf von 44 Millionen Telekom-Papieren Anfang August war nicht illegal, aber unprofessionell eingefädelt. Was bleibt? Die Deutsche Bank hat sich blamiert, die Volksaktie liegt vollends am Boden.
So schnell, wie zu erwarten war, geht es denn doch nicht. Die Börsenaufsicht lässt die Vorstände der Deutschen Bank auch übers Wochenende zappeln. Zwei Abteilungen sind eingeschaltet, die Kontrolleure arbeiten auf Hochtouren, sagt die Sprecherin der Behörde. Es sei nun mal "eine komplizierte Geschichte".
Vor gut zwei Wochen hatte die Großbank versucht, im Auftrag der asiatischen Industriefirma Hutchison Whampoa 35 Millionen Aktien der Deutschen Telekom auf den Markt zu werfen. Der Deal sollte geräuschlos über die Bühne gehen, der Verkäufer anonym bleiben. Doch die Mission scheiterte kläglich, das Geschäft flog auf, und die Volksaktie stürzte ab. Seither stehen die Deutsch-Banker im Verdacht, Hutchison auf krummer Tour dazu verholfen zu haben, ein stattliches Wertpapierpaket loszuwerden.
Schaden für beide Konzerne
Doch die Ermittlungen der Börsenaufsicht werden aller Voraussicht nach im Sande verlaufen. Es gibt keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass das Frankfurter Bankhaus Aktien vertickte, die durch Haltefristen ausdrücklich vom Handel ausgeschlossen waren. Und es gibt kaum mehr Zweifel: Die Aktion war nicht illegal, aber unprofessionell. Den Schaden haben beide Konzerne: Die Telekom verlor 40 Mrd. Euro an Unternehmenswert, der Branchenprimus Deutsche Bank steht blamiert da.
Was tatsächlich passierte, darüber gibt ein internes Papier der Deutschen Bank Aufschluss. Danach trafen sich am 3. August Vertreter der Deutschen Bank bei Hutchison in Hongkong. Dort diskutierten sie, wie der Konzern die Rendite seiner Aktienpakete erhöhen könne. Hutchison war als ehemaliger Großaktionär des US-Mobilfunkers Voicestream nach dessen Übernahme durch die Deutsche Telekom zu einem stattlichen Paket an T-Aktien gekommen. Die Einschätzung der Banker nach dem Gespräch: "Hinsichtlich des Telekom-Pakets bestand der Eindruck, dass Hutchison einen Verkauf nur mittelfristig in Betracht ziehe."
Wenige Tage später, am Abend des 6. August, teilte Hutchison den Frankfurtern überraschend seinen Wunsch mit, 35 Millionen Telekom-Aktien zu verkaufen. Und erbat ein verbindliches Angebot, nachdem sich beide Seiten über die Art des Verkaufs bereits in Hongkong verständigt hatten: ein dreiteiliges Termin-, Options- und Leihgeschäft. Aber nicht Hutchison war der Verkäufer, wie lange Zeit vermutet wurde. Inzwischen steht fest, dass die 35 Millionen Aktien im Besitz einer 100-prozentigen Tochterfirma namens Great Preston waren, mit Sitz im Steuerparadies Bahamas. Schon das weckte Spekulationen über Tricksereien. Mehr noch die Art und Weise des verzwickten Deals.
Im ersten Teil des Geschäfts verkaufte Preston besagte 35 Millionen Aktien an die Deutsche Bank zum Preis von 25,45 Euro je Aktie. Allerdings nicht direkt und unmittelbar, sondern in einem Termingeschäft, fällig in einem Jahr: Preis und Menge stehen fest, bezahlt und ausgeliefert wird später.
Der zweite Teil war ein Kaufoptionsgeschäft, ein Call: Die Deutsche Bank sicherte sich das Recht, am 7. August 2002 weitere knapp 18 Millionen T-Aktien von Hutchison zu beziehen - ebenfalls zum Preis von 25,45 Euro. Üblicherweise werden für solche Optionen Prämien an den Verkäufer gezahlt - in diesem Geschäft war diese Prämie schon in den 25,45 Euro pro Aktie enthalten.
