Samstag 15. Dezember 2001, 15:19 Uhr
Zum Abschied zog Reich-Ranicki alle Register
Letzte Sendung des «Literarischen Quartetts» im Schloss Bellevue - Rau würdigt Sendung
Von AP-Mitarbeiterin Andrea Exler
Berlin (AP) Das «Literarischen Quartett» hat sich verabschiedet. Nach 76 Sendungen versammelte sich die Runde um Marcel Reich-Ranicki am Freitag zum letzten Mal. ANZEIGE
Auf Schloss Bellevue, dem Amtssitz des Bundespräsidenten, zog der 81 Jahre alte Chefkritiker noch einmal alle Register seines Könnens. An die 400 Bücher sind in 13 Jahren besprochen worden. Reich-Ranicki blickte zurück: Ich habe jedes Buch von der ersten bis zur letzten Zeile gelesen, und ich kann Ihnen sagen: in den meisten Fälle war es eine Qual.»
Gastgeber Johannes Rau würdigte die Sendung als einen wichtigen Beitrag zum kulturellen Leben Deutschlands. «Fernsehen und Literatur müssen keine Gegner sein», sagte der Bundespräsident. Das Fernsehen kann uns helfen, zu lesenden, zu denkenden Menschen zu werden.» Aus manchem Wohnzimmer sei an den Abenden, an denen das «Literarische Quartett» ausgestrahlt wurde, ein Salon geworden.
Vor 200 handverlesenen Gästen geizte das Quartett auch bei der Abschiedsvorstellung nicht mit Polemik. Von «Papierverschwendung!» bis «fabelhaft!» reichten die Urteile der Kritiker, deren Gunst die Auflagen manchmal um mehrere 100.000 Exemplare in die Höhe getrieben hatte. Auf dem Programm standen Bücher von Margit Schreiner, Ralf Rothmann, Durs Grünbein und Christoph Peters. Zum Abschied besprachen Reich-Ranicki, Iris Radisch, Hellmuth Karasek und Gastkritiker Jürgen Busche auch Goethes «Leiden des jungen Werther».
Überraschendes förderte die Klassiker-Schau zwar nicht zu Tage. So dekretierte Reich-Ranicki etwa: «Goethe war nicht nur ein Genie, sondern auch ein Fachmann, der sein Handwerk beherrschte.» Das Publikum hing dennoch an seinen Lippen. Auch Berlins ehemaliger Kultursenator Christoph Stölzl spitzte die Ohren. «So erinnert man das Bildungsbürgertum daran, welche Bücher es unbedingt gelesen haben müsste», meinte der CDU-Politiker. Ein «großer Prediger» sei Reich-Ranicki.
«Charme einer Planierraupe»
Andere formulierten es weniger diplomatisch. Er hat den Charme einer Planierraupe», fand ein Literat. Obgleich Deutschlands wohl populärste Kultursendung, war das «Literarische Quartett» stets umstritten. Der Spiegel» urteilte lapidar: «Niemals und nirgends wurde so viel Quatsch über Bücher geredet wie beim 'Literarischen Quartett'.» Doch den Vorwurf, er und seine Mitstreiter diskutierten auf niedrigem Niveau, wollte Reich-Ranicki nicht gelten lassen: «Meine Bemühungen gingen gezielt dahin, zu verhindern, dass aus der Sendung ein germanistisches Seminar wird.»
Im Durchschnitt 600.000 Zuschauer sahen die ZDF-Sendung jede Woche. Damit nicht abgeschaltet wurde, sollte es auch unterhaltsam sein», erklärte Reich-Ranicki. Fünf Neuerscheinungen besprach die prominente Runde stets nach dem gleichen Ritual. Nach einer kurzen Beschreibung des Inhalts diskutierten und stritten die Kritiker. Die Debatte gipfelte oft in einer zugespitzten Bewertung Reich-Ranickis. In der letzten Sendung lautete eines seiner Resümees: «Wir leben in einem Land, wo man mit Banalitäten eine ungeheure Wirkung erzielen kann.»
