Die Blenderwirtschaft
Worthelden
Von Georg Sieber
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Blender am Werk - "Mundus vult decipi"
7. Mai 2002 Wer wichtigen Anwendungen des Wortes auf der Spur ist, kommt geradenwegs auf das bunteste Feld der Rhetorik: Verkauf. Da heißt es Entscheidungen herbei zu führen, die bei ruhigem Verstand niemand treffen würde. Dazu muss die klare Sicht des Entscheiders ein wenig getrübt werden. Blind soll er werden für Schwachpunkte, für Ecken und Kanten. Das Positive soll ihn blenden. blind und blend hängen ja nicht ganz zufällig in ihren mittelhochdeutschen Wurzeln zusammen.
Vor jeder Pleite die Vertrauensfrage
Die meisten Verkaufslehren wurzeln in der amerikanischen Tradition der umherziehenden Quacksalber, Neuheitenhändler und Propagandisten. Wenn sich am nächsten Tag der wahre Wert des Produkts herausstellte, war der Lieferant längst über alle Berge. Kein Wunder, dass die USA heute die schärfste Produkthaftung haben und der Verbraucherschutz dort geradezu Purzelbäume schlägt.
Die zwei Grundfiguren wildwestlicher Verkaufsrhetorik sind aber noch immer weithin beliebt. Erstens: „Sie können mir wirklich vertrauen!.“. Zweitens: „Ja, aber...“ Beim Verkaufen ist der Appell an das Vertrauen immer ein Appell an die Unvernunft. „Gib Deine Zweifel auf, ignoriere was Du siehst und weißt, vergiss Deine Interessen und Deine Besorgnisse = vertrau mir einfach.“ Solches Vertrauen fordert nur, wer den Verstand des anderen zu fürchten hätte. Gewiefte Banker wissen deswegen: Wer Vertrauen fordert, ist mit den Sicherheiten am Ende.
Blendwerker dagegen rechnen damit, dass der Durchschnittsmensch auf die Vertrauensmasche hereinfällt. Seit eh und je beschwört deswegen der Quacksalber das Vertrauensverhältnis zum Patienten und der Gauner stilisiert Teppiche, Aktienanalysen, Finanzprodukte oder Computer zur Vertrauenssache hoch. Und wenn ihnen wirklich jemand auf die Schliche kommt, trösten sie sich mit der jahrhundertealten Ausrede „mundus vult decipi“ (die Welt will betrogen werden).
Blend-Profis haben immer Recht
Das zweite Wildwest-Relikt, die beliebte „Ja, aber...“ Antwort, ist nur für den Notfall gedacht. Das Prinzip: Jede Einwendung wird akzeptiert („Ja,“) und sofort mit einem Vorteil gekontert („aber.....“).
Zu teuer? Ja, es ist teuer, aber in dieser Qualität wirklich einzigartig! Brauche ich nicht? Ja, aber Sie werden es brauchen - denken Sie an Ihre Familie, die wird es brauchen! Zu groß? Ja, aber da bekommen Sie etwas für Ihr Geld! Mit den immer gleichen Worten lassen sich die Zweifel an der überteuerten Autoheizung, an der Make-up-Großpackung oder an einem exotischen Fonds beantworten. Die „Ja, aber..“ -Phrasen sind austauschbar und allwettertauglich.
Wer dagegen ankommen will, braucht Geduld und Energie. Der Verkäufer dagegen kann aus dem Vollen schöpfen. Seine „Einwandbeantwortung“, so der terminus technicus, kostet ihn nur einen raschen Griff in die Ja-aber-Kiste.
Unternehmensleitsätze: Philosophie mit dem Holzhammer
Ein Spezialgebiet des Verkaufs sind die Unternehmensleitsätze. Sie besetzen im Blendwerk einen Ehrenplatz. Da beteuert eine Sparkasse, ihr höchste Ziel sei „der zufriedene Kunde“. Ein Stahlhändler bekennt sich zur höchsten Qualität bei fairen Preisen. Und eine Möbelfabrik verzichtet nicht darauf, die Persönlichkeit ihrer Mitarbeiter als ihr eigentlich Kapital zu loben. Da wird nichts ausgelassen, was werthaltig und nachhaltig klingt und vor allem kostenneutral zu machen ist: „Wir sehen im Kunden unseren Partner.“ „Wir stellen das Dienen vor das Verdienen“, so die modernen Alchimisten.
Unternehmensleitsätze sind Unternehmens-„philosophie“ auf allgemeinverständlichem Niveau, eine Art selbstgestrickter Sinngebung, die vor allem dekorativ wirken muss. Was immer das Unternehmen treibt - der naive Mitarbeiter oder Kunde soll glauben, man ernähre sich nicht vom Brot allein, sondern fühle sich vor allem dem Guten, Wahren und Schönen verpflichtet. Dahinter steckt das Kalkül, dass doch mit Verständnis und Nachsicht rechnen dürfe, wer so edel denkt.
