DER SPIEGEL 12/2002 - 18. März 2002
www.spiegel.de/spiegel/0,1518,187508,00.html
Senator Azubi
Aus dem Talkshow-Star wird ein normaler Politiker. Statt um den Weltfrieden kämpft Gregor Gysi als Wirtschaftssenator gegen den Haushaltsnotstand und den Sitzungssozialismus.
Im Plenarsaal des Berliner Abgeordnetenhauses hat die Aussprache über die Regierungserklärung des Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit (SPD) bereits begonnen. Da streift Volker Holtfrerich, dessen persönlicher Referent, wie ein Polizist durch das Kasino: "Hat jemand Gysi gesehen?"
Arme Hauptstadt
Der Chef hat seinen Wirtschaftssenator und Stellvertreter im großen Saal des Preußischen Landtages vermisst - und lässt nun demonstrativ nach ihm suchen. "Wowereit möchte", raunt der Referent von Tisch zu Tisch, "dass Gysi auf der Regierungsbank sitzt." Schließlich wird der Schwänzer entdeckt, versteckt hinter einer Säule, im Raucherbereich. Wieder flüstert der Referent, dann läuft Gregor Gysi los, mit kurzen, schnellen Schritten - und setzt sich im Plenarsaal brav an die Seite des Koalitions-Herrn.
Wenige Tage später überlässt Wowereit es erstmals Gysi, die Ergebnisse einer Senatssitzung darzustellen. Da pumpt sich der Senator auf, strafft die Schultern und schließt den obersten Jackettknopf vor dem Bauch - ein Zeichen, dass er gerade mit sich selbst besonders zufrieden ist. So genießt er seine Premiere im Roten Rathaus. Bis ihn die ersten Fragen treffen. Was denn wirklich neu sei an den Senatsbeschlüssen; wer die "Straßenreinigungssonderkosten" der Love Parade bezahlen wird und warum die Firma Spreequell ihre Getränke nicht länger in Glas- sondern in Plasteflaschen abfüllen will.
Und immer soll einer antworten - er, Gregor Gysi, 54, zuständig für Wirtschaft, Arbeit und Frauen.
Ob er sich den neuen Job so vorgestellt hat?
61 Tage ist er jetzt Senator und Stellvertreter des Regierungschefs und noch immer fremd in der neuen Rolle. Gysi wirkt wie ein Schauspieler, der nur für einen Kollegen eingesprungen ist. Da agiert nicht mehr der unschlagbare Talkshow-Liebling, nicht mehr der wortgewandte Dialektiker. Jetzt ist Gysi, was er einerseits werden und andererseits nie und nimmer werden wollte - ein ganz gewöhnlicher Politiker. Und als Senator ist er ein Azubi.
Unsicher zuppelt er an seiner Umlaufmappe, blickt zu den drei Pressesprechern, die ihm assistieren, und sagt Sätze, die ihm noch nie über die Lippen gekommen sind: "Das kann ich jetzt nicht sagen." "Da bin ich ja nicht zuständig." "Das weiß ich nicht aus dem Kopf."
Bis vor kurzem hatte er noch viel größere Probleme scheinbar mühelos im Griff, konnte erklären, wie der Jugoslawienkrieg zu verhindern gewesen wäre ("Kohl hätte das mit Geld gemacht") oder die Attentäter von New York zu ergreifen sind ("schnelle Eingreiftruppe wie bei Eichmann"). Und nun solch ein Gestammel.
Klar, er hat es geschafft. Der Ossi und Ex-SED-Mann residiert im einstigen Domizil der Deutschen Erdöl-AG. Die Spur der Kapitalisten findet sich noch in den Kaminen, hier ist der Schriftzug DEA in die Eisenplatten geprägt. Gysi ist Chef von 726 Mitarbeitern, beschäftigt Referatsleiter für "Grundsatzangelegenheiten der Wirtschaftspolitik" (Zimmer 257) und für das "Kongresswesen" (Zimmer 291). Er darf sogar ein Wörtchen mitreden im Bundesrat und wird wieder vom Kanzler empfangen. Und dem selbst gestellten Auftrag, die innere Einheit Berlins entscheidend voranzubringen, ist er auch schon ein bisschen nachgekommen. Er hat die urostdeutschen Begriffe "Plaste" und "Arbeitskollektiv" bei der Senatspressekonferenz ins Regierungsdeutsch übernommen.
