Angefangen beim Präsidenten sind die Amerikaner Weltmeister im Schuldenmachen. Der durchschnittliche Haushalt hat elf Kreditkarten, die Schulden übersteigen selbst das verfügbare Jahreseinkommen. Ökonomen warnen vor den Folgen.
New York - Kevin Rubel ist 22, bis vor einem Jahr studierte er Marketing an der privaten Northeastern University in Boston. In nur drei Jahren brachte er fünf Kreditkarten ans Limit. Mit 6000 Dollar Schulden und 15.000 Dollar Kredit für Studiengebühren musste er schließlich noch vor seinem Abschluss nach Florida zurückkehren.
Dort beendet er sein Studium jetzt an einer öffentlichen Uni und arbeitet als Bartender in zwei Lokalen gleichzeitig, um monatlich 500 Dollar für die Kreditkartenfirmen zusammenzukratzen. Die Tilgung der Schulden ist vorerst zu seinem Lebensziel geworden. Rubel hadert mit den Banken, die Studenten das Plastikgeld hinterherschmeißen. "Es sollte Beschränkungen für Kreditkartenfirmen geben", forderte er kürzlich in der "New York Times".
Nicht nur Studenten werden mit Angeboten überhauft. Jeder Amerikaner findet nahezu täglich eine Einladung zum Schuldenmachen in seinem Briefkasten. Im Fernsehen laufen Werbespots, die noch den hoffnungslosesten Fällen das Shopping-Erlebnis garantieren: "Arbeitslos und nicht mehr kreditwürdig? Kein Problem, bei uns bekommen Sie trotzdem ein Auto."
Verschuldung steigt auf Rekordniveau
In den letzten zehn Jahren sind die Ansprüche der US-Bürger sehr viel schneller gewachsen als ihre Mittel. Banken und Einzelhandel fanden schnell eine Lösung. Kreditkarten und Ratenzahlung. Inzwischen gibt es so viele Finanzierungsmöglichkeiten, dass kaum jemand mehr sein Geld zählen muss, bevor er eine Anschaffung tätigt.
Das Resultat: Die Nation der Shopper lebt ungeniert über ihre Verhältnisse. Der durchschnittliche US-Haushalt hat laut CardWeb.com elf Kreditkarten (von Banken und Geschäften). 60 Prozent der Karteninhaber bezahlen ihre monatlichen Rechnungen nicht vollständig. Die Schulden sind daher seit 1990 stark gestiegen: von 2985 Dollar pro Haushalt auf 8367 Dollar im vergangenen Jahr.
Und Kreditkarten sind nur die Spitze des Schuldenbergs. Vom Auto bis zum Haus kauft der Amerikaner so ziemlich alles auf Pump. Dabei wird immer mehr Verantwortung in die Zukunft geschoben: Wurden vor zehn Jahren noch 25 Prozent der Kaufsumme für ein Auto sofort gezahlt, sind es inzwischen nur noch sieben Prozent - der Rest tröpfelt auf Raten nach.
Im zweiten Quartal 2002 stieg die Verschuldung der US-Haushalte laut der Rating-Agentur Moody's auf acht Billionen Dollar - ein Rekord. Damit haben die Amerikaner mehr Schulden als verfügbares Einkommen (7,8 Billionen Dollar). Noch vor zehn Jahren lag die Verschuldung deutlich niedriger bei 82 Prozent des Einkommens.
Nun ist das Leben auf Pump eine uramerikanische Tradition. Schon George Washington und Thomas Jefferson kamen mit ihrem Geld nicht aus. Und im historischen Vergleich erscheinen die Amerikaner von heute geradezu als sparsam: Im Jahr 1890 etwa waren die Schulden der US-Bürger mit 880 Dollar fast doppelt so hoch wie ihr durchschnittliches Jahresgehalt (475 Dollar).
Ökonomen warnen vor der Schuldenrezession
Doch das waren andere Zeiten. Heute, warnen Ökonomen, könnte die Verschuldung den Wirtschaftsaufschwung gefährden. "Die wachsenden Schulden bremsen früher oder später den Konsum", erklärt John Lonsky, Chef-Volkswirt von Moody's.
