Siemens setzt auf Großes
Siemens-Chef Klaus Kleinfeld hat die Führungsriege des Konzerns am Mittwoch kräftig umgebaut. Wer wissen will, wohin die Reise nun geht, muss nicht lange überlegen: Die Aufträge der vergangenen Tage geben die Auskunft.
MÜNCHEN. Da verkauft der Technologiekonzern 25 S-Bahnzüge im Wert von 220 Mill. Euro in die Schweiz, bekommt eine Order für 70 Windturbinen aus Texas und erhält den Auftrag, fünf Umspannwerke für 110 Mill. Euro in Katar zu bauen. Die Liste zeigt: Siemens konzentriert sich auf große Infrastrukturprojekte rund um die Welt.
Vorbei sind die Zeiten, in denen der Konzern vor allem wegen seiner riesigen Verluste im Handygeschäft die Schlagzeilen beherrschte. Jetzt will der Münchener Traditionskonzern sein Geld wieder mit seiner über Jahrzehnte gewachsenen Kernkompetenz verdienen: mit komplexen Großvorhaben, die nur wenige Anbieter bewältigen können.
Dabei setzt Siemens allerdings nur auf ausgewählte Geschäftsfelder. Die Zukunft entscheide sich an globalen Trends, hat Vorstandschef Klaus Kleinfeld seit seinem Amtsantritt vor einem Jahr als Marschroute ausgegeben: Bevölkerungswachstum, zunehmende Überalterung und fortschreitende Urbanisierung sind die Themen, für die Siemens Lösungen anbieten will. Kleinfeld gibt sich zuversichtlich: „Mit unserem Know-how auf den Gebieten Gesundheit, Energie, Wasserversorgung, Mobilität, Sicherheit und Industrie sind wir hierfür schon heute gut gerüstet.“
Allerdings noch nicht gut genug. Denn Kleinfeld sieht sich genötigt, den Konzern in rasantem Tempo umzubauen: Er betreibe „ein aktives Portfoliomanagement, mit dem wir Siemens gezielt auf diese Zukunftsfelder hin ausrichten“, sagt Kleinfeld. Im letzten Geschäftsjahr hat der Manager vier Mrd. Euro für strategisch wichtige Zukäufe ausgegeben, zum Beispiel in der Wasseraufbereitung, in der Medizintechnik und der Windkraft. Gleichzeitig hat sich der gebürtige Bremer von einigen Problemfeldern getrennt, darunter die hoch defizitären Handys. Das Geschäft übernahm BenQ.
Veränderungen an der Siemens-Spitze
Der langjährige Finanzvorstand Heinz-Joachim Neubürger gibt seinen Posten zum 1. Mai ab. Seine Nachfolge tritt der erst 48-jährige Joe Kaeser an. Die Führung der Sparte Com übernimmt der bisherige Chef von Siemens Spanien, Eduardo Montes Pérez. Er folgt auf Thomas Ganswindt, der den Bereich nur kommissarisch geführt hatte und sich wieder ganz auf seine eigentliche Aufgabe im Zentralvorstand konzentrieren soll. In Ruhestand gehen Technikvorstand Claus Weyrich (63), der durch Hermann Requardt ersetzt wird, und Zentralvorstand Edward Krubasik (62). Alle Berufungen muss der Aufsichtsrat noch offiziell beschließen, voraussichtlich bei seiner Sitzung am 26. April.
Siemens steht mit seinem Fokus auf weltweite Trends nicht alleine da. „Wir konzentrieren uns auf Geschäfte, in denen wir langfristig große Chancen sehen“, unterstreicht Jeffrey Immelt, Chef von General Electric (GE). Vor allem im Gesundheitssektor, in der Lichttechnik und in der Energieerzeugung sind der US-Konzern und Siemens deshalb erbitterte Konkurrenten.
Wie Siemens forciert auch GE das zukunftsträchtige Geschäft mit der Windkraft, mit Wasseraufbereitung und Kraftwerken, aber auch mit Sicherheitstechnik für Flughäfen und der Medizintechnik. Für alle Sparten hat Immelt den Anspruch, weltweit eine führende Rolle zu spielen – technisch wie in puncto Kundenorientierung. Bislang liegt GE was Umsatz, Rendite und Börsenwert anbetrifft, deutlich vor den Deutschen. Zum Vergleich: Die Marktkapitalisierung von GE erreicht rund 300 Mrd. Euro, Siemens ist lediglich 68 Mrd. Euro wert.
Um näher an GE heran zu kommen, trimmt Kleinfeld den Konzern kompromisslos auf Gewinn. Bis April 2007 müssen alle 13 Sparten so viel verdienen wie die besten Wettbewerber ihrer Branche. Derzeit schafft jedoch nur die Hälfte die Vorgaben der Konzernzentrale. Doch Kleinfeld lässt nicht locker: „Wir halten konsequent an den Margenzielen fest,“ betont der 48-Jährige immer wieder. Er ergänzt: „Nur so können wir genügend Kapital schaffen, um unsere Forschung und Entwicklung sowie den Aufbau neuer Geschäfte zu finanzieren.“
Sein Kurs ist jedoch umstritten. Vielen Anlegern geht der Manager nicht weit genug. Deshalb forderte jüngst die Fondsgesellschaft DWS eine Zerschlagung des Konzerns: Siemens solle sich auf einige Kernbereiche konzentrieren und die restlichen Sparten abspalten. Dann könne das Unternehmen Margen erzielen, die an das Niveau der Konkurrenten heranreichten, so Fondsmanager Henning Gebhardt.
Die IG Metall und Belegschaftsvertreter fordern hingegen eine Abkehr vom Renditestreben. So beklagte Betriebsratschef Ralf Heckmann unlängst den raueren Ton, der jetzt zwischen Management und Mitarbeitern herrsche. Mit der Konsenskultur im Unternehmen sei es vorbei, seit das Management starr auf Renditeziele fixiert sei.
Im Vergleich zu GE geht Siemens beim Konzernumbau freilich zahm vor. „Wir versuchen immer, Geschäftsfelder sofort abzustoßen, bevor wir restrukturieren müssen“, so GE-Chef Immelt.
Siemens geht einen behutsameren Weg. So hat der Konzern seine verlustträchtige Computerwartung nicht einfach geschlossen. Die Münchener gaben jüngst das angeschlagene Geschäftsfeld mit 1,3 Mrd. Euro Umsatz an die Tochter Fujitsu Siemens Computers (FSC) ab. Weil Siemens hier nur die Hälfte der Anteile hält, gelten die strengen Renditeziele des Konzerns für FSC nicht.
Kleinfeld kann derweil auf die Erfolge seiner Konzentration auf Großprojekte verweisen. Im ersten Quartal des neuen Geschäftsjahrs ergatterten die Münchener mit rund 27 Mrd. Euro knapp ein Drittel mehr Orders als im Jahr zuvor. Vor allem in Asien konnte Siemens viele Großaufträge gewinnen.
Die Börse ist allerdings noch skeptisch. Dem Dax hinkt die Siemens-Aktie weit hinterher. Zum Vergleich: Seit dem Amtsantritt von Kleinfeld legte der Aktienindex um knapp 40 Prozent zu. Der Siemens-Kurs dagegen gewann nur 21 Prozent.
Quelle: HANDELSBLATT, Donnerstag, 23. März 2006, 07:29 Uhr
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