hier eine gut gelungene darstellung zu den gefahren an den usa-aktienmärkten:
Kreditinflation aller Zeiten
Eine ernste Diskussion über die Ursachen der Hausse wird nicht geführt - Die Revolution in der US-Wirtschaft hat nicht stattgefunden
Von Kurt Richebächer
Börsen-Zeitung, 19.10.1999
Im Lichte der Daten, an denen die wirtschaftliche Entwicklung eines Landes heute hauptsächlich gemessen wird, liegt die amerikanische Wirtschaft seit mindestens vier Jahren unter strahlendem Sonnenschein. Das reale Sozialprodukt erhöhte sich in dieser Zeit im jährlichen Durchschnitt um 3,6% bei gleichzeitiger Zunahme der Beschäftigung um insgesamt fast sieben Millionen oder 1,3% jährlich. Was den Glauben an einen tief greifenden Paradigmenwechsel in der amerikanischen Wirtschaft aber vor allem schürte, war die Tatsache, dass bei hohem Wachstum gleichzeitig die Inflationsraten für Konsumenten- und Produzentenpreise fielen. Das war für viele normalerweise unvorstellbar.
Schnell hatte man die passende Erklärung parat: Im internationalen Vergleich liege die amerikanische Wirtschaft insbesondere aus zwei Gründen weit an der Spitze: Erstens hat sie einen großen Vorsprung in der Entwicklung und Anwendung der neuen Informationstechnologie, und zweitens habe das von Wall Street gesetzte Leitbild vom Shareholder Value in Corporate America gesammelte Management-Energien freigesetzt, die zu gründlichen Verbesserungen in den Gewinnen und im Produktionsfortschritt geführt haben.
Shareholder Value über alles
Auf eine kurze Formel gebracht: Die ausdrückliche Verpflichtung des Managements, unter allen Umständen und in erster Linie den Shareholder Value zu maximieren, wird als die wirksamste Methode betrachtet, die Leistung in der Wirtschaft zum Besten der Allgemeinheit zu maximieren. Stichwort und Schlagwort: Corporate Restructuring. Indem sich dieses Leistungsprinzip inzwischen über die gesamte amerikanische Wirtschaft ausgebreitet hat, sei letzten Endes der gegenwärtige, lange wirtschaftliche Aufschwung mit all seinen hervorragenden Eigenschaften zustande gekommen. Aus dieser Sicht werden andere Länder inzwischen weitgehend daran gemessen, inwieweit sie die angeblich bewährten amerikanischen Methoden übernommen haben.
Hausse zieht blinden Glauben nach sich
Es passt alles wunderschön zusammen. Doch vor allem haben wohl die endlosen hohen Kursgewinne an Wall Street für eine allgemein hohe Bereitschaft gesorgt, diesen und anderen wohlklingenden Erklärungen fast blinden Glauben zu schenken. Zu einer ersten Diskussion über die Ursachen der Aktienhausse und der glänzenden Performance der amerikanischen Wirtschaft in den letzten Jahren ist es nie gekommen. Die wenigen kritischen Stimmen, die sich meldeten, wurden nicht widerlegt, sondern einfach überhört. Was spricht gegen diesen Glauben an ein Wirtschaftswunder in Amerika? Erstens die Tatsache, dass die angeblich schlüssigen Beweise in Wahrheit alles andere als schlüssig sind, und zweitens die vorliegenden monetären Daten, die klar und deutlich besagen, dass Herr Greenspan über die unmäßigste Kreditinflation präsidierte, die es je in der Welt gegeben hat. Das nämlich ist der Stoff, aus dem regelmäßig Bubbles entstehen.
