Spanier entdecken Europa[Von ftd.de, 21:37, 19.06.06]<!-- select_artikel_autor($conn, $artikel_id); --> Spanische Unternehmen beschränken ihre ausländischen Übernahmen längst nicht mehr auf Lateinamerika. Vielmehr erobern sie mit einem Milliardendeal nach dem anderen die Alte Welt. Und ihr Expansionshunger ist noch lange nicht gestillt.Die Motivation sitzt tief. Das Geschäftsgebaren der Spanier hat viel mit persönlichem Stolz und Ehre zu tun: Man will der Konkurrenz im Ausland nicht das Feld überlassen. Man will selbst erobern. "Wenn du siehst, wie gut internationale Unternehmen geführt werden, ermutigt dich das, die eigene Firma zu verbessern", sagt Rafael del Pino. So simpel erklärt es der 47-jährige Chef des spanischen Bau- und Dienstleistungskonzerns Ferrovial, der gerade seinen jüngsten Milliardendeal abgeschlossen hat. Für 15 Mrd. Euro hat er den weltgrößten Flughafenbetreiber, die britische Gesellschaft BAA, übernommen. Vom Gegengebot der renommierten Investmentbank Goldman Sachs ließ sich der Spanier nicht irritieren, er schlug zu und führt damit Ferrovial an die Weltspitze. Dort oben, in der Meisterklasse des internationalen Wettbewerbs, ist del Pino längst nicht mehr der einzige Spanier. Iberische Unternehmen haben sich in wenigen Jahren eine beachtliche Position erkämpft - nicht nur in der Neuen Welt, in ihren ehemaligen Kolonien in Südamerika. Vielmehr erobern die Spanier derzeit Europa: Die britische Hypothekenbank Abbey National, der britische Mobilfunker O2, der italienische Autobahnbetreiber Autostrade und nun BAA sind nur die größten Zukäufe der vergangenen 18 Monate. Spanier kaufen ExpertiseSeit 1993 haben spanische Firmen mehr als 220 Mrd. Euro im Ausland investiert. Mehr als 200 Unternehmen sind international engagiert. Die Finanzwelt reibt sich die Augen. Immerhin ist das Land, gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP), ein Zwerg in der Euro-Zone. Mit gerade einmal einem Prozent des BIP gehört Spanien bei den Investitionen in Forschung und Entwicklung zu den Schlusslichtern innerhalb der Industrieländerorganisation OECD. Die Produktivitätsrate seiner Unternehmen ist mau, ihre Produkte im Ausland kaum wettbewerbsfähig. Das Leistungsbilanzdefizit weist jeden Monat eine größere Milliardenlücke auf. Doch genau diese Mängelliste ist eine der Antriebskräfte für die Expansion ins Ausland. Denn durch Übernahmen kaufen sich die Spanier ein, was ihnen von Haus aus fehlt. "Viele Unternehmen kaufen mit Übernahmen fehlende Technikexpertise ein", sagt Mauro Guillén, Professor an der Wharton School der University of Pennsylvania. Spaniens führender Telekomkonzern Telefónica etwa verzeichne 40 Prozent seiner Ausgaben für Forschung und Entwicklung inzwischen im Ausland. Leisten können sich die Iberer diese eigenwillige Wirtschaftsentwicklung dank Immobilienbooms, gesunden Privatkonsums und jährlicher Wachstumsraten von mehr als drei Prozent. Und dank des Euro. Seit Spanien der europäischen Währungsunion angehört, kommen seine Unternehmen so günstig wie nie zuvor an Geld für ihre Auslandseinkäufe. "Dass Telefónica 26 Mrd. Euro für O2 bezahlt oder Ferrovial 15 Mrd. Euro für BAA, wäre vor einigen Jahren schlicht undenkbar gewesen", sagt Gullién. Bis sich diese günstigen Rahmenbedingungen für den Drang nach Norden ergeben hatten, pflegten die Spanier jedoch fast ausschließlich ihre historisch bedingte Präsenz in Südamerika. "Das Engagement spanischer Unternehmen in Lateinamerika war zunächst weniger eine freiwillige Entscheidung als eine Notwendigkeit", erklärt Guillén. "Um Übernahmen zu verhindern, war es notwendig, im Ausland zu wachsen." Die Möglichkeiten dazu waren in Europa in den 90er Jahren noch sehr begrenzt - und für die Spanier viel zu teuer. Wie Alfredo Arahuetes García und Aurora García Dumonte von der Madrider Universidad Pontificia Comillas vorrechnen, kostete Ende der 90er Jahre ein ein-Prozent-Anteil an einer börsennotierten Bank in Deutschland durchschnittlich 1,14 Mrd. $. In Mexiko waren es gerade einmal 84 Mio. $. Da traf es sich gut, dass in Lateinamerika gerade die Privatisierung ehemals staatlicher Unternehmen begann. Unternehmen wie Telefónica, der Energiekonzern Endesa oder der Erdölkonzern Repsol, die wenige Jahre zuvor dieselbe Entwicklung gemacht hatten, nutzten ihre Erfahrung und stiegen groß ein. Zwischen 1994 und 2001 flossen 58 Prozent der spanischen Direktinvestitionen in die Region. Nach den Erfahrungen der Wirtschaftskrise in Argentinien Ende 2001, wo spanische Unternehmen die wichtigsten ausländischen Investoren waren und nur mit Glück einer Katastrophe entkamen, setzte das Umdenken ein. "Jetzt war die Stunde gekommen, sich