Besteuert die "fünfte Gewalt"!
In Porto Alegre, dem Gegengipfel zu Davos, wird die Regulierung der globalen Finanzmärkte diskutiert. Ein Vorschlag: Devisengeschäfte sollen besteuert werden
Wer sich vor drei Jahren als Befürworter einer Besteuerung von Devisentransaktionen outete, stieß auf ähnlich mitleidiges Lächeln wie jene, die in den Achtzigerjahren für eine Ökosteuer eintraten. Seither gab es jedoch Finanzcrashs in Südostasien und Brasilien sowie eine Beinahe-pleite beim milliardenschweren Spekulationsfonds LTCM. Aktuell erleben wir auch die Entzauberung der "New Economy", die sich nun doch als ganz ordinärer Kapitalismus erweist. Von den Versprechungen der Globalisierung in ihrer neoliberalen Variante bleibt nicht viel übrig.
Alle einschlägigen Statistiken zeigen: Diese Globalisierung produziert sehr viele Verlierer und wenige Gewinner. Der Markt kann eben doch nicht alles besser, und die Einsicht, dass es ohne internationale Regulierung nicht geht, gewinnt an Boden. Selbst im finanzpolitischen Mainstream setzt sich die Erkenntnis durch, dass für die Finanzmärkte, die den ökonomischen Kern der Globalisierung ausmachen, eine "neue internationale Finanzarchitektur" erforderlich ist - auch wenn daraus bisher kaum praktische Konsequenzen gezogen werden.
In Rahmen dieser Diskussion gewinnt ein Vorschlag von James Tobin aus dem Jahre 1972 immer mehr Sympathien. Der Nobelpreisträger hatte angeregt, alle Devisentransaktionen mit einer geringen Steuer zu belegen. Tobin geht davon aus, dass kurzfristige Anlagen eine destabilisierende Wirkung auf die Finanzmärkte haben und dort permanente Kursschwankungen verursachen. Von den 1,5 Billionen Dollar, die pro Börsentag zwischen den Finanzzentren hin- und hergeschoben werden, sind 80 Prozent solche kurzfristige Anlagen mit einer Laufzeit von weniger als zwei Monaten, häufig sogar nur von Stunden. Die Anleger versuchen dabei, geringste Kursunterschiede bei Devisen, Aktien und Wertpapieren auszunutzen, oder sie spekulieren auf zukünftige Kursunterschiede. Wenn der Wechselkurs zwischen Dollar und Yen in Hongkong nur für ein paar Stunden eine Differenz von 1 Prozent zur Tokio ausmacht, kann man mit 100 Millionen per Mausclick eine Million Gewinn machen.
Realwirtschaftlich haben diese Transaktionen keine Funktion. Die Bildung der Wechselkurse ist zu einem selbst referenziellen System geworden, das - anders als es die liberale Schulbuchweisheit verkündet - keineswegs die volkswirtschaftlichen Basisdaten widerspiegelt. Vielmehr reflektieren Wechselkurse lediglich die Erwartungshaltungen von Anlegern und Spekulanten. Ein gutes Beispiel ist der Euro-Kurs, von dem - bei allem Respekt vor der US-Wirtschaft - niemand behaupten dürfte, er reflektiere ein wirtschaftliches Absacken der Europäischen Union um ein Drittel innerhalb eines Jahres.
Würden Devisentransaktionen bei jedem Grenzübertritt mit nur 0,5 Prozent besteuert, so würde ein Großteil dieser kurzfristigen Geschäfte unrentabel. Handelsgeschäfte und langfristige Investitionen dagegen würde eine solche Steuer so gut wie nicht belasten. Im Gegenteil, sie könnten von den stabileren Rahmenbedingungen profitieren und auf kostenträchtige Absicherungsmaßnahmen verzichten. Das würde zu einer Entschleunigung und Mengenreduktion auf den Finanzmärkten führen - und damit zu mehr Stabilität. Die technische Umsetzung der "Tobin Tax" wäre dank Computertechnologie so einfach wie das Abbuchen der Bankgebühren von Otto Normalverbrauchers Girokonto. Erhoben werden könnte die Steuer über die Zahlungsausgleichssystem der Zentralbanken oder, international, über das elektronische Zahlungssystem S.W.I.F.T.
Für die Tobin-Steuer hat sich seit 1972 unter anderem ein Vizedirektor der Weltbank ausgesprochen. Die Parlamente Kanadas und Belgiens haben Empfehlungen zugunsten einer solchen Abgabe verabschiedet, die UNO gab eine Machbarkeitsstudie in Auftrag. Die NGO-Szene und globalisierungskritische Bewegungen sind ohnehin dafür. Ihre Begründung: Die Tobin-Steuer wirkt auf die Weltwirtschaft wie Sand im Getriebe, ohne das Getriebe zum Stillstand zu bringen.