Bis auf den heutigen Tag ist stets und ständig zu hören und zu lesen, eine "asset bubble", also eine Inflationsblase in Finanz- oder Sachanlagen, sei sehr schwer zu erkennen, bevor sie platzt. So Greenspan und viele andere in ständiger Wiederholung. Das ist einfach eine faule Entschuldigung für diejenigen, die nicht sehen wollen. Theoretische Erkenntnis wie geschichtliche Erfahrung geben in dieser Beziehung eine ebenso einfache wie klare Antwort: Entscheidendes Kriterium für eine inflatorische Entwicklung jeglicher Art ist die jeweils stattfindende Kreditexpansion, und zwar Kreditexpansion im Vergleich mit zwei volkswirtschaftlichen Aggregaten: erstens dem inländischen Sparaufkommen und zweitens dem Anstieg des nominalen Sozialprodukts, das die gesamtwirtschaftliche Aktivität misst. Noch in den achtziger Jahren gehörte diese Einsicht zu den Binsenweisheiten in der Nationalökonomie.
Greenspan übergeht sinkende Ersparnis
Die Kreditausweitung der letzten Jahre in den USA ist ohne Vergleich und Beispiel in der Geschichte, weil sie von einem völligen Kollaps der persönlichen Ersparnisbildung begleitet war. Es ist zur Norm geworden, dass die privaten Haushalte beständig mehr ausgeben, als sie verdienen. Fast ein Drittel des Anstiegs der Konsumausgaben in diesem Jahr ging auf das Konto sinkender Ersparnis. In seinen zahlreichen Reden hat Herr Greenspan nicht einmal auch nur ein einziges Wort über die Tatsachen verloren. Zum Vergleich sei bemerkt, dass Japan in seinen Bubble-Jahren der späten achtziger Jahre eine persönliche Sparquote von 12 bis 13% hatte, nach vorher 15 bis 16%.
Ein nicht weniger tolles Bild bietet sich beim Vergleich der laufenden Kreditexpansion mit dem gleichzeitigen Anstieg des nominalen Sozialprodukts. Dieses stieg im vergangenen Jahr um 400 Mrd. Dollar und in der ersten Hälfte dieses Jahres um 200 Mrd. Dollar. Dem stand eine Kreditaufnahme des privaten nicht-finanziellen Sektors, also von Konsumenten und Unternehmen zusammen, von 995 Mrd. Dollar beziehungsweise 532 Mrd. Dollar gegenüber. Auf einen Dollar Anstieg des Sozialprodukts kam von deren Seite damit rund 2,5 Dollar Neuverschuldung. Wohlgemerkt, dies ist alles private Verschuldung, denn die Regierung macht in ihrem Haushalt einen Überschuss.
Schuldenberge gebären Blasen
Daneben ist aber die explosionsartig zunehmende Kreditaufnahme eines dritten Sektors in Betracht zu ziehen, und zwar des Finanzsektors. Er borgte im vergangenen Jahr 1,068 Mrd. Dollar und 557 Mrd. in der ersten Hälfte dieses Jahres. Das ergibt in der Terminologie des Federal Reserve "net flows through the credit markets" von 2120 Mrd. Dollar im Jahre 1998 und von 1080 Mrd. Dollar in der ersten Hälfte des Jahres. (Nebenbei bemerkt, die jüngsten Zahlen sind nicht auf Jahresrate hochgerechnet).
Um die Brisanz der Inflationsblase in den amerikanischen Finanzmärkten zu verstehen, ist es notwenig, sich die Brisanz der Schuldenblase vor Augen zu führen, aus der jede Bubble letztlich hervorgeht. In den vergangenen viereinhalb Jahren bis Mitte 1999 hat die Neuverschuldung in den amerikanischen Kreditmärkten insgesamt um mehr als 7200 Mrd. Dollar oder um 40% auf 24428 Mrd. Dollar zugenommen. Das sind 363% des derzeitigen jährlichen Sozialprodukts. Von dieser Gesamtverschuldung entfielen 25% auf die privaten Haushalte, 24% auf Unternehmen, 15% auf die Regierung und 29% auf den finanziellen Sektor.
