Wo die Millionäre keine fünf Prozent Steuern zahlen
Das Städtchen Freienbach am Zürichsee hat die niedrigsten Steuersätze der ganzen Schweiz
von Ulrich Machold
Wo die Reichen wohnen, werden normalerweise die Straßen besser. Die Laternen heller, die Bürgersteige breiter. Es wird grüner.
In Freienbach ist das anders. Eine halbe Stunde von Zürich die A 3 hinunter liegt das 14 000-Seelendorf am oberen Zürichsee und döst. Eine kleine Hauptstraße, ein paar Kneipen, Mehrfamilienhäuser im Stil der 1950er. Die Bäckerei preist "feini Speckli" - Schinkenbrötchen. Freienbach. Na und?
Dabei hat das Städtchen ein ganz besonderes Geldproblem: Die Freienbacher wissen nicht, wohin mit ihren Franken.
Freienbach ist reich. Die Gemeinde hat den niedrigsten Steuersatz der ganzen Schweiz und deshalb die meisten Millionäre pro Quadratmeter.
Auf der Hand liegt die Schuld für das Geldproblem beim Kämmerer. Die wahre ist aber die Autobahn. "Das war wie die Sache mit der Henne und dem Ei", sagt Marco Walser, Freienbachs Gemeinderat für Finanzen. "Als 1968 die A 3 gebaut wurde, zogen ein paar Firmen aus Zürich her, und wir bezahlten mit deren Steuern unsere Schulden. Danach wollten wir das Geld der Bürger nicht einfach wahllos ausgeben. Also haben wir eben die Steuersätze gesenkt."
Und damit kam der Stein ins Rollen. Weil die Steuern niedrig waren, kamen immer mehr Firmen und vor allem reiche Privatleute - die wiederum mehr Steuern zahlten. Richtig schlimm wurde es im Börsenboom der späten 1990er, als die Freienbacher kaum wussten, was sie mit ihren Kursgewinnen anfangen sollten. Mittlerweile ist Freienbach bei einem Gesamtsteuersatz von 4,27 Prozent angekommen. Für Verheiratete mit 120 000 Franken Jahreseinkommen. Ohne Kirchensteuer. Das geht, weil die Gemeinden in der Schweiz die meisten Steuersätze selbst bestimmen können. Schlimmer noch: Sie dürfen keine Rücklagen bilden, sondern müssen ihre Ausgaben den Einnahmen anpassen. Oder eben umgekehrt. "Jetzt sind wir Boomtown", sagt Walser, "leider. Alles wird zugebaut."
Arme, reiche Eidgenossen. Von Betonwüste kann freilich keine Rede sein. Zwischen den fünf Ortsteilen der Gemeinde weiden nach wie vor die Kühe. Die Bahnlinie von Rapperswil nach Zürich zuckelt immer noch am See entlang wie eine Spielzeugeisenbahn. Nur die Nachbarschaft hat sich verändert. Die Bauern pflücken ihre Kirschen jetzt vor dem "Panorama Resort & Spa", wo das billigste Hotelzimmer 250 Franken kostet. Neben dem Blumenladen hängen die Firmenschilder von Swisscom, Dow Chemical oder der Liechtensteiner Landesbank. Und der Almöhi wohnt schräg gegenüber von Zementbaron Stephan Schmidheyni, Großbanker Martin Ebner oder Melanie Molitor, der Mutter und Managerin von Martina Hingis. Rennfahrer Kimi Räikkönen zog ins Dorf nebenan.
"Ich verkaufe Freienbach schon gar nicht mehr mit dem Steuerargument", sagt Markus Ruoss, "aber es hilft ja nichts, alle sprechen mich darauf an." Ruoss ist "Standortförderer" für die Region und hat die beneidenswerte Aufgabe, bei Ansiedlungswilligen offene Türen einzurennen. "Wir wollen ja eben nicht nur eine Steueroase sein", sagt Ruoss. "Uns liegt viel an einer guten Dorfgemeinschaft. Die Neuen sollen sich auch engagieren." Deshalb habe man schon viele Anträge von Briefkastenfirmen abgelehnt, Bauland für protzige Villen gebe es auch nicht. "Und wenn man die hohen Immobilienpreise und Lebenshaltungskosten bedenkt", sagt Ruoss, "dann hebt das den Steuervorteil fast wieder auf." Seine letzten Kandidaten waren ein Ehepaar aus Österreich, samt eigenem Verlag.
