HANDELSBLATT, Dienstag, 24. Oktober 2006, 07:10 Uhr | |||
SolarbrancheDie Sonne über BitterfeldVon Manfred SchulzeDie Chemieregion Bitterfeld-Wolfen schien nach der Wiedervereinigung an ihrem Ruf zu scheiten. Doch jetzt entwickelt sich eine Erfolgsgeschichte. Hier beginnt das Solar Valley von Sachsen-Anhalt. Und bald auch von Deutschland. Und wohl auch Europas.
THALHEIM. Nur einen Kilometer entfernt vom gewaltigen Firmenpalast, wo Agfa in Wolfen vor gut 70 Jahren den Farbfilm entwickelte, liegt heute im Ort Thalheim die Sonnenallee. Während der Betonkoloss mit vernagelten Fensteröffnungen einer fragwürdigen Zukunft entgegensieht, wächst dort eine neue Branche: Manfred Kressin hat seither Probleme mit dem Englischen. Als altgedienter Ortsvorsteher von Wolfen-Thalheim hat er Pflichten, wenn Unternehmen feiern. Und das kommt häufig vor. Zuletzt Mitte Oktober, als Q-Cells, das binnen weniger Jahre zu Deutschlands größtem konzernunabhängigen Solarzellenhersteller aufstieg, wieder einen neuen Grundstein legen ließ. Eine neue Tochterfirma mit Namen Brilliant 234. GmbH wird eine Pilotanlage für neuartige Dünnschichtzellen errichten. Die für die Massenproduktion vorgesehene Technologie wurde gemeinsam mit dem Forschungszentrum Jülich entwickelt. Gleich nebenan drehen sich weitere Baukräne. EverQ baut eine zweite Fabrik neben die "Fab I", in die bis Sommer 2006 über 70 Millionen Euro investiert wurden. Dort sind derzeit 360 Mitarbeiter beschäftigt. EverQ ist ein Joint Venture der inzwischen börsennotierten Q-Cells, dem amerikanischen Unternehmen Evergreen Solar sowie der norwegischen Renewable Energy Corporation. "Im nächsten Sommer geht die Fab II in Betrieb", versichert Rick Feldt, CEO von Evergreen. Und ein paar Meter weiter stellt Calyxo, eine weitere Q-Cells-Tochter, für ihre Pilotfertigungslinie Maschinen zur Herstellung von Dünnschicht-Solarmodulen auf. Für Sachsen-Anhalts Wirtschaftsminister Rainer Haselhoff ist die Region Wolfen-Thalheim bereits ein "beispielhafter Cluster der Solarindustrie". Allein bei Q-Cells arbeiten in der Entwicklungsabteilung fast 100 Ingenieure und Techniker. Durch dünnere Wafer, höhere Wirkungsgrade und anderen Schichtaufbau soll auch bei den herkömmlichen Zellen der Siliziumeinsatz sinken. "Die Solarbranche ist für Sachsen-Anhalt eine der größten Erfolgsgeschichten", freut sich auch Detlef Schubert, Staatssekretär im Magdeburger Wirtschaftsministerium. Dass sich die Zellenproduktion auf den Standort Wolfen konzentriert, sieht er nicht als Nachteil, denn dadurch würde schnell eine Größe erreicht, die andere Investoren aufmerksam machen und anlocken dürfte. "Da kommt noch mehr", frohlockt der Staatssekretär beim Gedanken an die Zukunft. <!--nodist-->Lesen Sie weiter auf Seite 2: Zu Beginn ist von 40 oder 50 Arbeitsplätzen die Rede. <!--/nodist-->Das Dörfchen Thalheim ist international geworden. Die Chefs von Q-Cells und dem Nachbarn EverQ sprechen untereinander englisch und haben Gäste aus aller Welt, wenn mal wieder ein so genanntes "Ribbon Cutting" vollzogen wird. Kressin, kurz vor der Rente und eigentlich im Bauerndorf groß geworden, muss da durch und sagt einfach das, was viele in der Region Bitterfeld heute denken: "Ein großer Tag in unserer einst beschaulichen Gemeinde jagt den anderen. Wir haben vor vier Jahren noch nicht im Ansatz daran denken mögen, was hier geschieht." 40 oder 50 Arbeitsplätze hatten ihm damals die Manager der ihm völlig unbekannten Firma Q-Cells auf einem Acker angeboten. "Das wurde ganz schnell schon in der Planung immer größer - erst 120, dann eine Erweiterung auf 400. Heute haben wir drei Solarfabriken mit über 1 400 Beschäftigten, und in vier Jahren werden in Thalheim Fabriken für 5 000 Menschen allein in der Sonnenbranche stehen", freut sich Kressin. "Wir gehen immer mehr in die Massenproduktion und können die Preise für den Solarstrom senken", verspricht Q-Cells-Chef Anton Milner. In spätestens fünf Jahren werde in den europäischen Sonnenstaaten oder in Kalifornien auch ohne Subventionen der Strom aus der Zelle konkurrenzfähig. "Dann können wir unseren Technologievorsprung und die langfristige Absicherung des Rohstoffbezuges voll ausspielen können", so Milner. Während Q-Cells mit inzwischen fast 900 Mitarbeitern und im laufenden Jahr voraussichtlich 525 Millionen Euro Umsatz vor allem herkömmliche Zellen aus gesägten Silizium-Wafern herstellt, nutzt EverQ eine neuartige Technologie, bei der die dünnen Siliziumscheiben direkt aus der Schmelze gezogen werden. Damit kann der Einsatz des weltweit knappen Rohstoffes Silizium um etwa die Hälfte reduziert werden. Für Bürgermeister Kressin, der in seiner Gemeinde auch noch den kleineren Solartechnik-Spezialisten CSG Solar aufzählen kann, an dem Q-Cells ebenfalls beteiligt ist, haben die Ansiedlungserfolge gute Gründe: "Wir liegen verkehrsgünstig und verlangen günstige Grundstückspreise und Gewerbesteuern mit einem Hebesatz von nur 200 Prozent." In Kürze aber werde Thalheim mit Wolfen und Bitterfeld verschmolzen: "Dann kommt alles in den großen Topf." <!-- ISI_LISTEN_STOP --> |