Im Rückblick erscheint es sonnenklar, dass das amerikanischen Kreditsystem vor allem von 1997 auf 1998 vollkommen außer Kontrolle geraten ist. Die Neuverschuldung des privaten nicht-finanziellen Sektors, also der Konsumenten und Unternehmen, schnellte von einem Jahr zum anderen um 41% und die des finanziellen Sektors um sage und schreibe 64% in die Höhe. Obwohl dies wirklich ein ungeheuerlicher Sprung war, nahm ihn niemand zur Kenntnis, denn Kreditzahlen sind für Alan Greenspan und Wall Street grundsätzlich ohne Interesse. Das einzige, was sie im monetären Bereich aber auch nur gelegentlich beachten, sind die Geldmengen. Immerhin beschleunigte sich das Wachstum der Geldmenge M3 auf 11%, nach 9% im Vorjahr. Doch auch das erschien irrelevant angesichts sinkender Inflationsraten.
Für die meisten ausländischen Betrachter ist es ein Rätsel, was die explosionsartige Zunahme der Kreditaufnahme des finanziellen Sektors in den USA zu bedeuten hat. Es handelt sich in der Hauptsache um so genannte "non-bank financial intermediaries", die sekurisierte Hypotheken und alle Arten von Konsumkrediten kaufen und finanzieren. Die Verbindlichkeiten der größten Institute in dieser Gruppe sind "Federal government-related" und genießen infolgedessen Staatsgarantie, die ihre Refinanzierung erleichtert und verbilligt. Hauptsächliche Refinanzierungsquelle sind der amerikanische und der internationale Geldmarkt, die sie mit verschiedenartigen kurz- und mittelfristigen Instrumenten anzapfen. Letztlich wurden sie zur unerschöpflichen Quelle für den unersättlichen Konsumkredit.
Kaum jemandem scheint klar zu sein, dass sich hier inflatorische Kreditschöpfung reinsten Wassers in phantastischen Ausmaßen abspielt. Im Unterschied aber zur Kreditgewährung der Banken findet in diesem Falle keinerlei Geldschöpfung in Gestalt einer gleichzeitigen Vermehrung der Bankeinlagen, sondern eine Beschleunigung der Geldumlaufsgeschwindigkeit statt. Was diese Institute über die Geldmärkte von ihren Kreditgebern ausleihen, um damit Kreditpapiere zu kaufen, sind letzten Endes bestehende Bankeinlagen, das heißt bestehende Kassenbestände von Unternehmen und institutionellen Anlegern. Die unsichtbare monetäre Expansionswirkung findet durch schnelleren Umschlag der Einlagen statt.
Man führe sich vor Augen, dass die Käufe dieser Institute von "sekuritisierten" Krediten von 550 Mrd. Dollar im Jahre 1996 auf mehr als 1000 Mrd. Dollar im Jahre 1998 zugenommen haben. Diese Summen, um nicht zu sagen Unsummen, lassen keinen Zweifel daran, dass diese Institute bei der Bildung der großen amerikanischen Kredit- und Finanzblase in den letzten beiden Jahren direkt und indirekt eine absolut entscheidende Rolle gespielt haben.
Kreditpyramide führt zu Illiquidität
Eine der Folgen dieser Entwicklung ist natürlich, dass Kreditschöpfung und Geldschöpfung in den USA wie nie zuvor auseinander klaffen. In der Wirkung auf Wirtschaft und Märkte besteht keinerlei Unterschied zur Kreditschöpfung der Banken, die mit Geldvermehrung verbunden ist. Wohl aber wird das Finanzsystem auf längere Sicht zwangsläufig illiquider, indem im Verhältnis zur Geldmenge eine immer größere Kreditpyramide entsteht. Ebenso sollte klar sein, dass die Bewegungen der Geldmengen unter diesen veränderten institutionellen Bedingungen ein völlig unzulänglicher Maßstab für die Geldpolitik geworden sind.