Natürlich kommen die Leute nicht wegen der Steuern, sagt Markus Ruoss. Sondern wegen der herrlichen Lage direkt am See. Wegen der guten Schulen und den tollen Verkehrsverbindungen. Deshalb, weil es hier am Sonntag eben keinen Ferrari-Stau auf der Hauptstraße gibt wie in den Millionärsdörfern auf der gegenüberliegenden Seite des Zürichsees. Sagt Markus Ruoss. Aber selbst wenn es stimmen würde - es glaubt ihm einfach niemand.
Denn wenn es ums Geld geht, werden auch aus Eid- schnell Neidgenossen. Wer in Freienbach wohnt, zahlt nur einen Bruchteil der Steuern seines Züricher Pendants. So schimpfte der letzte Bürgermeister der Hauptstadt auch noch wie ein Rohrspatz auf einige "kleine Gemeinden" der Umgebung, in denen sich die reichen Manager zwar niederließen - aber trotzdem am Samstag in seine teure Oper gingen. Ein Dorf hat kaum Infrastruktur zu bezahlen, da fallen niedrige Steuern leicht.
Mittlerweile ist in der Schweiz ein bundesweiter Finanzausgleich in Arbeit, nach dem die reichen Kantone ihren ärmeren Nachbarn unter die Arme greifen müssten. Im Kanton Schwyz gibt es das schon - Freienbach und das Nachbardorf Wollerau bezahlen das System fast allein.
Bis die Umverteilung in Gang kommt, wird es aber wohl noch ein paar Jahre dauern. Und selbst dann sind die Freienbacher zuversichtlich. "Wir haben alles ganz klar kommuniziert", sagt Marco Walser. "Wenn wir Geld brauchen, gehen die Steuern halt wieder hoch." Was er damit machen will, weiß er auch schon. "Unser größtes Problem ist der Verkehr. In der Rush Hour geht hier nichts mehr. Als Erstes werden wir deshalb wohl ein paar schöne Straßen bauen."
WamS.de
Das Städtchen Freienbach am Zürichsee hat die niedrigsten Steuersätze der ganzen Schweiz
von Ulrich Machold
Wo die Reichen wohnen, werden normalerweise die Straßen besser. Die Laternen heller, die Bürgersteige breiter. Es wird grüner.
In Freienbach ist das anders. Eine halbe Stunde von Zürich die A 3 hinunter liegt das 14 000-Seelendorf am oberen Zürichsee und döst. Eine kleine Hauptstraße, ein paar Kneipen, Mehrfamilienhäuser im Stil der 1950er. Die Bäckerei preist "feini Speckli" - Schinkenbrötchen. Freienbach. Na und?
Dabei hat das Städtchen ein ganz besonderes Geldproblem: Die Freienbacher wissen nicht, wohin mit ihren Franken.
Freienbach ist reich. Die Gemeinde hat den niedrigsten Steuersatz der ganzen Schweiz und deshalb die meisten Millionäre pro Quadratmeter.
Auf der Hand liegt die Schuld für das Geldproblem beim Kämmerer. Die wahre ist aber die Autobahn. "Das war wie die Sache mit der Henne und dem Ei", sagt Marco Walser, Freienbachs Gemeinderat für Finanzen. "Als 1968 die A 3 gebaut wurde, zogen ein paar Firmen aus Zürich her, und wir bezahlten mit deren Steuern unsere Schulden. Danach wollten wir das Geld der Bürger nicht einfach wahllos ausgeben. Also haben wir eben die Steuersätze gesenkt."
Und damit kam der Stein ins Rollen. Weil die Steuern niedrig waren, kamen immer mehr Firmen und vor allem reiche Privatleute - die wiederum mehr Steuern zahlten. Richtig schlimm wurde es im Börsenboom der späten 1990er, als die Freienbacher kaum wussten, was sie mit ihren Kursgewinnen anfangen sollten. Mittlerweile ist Freienbach bei einem Gesamtsteuersatz von 4,27 Prozent angekommen. Für Verheiratete mit 120 000 Franken Jahreseinkommen. Ohne Kirchensteuer. Das geht, weil die Gemeinden in der Schweiz die meisten Steuersätze selbst bestimmen können. Schlimmer noch: Sie dürfen keine Rücklagen bilden, sondern müssen ihre Ausgaben den Einnahmen anpassen. Oder eben umgekehrt. "Jetzt sind wir Boomtown", sagt Walser, "leider. Alles wird zugebaut."