Zum Abschied zog Reich-Ranicki alle Register
Letzte Sendung des «Literarischen Quartetts» im Schloss Bellevue - Rau würdigt Sendung
Von AP-Mitarbeiterin Andrea Exler
Berlin (AP) Das «Literarischen Quartett» hat sich verabschiedet. Nach 76 Sendungen versammelte sich die Runde um Marcel Reich-Ranicki am Freitag zum letzten Mal. ANZEIGE
Auf Schloss Bellevue, dem Amtssitz des Bundespräsidenten, zog der 81 Jahre alte Chefkritiker noch einmal alle Register seines Könnens. An die 400 Bücher sind in 13 Jahren besprochen worden. Reich-Ranicki blickte zurück: Ich habe jedes Buch von der ersten bis zur letzten Zeile gelesen, und ich kann Ihnen sagen: in den meisten Fälle war es eine Qual.»
Gastgeber Johannes Rau würdigte die Sendung als einen wichtigen Beitrag zum kulturellen Leben Deutschlands. «Fernsehen und Literatur müssen keine Gegner sein», sagte der Bundespräsident. Das Fernsehen kann uns helfen, zu lesenden, zu denkenden Menschen zu werden.» Aus manchem Wohnzimmer sei an den Abenden, an denen das «Literarische Quartett» ausgestrahlt wurde, ein Salon geworden.
Vor 200 handverlesenen Gästen geizte das Quartett auch bei der Abschiedsvorstellung nicht mit Polemik. Von «Papierverschwendung!» bis «fabelhaft!» reichten die Urteile der Kritiker, deren Gunst die Auflagen manchmal um mehrere 100.000 Exemplare in die Höhe getrieben hatte. Auf dem Programm standen Bücher von Margit Schreiner, Ralf Rothmann, Durs Grünbein und Christoph Peters. Zum Abschied besprachen Reich-Ranicki, Iris Radisch, Hellmuth Karasek und Gastkritiker Jürgen Busche auch Goethes «Leiden des jungen Werther».
Überraschendes förderte die Klassiker-Schau zwar nicht zu Tage. So dekretierte Reich-Ranicki etwa: «Goethe war nicht nur ein Genie, sondern auch ein Fachmann, der sein Handwerk beherrschte.» Das Publikum hing dennoch an seinen Lippen. Auch Berlins ehemaliger Kultursenator Christoph Stölzl spitzte die Ohren. «So erinnert man das Bildungsbürgertum daran, welche Bücher es unbedingt gelesen haben müsste», meinte der CDU-Politiker. Ein «großer Prediger» sei Reich-Ranicki.
«Charme einer Planierraupe»
Andere formulierten es weniger diplomatisch. Er hat den Charme einer Planierraupe», fand ein Literat. Obgleich Deutschlands wohl populärste Kultursendung, war das «Literarische Quartett» stets umstritten. Der Spiegel» urteilte lapidar: «Niemals und nirgends wurde so viel Quatsch über Bücher geredet wie beim 'Literarischen Quartett'.» Doch den Vorwurf, er und seine Mitstreiter diskutierten auf niedrigem Niveau, wollte Reich-Ranicki nicht gelten lassen: «Meine Bemühungen gingen gezielt dahin, zu verhindern, dass aus der Sendung ein germanistisches Seminar wird.»
Im Durchschnitt 600.000 Zuschauer sahen die ZDF-Sendung jede Woche. Damit nicht abgeschaltet wurde, sollte es auch unterhaltsam sein», erklärte Reich-Ranicki. Fünf Neuerscheinungen besprach die prominente Runde stets nach dem gleichen Ritual. Nach einer kurzen Beschreibung des Inhalts diskutierten und stritten die Kritiker. Die Debatte gipfelte oft in einer zugespitzten Bewertung Reich-Ranickis. In der letzten Sendung lautete eines seiner Resümees: «Wir leben in einem Land, wo man mit Banalitäten eine ungeheure Wirkung erzielen kann.»