Shell: Wir steuern auf ein Desaster zu

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Shell: Wir steuern auf ein Desaster zu

 
21.04.04 09:30
Lange bevor Shell seine Reserven drastisch nach unten korrigieren musste, haben Top-Manager über die brisanten Geheimnisse im Ölkonzern gestritten. Er habe es satt, über die Reserven weiterhin Lügen zu verbreiten, heißt es in einer E-Mail an den damaligen Vorstandschef.

Die Auseinandersetzung zwischen Konzernchef Philip Watts und seinem für die Förderung verantwortlichen Topmanager Walter van de Vijver begann schon im Februar 2002 - doch erst im Januar 2004 gab Shell offiziell bekannt, dass es seine Öl- und Gasreserven bei weitem zu hoch eingeschätzt hatte. Beiden Managern sei klar gewesen, dass es zwischen "internen" und "externen" Informationen deutliche Unterschiede gab. Dies ist das Ergebnis eines Untersuchungsberichts der New Yorker Kanzlei Davis, Polk und Wardwell, den der Ölkonzern gemeinsam mit verschiedenen bislang internen Dokumenten am Montag veröffentlicht hat.

Zu den Dokumenten gehören auch Auszüge aus E-Mails und internen Memos, die van de Vijver an das "Committee of Directors" (CMD) des Ölkonzerns sowie an seinen Chef Watts geschrieben hat. Die US-Jusitiz sowie die amerikanische Börsenaufsicht SEC ermitteln gegen Shell, seit das Unternehmen in drei Schritten seine weltweiten Reserven um 22 Prozent kürzte und damit ein mittleres Beben in der Branche auslöste.

Obwohl der Ton zwischen Watts und van de Vijver immer rauer wurde, achteten doch beide Topmanager darauf, dass die brisanten Details nicht an die Öffentlichkeit gerieten, schreibt das "Wall Street Journal". Bereits am 11. Februar 2002 informierte van de Vijver das Committee of Directors darüber, dass der Ölkonzern seine Öl- und Gasreserven möglicherweise deutlich überschätzt habe.

Geheimprojekt "Rockford"

Am 2. September folgte eine weitere Warnung über die "prekäre Situation", in der das Unternehmen stecke. Van de Vijver führte die Probleme vor allem auf die "aggressiven" Einschätzungen der eigenen Reserven in den Jahren 1997 bis 2000 zurück. "Der Markt kann nur getäuscht werden", schreibt van de Vijver, wenn drei Bedingungen erfüllt seien: Die Glaubwürdigkeit des Unternehmens müsse hoch sein, das Portfolio müsse aufgefrischt und "positive Trends" als entscheidende Faktoren dargestellt werden. Die Chancen, diese Kriterien zu erfüllen, seien gering.

Ab Sommer 2003 reagierte das Shell-Management auf die Warnungen van de Vijvers. Unter dem Codenamen "Projekt Rockford" lief bei Shell eine interne Untersuchung an, in welchem Ausmaß die eigenen Schätzungen der Reserven korrigiert werden müssten. Vorstandschef Watts vermied es aber weiterhin, sich im größeren Kreis über die beschriebenen Risiken zu äußern.

Am 9. November platzte van de Vijver der Kragen. "Ich habe es satt, über die Höhe unserer Reserven Lügen zu verbreiten sowie über die Revisionen, die wegen der bei weitem zu optimistischen Einschätzungen nötig werden", schrieb er in einer E-Mail an seinen Vorstandschef. Am 2. Dezember stärkte ein Bericht seiner Rechtsberater seine Besorgnis: Es sei Zeit, die Bilanzen zu bereinigen, hieß es in dem Memo. Shell verstoße gegen US-Recht, wenn der Konzern seine zu optimistischen Schätzungen nicht korrigiere.


Das Ergebnis des Berichts sei "absolutes Dynamit", schrieb van de Vijver noch am selben Tag. In einer E-Mail an einen Kollegen heißt es, man steuere "auf ein Desaster zu". Er werde als Erklärung nicht akzeptieren, dass man bei Shell zweieinhalb Jahre gebraucht habe, um die neuen Bestimmungen der Börsenaufsicht SEC zu verstehen.

Vorstandschef Philip Watts habe erst zum Jahresende 2003 bestätigt, die jüngste E-Mail van de Vijvers erhalten zu haben, heißt es in dem Untersuchungsbericht. Wenige Wochen später, am 9. Januar, gab Shell bekannt, seine Öl- und Gasreserven drastisch kürzen zu müssen.

Van de Vijver habe sich schon früh darum bemüht, die zu hoch gegriffenen Schätzungen des Konzerns zu korrigieren, betonte sein Anwalt John Dowd am Dienstag in Washington. Er habe zum Beispiel detaillierte Untersuchungen über die Öl- und Gasreserven in Nigeria und im Oman angefordert - die Schätzungen für diese Gebiete hatten sich als unsicher erwiesen. Inzwischen seien 90 Prozent der weltweiten Reserven überprüft, teilte Shell mit.

Die Aufräumaktion in den Bilanzen nützt Philip Watts und van de Vijver nichts mehr. Beide sind inzwischen zurückgetreten. Am Montag trat auch Finanzchefin Judith Boynton von ihrem Posten zurück.

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Lichtblick mitten in der Krise

 
29.04.04 14:47
Der Ölkonzern hat seinen Quartalsgewinn um neun Prozent gesteigert. Nach der drastischen Korrektur der Reserven will der Konzern die Glaubwürdigkeitskrise überwinden und den Kurs durch Aktienrückkäufe stützen.

London - Die Aktie von Shell zog nach Bekanntgabe der Quartalszahlen zeitweise um rund zwei Prozent an. Den Anlegern gefiel auch die Nachricht, dass der niederländisch-britische Multi in diesem Jahr für etwa zwei Milliarden Dollar eigene Aktien zurückkaufen will.

Royal Dutch/Shell hat seit Januar seine Ölreserven in drei Schritten drastisch nach unten revidieren müssen und war wegen der falschen Einschätzungen in eine Führungs- und Glaubwürdigkeitskrise geraten. Der Vorstand hatte die unangenehmen Nachrichten offenbar lange zu vertuschen versucht.

Im ersten Quartal dieses Jahres stieg der bereinigte Gewinn den Angaben zufolge um neun Prozent auf 4,25 Milliarden Dollar, womit Shell die Erwartungen der Analysten übertraf. Der Nettogewinn fiel dagegen um 16 Prozent, was nach Unternehmensangaben aber unter anderem mit einmaligen Einnahmen durch den Verkauf von Ruhrgas-Anteilen in den ersten drei Monaten des Vorjahres zu erklären ist.

Der neue Vorstandsvorsitzende, Jeroen van der Veer, sagte: "Es ist gut zu sehen, dass wir trotz all der Sachen, die mit den Reserven zu tun haben, weiter befriedigende Ergebnisse erzielen." Van der Veer kündigte an, mehr Geld in die Suche nach neuen Öl- und Gasfeldern zu stecken. Der Niederländer ist Nachfolger des Briten Sir Philip Watts, der wegen der Krise zum Rücktritt gezwungen worden war.

www.manager-magazin.de/geld/artikel/0,2828,297599,00.html
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