Womit wir zur wichtigsten Frage überhaupt in diesem Zusammenhang kommen: Was genau war und ist die entscheidende treibende Kraft hinter dem langen Boom der amerikanischen Wirtschaft und der stürmischen Hausse des Aktienmarktes gewesen? War es die Kreditblase, die wir beschrieben haben? Oder ist es der berühmte Paradigmenwechsel in der Wirtschaft als Folge von High Tech und Corporate Restructuring, den Wall Street und Herr Greenspan beschwören? Halten wir als erstes nochmals fest: Die Kreditexpansion, die in den letzten Jahren in den USA stattgefunden hat, ist ohne Beispiel in der Geschichte. Sie stellt alle bisherigen Bubble-Erfahrungen in den Schatten. Ebenfalls einmalig in der Geschichte ist es, dass alle Welt, nicht nur unabhängige Beobachter und Kommentatoren, sondern vor allem auch die verantwortlichen Geldpolitiker, über die entfesselten Kreditfluten einfach hinwegsehen. Sie werden nicht einmal zur Kenntnis genommen.
Dazu sei festgestellt, dass sich die Fed in den zwanziger Jahren über den haussierenden Aktienmarkt bereits anfangs 1928 Sorgen zu machen begann und von da an bemüht war, ihn durch Zinserhöhungen frühzeitig zu bremsen. Erst recht aber wäre in der damaligen Fed niemand auf die Idee gekommen, die Aktienhausse gar mit den großen Errungenschaften der industriellen Revolution zu rechtfertigen, wie Greenspan es immer wieder mit Bezug auf Computer- und Informationstechnologie getan hat. Wall Street schwärmte zwar von einer neuen Ära, niemand aber in der Fed. Dabei erzielte die Industrie mit einer damaligen neuen Technologie, die primär die Produktionsanlagen verbesserte, ungleich höhere, messbare Produktivitätsgewinne als es heute mit der neuen Informationstechnologie geschieht.
Kein Verständnis für Mises und Hajek
Die Meinungsverschiedenheiten über die wirtschaftliche und finanzielle Entwicklung in den USA gehen letztlich jedoch weit über die Frage hinaus, ob die Aktienhausse der letzten Jahre eine inflatorische Bubble darstellt oder aber einen tief greifenden Paradigmenwechsel in der Wirtschaft widerspiegelt. Anhaltende, größere Inflationsblasen in den Sach- und Finanzanlagen haben erfahrungsgemäß die unangenehme Eigenschaft, dass sie je nach Dauer und Ausmaß mehr oder weniger starke Verwerfungen in der ganzen Wirtschaft bewirken, die langwierige und schmerzvolle Anpassungsprozesse nach sich ziehen, nachdem die Bubble geplatzt ist.
Das ist allerdings eine Erkenntnis der Österreichischen Schule (Mises, Hayek), wofür die große Mehrheit der amerikanischen Nationalökonomen kein Verständnis hat. In der gängigen amerikanischen Wirtschaftsgeschichte hatte die Depression der dreißiger Jahre absolut nichts mit den wirtschaftlichen und finanziellen Auswüchsen der späten achtziger Jahre zu tun. Schuld war allein eine zu restriktive Geldpolitik der Fed, nachdem die Aktienblase geplatzt war. Im gleichen Sinne werden die anhaltenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten in Japan allein einer falschen Geldpolitik in der Gegenwart, nicht aber den wirtschaftlichen und finanziellen Auswüchsen und Verzerrungen aus den vorangegangenen Bubble-Jahren zugeschrieben.
