Enron: Wall Street im Zwielicht
Von Kerstin Friemel, New York Die Rolle der Börsianer und Banken im Enron-Skandal blieb lange unberücksichtigt. Das ändert sich nun. Am Mittwoch lief die Frist aus, bis zu der die Investmenthäuser erklären müssen, warum sie den Kollaps des Energieriesen nicht voraussahen. Die Geschichte des BNP-Paribas-Staranalysten Daniel Scotto, der nach seiner Warnung gefeuert wurde, lässt Böses ahnen.
Daniel Scotto war der Prototyp des erfolgreichen Wall-Street-Stars: Neun Jahre in Folge wählte das renommierte US-Fachmagazin "Institutional Investor" den 49-Jährigen zur Nummer eins unter den Leitern von Analystenteams. Die Auszeichnungen - Trophäen aus Plexiglas - stehen in Reih und Glied auf dem Beistelltischchen in seinem Arbeitszimmer. Erinnerungen an alte Tage.
Heute ist Daniel Scotto ganz unten. Gefeuert, arbeitslos. Nach eineinhalb Jahren hat ihn sein Arbeitgeber, die französische Großbank BNP Paribas, vor die Tür gesetzt. Das war im vergangenen Dezember. "Sie haben meinen Ruf ruiniert", sagt der gefallene Superstar.
Scotto war einer der wenigen Wall-Street-Experten, die das Enron-Desaster vorausahnten. Bereits am 23. August vergangenen Jahres, also gut drei Monate bevor der Energiekonzern aus Houston Anfang Dezember Konkurs anmeldete, hatte Scotto die Aktie von "kaufen" auf "neutral" herabgestuft. Eine knappe Woche später wurde er beurlaubt, am 5. Dezember schließlich gekündigt.
Sein Arbeitsprinzip, die Unternehmen möglichst objektiv zu bewerten, sagt Scotto, habe ihn bei Paribas den Job gekostet: "Ich bin regelmäßig unter Druck gesetzt worden, die Unternehmen positiver darzustellen, als sie waren. Der Enron-Bericht war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat."
Neuer Verdächtiger im Enron-Krimi
Der Fall Scotto bringt einen Verdächtigen ins Spiel, den im Enron-Krimi bislang niemand auf der Liste hatte: die Wall Street. Die Anhörungen konzentrierten sich auf das Management des Energiekonzerns und seine Wirtschaftsprüfer. Ende März wird der Finanzausschuss nun voraussichtlich einige Topmanager angesehener Geldhäuser in die Mangel nehmen. Bis gestern mussten die Chefs von über zehn Investmentbanken, darunter Goldman Sachs und Lehman Brothers, ihre Antworten auf einen detaillierten Fragenkatalog des Ausschusses einreichen. Die sonst eher diskreten Anfragen sind diesmal für jedermann einsehbar auf der Webseite energycommerce.house.gov/ veröffentlicht.
Viele Beobachter des Enron-Spektakels verstehen bis heute nicht, warum Analysten noch kurz vor dem Untergang des Energiehändlers zum Kauf der Aktie geraten haben? Was wussten die Investmentbanker? Inwiefern tragen sie mit Schuld daran, dass Enrons Spiel jahrelang unentdeckt blieb?
Börsenprofis zu lange optimistisch
Fest steht nur, dass kaum ein Börsenprofi rechtzeitig vor dem Absturz des Konzerns gewarnt hat. Einer Untersuchung des Finanzdienstleisters Thomson Financial zufolge war die Mehrzahl der Analysten selbst am 29. November 2001 - nur wenige Tage vor der Konkurs-Anmeldung - noch optimistisch: Sechs stuften die Aktie als "starken Kauf" ein, zwei als "Kauf". Sechs rieten, das Papier zu "halten", nur einer empfahl zu "verkaufen".
Das Interesse der Banken an einer positiven Bewertung von Firmen liegt auf der Hand: Je optimistischer Analysten über Unternehmen berichten, desto größer ist die Chance der hausinternen Investmentbanker, die Vorstände für ihre Angebote zu gewinnen. Die Palette reicht vom Börsengang bis zur Herausgabe neuer Aktien oder Anleihen. Und auch die Analysten profitieren in der Regel von guten Beurteilungen: Ihre Boni fallen umso höher aus, je stärker ihre Empfehlungen das Investmentbanking angekurbelt haben.