Text: @mey
Bildmaterial: dpa
Worthelden
Von Georg Sieber
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Blender am Werk - "Mundus vult decipi"
7. Mai 2002 Wer wichtigen Anwendungen des Wortes auf der Spur ist, kommt geradenwegs auf das bunteste Feld der Rhetorik: Verkauf. Da heißt es Entscheidungen herbei zu führen, die bei ruhigem Verstand niemand treffen würde. Dazu muss die klare Sicht des Entscheiders ein wenig getrübt werden. Blind soll er werden für Schwachpunkte, für Ecken und Kanten. Das Positive soll ihn blenden. blind und blend hängen ja nicht ganz zufällig in ihren mittelhochdeutschen Wurzeln zusammen.
Vor jeder Pleite die Vertrauensfrage
Die meisten Verkaufslehren wurzeln in der amerikanischen Tradition der umherziehenden Quacksalber, Neuheitenhändler und Propagandisten. Wenn sich am nächsten Tag der wahre Wert des Produkts herausstellte, war der Lieferant längst über alle Berge. Kein Wunder, dass die USA heute die schärfste Produkthaftung haben und der Verbraucherschutz dort geradezu Purzelbäume schlägt.
Die zwei Grundfiguren wildwestlicher Verkaufsrhetorik sind aber noch immer weithin beliebt. Erstens: „Sie können mir wirklich vertrauen!.“. Zweitens: „Ja, aber...“ Beim Verkaufen ist der Appell an das Vertrauen immer ein Appell an die Unvernunft. „Gib Deine Zweifel auf, ignoriere was Du siehst und weißt, vergiss Deine Interessen und Deine Besorgnisse = vertrau mir einfach.“ Solches Vertrauen fordert nur, wer den Verstand des anderen zu fürchten hätte. Gewiefte Banker wissen deswegen: Wer Vertrauen fordert, ist mit den Sicherheiten am Ende.
Blendwerker dagegen rechnen damit, dass der Durchschnittsmensch auf die Vertrauensmasche hereinfällt. Seit eh und je beschwört deswegen der Quacksalber das Vertrauensverhältnis zum Patienten und der Gauner stilisiert Teppiche, Aktienanalysen, Finanzprodukte oder Computer zur Vertrauenssache hoch. Und wenn ihnen wirklich jemand auf die Schliche kommt, trösten sie sich mit der jahrhundertealten Ausrede „mundus vult decipi“ (die Welt will betrogen werden).
Blend-Profis haben immer Recht
Das zweite Wildwest-Relikt, die beliebte „Ja, aber...“ Antwort, ist nur für den Notfall gedacht. Das Prinzip: Jede Einwendung wird akzeptiert („Ja,“) und sofort mit einem Vorteil gekontert („aber.....“).
Zu teuer? Ja, es ist teuer, aber in dieser Qualität wirklich einzigartig! Brauche ich nicht? Ja, aber Sie werden es brauchen - denken Sie an Ihre Familie, die wird es brauchen! Zu groß? Ja, aber da bekommen Sie etwas für Ihr Geld! Mit den immer gleichen Worten lassen sich die Zweifel an der überteuerten Autoheizung, an der Make-up-Großpackung oder an einem exotischen Fonds beantworten. Die „Ja, aber..“ -Phrasen sind austauschbar und allwettertauglich.
Wer dagegen ankommen will, braucht Geduld und Energie. Der Verkäufer dagegen kann aus dem Vollen schöpfen. Seine „Einwandbeantwortung“, so der terminus technicus, kostet ihn nur einen raschen Griff in die Ja-aber-Kiste.
Unternehmensleitsätze: Philosophie mit dem Holzhammer
Ein Spezialgebiet des Verkaufs sind die Unternehmensleitsätze. Sie besetzen im Blendwerk einen Ehrenplatz. Da beteuert eine Sparkasse, ihr höchste Ziel sei „der zufriedene Kunde“. Ein Stahlhändler bekennt sich zur höchsten Qualität bei fairen Preisen. Und eine Möbelfabrik verzichtet nicht darauf, die Persönlichkeit ihrer Mitarbeiter als ihr eigentlich Kapital zu loben. Da wird nichts ausgelassen, was werthaltig und nachhaltig klingt und vor allem kostenneutral zu machen ist: „Wir sehen im Kunden unseren Partner.“ „Wir stellen das Dienen vor das Verdienen“, so die modernen Alchimisten.
Unternehmensleitsätze sind Unternehmens-„philosophie“ auf allgemeinverständlichem Niveau, eine Art selbstgestrickter Sinngebung, die vor allem dekorativ wirken muss. Was immer das Unternehmen treibt - der naive Mitarbeiter oder Kunde soll glauben, man ernähre sich nicht vom Brot allein, sondern fühle sich vor allem dem Guten, Wahren und Schönen verpflichtet. Dahinter steckt das Kalkül, dass doch mit Verständnis und Nachsicht rechnen dürfe, wer so edel denkt.
Text: @mey
Bildmaterial: dpa