Arme, reiche Eidgenossen. Von Betonwüste kann freilich keine Rede sein. Zwischen den fünf Ortsteilen der Gemeinde weiden nach wie vor die Kühe. Die Bahnlinie von Rapperswil nach Zürich zuckelt immer noch am See entlang wie eine Spielzeugeisenbahn. Nur die Nachbarschaft hat sich verändert. Die Bauern pflücken ihre Kirschen jetzt vor dem "Panorama Resort & Spa", wo das billigste Hotelzimmer 250 Franken kostet. Neben dem Blumenladen hängen die Firmenschilder von Swisscom, Dow Chemical oder der Liechtensteiner Landesbank. Und der Almöhi wohnt schräg gegenüber von Zementbaron Stephan Schmidheyni, Großbanker Martin Ebner oder Melanie Molitor, der Mutter und Managerin von Martina Hingis. Rennfahrer Kimi Räikkönen zog ins Dorf nebenan.
"Ich verkaufe Freienbach schon gar nicht mehr mit dem Steuerargument", sagt Markus Ruoss, "aber es hilft ja nichts, alle sprechen mich darauf an." Ruoss ist "Standortförderer" für die Region und hat die beneidenswerte Aufgabe, bei Ansiedlungswilligen offene Türen einzurennen. "Wir wollen ja eben nicht nur eine Steueroase sein", sagt Ruoss. "Uns liegt viel an einer guten Dorfgemeinschaft. Die Neuen sollen sich auch engagieren." Deshalb habe man schon viele Anträge von Briefkastenfirmen abgelehnt, Bauland für protzige Villen gebe es auch nicht. "Und wenn man die hohen Immobilienpreise und Lebenshaltungskosten bedenkt", sagt Ruoss, "dann hebt das den Steuervorteil fast wieder auf." Seine letzten Kandidaten waren ein Ehepaar aus Österreich, samt eigenem Verlag.
Natürlich kommen die Leute nicht wegen der Steuern, sagt Markus Ruoss. Sondern wegen der herrlichen Lage direkt am See. Wegen der guten Schulen und den tollen Verkehrsverbindungen. Deshalb, weil es hier am Sonntag eben keinen Ferrari-Stau auf der Hauptstraße gibt wie in den Millionärsdörfern auf der gegenüberliegenden Seite des Zürichsees. Sagt Markus Ruoss. Aber selbst wenn es stimmen würde - es glaubt ihm einfach niemand.
Denn wenn es ums Geld geht, werden auch aus Eid- schnell Neidgenossen. Wer in Freienbach wohnt, zahlt nur einen Bruchteil der Steuern seines Züricher Pendants. So schimpfte der letzte Bürgermeister der Hauptstadt auch noch wie ein Rohrspatz auf einige "kleine Gemeinden" der Umgebung, in denen sich die reichen Manager zwar niederließen - aber trotzdem am Samstag in seine teure Oper gingen. Ein Dorf hat kaum Infrastruktur zu bezahlen, da fallen niedrige Steuern leicht.
Mittlerweile ist in der Schweiz ein bundesweiter Finanzausgleich in Arbeit, nach dem die reichen Kantone ihren ärmeren Nachbarn unter die Arme greifen müssten. Im Kanton Schwyz gibt es das schon - Freienbach und das Nachbardorf Wollerau bezahlen das System fast allein.
Bis die Umverteilung in Gang kommt, wird es aber wohl noch ein paar Jahre dauern. Und selbst dann sind die Freienbacher zuversichtlich. "Wir haben alles ganz klar kommuniziert", sagt Marco Walser. "Wenn wir Geld brauchen, gehen die Steuern halt wieder hoch." Was er damit machen will, weiß er auch schon. "Unser größtes Problem ist der Verkehr. In der Rush Hour geht hier nichts mehr. Als Erstes werden wir deshalb wohl ein paar schöne Straßen bauen."
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