Seit 1999 soll zwar die so genannte "Chinese Wall" - die strikte Trennung von Analysten und Investmentbankern eines Hauses - vor Mauscheleien schützen. Diese Mauern, so bemängeln Kritiker, erwiesen sich jedoch seit langem als porös. Im Falle Enron erschweren sie die Aufklärung sogar: Einige Analysten, die schon im Februar zu Anhörungen geladen wurden, rechtfertigten ihre hartnäckigen Kaufempfehlungen mit dem Hinweis auf die Unterlagen, die sie von Enron erhalten hätten. Weitere Informationen von ihren Investmentbanker-Kollegen, die sie vor dem Kollaps hätten warnen können, seien ihnen - wegen der Chinese Wall - nicht zugänglich gewesen.
Blanke Angst
Analysten als Opfer des Regelwerks der Kapitalmärkte? Schwer vorstellbar. Viele haben einfach Angst, ihre Karriere wie Scotto durch kritische Analysen zu gefährden. Als der erfahrene Wall-Street-Experte im April 2000 von Bear Stearns zur neu auf den US-Markt drängenden Bank BNP Paribas wechselt, bitten seine Vorgesetzten den Chefanalysten, auch Enron zu beobachten. Der Wert galt damals noch als einer der Lieblinge an der Börse. "Bevor ich zu BNP Paribas kam, habe ich mich nicht auf Enron eingelassen", sagt Scotto. "Die Informationen, die ich vom Enron-Management bekam, stimmten nie mit den Zahlen aus dem Jahresbericht überein."
Der Leiter der Analyse-Abteilung fügt sich trotzdem. Schließlich hat sich, nach 30 Jahre im Geschäft, vorgenommen, "bis zur Pensionierung bei BNP Paribas zu bleiben". Der Druck nimmt zu. Im Juni 2000, erzählt Scotto, ereilt ihn die Bitte eines Paribas-Bankers aus Houston, Enrons Firmensitz, er möge den Energiehändler zu Beginn seiner Bewertung als Internetunternehmen porträtieren. Kurz zuvor hat der Konzern etliche Millionen Dollar in ein neues Netzwerk investiert, um Breitbandkapazitäten zu verkaufen. Scotto stimmt nur unter Bauchschmerzen zu: "Wenn man glaubt, dass Enron ein Breitbandunternehmen ist, warum hat es dann der Energie-Analyst in seinem Portfolio und nicht der Telekom-Analyst?"
Xerox-Kommentar unerwünscht
Im September erlebt er erstmals, dass bei Paribas "negative Kommentare unerwünscht sind". Einer seiner Analysten fällt ein kritisches Urteil zu Xerox, dem kränkelnden Kopiermaschinenhersteller. Scotto lässt es unzensiert veröffentlichen, eine Woche später wird er zum Gespräch gebeten. Ob er den Xerox- Bericht angemessen finde, erinnert er sich an die Frage seiner zwei Vorgesetzten. "Am Anfang dachte ich, die machen einen Scherz. Es war offensichtlich, dass Xerox in Schwierigkeiten steckte." Wie ernst seinen beiden Chefs die Frage war, erfährt Scotto, als er vom Leiter der Analystengruppe zum Co-Leiter degradiert wird.
Anfang 2001 schreibt Scotto einen Kommentar zu Enron. "Ich wurde von einem Vorgesetzten gebeten, den Bericht vor der Veröffentlichung an Enron zu schicken, damit sie ihn kommentieren können", erzählt er. Offenbar ist der Bericht nicht positiv genug, er kommt nicht wieder zurück und wird nie veröffentlicht.
Kritik wurde bestraft
Scotto beobachtet Enron weiter und stuft den Konzern schließlich am 23. August herab. Titel der Studie: "Enron, All stressed up and no place to go". Das Unternehmen könnte eine "Quelle für Kapital" sein, schreibt er. Im Klartext: Die Leser sollten darüber nachdenken, ihre Aktien zu verkaufen. In der folgenden Konferenzschaltung mit institutionellen Investoren wird Scotto deutlicher: Er rät seinen Kunden, Enron-Aktien "um jeden Preis zu verkaufen".
