Sie gelten als Inbegriff der Ruchlosigkeit. Aufgeregte Politiker vergleichen die Hedge-Funds gar mit Heuschrecken, die Märkte kahl fressen. In Wahrheit stabilisieren Hedge-Funds das globale Finanzsystem. Wie funktioniert das? Von Daniel Puntas Bernet
Wenn ein deutscher Bierbrauer seine Umsätze am Oktoberfest gegen Regen oder Temperaturen unter 10 Grad Celsius versichern will, weil bei solchen Bedingungen der Gerstensaft erfahrungsgemäss weniger fliesst, wendet er sich an eine Versicherungsgesellschaft. Tun es ihm andere Bierbrauer gleich und sichern sich bei derselben Firma ebenfalls gegen meteorologische Unbilden ab, hat diese ein Problem: Bei einer Woche mit nasskaltem Wetter könnten die Schadenersatzzahlungen an die Bierbrauer ziemlich happig ausfallen.
Sollten die Notenbankchefs Chinas dereinst keine neuen amerikanischen Dollars mehr aufnehmen wollen, weil sie sonst ihre boomende Binnenwirtschaft selbst gefährden, werden sie dazu gezwungen, ihren Yuan aufzuwerten. Kurzfristig würde China dann die Weltwirtschaft mit Dollars überschwemmen, die Zinsen würden in die Höhe schiessen, eine Pleitewelle wäre die Folge - mit einem Nachbeben im gesamten Weltfinanzsystem.
In beiden Fällen spielen Hedge- Funds eine entscheidende Rolle in der reibungslosen Abwicklung der Transaktionen. Hedge-Funds übernehmen das Risiko der deutschen Bierbrauer, indem sie auch Risikopositionen von Bordeaux-Wein-Produzenten gegen eine lausige Ernte, von japanischen Immobilienmaklern gegen Erdbeben und solche von den Organisatoren der Fussball-WM 2006 gegen Anschläge von Terroristen einkaufen. Weil Wahrscheinlichkeits-Mathematiker bereits ausgerechnet haben, dass kaum alle der genannten Ereignisse gleichzeitig eintreten, wird nicht nur der Bierbrauer ungeachtet des Wetters seine Freude am Oktober haben, sondern auch der Hedge-Fund schwarze Zahlen schreiben. Und im Falle Chinas legen Hedge- Funds mit Wetteinsätzen auf den künftigen Kurs Dollar gegen Yuan, den sogenannten «non delivered forward contracts», schon heute fest, was dereinst Chinas Führung zu tun hat - und nehmen damit Spekulanten den Wind aus den Segeln, helfen Wirtschaftsführern und Notenbankchefs aller Welt, sich zu orientieren, und bringen also Ordnung in die Währungsgeographie.
Das Öl im Motor
Hedge-Funds sind der Tropfen Öl, der den Motor der globalen Geldindustrie reibungslos rattern lässt. Sie spähen nach Ineffizienzen und Ungereimtheiten, engagieren sich mit Milliardenbeträgen und werfen so Licht auf verstopfte Finanzflüsse. Manager von Hedge-Funds tragen fleissigen Ameisen gleich zusammen, was zusammengehört, stossen ab, was überflüssig ist - und verschaffen so der Weltwirtschaft Stabilität und den Anlegern Renditen.
In der allgemeinen Wahrnehmung jedoch gelten Hedge-Funds als eine besonders widerliche Ausgeburt des Kapitalismus, als sinnlose Geldvermehrungsmaschine für die Reichen, als nutzloses Spielzeug von Wall Street. Sie sind das undefinierbare Phantom der Finanzindustrie, das immer da in den Schlagzeilen auftaucht, wo Kleinanleger ihr Geld verlieren, Firmen schliessen oder exotische Volkswirtschaften in Bankrott erklären. Hedge- Funds sind das Böse schlechthin.
So kürzlich im Fall der Deutschen Börse. Der Londoner Hedge-Fund TCI entdeckte ungefähr vor einem Jahr, dass die Deutsche Börse auf viel angehäuftem Geld sitzt und die Aktien entsprechend unterbewertet sind. Die Verwaltung in Frankfurt hatte angekündigt, die Londoner Börse übernehmen zu wollen, deshalb legte man etwas auf die Seite. Der Manager von TCI, Christopher Hohn, kauft sich nun ein paar der billigen Papiere, andere Hedge-Funds tun es ihm gleich, der Kurs steigt an. Jetzt verlangt Hohn vom Verwaltungsrat, das viele Geld den Anlegern auszuzahlen, anstatt sich in gigantische und in seinen Augen sinnlose Übernahmepläne zu versteigen. Den Aktionären der Deutschen Börse ist der Gedanke nicht unsympathisch, der Machtkampf ist schnell ausgetragen, der Vorstand musste letzten Monat die Chefetagen verlassen.
