Grundsatzkonflikt
13. März 2006 G.H. Große Koalition hin, große Koalition her - es konnte nicht noch länger dauern, bis die Tarifverhandlung und der Streik im öffentlichen Dienst parteipolitisch eingefärbt wurden. Am Anfang der sechsten Woche war es mit der Selbstbeherrschung der SPD vorbei. Und auch bei der Union öffneten sich die Schleusen. Man merkt, es geht beiden Seiten um mehr als nur darum, rechtzeitig vor den drei Landtagswahlen den Bürgern klarzumachen, wer für die Zustände an den Mülltonnen und die Belastungen in den Kindergärten verantwortlich sei.
Den Gewerkschaften wird langsam bange. Fünf Wochen Streikgeldzahlungen hinterlassen in jeder noch so gut gefüllten Kriegskasse tiefe Spuren. Es ist offensichtlich, daß der Arbeitgebervertreter Möllring (CDU) auf Zeit spielt - könnte er die Streikkasse leeren, ohne nachzugeben, wäre er alleiniger Herr des Verfahrens. Sein Argument mit den 18 Minuten Zusatzarbeit am Tag ist für die Gewerkschaften brandgefährlich: Mit 36 Minuten am Tag mehr könnte man die vier Wochen Jahresurlaub "ausgleichen", betriebswirtschaftlich zunichte machen. Daher gibt es scharfe Töne von der Polizeigewerkschaft, droht die Frankfurter IG Metall, sich mit Verdi zu solidarisieren: Sollten die Arbeitgeber einen "Grundsatzkonflikt" im Sinn haben, werde dies alle Gewerkschaften auf den Plan rufen.
Auch die SPD kann es nicht hinnehmen, daß ihre stärksten Bataillone finanziell und machtpolitisch "ausgeblutet" werden, während die Wirtschaftsverbände immer stärker werden. Die Wahlkämpfer Beck und Frau Vogt haben Platzeck nicht lange überzeugen müssen: So, wie die SPD zur Zeit dasteht, kann sie ohne lebendige Gewerkschaften der Unionschefin Merkel die Kanzlerschaft nicht einmal in drei Jahren streitig machen. Platzeck betritt daher mit der Forderung nach Schlichtung den Grat zwischen großkoalitionärer Behutsamkeit und zeitlichem Drängen. Stoibers Widerspruch konnte nicht ausbleiben, verrät in seiner Wortwahl aber, daß Möllring nicht ohne Rückversicherung in der Union taktiert. Doch wenn die Tarifgemeinschaft deutscher Länder nicht eine Ein-Mann-Veranstaltung Möllrings ist, dann ist Platzecks Forderung nach einem Schlichter nicht in höherem Maße eine "nicht akzeptable Einmischung" als Stoibers Gegenstimme. Beide Herren sind Ministerpräsidenten und Parteichefs zugleich.
Text: F.A.Z., 14.03.2006, Nr. 62 / Seite 1
13. März 2006 G.H. Große Koalition hin, große Koalition her - es konnte nicht noch länger dauern, bis die Tarifverhandlung und der Streik im öffentlichen Dienst parteipolitisch eingefärbt wurden. Am Anfang der sechsten Woche war es mit der Selbstbeherrschung der SPD vorbei. Und auch bei der Union öffneten sich die Schleusen. Man merkt, es geht beiden Seiten um mehr als nur darum, rechtzeitig vor den drei Landtagswahlen den Bürgern klarzumachen, wer für die Zustände an den Mülltonnen und die Belastungen in den Kindergärten verantwortlich sei.
Den Gewerkschaften wird langsam bange. Fünf Wochen Streikgeldzahlungen hinterlassen in jeder noch so gut gefüllten Kriegskasse tiefe Spuren. Es ist offensichtlich, daß der Arbeitgebervertreter Möllring (CDU) auf Zeit spielt - könnte er die Streikkasse leeren, ohne nachzugeben, wäre er alleiniger Herr des Verfahrens. Sein Argument mit den 18 Minuten Zusatzarbeit am Tag ist für die Gewerkschaften brandgefährlich: Mit 36 Minuten am Tag mehr könnte man die vier Wochen Jahresurlaub "ausgleichen", betriebswirtschaftlich zunichte machen. Daher gibt es scharfe Töne von der Polizeigewerkschaft, droht die Frankfurter IG Metall, sich mit Verdi zu solidarisieren: Sollten die Arbeitgeber einen "Grundsatzkonflikt" im Sinn haben, werde dies alle Gewerkschaften auf den Plan rufen.
Auch die SPD kann es nicht hinnehmen, daß ihre stärksten Bataillone finanziell und machtpolitisch "ausgeblutet" werden, während die Wirtschaftsverbände immer stärker werden. Die Wahlkämpfer Beck und Frau Vogt haben Platzeck nicht lange überzeugen müssen: So, wie die SPD zur Zeit dasteht, kann sie ohne lebendige Gewerkschaften der Unionschefin Merkel die Kanzlerschaft nicht einmal in drei Jahren streitig machen. Platzeck betritt daher mit der Forderung nach Schlichtung den Grat zwischen großkoalitionärer Behutsamkeit und zeitlichem Drängen. Stoibers Widerspruch konnte nicht ausbleiben, verrät in seiner Wortwahl aber, daß Möllring nicht ohne Rückversicherung in der Union taktiert. Doch wenn die Tarifgemeinschaft deutscher Länder nicht eine Ein-Mann-Veranstaltung Möllrings ist, dann ist Platzecks Forderung nach einem Schlichter nicht in höherem Maße eine "nicht akzeptable Einmischung" als Stoibers Gegenstimme. Beide Herren sind Ministerpräsidenten und Parteichefs zugleich.
Text: F.A.Z., 14.03.2006, Nr. 62 / Seite 1