Am 29. August wird er erneut in der Firmenhierarchie herabgestuft, vom Co-Leiter zum Chefanalysten, ein Titel, den Scotto zuletzt vor 15 Jahren innehatte. Am selben Tag wird er für 120 Tage in bezahlten Urlaub geschickt, im Dezember geht per Post die sofortige Kündigung ein.
Abstieg in in der Hierachie
BNP Paribas bestreitet die Aussagen ihres ehemaligen Leiters der Analysten-Abteilung: "Mr. Scottos Abschied von der Firma war völlig unabhängig von seinem Enron-Bericht vom August 2001 oder irgendeinem anderen Bericht, den er geschrieben hat", erklärt die Bank in einem Schreiben. Zwar diskutiere BNP Paribas Personalfragen nicht öffentlich, doch so viel sei dann doch gesagt: Scottos Entlassung habe mit "Mängeln sowohl in seiner Leistung als Manager als auch in seiner Effizienz als Co- Leiter" zu tun.
Wie dem auch sei - die US-Aufsichtsbehörden vermuten jedenfalls, dass der Interessenkonflikt zwischen Analysten und Investmentbankern das Enron-Debakel mit verursacht hat. "Enron ist das Musterkind für Dinge, die ich im System für verbesserungswürdig hielt", sagt SEC-Chef Harvey Pitt in Anspielung auf alte Forderungen. Er will die Arbeit der Wall-Street-Akteure so schnell wie möglich stärker regulieren.
Restriktionen
Die Höhe der Analystenbezüge etwa soll künftig nicht mehr an den Erfolg des Investmentbanking geknüpft sein, Analysten sollen nicht mehr selbst Aktien handeln dürfen. Einen Riegel vorschieben wollen die US-Aufseher ebenfalls der Praxis, Kunden mit der Aussicht auf positive Analystenkommentare anzulocken.
Branchenkenner bezweifeln indes, dass die vorgeschlagenen Maßnahmen ausreichen. "Es wird nichts ändern", sagt Sean Ryan, Leiter der Analysten-Abteilung des unabhängigen Brokerhauses Fulcrum Global Partners. Die Vorschläge sind "eine formale Prozedur, um ein Problem anzugehen, dass formal nicht existiert". Investmentbanken würden selten formulieren, was von Analysten erwartet wird. "Positiv über Unternehmen zu schreiben", so Ryan, "ist eher ein ungeschriebenes Gesetz, dem sich die meisten beugen, ohne extra daran erinnert werden zu müssen." Auch sei die Vergütung nicht offiziell an bestimmte Geschäfte gebunden. Wenngleich jedem klar sei, dass es "den Job kosten kann", wenn man nicht mitspielt.
Ryan weiß, wovon er spricht. Bevor er bei Fulcrum begann, hatte er jahrelang bei einigen der großen New Yorker Investmenthäusern gearbeitet. Dort hat er den Druck, der auf eigenwillige Analysten ausgeübt wird, selbst erfahren. So seien ihm zum Beispiel bei Bear Stearns von Mitte 1997 bis Ende 1999 wiederholt Banken zur Bewertung aufgedrängt worden - gegen seinen Willen.
Negative Analysen einfach gestrichen
In einem Fall habe die Anleihen-Abteilung das Kreditinstitut als neuen Kunden gewinnen wollen. In einem anderen Fall hätten Freunde eines Bear-Stearns-Topmanagers die zur Diskussion stehende kleine Bank besessen. Nicht nur die Auswahl der von Ryan bewerteten Banken wurde beeinflusst, auch der Ton seiner Analysen: Negative Einschätzungen wurden mitunter gestrichen.