Lohnendes Geschäft
Ein gutes Geschäft für alle Beteiligten. Der Preis lag um 1,24 Euro höher als der Schlusskurs des Vortags. Hutchison/Preston konnte damit 43,4 Mio. Euro mehr verbuchen, als das Paket noch am Vortag auf dem Papier wert gewesen war. Und die Deutsche Bank kann sich in einem Jahr immer noch entscheiden, ob sie die restlichen 18 Millionen Aktien von Hutchison kaufen möchte.
Den dritten Teil des Geschäfts brauchte die Deutsche Bank, um sich selbst rechtlich abzusichern, da Termin- und Optionsgeschäfte mit hohen Risiken verbunden sind. Würde der Kurs der Telekom binnen Jahresfrist auf 10 Euro sinken, müsste die Deutsche Bank dann dennoch die besagten 35 Millionen Aktien zum Preis von 25,45 Euro abnehmen - ein Verlust von 500 Mio. Euro wäre die Folge.
Daher lieh die Deutsche Bank sich die 35 Millionen Aktien von Preston und verkaufte sie im Paket (Block Trade) mit einem leichten Abschlag für 23,60 Euro. Das Optionsgeschäft dagegen bereitete Probleme. Die Finanzmathematiker berechneten, dass ihr Haus neun Millionen T-Aktien aus eigenen Beständen verkaufen musste, um sich gegen die Risiken abzusichern. Eine eklatante Fehleinschätzung, dass der Markt auch dieses Paket problemlos aufnehmen werde. "Die Erwartung, nach Aufnahme des Börsenhandels in New York weitere Aktien platzieren zu können, erfüllte sich nicht", stellen die Deutsch-Banker im Nachhinein fest. Nur eine Million davon konnten die Händler noch bei ihren Kunden unterbringen, dann war Schicht im Schacht.
Um das Risiko dennoch, wie gesetzlich vorgeschrieben, abzusichern, verkaufte die Handelsabteilung der Deutschen Bank Terminkontrakte an der Computerbörse Eurex, die Umsätze stiegen immens an. Jetzt bekamen die Broker Wind: Der Deal hakt. Und so nahm der Niedergang der T-Aktie seinen Lauf. Mittlerweile ist sie um fast 30 Prozent gesunken und hat sogar ihren Schlusskurs vom ersten Handelstag am 18. November 1996 unterschritten.
Seltsame Geheimnistuerei
Schuld am Kursverfall war nicht der Konzern aus Hongkong. "Bei unserem Terminverkauf haben wir die Haltefristen nicht verletzt", stellte Hutchison-Geschäftsführer Canning Fok am Donnerstag in Hongkong klar. Die Großaktionäre durften sich bis zum 31. Mai von bis zu 17,5 Prozent ihrer Voicestream-Aktien trennen. Genau das hatte Hutchison im Mai getan, ohne es an die große Glocke zu hängen. Der erlaubte Anteil - insgesamt rund 36 Millionen Aktien - wanderte von der Hand der Mutter in die der Tochter Great Preston. Am Mittwoch jedoch hatte eine Hutchison-Sprecherin noch irreführend beteuert. "Wir halten weiterhin 206,6 Millionen Aktien der Deutschen Telekom."
Warum diese Geheimnistuerei? Warum ein so kompliziertes Konstrukt für einen legalen Verkauf? Fok blieb am Donnerstag eine Antwort schuldig. Drei Gründe sind denkbar:
- Durch das Derivate-Geschäft lag der Verkaufspreis für das Paket höher als der reale Kurs an diesem Tag.
- Der Konzern wollte den Markt nicht darauf aufmerksam machen, dass er als Großaktionär gerade einen Teil seiner Aktien verkauft. Schließlich hat Hutchison noch immer 170 Millionen T-Aktien im Bestand und könnte damit Spekulationen nähren, nach der nächsten Haltefrist 1. September 2001 erneut Kasse machen zu wollen.