Aber um welchen Preis? Im Wahlkampf hat er viel über die Glaubwürdigkeit von Politik sinniert. Inzwischen aber hat auch er seine Wahlversprechen gebrochen. Weder bei Bildung, bei Wissenschaft noch Kultur dürfe gespart werden, hatte er auf den Plätzen Berlins verkündet und angesichts des Beifalls sogar noch zehn Prozent drauflegen wollen. Doch schon beim zweiten Blick in den Haushaltsplan gab Gysi die Forderung auf. So verblasst der Mythos Gysi zwischen unendlich vielen Aktendeckeln. "Ich dachte, ich werde Wirtschaftssenator im Kapitalismus", kalauert er im Senat, "doch nun habe ich nur marode volkseigene Betriebe" - womit er die landeseigenen Firmen meint.
Vor allem der Sitzungssozialismus macht den Senator Azubi kirre. Was ist ein Geschäftsverteilungsplan, was eine Terminübernahme? Gönnerhaft geben ihm altgediente Senatoren, immer noch neidisch auf Schlagfertigkeit und Charme des Populisten, Nachhilfe in Sachen Bürokratie. Schulsenator Klaus Böger (SPD), Nachbar auf der Regierungsbank, erklärt ihm, mit welchem Stift Gysi welche Senatsvorlage zu unterschreiben hat. Parlamentspräsident Walter Momper (SPD) weist ihn unsanft ins parlamentarische Procedere ein: Er könne sich, lässt er den "Herrn Senator" bei einer Fragestunde wissen, zwischen den Anfragen der Parlamentarier getrost wieder hinsetzen - "motiviert sind die Abgeordneten so oder so, Fragen zu stellen".
Und genüsslich registrieren die Sozialdemokraten, wenn sich "Monsieur le Schwadroneur" (SPD-Spott) im Senat beim Poker ums Geld mal wieder zu seinem Fraktionschef Harald Wolf umdreht und den Finanzexperten fragt: "Harald, sind die Zahlen wirklich so schlimm?"
Freunde wie Feinde haben auf solche Szenen geradezu gelauert. Er sei gespannt, wie der "Akten und Zahlen studiert", hatte Wowereit schon vor Gysis Amtsantritt gelästert. Jetzt sei "Kärrnerarbeit statt Johannes B. Kerner" angesagt, hatte Werner Schulz vom Bündnis 90 gegiftet. Regierungssprecher Michael Donnermeyer (SPD) wagt ein erstes Fazit in Sachen Gysi: "Seine populistische Karriere", erklärt er in der Manier eines Erziehungsberechtigten, "wird er beenden müssen."
Doch auch in der eigenen Partei reiben sich viele die Hände, wenn der Frontmann nun mit dem Genossen Sachzwang hadert. Zu oft hatte Gysi über die eigenen Leute die Nase gerümpft, sich selbst und nur sich selbst als den "intellektuellen Schub" für Berlin angepriesen, als dass er nun auf Solidarität hoffen könnte. Misstrauisch zählen seine Parteigänger die Fraktionssitzungen, an denen er nicht teilnimmt. Ohne sonderliche Anteilnahme hören sie Gysis Klagen über seine schwindende Popularität. Während seine Umfragewerte fallen, steigen die des Finanzsenators Thilo Sarrazin (SPD), obwohl der ein ausgesprochener Kommunikationsmuffel ist. Gysi kann es nicht fassen.
Im Außendienst, bei den Wirtschaftsbossen, geht Gysi ganz auf Nummer Sicher. Noch profitiert er vom Feindbild SED, das in diesen Kreisen weiterlebt und das der eloquente Postkommunist so grandios kleinreden kann. Und er nutzt die Erleichterung seiner Gegenüber, die froh sind, endlich mal keinen sozialdemokratischen Langweiler oder christdemokratischen Filzokraten zu treffen.
Artig sitzen Ende Februar rund 100 Männer, die alle ein wenig wie Berlusconi ausschauen, im Max-Liebermann-Haus der Bankgesellschaft am Brandenburger Tor und erwarten den Gast. ,"PDS und Wirtschaft: Warum nicht?" ist das Thema des Abends. Doch Gysi schlägt gekonnt um seine Partei einen weiten rhetorischen Haken. Er spricht über Berlin, ein wenig über sich, über die Wirtschaft und verbreitet Plattitüden, die auch von Eberhard Diepgen (CDU) hätten stammen können: "Berlin ist die einzige Stadt, die West und Ost zugleich ist." Oder: "Auch der Tourismusfaktor ist wichtig für Berlin."