Als Ryan protestierte, wurde er für seine Widerborstigkeit bestraft. Sein Bonus-Scheck sei in einem Jahr um rund ein Drittel niedriger ausgefallen als erwartet. Aus mangelnder Kooperationsbereitschaft, wie er von einem Vorgesetzten erfuhr. Offiziell bestreitet Bear Stearns, den Analysten in seiner Arbeit beeinflusst zu haben
Von Kerstin Friemel, New York Die Rolle der Börsianer und Banken im Enron-Skandal blieb lange unberücksichtigt. Das ändert sich nun. Am Mittwoch lief die Frist aus, bis zu der die Investmenthäuser erklären müssen, warum sie den Kollaps des Energieriesen nicht voraussahen. Die Geschichte des BNP-Paribas-Staranalysten Daniel Scotto, der nach seiner Warnung gefeuert wurde, lässt Böses ahnen.
Daniel Scotto war der Prototyp des erfolgreichen Wall-Street-Stars: Neun Jahre in Folge wählte das renommierte US-Fachmagazin "Institutional Investor" den 49-Jährigen zur Nummer eins unter den Leitern von Analystenteams. Die Auszeichnungen - Trophäen aus Plexiglas - stehen in Reih und Glied auf dem Beistelltischchen in seinem Arbeitszimmer. Erinnerungen an alte Tage.
Heute ist Daniel Scotto ganz unten. Gefeuert, arbeitslos. Nach eineinhalb Jahren hat ihn sein Arbeitgeber, die französische Großbank BNP Paribas, vor die Tür gesetzt. Das war im vergangenen Dezember. "Sie haben meinen Ruf ruiniert", sagt der gefallene Superstar.
Scotto war einer der wenigen Wall-Street-Experten, die das Enron-Desaster vorausahnten. Bereits am 23. August vergangenen Jahres, also gut drei Monate bevor der Energiekonzern aus Houston Anfang Dezember Konkurs anmeldete, hatte Scotto die Aktie von "kaufen" auf "neutral" herabgestuft. Eine knappe Woche später wurde er beurlaubt, am 5. Dezember schließlich gekündigt.
Sein Arbeitsprinzip, die Unternehmen möglichst objektiv zu bewerten, sagt Scotto, habe ihn bei Paribas den Job gekostet: "Ich bin regelmäßig unter Druck gesetzt worden, die Unternehmen positiver darzustellen, als sie waren. Der Enron-Bericht war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat."
Neuer Verdächtiger im Enron-Krimi
Der Fall Scotto bringt einen Verdächtigen ins Spiel, den im Enron-Krimi bislang niemand auf der Liste hatte: die Wall Street. Die Anhörungen konzentrierten sich auf das Management des Energiekonzerns und seine Wirtschaftsprüfer. Ende März wird der Finanzausschuss nun voraussichtlich einige Topmanager angesehener Geldhäuser in die Mangel nehmen. Bis gestern mussten die Chefs von über zehn Investmentbanken, darunter Goldman Sachs und Lehman Brothers, ihre Antworten auf einen detaillierten Fragenkatalog des Ausschusses einreichen. Die sonst eher diskreten Anfragen sind diesmal für jedermann einsehbar auf der Webseite energycommerce.house.gov/ veröffentlicht.
Viele Beobachter des Enron-Spektakels verstehen bis heute nicht, warum Analysten noch kurz vor dem Untergang des Energiehändlers zum Kauf der Aktie geraten haben? Was wussten die Investmentbanker? Inwiefern tragen sie mit Schuld daran, dass Enrons Spiel jahrelang unentdeckt blieb?
Börsenprofis zu lange optimistisch
Fest steht nur, dass kaum ein Börsenprofi rechtzeitig vor dem Absturz des Konzerns gewarnt hat. Einer Untersuchung des Finanzdienstleisters Thomson Financial zufolge war die Mehrzahl der Analysten selbst am 29. November 2001 - nur wenige Tage vor der Konkurs-Anmeldung - noch optimistisch: Sechs stuften die Aktie als "starken Kauf" ein, zwei als "Kauf". Sechs rieten, das Papier zu "halten", nur einer empfahl zu "verkaufen".
Das Interesse der Banken an einer positiven Bewertung von Firmen liegt auf der Hand: Je optimistischer Analysten über Unternehmen berichten, desto größer ist die Chance der hausinternen Investmentbanker, die Vorstände für ihre Angebote zu gewinnen. Die Palette reicht vom Börsengang bis zur Herausgabe neuer Aktien oder Anleihen. Und auch die Analysten profitieren in der Regel von guten Beurteilungen: Ihre Boni fallen umso höher aus, je stärker ihre Empfehlungen das Investmentbanking angekurbelt haben.