Dabei ist eine Devisenbesteuerung keine Allzweckwaffe. Spekulative Attacken, bei denen Profite von 10, 20 oder, wie bei der Asienkrise, von 40 bis 60 Prozent winken, sind damit nicht zu verhindern. Die Tobin-Steuer ist ein Instrument in einem Set von unterschiedlichen Instrumenten zur Regulierung der Finanzmärkte und wirkt nur gegen die "normale" Alltagsspekulation. Die Neutralisierung von Steuerparadiesen und Offshore-Zentren bleibt unumgänglich.
Für die Tobin-Steuer spricht, dass - auch wenn das Motiv vor allem ihre finanzpolitische Lenkungsfunktion ist - dabei natürlich Einnahmen entstehen. Wenn die Steuer ihre Lenkungsfunktion so weit erfolgreich erfüllt, dass der Devisenumsatz um die Hälfte zurückgeht, würden bei einem Steuersatz von 0,5 Prozent immer noch rund 90 Milliarden US-Dollar anfallen. Das ist etwa das Doppelte der Entwicklungshilfe aller Industrieländer zusammengenommen - eine Summe, mit der einiges Sinnvolles unternommen werden könnte, etwa in der Klimapolitik, für soziale Zwecke oder in der Entwicklungspolitik.
Zudem wäre die Tobin-Steuer ein Einstieg in die längst überfällige internationale Besteuerung. Es ist nicht einzusehen, dass die Global Players auf transnationale Gewinne keine entsprechenden Steuern zahlen. Die "Tobin-Tax" ist keine Massensteuer, sondern holt das Geld dort, wo es massenhaft vorhanden ist: bei den Banken, auf die der Löwenanteil der kurzfristigen Transaktionen entfällt. Damit hätte die Steuer auch eine Umverteilungsfunktion, und zwar nicht, wie in den letzten Jahren üblich, von unten nach oben - siehe Rentenreform - sondern umgekehrt, von oben nach unten.
Genau hier aber liegt auch der Grund, warum der in jeder Hinsicht vernünftige Vorschlag auf beinharte Ablehnung stößt. Die Regierungen der G 7-Staaten, vorneweg die USA, versuchen ein Tabu über die Besteuerung der Globalisierungsgewinner zu verhängen. Offenbar ist bereits eingetreten, was der Chef der Deutschen Bank vor einigen Monaten unverblümt beanspruchte: Die Finanzmärkte werden zur "fünften Gewalt" im Staat, neben Legislative, Exekutive, Justiz und Medien und diktieren den Regierungen zunehmend die "richtige" Wirtschaftspolitik.
Diese "fünfte Gewalt" ist freilich von niemandem gewählt und entbehrt jeder demokratischen Legitimität. Mit der Tobin-Steuer würde ihre etwas von ihrer Macht genommen. Deshalb ist es an der Zeit, sich gegen die Alternative einer Globalisierung von unten artikulieren. Darin liegt die Bedeutung der Proteste von Davos, des Alternativgipfels in Porto Alegre und von Bewegungen, wie dem in Frankreich überaus erfolgreichen "Netzwerk für eine demokratische Kontrolle der internationalen Finanzmärkte", ATTAC. Übrigens: ATTAC gibt es jetzt auch in der Bundesrepublik
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Abgaben auf Spekulationsgewinne
Die Tobinsteuer
Die Steuer auf Devisentransaktionen war von dem Wirtschaftswissenschaftler und Nobelpreisträger James Tobin erdacht worden. Diese Abgabe wurde zwar weltweit bislang nirgends eingeführt, fand aber in den vergangenen Jahren immer mehr Anhänger.
Jahrelang beschäftigten sich nur Drittweltorganisationen und Wissenschaftler mit Tobins Idee. Erst mit der großen Globalisierungsdebatte der 90er Jahre gewann sie auch in Regierungsforen breiteres Interesse. Die europäischen Finanzminister beauftragten im vergangenen Jahr die EU-Kommission, das Für und Wider einer solchen Steuer zu untersuchen.
Durch die zunehmende Vernetzung und Hochtechnologisierung können heute riesige Geldmengen per Mausklick bewegt werden. Weltweit wechseln so täglich Devisen im Gegenwert von 1.500 Mrd. US-Dollar den Besitzer. Diese neuen Technologien revolutionierten jedoch nicht nur die Möglichkeit von Transaktionen, sondern erhöhte auch exponentiell die Anfälligkeit für weltweite Wirtschaftskrisen. Kursturbulenzen in Asien oder Lateinamerika können ohne weiteres auf die Märkte in den USA und Europa überschwappen und tun dies auch.