Selbst dafür gibt es höflich Beifall, und die Bosse gehen heim ohne Angst vorm roten Gregor. Rückzug aus Berlin? Die Herren winken ab. "Für uns gilt selbstredend", erklärt Matthias Kleinert, Generalbevollmächtigter von DaimlerChrysler, ,,dass wir business as usual machen."
Selbst ganz große Wirtschaftskapitäne reißen sich angeblich um Termine bei Gysi. "Big Shots", wie Friedrich-Leopold von Stechow, der neue Chef der Hauptstadt-Marketing-Agentur "Partner für Berlin", bereits frohlockt. Die wollen, so mutmaßt ein SPD-Senator, "zu Hause ihrer Frau erzählen, dass sie tatsächlich dem Gysi die Hand gedrückt haben".
Für den Fall, dass einer aus den Chefetagen doch noch das Gespenst des Kommunismus fürchtet, schickt Gysi seinen Staatssekretär vorbei, einen freundlichen Herrn mit grauem Haar und eindringlicher Stimme. Volkmar Strauch, vor seiner Berufung in den Senatsdienst Geschäftsführer der Industrie- und Handelskammer und seit 1971 Sozialdemokrat, weiß um die Sorgen der Unternehmer und kennt sich auch mit Akten aus. Er rauscht für Gysi im silbernen Mercedes durch die Stadt, und kein schlechtes Wort über seinen Chef kommt ihm über die Lippen, allenfalls Sätze, die Spielraum für Interpretationen lassen: Der Senator, lobt er, "habe einen unbefangenen Zugang zum Problem".
Die Nummer eins der Stadt, der Regierende Bürgermeister, hält derweil sichtbar Distanz zu seinem Stellvertreter. "Sie beobachten sich", glaubt Justizsenatorin Karin Schubert (SPD). In den Senatssitzungen wechselt Wowereit vom vertrauten "Du" der Partys und Empfänge zur förmlichen Anrede. Dann ist kein Glucksen mehr in der Stimme, dann spricht er seinen Senator streng mit "Herr Kollege" an und freut sich hinterher, wie "lammfromm" der Gysi doch sei.
Wowereit weiß, dass er nicht nur auf Gysi aufpassen muss, sondern dass auch auf ihn aufgepasst wird. Kanzler Schröder möchte nicht, dass "der Gysi" die Berliner Polit-Bühne als Hauptdarsteller bespielt.
Und so weist der vermeintlich weiche "Wowi" dem angeblich so ausgebufften Gysi regelmäßig Nebenrollen zu. Gysi wollte gern medienwirksame Bürgersprechstunden im Roten Rathaus abhalten. Wowereit winkte ab, das sei Sache des Regierenden. Auch als Gysi fragte, wer von ihnen beiden denn bei welchen Anlässen die Berliner Landesregierung repräsentieren solle, war der bekennende "Kuschellinke" Wowereit alles andere als schmusig. Stünden an einem Wochenende zwei Termine an, sei klar, wer wohin dürfe: "Ich fahre nach Paris und Sie nach Cottbus."
Spurlos gehen solche Demütigungen nicht an Gysi vorbei. Er ist misstrauisch geworden. Er könne auch empfindsam sein, entfuhr es ihm einmal angesichts einer dieser Sticheleien seines Chefs.
Das Amt könnte für ihn zu einer Falle werden. Aber Fragen, ob er selbst das auch befürchte, lässt Gysi derzeit offiziell nicht zu. Nein, wimmelt sein Pressesprecher ab, der Senator stecke in den Haushaltsberatungen und gebe derzeit keine Interviews. Auch das ist neu im Leben des Gregor Gysi.
STEFAN BERG
www.spiegel.de/spiegel/0,1518,187508,00.html
Senator Azubi
Aus dem Talkshow-Star wird ein normaler Politiker. Statt um den Weltfrieden kämpft Gregor Gysi als Wirtschaftssenator gegen den Haushaltsnotstand und den Sitzungssozialismus.
Im Plenarsaal des Berliner Abgeordnetenhauses hat die Aussprache über die Regierungserklärung des Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit (SPD) bereits begonnen. Da streift Volker Holtfrerich, dessen persönlicher Referent, wie ein Polizist durch das Kasino: "Hat jemand Gysi gesehen?"