Seit 1999 soll zwar die so genannte "Chinese Wall" - die strikte Trennung von Analysten und Investmentbankern eines Hauses - vor Mauscheleien schützen. Diese Mauern, so bemängeln Kritiker, erwiesen sich jedoch seit langem als porös. Im Falle Enron erschweren sie die Aufklärung sogar: Einige Analysten, die schon im Februar zu Anhörungen geladen wurden, rechtfertigten ihre hartnäckigen Kaufempfehlungen mit dem Hinweis auf die Unterlagen, die sie von Enron erhalten hätten. Weitere Informationen von ihren Investmentbanker-Kollegen, die sie vor dem Kollaps hätten warnen können, seien ihnen - wegen der Chinese Wall - nicht zugänglich gewesen.
Blanke Angst
Analysten als Opfer des Regelwerks der Kapitalmärkte? Schwer vorstellbar. Viele haben einfach Angst, ihre Karriere wie Scotto durch kritische Analysen zu gefährden. Als der erfahrene Wall-Street-Experte im April 2000 von Bear Stearns zur neu auf den US-Markt drängenden Bank BNP Paribas wechselt, bitten seine Vorgesetzten den Chefanalysten, auch Enron zu beobachten. Der Wert galt damals noch als einer der Lieblinge an der Börse. "Bevor ich zu BNP Paribas kam, habe ich mich nicht auf Enron eingelassen", sagt Scotto. "Die Informationen, die ich vom Enron-Management bekam, stimmten nie mit den Zahlen aus dem Jahresbericht überein."
Der Leiter der Analyse-Abteilung fügt sich trotzdem. Schließlich hat sich, nach 30 Jahre im Geschäft, vorgenommen, "bis zur Pensionierung bei BNP Paribas zu bleiben". Der Druck nimmt zu. Im Juni 2000, erzählt Scotto, ereilt ihn die Bitte eines Paribas-Bankers aus Houston, Enrons Firmensitz, er möge den Energiehändler zu Beginn seiner Bewertung als Internetunternehmen porträtieren. Kurz zuvor hat der Konzern etliche Millionen Dollar in ein neues Netzwerk investiert, um Breitbandkapazitäten zu verkaufen. Scotto stimmt nur unter Bauchschmerzen zu: "Wenn man glaubt, dass Enron ein Breitbandunternehmen ist, warum hat es dann der Energie-Analyst in seinem Portfolio und nicht der Telekom-Analyst?"
Xerox-Kommentar unerwünscht
Im September erlebt er erstmals, dass bei Paribas "negative Kommentare unerwünscht sind". Einer seiner Analysten fällt ein kritisches Urteil zu Xerox, dem kränkelnden Kopiermaschinenhersteller. Scotto lässt es unzensiert veröffentlichen, eine Woche später wird er zum Gespräch gebeten. Ob er den Xerox- Bericht angemessen finde, erinnert er sich an die Frage seiner zwei Vorgesetzten. "Am Anfang dachte ich, die machen einen Scherz. Es war offensichtlich, dass Xerox in Schwierigkeiten steckte." Wie ernst seinen beiden Chefs die Frage war, erfährt Scotto, als er vom Leiter der Analystengruppe zum Co-Leiter degradiert wird.
Anfang 2001 schreibt Scotto einen Kommentar zu Enron. "Ich wurde von einem Vorgesetzten gebeten, den Bericht vor der Veröffentlichung an Enron zu schicken, damit sie ihn kommentieren können", erzählt er. Offenbar ist der Bericht nicht positiv genug, er kommt nicht wieder zurück und wird nie veröffentlicht.
Kritik wurde bestraft
Scotto beobachtet Enron weiter und stuft den Konzern schließlich am 23. August herab. Titel der Studie: "Enron, All stressed up and no place to go". Das Unternehmen könnte eine "Quelle für Kapital" sein, schreibt er. Im Klartext: Die Leser sollten darüber nachdenken, ihre Aktien zu verkaufen. In der folgenden Konferenzschaltung mit institutionellen Investoren wird Scotto deutlicher: Er rät seinen Kunden, Enron-Aktien "um jeden Preis zu verkaufen".