Im zweiten Quartal verwandten die Amerikaner bereits 14,1 Prozent ihres verfügbaren Einkommens auf Zinszahlungen und Schuldentilgung - Geld, das sonst für den Konsum bereitstünde. Das letzte Mal, als dieser Prozentsatz so hoch lag, folgte ein merkliches Abkühlen der Nachfrage. Das war 1987.
Noch zeigen die Verbraucher allerdings keine Kaufhemmung. Der Juli war erneut einer der Top-Five-Monate für Autoverkäufe, sagt Paul Taylor, Chef-Volkswirt der National Automobile Dealers Association. Seine Erklärung: "Die Leute sagen sich: 'Meine Dollars haben nächstes Jahr nicht mehr dieselbe Kaufkraft, also sichere ich mir lieber jetzt meinen Audi A6.'"
Ein Grund, warum den Amerikanern das Geld noch nicht ausgegangen ist, ist der "Refinanzierungsboom": Hypotheken-Zinsen sind auf einem 30-Jahres-Tief, daher ersetzt jeder clevere Eigenheimbesitzer sein altes Darlehen durch ein neues mit günstigeren Konditionen - oft auch mehrmals im Laufe eines Jahres. Die Ersparnis durch niedrigere Zinsen kann sich leicht auf mehrere hundert Dollar pro Monat belaufen.
Profitieren von der Immobilienblase
Zusätzliches Geld können die Eigentümer aus ihrem Haus ziehen, wenn sie bei der Refinanzierung gleichzeitig die Hypothekensumme erhöhen. Die Banken spielen mit, weil der Wert der Häuser im ganzen Land rasant steigt. Insgesamt könnte die Refinanzierung den Verbrauchern dieses Jahr 70 Milliarden Dollar extra in die Taschen spülen, so die Federal Reserve.
Doch auch dieser Trend hat seine Tücken. Denn was passiert, wenn die Immobilienblase platzt? Die stolzen Hausbesitzer säßen plötzlich auf Grundstücken, die die monatlichen Raten nicht mehr wert wären. "Viele würden ihr Haus an die Bank zurückgeben", sagt Lonsky. Verluste realisieren, nennt man das an der Börse.
Die niedrigen Zinsen verführen die Amerikaner auch beim Hauskauf dazu, sich zu übernehmen. "Viele Leute kaufen mehr Haus, als sie sich leisten können", sagt Mike Kidwell von der Schuldenberatung Myvesta. Er warnt: "Wenn ein so großer Teil des Einkommens für die Abzahlung der Hypothek draufgeht, stehen sie ohne Sicherheitsnetz da, wenn ein unerwartetes Problem auftaucht."
Schon jetzt endet die Verschuldung immer häufiger im persönlichen Bankrott. Vergangenes Jahr erklärten sich 1,5 Millionen Amerikaner zahlungsunfähig - ein Rekord. Dieses Jahr werden es voraussichtlich genauso viele sein.
Notausgang Chapter 7
Der persönliche Bankrott ist der Notausgang aus der Schuldenfalle. Unter Chapter 7 des U.S. Bankruptcy Codes kann sich der Zahlungsunfähige dem Zugriff der Banken entziehen. Alle Kreditkartenschulden werden vom Konkursrichter für nichtig erklärt. Pro Jahr verliert die Finanzindustrie dadurch 40 Milliarden Dollar.
Unter dem Druck der Finanzlobby will der Kongress daher im Herbst ein Gesetz beschließen, das die Bankrotterklärung erschwert. Beobachter geben der Vorlage gute Chancen. Verbraucherschützer hingegen kritisieren die vorgeschlagenen Änderungen. Amerikaner sollten auch weiterhin ein Recht auf einen schuldenfreien "Neuanfang" haben, sagen sie.
Den wünscht sich wahrscheinlich auch George W. Bush. Der US-Präsident ist gerade dabei, die Staatsfinanzen komplett zu ruinieren. Nachdem er die Steuern gesenkt und die Militärausgaben deutlich erhöht hat, musste der Kongress im Juni bereits die gesetzliche Obergrenze für die Neuverschuldung anheben. Als nächstes steht nach Befürchtungen von Experten der Krieg gegen Irak an. Wie die Regierung das 80-Milliarden-Dollar-Abenteuer finanzieren will? Natürlich auf Pump. It's the American way.