To hedge heisst: sichern
Das Echo in den Medien und der Politik sollte nicht ausbleiben. Das Bild des kaltblütigen angelsächsischen Geldvermehrers war schnell gezeichnet und der wohl eindeutige Beweis erbracht, dass Hedge-Funds mit ihrer Rücksichtslosigkeit immer dort Schaden anrichten, wo sie gerade ihr Augenmerk darauf richten. Dass die Aktie ihren Wert innert Jahresfrist verdoppelte und Hohn bei der ganzen Geschichte einen mehrfachen Millionengewinn einsacken dürfte, goss zusätzliches Öl ins Fegefeuer gegen TCI im Speziellen und Hedge-Funds im Allgemeinen. Dass TCI für «The Childrens Investment Fund» steht und Hohn jedes Jahr ein paar Millionen für Not leidende Kinder ausgibt, mochte die Gemüter auch nicht mehr zu besänftigen.
Während man in Deutschland nur eineinhalb Jahr nachdem Hedge-Funds offiziell zugelassen worden sind schon über eine Verschärfung der Bestimmungen debattiert, staunt man in der Branche über so viel Wehklagen: Der Deal hat mit einer typischen Hedge- Fund-Transaktion kaum etwas zu tun. Und wäre Christopher Hohn nicht ein Londoner Hedge-Fund-Manager, sondern ein deutscher Investment Banker, der Entrüstungssturm hätte niemals so hohe Wellen geworfen.
Warum herrschen Angst, Unbehagen und Misstrauen gegenüber dieser ausgeklügelten Anlagetechnik, die einem Messinstrument gleich Ineffizienzen im weltweiten Geldsystem aufspürt und korrigiert? Woher die Skepsis gegenüber einer Investitionsform, die mehr als alle anderen der Sicherung grosse Bedeutung beimisst und sie sogar im Namen trägt (to hedge = absichern)? Ja, wie funktioniert er überhaupt, der Hedge-Fund?
Der Klassiker und Begründer der Hedge-Funds heisst Long/short Equity. Ein Anleger kauft zum Beispiel BMW- Aktien und verkauft gleichzeitig DaimlerChrysler-Aktien. Um Aktien zu verkaufen, die man nicht besitzt, muss der Anleger sie gegen eine Gebühr ausleihen. Er tut dies, weil er der Meinung ist, dass BMW mittelfristig besser wirtschaftet als DaimlerChrysler. Im Gegensatz zu einer normalen Anlage an der Börse, wo der Anleger nur bei einer Aufwärtsbewegung eines Titels Geld verdient, ist dem Long/short-Equity- Händler die Richtung des Börsenindexes egal: Hauptsache, die BMW-Aktie steigt bei einer Aufwärtsbewegung mehr als DaimlerChrysler. Und wie tief bei einem Börsencrash der BMW- Titel auch fallen mag: Der Anleger verdient immer noch Geld, solange DaimlerChrysler noch tiefer fällt.
1949 heckte Alfred Winslow Jones, ehemaliger amerikanischer Vizekonsul in Berlin und Herausgeber von «Time» und «Fortune», diese Strategie aus und fügte ihr noch weitere Elemente bei, die die Branche bis heute kennzeichnen: Jones multiplizierte seinen Einsatz um ein Mehrfaches mit Fremdkapital, verlangte von seinen Anlegern 20 Prozent aller realisierten Gewinne und verpflichtete sich, sein eigenes Vermögen zu den gleichen Bedingungen im Fund zu behalten. 1966 wunderte sich dann eine Journalistin in «Fortune» darüber, dass Jones den besten Anlage- Fund im Zehnjahresvergleich um 87 Prozent geschlagen hatte: Traditionelle Manager kopierten Jones, die Hedge-Fund-Industrie war geboren.