BoJ mit selben Trivialitäten bombardiert
Für diesen Gedanken, für einen neuen wirtschaftlichen Aufschwung könne es zuerst eines möglicherweise langwierigen und schmerzvollen Anpassungsprozesses bedürfen, haben in Amerika weder Politiker noch Nationalökonomen etwas übrig. Jede wirtschaftliche Stockung ist ihrer Ansicht nach leicht und schnell zu beheben, indem die Notenbank einfach "Geld druckt". Das einzige, was ihnen dabei in den Sinn kommt, sind massive Offenmarkt-Käufe der Notenbank von Staatspapieren. Mit dieser simplizistischen Forderung wird die japanische Notenbank von maßgebenden amerikanischen Nationalökonomen seit Monaten bombardiert.
Dummes Zeug
Zurück zur Ausgangsfrage: Bubble oder neue Ära in den USA? Wie gesagt, die übliche Behauptung, eine Anlagen-Bubble sei schwer zu erkennen, bevor sie platzt, ist dummes Zeug. Entscheidendes und spielend leicht erkennbares Kriterium ist, wie gesagt, die jeweils laufende Kreditexpansion. Typisches, ins Auge springendes Kennzeichen jeder Inflationsblase in Sach- oder Finanzanlagen ist eine Kreditexpansion, die das Sozialproduktwachstum deutlich übersteigt. Es mag manchmal Grenzfälle geben, aber die gegenwärtige Entwicklung in den USA ist kein Grenzfall, sondern der extremste Fall, den es in dieser Hinsicht je gegeben hat, womit die Aktienhausse der vergangenen Jahre als besonders schlimme Inflationsblase oder Bubble qualifiziert ist.
Aber solche Bubbles finden nicht im luftleeren Raum statt. Wie gesagt, in aller Regel führt die inflatorische Kreditvermehrung direkt und indirekt zu mehr oder weniger starken Verzerrungen in den Strukturen der Wirtschaft. Aus der "asset bubble" wird auf diese Weise die "bubble economy". Im Falle Japans bewirkte die Bubble der späten achtziger Jahre im Aktien- und Immobilienmarkt einen Investitionsboom ohnegleichen in Industrieanlagen und kommerziellen Bauten. Selbst nach zehn Jahren haben die japanischen Unternehmen noch mit den damaligen massiven Fehl- und Überinvestitionen zu kämpfen. Von völlig anderer Art sind die Bubble-Auswirkungen der vergangenen Jahre auf die Wirtschaft in den USA. Auf dem Weg über die gewaltigen "wealth effects" des haussierenden Aktienmarktes zugunsten der privaten Haushalte ist vor allem der Konsum überstimuliert worden, übrigens ähnlich wie schon in den zwanziger Jahren, als in den USA der Konsumkredit erfunden wurde.
Wahrzeichen Handelsbilanzdefizit
Doch Herr Greenspan und die meisten amerikanischen Volkswirte sind außer Stande, in der maßlosen Kreditvermehrung, dem Zusammenbruch der privaten Ersparnisbildung sowie dem explodierenden Handelsbilanzdefizit bedenkliche Ungleichgewichte zu sehen, die auf die Dauer nicht haltbar sind. Das riesige Defizit im Außenhandel wird ganz im Gegenteil als das Wahrzeichen einer vor Kraft strotzenden Wirtschaft gesehen und hingestellt. Handelsbilanzüberschüsse werden verächtlich als Zeichen wirtschaftlicher Schwäche abgetan. Dass Volkswirtschaften mit starkem Wachstum dank hoher innerer Ersparnisbildung in der Regel starke Handels- und Zahlungsbilanzen aufweisen, ist ihnen völlig unbekannt.