- Preston hatte aus steuerlichen Gründen kein Interesse daran, das Geld sofort zu bekommen.
Telekom spricht von Schwachstellen
Der Zorn von Telekom-Chef Ron Sommer gilt denn auch weniger Hutchison als der Deutschen Bank. Sie habe durch einen "gravierenden Arbeitsfehler" in nur wenigen Tagen fast 40 Mrd. Euro Aktienwert seines Konzerns vernichtet. Das Vertrauen der Anleger in die T-Aktie ist dahin, und Sommer selbst hat ebenfalls ein Vertrauensproblem: Er ist auf die Geduld seiner Investoren angewiesen, bis wieder reichlich Gewinne fließen. Das aber kann dauern. Und so wird sich der Telekom-Chef bei der Vorstellung der Halbjahresergebnisse am kommenden Dienstag die Frage gefallen lassen müssen, ob er nach Ablauf der Haltefristen den Rückfluss der Wertpapiere seiner Großaktionäre wirklich im Griff hat.
Niemand geht bei der Telekom so weit, von einem unsauberen oder gar illegalen Geschäft zu sprechen. "Der Vertrag ist von niemandem verletzt worden", stellt ein Unternehmenssprecher fest. Bankenkreise versichern, solch komplizierte Verkaufskonstruktionen seien "nicht unüblich". Allerdings sind sie verwundert über die katastrophale Fehleinschätzung, die den Deutsch-Bankern unterlief. Vornehm reden sie von "Schwachstellen".
Nicht die Preisfestsetzung und die allgemein desolate Marktlage für Telekomaktien seien die Gründe für das Debakel gewesen, sagt ein Block-Trade-Experte einer Londoner Investmentbank. Vielmehr habe die Deutsche Bank bei der Wahl der Zuteilungsart die Nervosität des Marktes unterschätzt. "Durch die Entscheidung einer Zuteilung auf Basis von ,first come, first serve‘ hat die Bank am Markt ein Gefühl der Panik entstehen lassen", sagt der Banker. Es sei die Angst entstanden, dass vor Ablauf der September-Haltefrist weitere Telekom-Aktien aus dem Besitz von Ex-Voicestream/Powertel-Aktionären in den Markt kommen.
Kettenreaktion ausgelöst
Außerdem stößt in der Finanzszene die Ausführung des Geschäfts auf Kritik. "Die Deutsche Bank hat im Markt den Eindruck entstehen lassen, dass die Nachfrage das Angebot übersteigt." Folglich waren die Investoren überrascht, als sie die Menge an Aktien zugeteilt bekamen, die sie geordert hatten. Da sie davon nicht ausgegangen waren, verkauften sie den überschüssigen Anteil sofort wieder. Durch diese Kettenreaktion - gekoppelt mit einer Herabstufung europäischer Telekomaktien durch Merrill Lynch am Tag nach dem Paketverkauf - wurde die Telekom-Aktie heruntergeprügelt.
Das Image des führenden deutschen Geldinstituts hat durch den Vorfall gelitten. Die Deutsche Bank selbst schweigt, versucht lediglich, bei der Bankenaufsicht alles zu erklären. Und den obersten Investmentchef Josef Ackermann aus der Schusslinie zu halten.
Der Schweizer soll im kommenden Jahr die Nachfolge von Deutsche-Bank-Chef Rolf-E. Breuer antreten. Offiziell war Ackermann in Italien im Urlaub, soll aber über Handy in den Aktien-Großverkauf eingeschaltet worden sein. "Auf Ackermann fällt das nicht zurück", sagt ein Fondsmanager. Und ein Deutsche-Bank-Mitarbeiter wiegelt ebenfalls ab: "Wenn etwas seine Position schwächen sollte, käme das aus der Mannesmann-Ecke". Ackermann hatte dort als Aufsichtsrat bei der Übernahme durch den Konkurrenten Vodafone die Millionen-Abfindungen von Mannesmann-Managern befürwortet.