breiter zu orientieren", sagt Paul Isbell, Ökonom am Madrider Real Instituto Elcano für internationale und strategische Studien. "Die neuen Investitionsströme gingen fortan überwiegend nach Europa." Großbritannien bevorzugt Telefónica ist ein typisches Beispiel. Seine Expansionslust war lange Zeit auf Lateinamerika beschränkt, wo das Unternehmen heute zu den Marktführern gehört. Im vergangenen Jahr wagte man den Einstieg bei dem tschechischen Anbieter Cesky Telecom, in China beim Anbieter Netcom Group Corporation. Ende Oktober 2005 schließlich gab Telefónica-Chef César Alierta die Sensation bekannt: Für etwa 26 Mrd. Euro, zahlbar in bar, kündigte er die Übernahme des britischen Telekomanbieters O2 an. Die ebenfalls an O2 interessierte Konkurrenz der Deutschen Telekom blieb außen vor. Und in Analystenkreisen heißt es, dass Alierta in zwei, drei Jahren die niederländische Gesellschaft KPN ins Visier nehmen könnte. Ähnlich die Expansionslust der Grupo Santander, des spanischen Bankenprimus. Einen der ersten großen Einkäufe im Ausland tätigte die Bank mit der Übernahme der brasilianischen Bank Banespa für etwa 6 Mrd. $. Mit Hilfe der 1994 übernommenen spanischen Bank Banesto engagierte man sich flächendeckend in Lateinamerika. 2004 wagte Santander-Chef Emilio Botín die erste Bankenfusion in Europa und kaufte für knapp 15 Mrd. Euro die britische Abbey National. Santander Consumer ist heute das drittstärkste Institut für Konsumentenkredite in Europa. Auch die ehemalige deutsche CC-Bank gehört in das Portfolio. Hinzu kommen der gerade erworbene 20-Prozent-Anteil der US-Bank Sovereign. Auch Spaniens zweitgrößte Bank BBVA findet mehr und mehr Gefallen an den USA - vor allem in Bundesstaaten mit einem hohen spanischsprachigen Bevölkerungsanteil baut sie ihr Engagement aus. Vergangene Woche kaufte die BBVA die texanischen Banken Texas Regional Bancshare und State National Bancshares für rund 2 Mrd. Euro. Das bevorzugte Land für Übernahmen aber ist Großbritannien. Dort treffen die so genannten neuen Eroberer von der Iberischen Halbinsel auf keinerlei Protektionismus und politischen Widerstand - im Gegensatz zu vielen anderen EU-Mitgliedern. Die BAA-Übernahme eingeschlossen, haben spanische Unternehmen binnen zwei Jahren 50 Mrd. Euro in Großbritannien investiert. Der britische Premier Tony Blair hat beteuert, er werde sich auch in die Übernahme von BAA durch Ferrovial keinesfalls einmischen. Der Bau- und Dienstleistungskonzern begegnet mit dem Kauf einem weiteren speziell spanischen Risiko: Bauunternehmen und Banken haben in den vergangenen Jahren des spanischen Immobilienbooms Milliarden verdient. "In Spanien waren es goldene Jahre", sagt Joaquín Garralda, Professor für Unternehmensstrategie an der Madrider Business School Instituto de Empresa. "Allerdings ist es unwahrscheinlich, dass das so weitergeht", warnt Garalda. "Also ist es geschickt und auch notwendig, in andere Sparten beziehungsweise in Ländern mit anderen Wirtschaftszyklen zu investieren." Bereits seit einiger Zeit weiten spanische Bauunternehmen wie Ferrovial ihr Geschäft auf Infrastrukturanbieter aus. So gehören mautpflichtige Straßen in den USA, Irland, Portugal und Chile sowie innerstädtische Parkplätze und einige Flughafenbeteiligungen zum Konzern. Nach Angaben von Ferrovial werden nach erfolgreicher Übernahme von BAA 60 Prozent des Umsatzes künftig im Ausland erzielt. Neue ManagergenerationDiese Internationalisierung spanischer Konzerne ist auch einem Generationswechsel zu verdanken. Laut Professor Guillén gehört Ferrovial-Chef del Pino zu einer "neuen Generation von kosmopolitischen Managern in Spanien". Die junge Führungsebene sei häufig auslandserfahren und deshalb offen, Risiken in neuen Märkten einzugehen. Bauingenieur del Pino beispielsweise machte seinen MBA an der Sloan School des Massachusetts Institute of Technology und arbeitete als Berater bei der Boston Consulting Group in Paris. "Diese neuen Manager haben den Vorteil, dass sie in Führungspositionen gelangten, als die Unternehmen viele aus der Diktatur mitgebrachte Probleme schon gelöst hatten. So können sie sich auf die Expansion konzentrieren", sagt Guillén. Führungskräfte wie del Pino haben die Repressalien unter der Franco-Diktatur nie als Unternehmer erlebt. Sie profitieren davon, wie schnell Spanien seine Wirtschaft nach Francos Tod deregulierte - und 1986 mit dem Beitritt zur EG belohnt wurde. Altmodische Tugenden haben die jungen Chefs jedoch trotzdem nicht aufgegeben. Ruhm und Ehre sind im spanischen Geschäftsleben nach wie vor von höchstem Wert - und danach werden sie auch weiterhin jenseits der Grenzen streben. Alle Rechte vorbehalten. © FTD |