Am 29. August wird er erneut in der Firmenhierarchie herabgestuft, vom Co-Leiter zum Chefanalysten, ein Titel, den Scotto zuletzt vor 15 Jahren innehatte. Am selben Tag wird er für 120 Tage in bezahlten Urlaub geschickt, im Dezember geht per Post die sofortige Kündigung ein.
Abstieg in in der Hierachie
BNP Paribas bestreitet die Aussagen ihres ehemaligen Leiters der Analysten-Abteilung: "Mr. Scottos Abschied von der Firma war völlig unabhängig von seinem Enron-Bericht vom August 2001 oder irgendeinem anderen Bericht, den er geschrieben hat", erklärt die Bank in einem Schreiben. Zwar diskutiere BNP Paribas Personalfragen nicht öffentlich, doch so viel sei dann doch gesagt: Scottos Entlassung habe mit "Mängeln sowohl in seiner Leistung als Manager als auch in seiner Effizienz als Co- Leiter" zu tun.
Wie dem auch sei - die US-Aufsichtsbehörden vermuten jedenfalls, dass der Interessenkonflikt zwischen Analysten und Investmentbankern das Enron-Debakel mit verursacht hat. "Enron ist das Musterkind für Dinge, die ich im System für verbesserungswürdig hielt", sagt SEC-Chef Harvey Pitt in Anspielung auf alte Forderungen. Er will die Arbeit der Wall-Street-Akteure so schnell wie möglich stärker regulieren.
Restriktionen
Die Höhe der Analystenbezüge etwa soll künftig nicht mehr an den Erfolg des Investmentbanking geknüpft sein, Analysten sollen nicht mehr selbst Aktien handeln dürfen. Einen Riegel vorschieben wollen die US-Aufseher ebenfalls der Praxis, Kunden mit der Aussicht auf positive Analystenkommentare anzulocken.
Branchenkenner bezweifeln indes, dass die vorgeschlagenen Maßnahmen ausreichen. "Es wird nichts ändern", sagt Sean Ryan, Leiter der Analysten-Abteilung des unabhängigen Brokerhauses Fulcrum Global Partners. Die Vorschläge sind "eine formale Prozedur, um ein Problem anzugehen, dass formal nicht existiert". Investmentbanken würden selten formulieren, was von Analysten erwartet wird. "Positiv über Unternehmen zu schreiben", so Ryan, "ist eher ein ungeschriebenes Gesetz, dem sich die meisten beugen, ohne extra daran erinnert werden zu müssen." Auch sei die Vergütung nicht offiziell an bestimmte Geschäfte gebunden. Wenngleich jedem klar sei, dass es "den Job kosten kann", wenn man nicht mitspielt.
Ryan weiß, wovon er spricht. Bevor er bei Fulcrum begann, hatte er jahrelang bei einigen der großen New Yorker Investmenthäusern gearbeitet. Dort hat er den Druck, der auf eigenwillige Analysten ausgeübt wird, selbst erfahren. So seien ihm zum Beispiel bei Bear Stearns von Mitte 1997 bis Ende 1999 wiederholt Banken zur Bewertung aufgedrängt worden - gegen seinen Willen.
Negative Analysen einfach gestrichen
In einem Fall habe die Anleihen-Abteilung das Kreditinstitut als neuen Kunden gewinnen wollen. In einem anderen Fall hätten Freunde eines Bear-Stearns-Topmanagers die zur Diskussion stehende kleine Bank besessen. Nicht nur die Auswahl der von Ryan bewerteten Banken wurde beeinflusst, auch der Ton seiner Analysen: Negative Einschätzungen wurden mitunter gestrichen.
Als Ryan protestierte, wurde er für seine Widerborstigkeit bestraft. Sein Bonus-Scheck sei in einem Jahr um rund ein Drittel niedriger ausgefallen als erwartet. Aus mangelnder Kooperationsbereitschaft, wie er von einem Vorgesetzten erfuhr. Offiziell bestreitet Bear Stearns, den Analysten in seiner Arbeit beeinflusst zu haben