Beispielloses Nebeneinander
Um es zu wiederholen und zu unterstreichen: Amerika ist der extremste Fall von "asset bubble" und "bubble economy", den es je gegeben hat. Das hat seinen Grund in dem beispiellosen Nebeneinander von völlig unkontrollierter Kreditexpansion und völligem Zusammenbruch privater Ersparnisbildung. Es bedeutet, dass die amerikanischen Märkte letztlich von zwei ungewöhnlichen und unsicheren Finanzierungsquellen abhängen. Das eine ist pures finanzielles Leverage, also kreditfinanzierte Anlagen, und das andere sind Auslandskäufe. Wobei das finanzielle Leverage bekanntlich in großem Umfang durch Refinanzierung in niedrig verzinslichen ausländischen Währungen stattgefunden hat, in Yen, Euro und Schweizer Franken. Hat die amerikanische Wirtschaft aber in puncto Ertragskraft und Produktivität erheblich gewonnen, wie Wall Street unter Berufung auf Hightech und Shareholder-Value-Primat zu behaupten pflegt? Darüber muss es doch objektive und unbestreitbare Statistiken geben. Ja, es gibt sie, aber ...
Gewinnentwicklung gibt nichts her
Was die Gewinne betrifft, so haben es die Analysten geschafft, mit verschiedenen Vergleichskniffen den anhaltenden Eindruck eines besonderen Gewinnbooms in diesem Aufschwung zu erwecken. In der Tat war dies in den Jahren 1993/94 der Fall, nicht aber aus Gründen erhöhten Produktivitätsfortschritts, sondern als Folge scharfer Zinssenkungen. In den folgenden Jahren setzte sich der Gewinnanstieg zwar fort, aber mit stark rückläufiger Tendenz. Vom 3. Quartal 1997 bis zum 1. Quartal 1999 herrschte dann Gewinnstagnation. Erst im zweiten Quartal dieses Jahres kam es zu neuem Gewinnanstieg (siehe Chart 1 und 2).
Kurz gesagt, in der Gewinnentwicklung der vergangenen Jahre gibt es nichts, absolut nichts, was zu euphorischem Gerede von Paradigmenwechsel und neuer Ära in der Wirtschaft berechtigt. Eher haben sich die Gewinne in diesem Aufschwung unterdurchschnittlich entwickelt, obwohl zwei außergewöhnliche, stark Gewinn steigernde Einflüsse zur Wirkung kamen: massive Verwendung von Stock Options und hohe Kursgewinne der Pensionsfonds im Aktienmarkt.
Stock-Options 1 Billion Dollar schwer
Es wird geschätzt, dass die ausstehenden Stock-Options heute einen Marktwert von etwa einer Billion Dollar haben. Im Grunde sind es Gehaltszahlungen, die aber nicht als Kosten in die Gewinn-und-Verlust-Rechnung eingehen. Was sodann die Kursgewinne der Pensionsfonds betrifft, so haben sie die Unternehmensgewinne dadurch erhöht, indem sie den Unternehmen die sonst notwendigen erheblichen Einzahlungen zur Fundierung der Pensionsverpflichtungen ersparen. Nicht wenige Unternehmen gehen allerdings noch weiter und kassieren einen Teil der Kursgewinne für eigene Rechnung.
Manipulation ist oberste Pflicht
Im Übrigen ist es ein offenes Geheimnis, dass zahlreiche Unternehmen jeden Buchhaltungstrick ausnutzen, um ihre Gewinne zu verschönern. Zu den wenigen, die dies offen kritisieren, gehört Warren Buffet, Amerikas meistbewunderter Investor, der sich kürzlich wie folgt äußerte: "Eine wachsende Zahl sonst hochgradiger Manager - die man gerne als Vater seiner Kinder oder als Treuhänder seines Nachlasses sähe - sind zur Ansicht gekommen, dass es völlig legitim ist, die Gewinne zu manipulieren, um die Wünsche von Wall Street zu befriedigen. Viele Manager halten solche Manipulationen in der Tat nicht nur für zulässig, sondern für ihre Pflicht." Es sollte klar sein, was letztlich hinter dieser merkwürdigen Einstellung steht: die allgemeine Besessenheit gegenüber der erklärten Notwendigkeit, den Shareholder Value unablässig zu steigern.