Genau hier setzt Tobins Theorie an. Mit einer geringen Umsatzsteuer auf Devisentransaktionen, die noch unter einem Prozent liegt, solle das Spekulationsgeschäft für die Händler uninteressant werden. Denn ein Devisengeschäft großen Volumens erfordert viele einzelne Transaktionen; fällt hierauf eine Steuer an, wird das Gesamtgeschäft unrentabel.
Keynes als Vorbild für die Tobin-Tax
Die Idee zur Besteuerung des Handels mit Devisen kam Tobin bereits 1971. Damals brach das Bretton-Woods-System fester Wechselkurse zusammen und Präsident Nixon hob die Bindung des Dollar an die Goldreserven des Landes auf. In den Folgejahren wurden verschiedene Modelle diskutiert, die dem weltweiten Devisenhandel einen stabilen Rahmen geben sollten. Sogar eine einzige Weltwährung wurde in Erwägung gezogen; favorisiert haben Gegner des globalen Freihandels jedoch stets die Einrichtung fester Wechselkurszielzonen diskutiert.
Für Tobin stand jedoch die Frage, wie man die Wechselkurse stabilisieren könnte, im Vordergrund. Dabei griff er auf die Idee des Ökonomen John Maynard Keynes zurück. Nach dem Börsencrash 1929 hatte Keynes angeregt, durch eine Umsatzsteuer auf Börsenumsätze Anleger dazu zu bringen, ihre Aktien länger zu halten.
Neben der Stabilisierung der Wechselkurse wollte der Ökonom zudem den nationalen Notenbanken einen größeren Spielraum zurückgeben. Denn durch die Devisenspekulationen und den damit verbundenen Geldbewegungen gleichen sich die Zinssätze an den Geldmärkten immer mehr an. Würden die Wechselkursausschläge jedoch durch die Steuer gemildert, könnten die Notenbanken ihre Geldpolitik wieder stärker an den Bedürfnissen der nationalen Märkte anpassen. Angenehmer Nebeneffekt der Steuer wären die Einnahmen, die nach Tobin sinnvoller weise auch für internationale Zwecke eingesetzt werden könnten.
Die Robin Hood-Steuer
Die bestechende Idee, wie man den Devisenhandel mit einfachen Mitteln einschränken kann, stieß Jahrzehnte nach ihrem Entstehen auf Applaus von unerwarteter Seite. Globalisierungsgegner schreiben sich nun die Tobin-Tax auf ihre Fahne. Die Tobin-Steuer wäre ein Einstieg in die längst überfällige internationale Besteuerung, meinen beispielsweise Globalisierungskritiker wie die Gruppe Attac. Es sei nicht einzusehen, dass die Global Players auf transnationale Gewinne keine entsprechenden Steuern zahlen.
Die Tobin-Tax sei keine Massensteuer, sondern hole das Geld dort, wo es massenhaft vorhanden sei - bei den Banken. Auf sie entfalle der Löwenanteil der kurzfristigen Transaktionen, erklärt die Gruppe, die auch prominente Persönlichkeiten wie den ehemaligen Finanzminister Oskar Lafontaine zu ihren Mitgliedern zählen darf. Für die Steuer sprächen natürlich auch die Einnahmen, die zum Beispiel der Entwicklungshilfe zugeführt werden könnten - die Tobin-Steuer als moderne Variante des guten alten „man nehme von den Reichen und gebe den Armen“.
Ungewollter Ruhm
Der Trubel um seine Steuer war für Tobin eher Anlass zum Erstaunen denn zur Freude. Natürlich sei es zu begrüßen, dass seine Idee nach so vielen Jahren auf ein breites Interesse stoße, erklärte der 83-Jährige in diversen Interviews. Jedoch, so Tobin, komme der Beifall von der falschen Seite.
Von den Protestbewegungen, die vor allem im europäischen Raum stattfinden, distanzierte sich der Ökonom zeitlebens deutlich. Er sei über deren Forderungen im Detail nicht informiert, betonte Tobin immer wieder. Zudem habe er keine Kontrolle mehr über die Verwendung des Begriffs „Tobin-Tax“. Die Globalisierungsgegner hätten sicherlich nur die besten Absichten, jedoch seien deren Zielen schlecht durchdacht.
Erstaunt war Tobin auch hinsichtlich der Glorifizierung der Devisensteuer als Instrument zur gerechteren Umverteilung der Einnahmen in der Welt. Die Steuereinnahmen seien nie sein Hauptanliegen gewesen, stellte der Nobelpreisträger richtig. Zudem bekannte er sich als Ökonom zum Freihandel.
Trotz mancher Befürworter auch in der Politik: Tobin selbst glaubte nie daran, dass seine Idee jemals verwirklicht wird. Die entscheidenden Leute der Finanzwelt seien immer dagegen gewesen, so der Nobelpreisträger.
James Tobin war im März dieses Jahres im Alter von 84 Jahren gestorben.