Standard & Poor's Gewinnrevolution

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Standard & Poor's Gewinnrevolution

 
23.05.02 15:37
Die Ratingagentur Standard & Poor's hat vergangene Woche eine Revolution angezettelt: Fortan soll Schluss sein mit undurchsichtigen Pro-forma-Gewinnzahlen - durch neue Berechnungsmethoden will S&P die "wahren Gewinne" der Unternehmen offen legen. SPIEGEL ONLINE sprach mit Kenneth Shea, Direktor bei S&P, über die neuen Regeln.

SPIEGEL ONLINE: Standard and Poor's akzeptiert nicht länger die Pro-forma-Gewinne, die Unternehmen ausweisen, sondern errechnet stattdessen eigene "core earnings". Kritiker sagen, der Vorstoß stifte noch mehr Verwirrung. Brauchen Anleger wirklich eine weitere Gewinnkategorie?
Kenneth Shea: Wir wollen den Anlegern einen Maßstab geben, der die Gewinnsituation der Unternehmen korrekt wiedergibt und Vergleiche erlaubt. Das Konzept der Pro-Forma-Gewinne wird inzwischen so willkürlich gehandhabt, dass Unternehmen viele Kosten einfach ignorieren, obwohl sie zum laufenden Geschäft gehören. Die Unternehmen blasen so ihre Gewinne auf. Viele Anleger haben Geld verloren, weil sie nicht richtig über die Gewinnaussichten aufgeklärt waren. Während einige konservative Unternehmen alle Kosten abziehen, nutzt der Rest die Flexibilität der GAAP-Regeln aus. Das Ergebnis ist, dass der Anleger zwei Unternehmen nicht wirklich vergleichen kann. Die "core earnings" hingegen sind transparent, konsistent und direkt vergleichbar.

SPIEGEL ONLINE: Was haben Sie geändert?

Shea: In den "core earnings" wird alles berücksichtigt, was zum laufenden Geschäft eines Unternehmens gehört: Dazu zählen die Kosten für Aktienoptionen, für Restrukturierung und Abschreibungen. Aktienoptionen sind Teil der Personalkosten, genauso wie Gehälter. Nicht zum laufenden Geschäft zählen hingegen Investitionsgewinne, wie sie etwa die Rentenkassen bei großen Unternehmen erzielen.

SPIEGEL ONLINE: Bis Ende Mai wollen sie die "wahren Gewinne" für 4000 US-Unternehmen veröffentlicht haben. Wie weit werden die Gewinne dadurch nach unten korrigiert?

Shea: Die Gewinne der im S&P 500 gelisteten Unternehmen sinken durchschnittlich um zehn Prozent. Am meisten betroffen sind der Technologie- und der Telekommunikations-Sektor, weil Manager dort generell mit Aktienoptionen bezahlt werden. Bei Cisco Systems vergrößert sich der ausgewiesene Verlust für 2001 von 14 Cents auf 35 Cents pro Aktie. Aber auch General Electrics Gewinn sinkt von 1,42 Dollar auf 1,11 Dollar pro Aktie. Hier macht sich der Abzug der Einnahmen aus dem Pensionsfonds bemerkbar. Der hatte vergangenes Jahr 19 Cents zum Gewinn beigetragen.

SPIEGEL ONLINE: Das sind erhebliche Korrekturen. Das Kurs-Gewinn-Verhältnis vieler Aktien steigt dadurch automatisch an, die Aktien erscheinen gleich wieder überbewertet. Wollen Sie den Bärenmarkt verlängern?

Shea: Ich glaube nicht, dass die "core earnings" große Marktbewegungen auslösen werden. Aber Sie haben Recht: Wenn die Anleger unsere Zahlen ernst nähmen, müssten sie sich zumindest von den Tech-Aktien weg zu den defensiveren Werten bewegen.

SPIEGEL ONLINE: Bisher ist die Suche nach den "wahren Gewinnen" ein Alleingang. Aber letztendlich kann sich Ihr Konzept nur durchsetzen, wenn die gesamte Wall Street mitzieht. Warum haben Sie sich nicht mit dem FASB, das die offiziellen Bilanzierungsregeln erstellt, abgesprochen?

Shea: Wir unterhalten uns ständig mit dem FASB und anderen Spielern. Aber wir fühlten, dass wir den ersten Schritt machen müssen. Und wir haben sehr positives Feedback bekommen. Die Fonds stehen hinter uns, auch die Forschung. Und Warren Buffett hat uns gedankt. Wir behaupten nicht, dies sei die endgültige Lösung, der heilige Gral. Aber es ist ein Anfang, auf dem die Investment-Community aufbauen kann. Wir hoffen auf Nachahmer.

SPIEGEL ONLINE: Thomson Financial/First Call, die die Konsens-Gewinnschätzung von Analysten veröffentlichen, haben sich bereits gegen die "core earnings" ausgesprochen. Was passiert, wenn der Markt weiterhin nach Pro-forma rechnet?

Shea: First Call hat nicht die Aufgabe, Gewinne zu definieren. Sie tragen nur die Analystenmeinungen zusammen und geben dann den Durchschnitt bekannt.

SPIEGEL ONLINE: Aber alle richten sich nach ihnen...

Shea: Das macht es noch lange nicht korrekt...

SPIEGEL ONLINE: Aber gewinnt nicht am Ende immer die Mehrheit?

Shea: Wenn die Anleger sich für die alte Methode entscheiden, dann ist das eben so. Wir glauben aber, dass es genug Leute gibt, die mit den derzeitigen Bilanzierungs-Standards sehr unzufrieden sind. Wir haben eine Menge Unterstützer.

SPIEGEL ONLINE: Werden Sie in Zukunft auch die "wahren Gewinne" von nicht-amerikanischen Unternehmen veröffentlichen?

Shea: Das wäre Phase zwei, aber so weit sind wir noch nicht. Wir würden wahrscheinlich mit den Unternehmen in unseren eigenen Indizes, dem Euro-350 und dem Tokio-100, beginnen. Aber nicht mehr in diesem Jahr.
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