Stellungnahme zur möglichen EZB-Zinssenkung

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Roland:

Stellungnahme zur möglichen EZB-Zinssenkung

 
11.04.01 11:50
Nachfolgend eine Stellungnahme zum o.g. Thema von der Bankgesellschaft Berlin. Ich fand den Beitrag sehr gut und spiegelt im wesentlichen meine eigene Meinung zu diesem Thema wieder.

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Dr. Volker Nitsch, Bankgesellschaft Berlin AG, Berlin            
                                                               
"WARUM DIE ABWARTENDE HALTUNG DER EZB RICHTIG IST                
                                                               
An den Märkten gibt es offenbar kaum noch Zweifel. Nachdem einige Kreise bereits seit Monaten von der EZB eine beherzte Reaktion auf das
eingetrübte weltwirtschaftliche Umfeld fordern, soll es in dieser Woche endlich soweit sein. Die Europäische Zentralbank wird die
Leitzinsen senken - dies ist zumindest das Ergebnis einer Reuters-Umfrage, in der 39 von 48 befragten Analysten einen Zinsschritt erwarten.                            
                                                               

Nachdem sich allerdings die Geldmarkthändler bereits zu Jahresbeginn verspekulierten, könnten nun auch die professionellen EZB-Beobachter
falsch liegen, denn für ein konkretes Timing gibt es kaum Indizien. Vielmehr sind die Gründe für die bislang abwartende Haltung des
EZB-Rats, die im übrigen von EZB-Präsident Duisenberg zuletzt noch öffentlich bekräftigt wurde, unverändert intakt.                                        
                                                                 
So sei zum einen daran erinnert, dass die primäre Aufgabe der Geldpolitik die Wahrung der Preisstabilität ist. Gemessen an der eigenen
Definition, nach der Preisstabilität bei einer Jahresinflation von weniger als 2 Prozent gegeben ist, wird dieses Ziel gegenwärtig klar
verfehlt. Deshalb bedarf es schon guter Argumente, um die Geldpolitik dennoch zu lockern. Denkbar wäre der Verweis auf die temporär
verzerrende Wirkung von Sonderfaktoren oder die noch immer auskömmliche Kernrate. Auch signalisiert das abgeschwächte Geldmengenwachstum
nachlassende Preisgefahren. Nur, eine grundlegende Entspannung ist an der Preisfront bislang ausgeblieben, so dass weiterhin unklar ist,    
ob die derzeitigen Preisrisiken tatsächlich vernachlässigbar sind. Bereits die Entwicklung zu Jahresbeginn hat gezeigt, dass ein
'automatischer' Rückgang der Inflation aufgrund auslaufender Basiseffekte keineswegs eine ausgemachte Sache ist. Hinzu kommt die
bevorstehende Lohnrunde, bei der erste Forderungen der Gewerkschaften und Indexierungsklauseln beunruhigen. Schließlich gibt es auch bei
den preistreibenden Faktoren des Vorjahres - dem Ölpreis und dem Außenwert des Euro - noch keine endgültige Entwarnung.                                                      
                                                                 
Zum anderen ist die konjunkturelle Situation in Euroland bei weitem nicht so schlecht, wie oftmals dargestellt. Angesichts der deutlichen
Wachstumsverlangsamung in den USA erweist sich die europäische Konjunktur sogar als erstaunlich robust - mit zwei Einschränkungen. Die
umfragebasierten Frühindikatoren sind noch immer klar abwärts gerichtet und haben bislang keinen Boden gefunden. Angesichts der
üblicherweise verlässlichen Vorlaufeigenschaften dieser Indikatoren sind damit wachsende Konjunkturrisiken verbunden. Gleichzeitig sollte
jedoch diese Entwicklung auch nicht überinterpretiert werden, da sie durch die schlechte Börsenstimmung überzeichnet sein dürfte. Zumindest      
für Deutschland lässt sich nachweisen, dass das Geschäftsklima vor allem in Abschwungsphasen eine beachtliche Aktienmarktabhängigkeit
aufweist. Mehr als die Hälfte des ifo-Geschäftsklimarückgangs seit Mai 2000 lässt sich auf diese Weise erklären. Irritierend wirkt zudem,
dass sich die deutsche Wirtschaft im zweiten Halbjahr 2000 deutlich vom Konjunkturverlauf im übrigen Euro-Raum abgekoppelt hat.              
                                                                     
Angesichts der häufig unterstellten engen Verflechtung zwischen den USA und Europa ist diese Asynchronität innerhalb des Euro-Raums
überraschend. Allerdings scheint auch hier der aktuelle Pessimismus übertrieben. Selbst die gegenwärtig heftig debattierte Korrektur der
Wachstumsprognosen in Deutschland ist kein Indiz für ein erwartetes Nachlassen der Wachstumsdynamik - im Gegenteil: eine prognostizierte
Wachstumsrate von durchschnittlich etwa 2 Prozent unterstellt eine deutliche Beschleunigung des Wachstumstempos gegenüber dem zweiten          
Halbjahr 2000.                                                    
                                                                 
Alles in allem bietet sich somit für die EZB zum jetzigen Zeitpunkt ein begrenztes Zinssenkungspotenzial von 25 bis maximal 50 Basispunkten.
Da kein zwingender Handlungsbedarf besteht, lässt sich darüber streiten, ob es tatsächlich sinnvoll ist, diesen Spielraum zu nutzen. Aus
psychologischer Sicht wäre ein Zinssignal zweifelsohne gerechtfertigt. Solange es allerdings noch immer beachtliche Preisrisiken gibt und
zudem die Gefahr besteht, dass die Zinsadjustierung eher in eine konjunkturelle Feinsteuerung mündet, sollte die EZB dem Druck der Märkte
widerstehen."                                        
                                                               
Dr. Volker Nitsch ist Analyst im Kernstab Volkswirtschaft der Bankgesellschaft Berlin Aktiengesellschaft.
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