Und was hat es mit der viel gerühmten Steigerung des Produktivitätsfortschritts in der amerikanischen Wirtschaft auf sich? Jawohl, sie hat sich in den letzten Jahren praktisch verdoppelt, von 1% auf gut 2% jährlich. Ohne viel zu fragen wurde diese Verbesserung von vornherein dem gestärkten Computereinsatz und selbstverständlich dem um sich greifenden Corporate Restructuring zugeschrieben.
Computer verfälschen Statistik
In der Wirklichkeit hatte diese Verbesserung der Produktivität einen ganz anderen, und zwar einen rein statistischen Grund. Entscheidend war letztlich eine Umstellung in der Statistischen Bemessung der Computerinvestitionen der Unternehmen. Da die Leistungskraft der Computer bei zudem rapide fallenden Preisen exponentiell zunahm, kamen die amtlichen Statistiker auf den Gedanken, für die Bemessung dieser Investitionen einen Index zu entwickeln, der die beiden Vorgänge im Computerbereich - höhere Leistung zu sinkenden Preisen - erfassen und widerspiegeln sollte. Er fand die Bezeichnung "hedonischer" Preisindex.
Dieser Index wird nun seit Ende 1955 angewendet. Es waren sicherlich vernünftige Überlegungen, die zu dieser Umstellung in der gesamtwirtschaftlichen Statistik führten, aber das schließliche Ergebnis ist grotesk. Mit der Leistungskraft der Computer explodierten - in der Statistik - die Investitionen der Unternehmen, was dann seinerseits in entsprechendem Ausmaß das reale Sozialproduktwachstum erhöhte. Dazu eine Kostprobe: Im vergangenen Jahr erhöhte sich das reale Sozialprodukt der USA - gerechnet in so genannten "chained" Dollars - um 282 Mrd. Dollar beziehungsweise um 3,9%. Alle Welt bestaunte diese hohe Wachstumsrate. Den wenigsten war klar, dass davon 137 Mrd. Dollar oder 48% auf das Konto der auf diese Weise berechneten Computerinvestitionen der Unternehmen gingen. Die tatsächlichen Mehrausgaben der Unternehmen hatten dagegen lediglich 14 Mrd. Dollar betragen. Im ersten Halbjahr 1999 kam der Computeranteil auf volle 81 Mrd. Dollar oder 65% innerhalb eines Sozialproduktzuwachses von 125 Mrd. Dollar. Glatte zwei Drittel des Anstiegs des Sozialprodukts errechnete sich aus Ausgaben, die nicht stattgefunden haben. Im Grunde sind es statistische Phantomdollars.
Doch zwangsläufig hatten diese statistischen Umstellungen noch eine weitere bedeutsame Folge. Indem sie das Sozialproduktwachstum erhöhten, stieg in gleichem Maße der gesamtwirtschaftliche Produktivitätsfortschritt. Da die amerikanische Sozialproduktstatistik die Computerinvestitionen der Unternehmen separat ausweist, konnte jeder allerdings mit Leichtigkeit nachrechnen, dass die für die Gesamtwirtschaft ausgewiesene Produktivitätsverbesserung in Wirklichkeit nicht überwiegend auf gewaltige Produktivitätssprünge im Computersektor selbst zurückgeht, auf den gerade 1% des Sozialprodukts in den USA entfällt, das hieß letztlich auf besagte statistische Umstellung. Wer jedoch hatte ein Interesse daran, dies offen zu legen? Niemand, leider nämlich hätte es den einzigen Anhaltspunkt für den Paradigmenwechsel in der amerikanischen Wirtschaft widerlegt.
Immerhin, vor einigen Monaten veröffentlichte ein führender akademischer Experte in Produktivitätsfragen, Prof. Robert J. Gordon, Northwestern University, eine umfassendere Studie über genau diese Frage - mit vernichtendem Urteil über die angeblichen großen Produktionsgewinne in der neuen Ära.