Arme Hauptstadt
Der Chef hat seinen Wirtschaftssenator und Stellvertreter im großen Saal des Preußischen Landtages vermisst - und lässt nun demonstrativ nach ihm suchen. "Wowereit möchte", raunt der Referent von Tisch zu Tisch, "dass Gysi auf der Regierungsbank sitzt." Schließlich wird der Schwänzer entdeckt, versteckt hinter einer Säule, im Raucherbereich. Wieder flüstert der Referent, dann läuft Gregor Gysi los, mit kurzen, schnellen Schritten - und setzt sich im Plenarsaal brav an die Seite des Koalitions-Herrn.
Wenige Tage später überlässt Wowereit es erstmals Gysi, die Ergebnisse einer Senatssitzung darzustellen. Da pumpt sich der Senator auf, strafft die Schultern und schließt den obersten Jackettknopf vor dem Bauch - ein Zeichen, dass er gerade mit sich selbst besonders zufrieden ist. So genießt er seine Premiere im Roten Rathaus. Bis ihn die ersten Fragen treffen. Was denn wirklich neu sei an den Senatsbeschlüssen; wer die "Straßenreinigungssonderkosten" der Love Parade bezahlen wird und warum die Firma Spreequell ihre Getränke nicht länger in Glas- sondern in Plasteflaschen abfüllen will.
Und immer soll einer antworten - er, Gregor Gysi, 54, zuständig für Wirtschaft, Arbeit und Frauen.
Ob er sich den neuen Job so vorgestellt hat?
61 Tage ist er jetzt Senator und Stellvertreter des Regierungschefs und noch immer fremd in der neuen Rolle. Gysi wirkt wie ein Schauspieler, der nur für einen Kollegen eingesprungen ist. Da agiert nicht mehr der unschlagbare Talkshow-Liebling, nicht mehr der wortgewandte Dialektiker. Jetzt ist Gysi, was er einerseits werden und andererseits nie und nimmer werden wollte - ein ganz gewöhnlicher Politiker. Und als Senator ist er ein Azubi.
Unsicher zuppelt er an seiner Umlaufmappe, blickt zu den drei Pressesprechern, die ihm assistieren, und sagt Sätze, die ihm noch nie über die Lippen gekommen sind: "Das kann ich jetzt nicht sagen." "Da bin ich ja nicht zuständig." "Das weiß ich nicht aus dem Kopf."
Bis vor kurzem hatte er noch viel größere Probleme scheinbar mühelos im Griff, konnte erklären, wie der Jugoslawienkrieg zu verhindern gewesen wäre ("Kohl hätte das mit Geld gemacht") oder die Attentäter von New York zu ergreifen sind ("schnelle Eingreiftruppe wie bei Eichmann"). Und nun solch ein Gestammel.
Klar, er hat es geschafft. Der Ossi und Ex-SED-Mann residiert im einstigen Domizil der Deutschen Erdöl-AG. Die Spur der Kapitalisten findet sich noch in den Kaminen, hier ist der Schriftzug DEA in die Eisenplatten geprägt. Gysi ist Chef von 726 Mitarbeitern, beschäftigt Referatsleiter für "Grundsatzangelegenheiten der Wirtschaftspolitik" (Zimmer 257) und für das "Kongresswesen" (Zimmer 291). Er darf sogar ein Wörtchen mitreden im Bundesrat und wird wieder vom Kanzler empfangen. Und dem selbst gestellten Auftrag, die innere Einheit Berlins entscheidend voranzubringen, ist er auch schon ein bisschen nachgekommen. Er hat die urostdeutschen Begriffe "Plaste" und "Arbeitskollektiv" bei der Senatspressekonferenz ins Regierungsdeutsch übernommen.
Aber um welchen Preis? Im Wahlkampf hat er viel über die Glaubwürdigkeit von Politik sinniert. Inzwischen aber hat auch er seine Wahlversprechen gebrochen. Weder bei Bildung, bei Wissenschaft noch Kultur dürfe gespart werden, hatte er auf den Plätzen Berlins verkündet und angesichts des Beifalls sogar noch zehn Prozent drauflegen wollen. Doch schon beim zweiten Blick in den Haushaltsplan gab Gysi die Forderung auf. So verblasst der Mythos Gysi zwischen unendlich vielen Aktendeckeln. "Ich dachte, ich werde Wirtschaftssenator im Kapitalismus", kalauert er im Senat, "doch nun habe ich nur marode volkseigene Betriebe" - womit er die landeseigenen Firmen meint.