Der Rest sind Varianten und Spielformen. Steckt im Grundwesen des Hedge-Fund noch der Absicherungsgedanke, bedienen sich die weltweit ungefähr 8000 Hedge-Funds einer umfangreichen Produktpalette an Strategien mit dem vorrangigen Ziel, Geld zu verdienen.
Während ein kleiner Hedge Fund mit drei Mitarbeitern bereits ein paar hundert Millionen Dollars verwalten kann, sind es bei den Giganten der Branche Kundenvermögen zwischen 10 und 20 Milliarden Dollar. Sie beschäftigen eine Hundertschaft an Händlern, Finanzanalysten, Mathematikern, Programmierern, Statistikern und sogar Quantenphysikern. Sie investieren dabei in Dollars, Euros und norwegische Kronen, kaufen Rohöl, Weizen und Schweinebäuche, verwetten Staatsanleihen gegen Aktien und Obligationen oder verkaufen Gold, Silber und Bronze. Die Kombination dieser Märkte mit ihren Aufwärts- und Abwärtsbewegungen, Ankauf- und Verkaufspreisen sowie historischen Betrachtungen und Zukunftsprognosen ergibt eine Vielzahl an denkbar möglichen mathematischen Strategien.
Gekennzeichnet sind sie alle durch ihre Suche nach Alpha. Alpha ist der errechnete Bereich, in dem das Risiko des Anlegers theoretisch bei null liegt, das Gewinnpotenzial aber immer noch vorhanden ist: der Fünfer und das Weggli. Oder in der Sprache der Hedge-Fund-Manager: «a free lunch».
Wie Käse und Brot
Dass dabei der Schuss hinten hinausgehen kann, zeigt das Beispiel von General Motors vergangenen März, wo Hedge-Funds die Rechnung ohne den Wirt machten. Mit der Convertible Arbitrage werden üblicherweise Preisdifferenzen zwischen der Obligation eines Titels und der entsprechenden Aktie ausgenutzt. Die Addition der beiden Preise differiert vielfach vom Preis der Wandelanleihe derselben Firma, jedoch erst bei der vierten Stelle nach dem Komma. Wie ein Sandwich, das billiger zu haben ist als das Brot und der Käse separat. Computerprogramme errechnen und erspähen solche Unterschiede und nutzen sie aus. Bei General Motors passierte das Gegenteil, die Aktie stieg wider Erwarten an, bei gleichzeitiger Abwertung der Anleihen. Hedge-Fund-Manager sassen auf einem Haufen billigen Brots und schuldeten teuren Käse - und dies bei gleich bleibenden Sandwichpreisen.
Ähnliches passierte 1998, als der Hedge-Fund Long-Term Capital Management gigantische Leerverkäufe von US-Staatspapieren gegen Staatspapiere der Wachstumsmärkte (Emerging Markets) tätigte und diese mit geliehenem Geld um ein Hundertfaches multiplizierte. Einem Mann gleich, der mit einem Bein auf einem Steg steht und mit dem andern auf einem Boot, wobei das Boot langsam davonschwimmt, liefen die Zinsen der beiden Staatspapiere auseinander: Russland musste seine Zahlungsunfähigkeit erklären und die US-Notenbank in einer Rettungsaktion Milliarden von Dollars auf den Markt pumpen.
Ein ganz anderer Fall sind die Hedge-Funds, die sich auf marode Firmen spezialisieren. Hyänen gleich kreisen sie über schlecht geführten Firmen, die vor dem Konkurs oder der Übernahme durch einen Konkurrenten stehen. Event-driven nennt sich diese Strategie, bei der beispielsweise amerikanische Hedge-Funds nach dem Grounding der Swissair sofort erkannten, dass die Obligationen der Cateringfirma Gate Gourmet im anschliessenden Konkursstrudel eine kurze Zeit unterbewertet waren. Wer schnell genug reagierte, konnte in zwei Jahren seinen Einsatz um 60 Prozent steigern.
Den Trend der letzten Jahre setzten hingegen die Commodity Trading Advisors. Computerprogramme forschen in Rohstoffmärkten nach Trends und geben Kauf- oder Verkaufsempfehlungen ab. Weil China seit Jahren den Weltmarkt an Kupfer, Zink und Zement leer kauft, verdienen diese Hedge- Funds gutes Geld. Wenn zu viele das Gleiche tun, wird es allerdings gefährlich. «Falls mein Coiffeur beginnt, sich mit mir über Commoditys zu unterhalten», so ein Hedge-Fund-Händler aus Zürich, «renne ich mit nassen Haaren aus dem Laden und verkaufe alles.»