New York - Kevin Rubel ist 22, bis vor einem Jahr studierte er Marketing an der privaten Northeastern University in Boston. In nur drei Jahren brachte er fünf Kreditkarten ans Limit. Mit 6000 Dollar Schulden und 15.000 Dollar Kredit für Studiengebühren musste er schließlich noch vor seinem Abschluss nach Florida zurückkehren.
Dort beendet er sein Studium jetzt an einer öffentlichen Uni und arbeitet als Bartender in zwei Lokalen gleichzeitig, um monatlich 500 Dollar für die Kreditkartenfirmen zusammenzukratzen. Die Tilgung der Schulden ist vorerst zu seinem Lebensziel geworden. Rubel hadert mit den Banken, die Studenten das Plastikgeld hinterherschmeißen. "Es sollte Beschränkungen für Kreditkartenfirmen geben", forderte er kürzlich in der "New York Times".
Nicht nur Studenten werden mit Angeboten überhauft. Jeder Amerikaner findet nahezu täglich eine Einladung zum Schuldenmachen in seinem Briefkasten. Im Fernsehen laufen Werbespots, die noch den hoffnungslosesten Fällen das Shopping-Erlebnis garantieren: "Arbeitslos und nicht mehr kreditwürdig? Kein Problem, bei uns bekommen Sie trotzdem ein Auto."
Verschuldung steigt auf Rekordniveau
In den letzten zehn Jahren sind die Ansprüche der US-Bürger sehr viel schneller gewachsen als ihre Mittel. Banken und Einzelhandel fanden schnell eine Lösung. Kreditkarten und Ratenzahlung. Inzwischen gibt es so viele Finanzierungsmöglichkeiten, dass kaum jemand mehr sein Geld zählen muss, bevor er eine Anschaffung tätigt.
Das Resultat: Die Nation der Shopper lebt ungeniert über ihre Verhältnisse. Der durchschnittliche US-Haushalt hat laut CardWeb.com elf Kreditkarten (von Banken und Geschäften). 60 Prozent der Karteninhaber bezahlen ihre monatlichen Rechnungen nicht vollständig. Die Schulden sind daher seit 1990 stark gestiegen: von 2985 Dollar pro Haushalt auf 8367 Dollar im vergangenen Jahr.
Und Kreditkarten sind nur die Spitze des Schuldenbergs. Vom Auto bis zum Haus kauft der Amerikaner so ziemlich alles auf Pump. Dabei wird immer mehr Verantwortung in die Zukunft geschoben: Wurden vor zehn Jahren noch 25 Prozent der Kaufsumme für ein Auto sofort gezahlt, sind es inzwischen nur noch sieben Prozent - der Rest tröpfelt auf Raten nach.
Im zweiten Quartal 2002 stieg die Verschuldung der US-Haushalte laut der Rating-Agentur Moody's auf acht Billionen Dollar - ein Rekord. Damit haben die Amerikaner mehr Schulden als verfügbares Einkommen (7,8 Billionen Dollar). Noch vor zehn Jahren lag die Verschuldung deutlich niedriger bei 82 Prozent des Einkommens.
Nun ist das Leben auf Pump eine uramerikanische Tradition. Schon George Washington und Thomas Jefferson kamen mit ihrem Geld nicht aus. Und im historischen Vergleich erscheinen die Amerikaner von heute geradezu als sparsam: Im Jahr 1890 etwa waren die Schulden der US-Bürger mit 880 Dollar fast doppelt so hoch wie ihr durchschnittliches Jahresgehalt (475 Dollar).
Ökonomen warnen vor der Schuldenrezession
Doch das waren andere Zeiten. Heute, warnen Ökonomen, könnte die Verschuldung den Wirtschaftsaufschwung gefährden. "Die wachsenden Schulden bremsen früher oder später den Konsum", erklärt John Lonsky, Chef-Volkswirt von Moody's.