Vernichtendes Urteil zur Produktivität
Die Studie gipfelte in der Feststellung, das Bild der wirtschaftlichen Entwicklung in den USA werde durch die besondere Art der statistischen Erfassung des Computersektors völlig verzerrt. In den 99% der Wirtschaft außerhalb der Computerindustrie habe keinerlei Produktivitätsverbesserung stattgefunden, so dass für eine "new-economy"-Revolution nicht der geringste Raum bleibt. Die Explosion in der Herstellung und Nutzung von Computern hatte außerhalb der Computerindustrie, die auf 1% des Sozialprodukts entfällt, keinerlei messbare Produktivitätswirkungen. Im Gegenteil habe sich ansonsten das Produktivitätswachstum eher etwas verlangsamt. Wörtlich: "When stripped of computers, the productivity performance of the durable manufacturing sector is abysmal, with no revival at all and a further slowdown in 1955-99 compared to 1970-95."
Dieses vernichtende Urteil von Prof. Gordon erklärt einiges, insbesondere die enttäuschende Gewinnentwicklung. Zugleich drängt sich die Frage auf: Wo ist eigentlich der Boom, wenn die aufgeblähten Computerzahlen nicht wären? Für 99% der Wirtschaft verbliebe ein reales Wachstum von knapp 2% jährlich. Ein mehr als mageres Ergebnis, wenn man die riesige Kreditblase bedenkt. Trotzdem, der Boom existiert, aber er findet eben größtenteils außerhalb des Sozialprodukts in den Anlagemärkten statt: im Aktienmarkt, im Anleihemarkt, im Immobilienmarkt, während von dem nicht in Frage stehenden Konsumboom der größere Teil inzwischen durch das Riesenloch in der Handelsbilanz ins Ausland abfließt.
Bubble oder neue Ära? Über die Antwort auf diese Frage kann nach diesen Ausführungen kein Zweifel bestehen. Die Revolution in der amerikanischen Wirtschaft hat nicht stattgefunden, weder durch die Informationstechnologie noch durch das Shareholder-Value-Primat. Und sie wird auch niemals stattfinden, denn beide sind von ihrer Natur her dazu nicht geeignet. Der Druck, unablässig höhere Gewinne auszuweisen, drängt die Unternehmen vor allem zu Kostensenkungen, dies aber auf Kosten von Neuinvestitionen, und das führt insgesamt zu sinkenden Gewinnen.
Neue Technologie leider nur Wunder
Und was ist mit der Prosperität, welche die neue Technologie hervorbringen soll? Es ist ein technisches Wunder, ohne Frage, nur leider ein Wunder, das nicht die notwendigen Eigenschaften besitzt, daraus ein wirtschaftliches Wunder zu schaffen. Ein Vergleich mit den wirtschaftlichen Auswirkungen der industriellen Technologie macht dies klar und deutlich. Die industrielle Technologie hatte sehr starke Produktivitätswirkungen, die Arbeitskräfte freisetzte. Aber aus der arbeits- und kapitalintensiven Herstellung der Anlagen und Maschinen dieser Technologie entstanden große neue Kapitalgüterindustrien, die den Menschen andere, neue Arbeit gaben. Es war ein wunderbares Zusammenspiel von Arbeitsteilung und Kapitalbildung, das die große Prosperität des industriellen Zeitalters hervorbrachte.
Maßlose Konsumentenverschuldung
Nichts davon gilt für die Informationstechnologie. Auch sie setzt Arbeitskräfte frei. Aber die Herstellung der Hightech-Ausrüstung ist mit minimalem Arbeits- und Materialeinsatz verbunden. Hightech ist vorzüglich geeignet, die Phantasie der Aktienanleger anzuregen, jedoch völlig ungeeignet, die Ausgaben- und Einkommensströme in der Wirtschaft zu vergrößern. Weder neue Technologien noch Shareholder-Value-Primat haben die amerikanische Wirtschaft in den letzten Jahren vorangetrieben, sondern es war ein ganz primitives Rezept: maßlose Konsumentenverschuldung.
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gruß ocjm