Den Mythos der Hedge-Funds und die damit verbundenen astronomischen Gewinnerwartungen, aber auch ihr schlechtes Image und das Unbehagen ihnen gegenüber haben die Global Macro Manager à la George Soros zu verantworten. Sie sind es, die mit der grossen Kelle anrichteten und vermeintlich ganze Volkswirtschaften aushebelten. Nachdem in den siebziger und achtziger Jahren vor allem Geld von Privatanlegern durch Hedge- Funds verwaltet wurde, stiegen in den neunziger Jahren auch Pensionskassen und Versicherungen mit aufs Boot. Die Volumen der verwalteten Vermögen stiegen von 65 Milliarden Dollar im Jahr 1990 auf heute über 1000 Milliarden Dollar an. Und tatsächlich verdienten grosse Hedge-Funds sowohl mit der Abwertung des englischen Pfunds 1992 wie auch dank der Asienkrise 1996 viel Geld. Doch bis heute ist nicht geklärt, ob sie die Ursache für die massiven Währungskurseinbrüche sind oder ob Hedge-Funds mit ihrem ureigenen Sensorium für ökonomische Konfliktpotenziale und ihren grossen Volumen auf den Finanzmärkten den sowieso zwingenden Dammbruch lediglich vorwegnehmen. Und weil Hedge-Funds so verwinkelt diversifiziert engagiert sind, ist man sich unter Finanzmarktexperten einig, dass Hedge-Funds ein Frühwarnsystem darstellen und mit ihren Händeln gar panikartige Verkaufsreaktionen einzudämmen vermögen.
Die Cowboy-Zeiten der wilden neunziger Jahre sind vorbei, und vermehrt orientiert sich die Hedge-Fund- Industrie wieder am Sicherheitsdenken. Schon Don Quijote sagte zum Knappen Sancho Pansa: «Der weise Mann sorgt bereits heute für morgen vor und vermeidet das Risiko, alle Eier in einen Korb zu legen.» Der Satz aus der Feder Cervantes' gilt als Leitmotiv der Branche. Manche Hedge-Funds verhalten sich heute konservativer als Pensionskassenverwalter. Und aus dem Diversifizierungsgedanken heraus geboren ist auch der Fund-of-Hedge- Fund-Zweig. Ein Fund of Fund beherbergt in seinen Büchern mehrere Hedge-Funds verschiedener Ausrichtung und kann so den Kunden ein risikoarmes, doppelt gesichertes Investitionsangebot offerieren. Eine hierzulande beliebte Anlageform, weltweit ist die Schweiz bei den Funds of Funds hinter den USA die Nummer zwei.
Doch was die Hedge-Funds am Leben erhält, sind Schwankungen und Trends. Nichts lässt das Herz eines Händlers höher schlagen als möglichst viele Ausschläge der Kursverlaufskurve nach oben oder nach unten. Erst im Dickicht von Aktienkursabschlägen, Währungssprüngen und Zinssenkungen fühlt sich der Jäger nach falschen Preisen in seinem Element. Denn allen Sicherheitsaspekten zum Trotz: Am Morgen steht jeder Händler auf, um Geld zu verdienen.
Mit Beatles gehedged
Ob dies nun mit komplizierten mathematischen Modellen auf weltweiten Märkten geschieht oder, wie vergangene Woche das «Wall Street Journal» berichtete, beim Michael-Jackson-Prozess. Der King of Pop steckt tief in der Kreide, seiner Hausbank schuldet er 270 Millionen Dollar - und jeden Monat werden es 1,5 Millionen mehr. Um sich nicht auch noch mit den Stromrechnungen von Jacksons Neverland Ranch befassen zu müssen, verkaufte die Bank ihr Guthaben einem Hedge- Fund. Der spekuliert nun darauf, dass Jackson verurteilt und zahlungsunfähig wird. Dann nämlich würde sich das Engagement lohnen: Als Sicherheit hat der Hedge-Fund die Rechte an den Beatles-Songs nachgeworfen bekommen - mit einem geschätzten Wert von 400 Millionen Dollar und jährlichen Einspielquoten in Millionenhöhe. Sollte Jackson tatsächlich hinter Gittern landen, werden «Yesterday» und «Let it Be» wieder vermehrt aus dem Äther klingen. Gut gehedged.
NZZ am Sonntag