Im zweiten Quartal verwandten die Amerikaner bereits 14,1 Prozent ihres verfügbaren Einkommens auf Zinszahlungen und Schuldentilgung - Geld, das sonst für den Konsum bereitstünde. Das letzte Mal, als dieser Prozentsatz so hoch lag, folgte ein merkliches Abkühlen der Nachfrage. Das war 1987.
Noch zeigen die Verbraucher allerdings keine Kaufhemmung. Der Juli war erneut einer der Top-Five-Monate für Autoverkäufe, sagt Paul Taylor, Chef-Volkswirt der National Automobile Dealers Association. Seine Erklärung: "Die Leute sagen sich: 'Meine Dollars haben nächstes Jahr nicht mehr dieselbe Kaufkraft, also sichere ich mir lieber jetzt meinen Audi A6.'"
Ein Grund, warum den Amerikanern das Geld noch nicht ausgegangen ist, ist der "Refinanzierungsboom": Hypotheken-Zinsen sind auf einem 30-Jahres-Tief, daher ersetzt jeder clevere Eigenheimbesitzer sein altes Darlehen durch ein neues mit günstigeren Konditionen - oft auch mehrmals im Laufe eines Jahres. Die Ersparnis durch niedrigere Zinsen kann sich leicht auf mehrere hundert Dollar pro Monat belaufen.
Profitieren von der Immobilienblase
Zusätzliches Geld können die Eigentümer aus ihrem Haus ziehen, wenn sie bei der Refinanzierung gleichzeitig die Hypothekensumme erhöhen. Die Banken spielen mit, weil der Wert der Häuser im ganzen Land rasant steigt. Insgesamt könnte die Refinanzierung den Verbrauchern dieses Jahr 70 Milliarden Dollar extra in die Taschen spülen, so die Federal Reserve.
Doch auch dieser Trend hat seine Tücken. Denn was passiert, wenn die Immobilienblase platzt? Die stolzen Hausbesitzer säßen plötzlich auf Grundstücken, die die monatlichen Raten nicht mehr wert wären. "Viele würden ihr Haus an die Bank zurückgeben", sagt Lonsky. Verluste realisieren, nennt man das an der Börse.
Die niedrigen Zinsen verführen die Amerikaner auch beim Hauskauf dazu, sich zu übernehmen. "Viele Leute kaufen mehr Haus, als sie sich leisten können", sagt Mike Kidwell von der Schuldenberatung Myvesta. Er warnt: "Wenn ein so großer Teil des Einkommens für die Abzahlung der Hypothek draufgeht, stehen sie ohne Sicherheitsnetz da, wenn ein unerwartetes Problem auftaucht."
Schon jetzt endet die Verschuldung immer häufiger im persönlichen Bankrott. Vergangenes Jahr erklärten sich 1,5 Millionen Amerikaner zahlungsunfähig - ein Rekord. Dieses Jahr werden es voraussichtlich genauso viele sein.
Notausgang Chapter 7
Der persönliche Bankrott ist der Notausgang aus der Schuldenfalle. Unter Chapter 7 des U.S. Bankruptcy Codes kann sich der Zahlungsunfähige dem Zugriff der Banken entziehen. Alle Kreditkartenschulden werden vom Konkursrichter für nichtig erklärt. Pro Jahr verliert die Finanzindustrie dadurch 40 Milliarden Dollar.
Unter dem Druck der Finanzlobby will der Kongress daher im Herbst ein Gesetz beschließen, das die Bankrotterklärung erschwert. Beobachter geben der Vorlage gute Chancen. Verbraucherschützer hingegen kritisieren die vorgeschlagenen Änderungen. Amerikaner sollten auch weiterhin ein Recht auf einen schuldenfreien "Neuanfang" haben, sagen sie.
Den wünscht sich wahrscheinlich auch George W. Bush. Der US-Präsident ist gerade dabei, die Staatsfinanzen komplett zu ruinieren. Nachdem er die Steuern gesenkt und die Militärausgaben deutlich erhöht hat, musste der Kongress im Juni bereits die gesetzliche Obergrenze für die Neuverschuldung anheben. Als nächstes steht nach Befürchtungen von Experten der Krieg gegen Irak an. Wie die Regierung das 80-Milliarden-Dollar-Abenteuer finanzieren will? Natürlich auf Pump. It's the American way.