Versandhandel
Brandmarke Wohnviertel: Versandhändler erlauben es nur Kunden in besseren Ggenden, per Rechnung zu bezahlen.
Wo finde ich die richtigen Kunden für meine Produkte? Und können sie die Waren überhaupt bezahlen, die sie bestellen? Für Web-Shops und den traditionellen Versandhandel sind das die Gretchenfragen, besonders im hektischen Weihnachtsgeschäft. Um sie zu beantworten, sind so genannte Scoring-Verfahren entstanden: Sie helfen, die Kaufkraft jedes einzelnen Bundesbürgers einzuschätzen. Ein Beispiel ist die traditionelle Schufa, die sich des Scorings bedient, um Banken und Unternehmen schnell Auskunft zur Kreditwürdigkeit ihrer Kunden geben zu können. Ein anderes Unternehmen namens Informa in Pforzheim nutzt zudem die Möglichkeiten des Internet, um gute Kunden von schlechten zu trennen, und hat dafür vor kurzem den Big-Brother-Award bekommen. Mit diesem Preis prangert unter anderem der Bielefelder Verein Foebud Datensünder an.
Von einigen Web-Shops wie Schlecker.com, WelcomeLiving.com oder MyToys.de wird Scoring sogar automatisch benutzt. Rena Tangens von Foebud hat herausgefunden, dass sich bei MyToys.de verschiedene Fenster mit Zahlungsoptionen öffnen, sobald der Kunde seine Adresse angibt: Nur „per Nachnahme“ oder Kreditkarte geht es beispielsweise im eher ärmlichen Hamburger Stadtteil St. Georg, in feinen Blankenese hingegen ist auch ein Kauf per Rechnung möglich. Solche automatisierten Einzelentscheidungen bei Geschäftsabschlüssen sind eigentlich ein Verstoß gegen das Bundesdatenschutzgesetz. Doch der Beweis, dass dies bei den Betroffenen zu Nachteilen führt, fällt den Datenschützern in der Praxis schwer.
Allerdings hängt es oft genug vom Scoring ab, ob jemand einen Kredit bekommt oder ob ein Kauf im Internet über die Bühne geht. Laut Schufa gibt das Analyseverfahren verlässlich Auskunft darüber, „wie hoch das Risiko ist, dass ein Kunde nicht vereinbarungsgemäß zahlt“. Dazu wird für jede Anschrift in Deutschland ein Wert ermittelt.
Viele Informationen geben die Betroffenen den Scoring-Firmen mehr oder minder freiwillig. Bei Krediten beruht das auf den berüchtigten Schufa-Klauseln, im Versandhandel auf dem Kleingedruckten, in dem es zum Beispiel heißt: „Ergänzend beziehen wir über Sie Bonitätsinformationen von der Informa Unternehmensberatung GmbH.“ Bisweilen beruht der Score aber auch auf Daten, die der Betroffene nicht freiwillig gegeben hat. „Wir können für jeden Bürger einen Score ermitteln“, sagt Informa-Geschäftsführer Paul Triggs optimistisch: „Selbst wenn es über die Einzelperson keine Daten gibt, hilft uns hier die Beurteilung des Nachbarn rechts oder links.“ Sind die Vorgärten verwildert, und bröckeln die Fassaden, könnte das entscheidende Punkte kosten. Auch mehrfache Umzüge und eine Wohnung im Sozialbau könnten den Score drücken.
Um die Einschätzungen möglichst exakt treffen zu können, verarbeitet Informa eine Menge Daten. Dabei handelt es sich neben der Kundenkartei der Versandhändler um etwa zwei Milliarden Zusatzdaten: soziodemographisches Material, statistische Zahlen, Informationen über regionale Besonderheiten, Markt und Konsum sowie so genannte Lifestyle-Daten. Dazu gehören Angaben über Urlaub und Reisen, Freizeitaktivitäten, Autos, Einkäufe, ja selbst Spendenbereitschaft und Gesundheitszustand.
Das Verfahren berechnet laut Informa die Wahrscheinlichkeit, „mit der jeder einzelne Kunde ein bestimmtes Verhalten zeigen wird“: Produkte kaufen, Dienstleistungen nutzen, einen Kredit tilgen, bestellte Ware behalten, anstatt sie zurückzuschicken, spätestens nach einer Mahnung bezahlen.
Mit diesen Zahlen können auch Firmen viel anfangen, die Werbung treiben: Den „Abschied vom Gießkannen-Prinzip“ propagiert Informa darum, da sich mit Scoring die richtigen „Potenziale im Kundenstamm“ ausmachen ließen: Reklame geht dann ohne große Streuverluste an kaufkräftige Kunden.
Welche Daten in ihren Score einfließen, wissen die Kunden nur selten. Die Firma Informa etwa lehnte gegenüber der SZ jede Stellungnahme ab, ob Kunden den Wert abfragen können. Und bei der Schufa verschlechterte sich der Wert lange Zeit automatisch, sobald sich ein Betroffener danach erkundigte. Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz Joachim Jacobs hält diese Praxis für „rechtlich äußerst bedenklich“. Nach längeren Verhandlungen hat sich die Schufa erst kürzlich bereit erklärt, von der Praxis abzurücken.
Quelle: Süddeutsche Zeitung