Vor allem der Sitzungssozialismus macht den Senator Azubi kirre. Was ist ein Geschäftsverteilungsplan, was eine Terminübernahme? Gönnerhaft geben ihm altgediente Senatoren, immer noch neidisch auf Schlagfertigkeit und Charme des Populisten, Nachhilfe in Sachen Bürokratie. Schulsenator Klaus Böger (SPD), Nachbar auf der Regierungsbank, erklärt ihm, mit welchem Stift Gysi welche Senatsvorlage zu unterschreiben hat. Parlamentspräsident Walter Momper (SPD) weist ihn unsanft ins parlamentarische Procedere ein: Er könne sich, lässt er den "Herrn Senator" bei einer Fragestunde wissen, zwischen den Anfragen der Parlamentarier getrost wieder hinsetzen - "motiviert sind die Abgeordneten so oder so, Fragen zu stellen".
Und genüsslich registrieren die Sozialdemokraten, wenn sich "Monsieur le Schwadroneur" (SPD-Spott) im Senat beim Poker ums Geld mal wieder zu seinem Fraktionschef Harald Wolf umdreht und den Finanzexperten fragt: "Harald, sind die Zahlen wirklich so schlimm?"
Freunde wie Feinde haben auf solche Szenen geradezu gelauert. Er sei gespannt, wie der "Akten und Zahlen studiert", hatte Wowereit schon vor Gysis Amtsantritt gelästert. Jetzt sei "Kärrnerarbeit statt Johannes B. Kerner" angesagt, hatte Werner Schulz vom Bündnis 90 gegiftet. Regierungssprecher Michael Donnermeyer (SPD) wagt ein erstes Fazit in Sachen Gysi: "Seine populistische Karriere", erklärt er in der Manier eines Erziehungsberechtigten, "wird er beenden müssen."
Doch auch in der eigenen Partei reiben sich viele die Hände, wenn der Frontmann nun mit dem Genossen Sachzwang hadert. Zu oft hatte Gysi über die eigenen Leute die Nase gerümpft, sich selbst und nur sich selbst als den "intellektuellen Schub" für Berlin angepriesen, als dass er nun auf Solidarität hoffen könnte. Misstrauisch zählen seine Parteigänger die Fraktionssitzungen, an denen er nicht teilnimmt. Ohne sonderliche Anteilnahme hören sie Gysis Klagen über seine schwindende Popularität. Während seine Umfragewerte fallen, steigen die des Finanzsenators Thilo Sarrazin (SPD), obwohl der ein ausgesprochener Kommunikationsmuffel ist. Gysi kann es nicht fassen.
Im Außendienst, bei den Wirtschaftsbossen, geht Gysi ganz auf Nummer Sicher. Noch profitiert er vom Feindbild SED, das in diesen Kreisen weiterlebt und das der eloquente Postkommunist so grandios kleinreden kann. Und er nutzt die Erleichterung seiner Gegenüber, die froh sind, endlich mal keinen sozialdemokratischen Langweiler oder christdemokratischen Filzokraten zu treffen.
Artig sitzen Ende Februar rund 100 Männer, die alle ein wenig wie Berlusconi ausschauen, im Max-Liebermann-Haus der Bankgesellschaft am Brandenburger Tor und erwarten den Gast. ,"PDS und Wirtschaft: Warum nicht?" ist das Thema des Abends. Doch Gysi schlägt gekonnt um seine Partei einen weiten rhetorischen Haken. Er spricht über Berlin, ein wenig über sich, über die Wirtschaft und verbreitet Plattitüden, die auch von Eberhard Diepgen (CDU) hätten stammen können: "Berlin ist die einzige Stadt, die West und Ost zugleich ist." Oder: "Auch der Tourismusfaktor ist wichtig für Berlin."
Selbst dafür gibt es höflich Beifall, und die Bosse gehen heim ohne Angst vorm roten Gregor. Rückzug aus Berlin? Die Herren winken ab. "Für uns gilt selbstredend", erklärt Matthias Kleinert, Generalbevollmächtigter von DaimlerChrysler, ,,dass wir business as usual machen."
Selbst ganz große Wirtschaftskapitäne reißen sich angeblich um Termine bei Gysi. "Big Shots", wie Friedrich-Leopold von Stechow, der neue Chef der Hauptstadt-Marketing-Agentur "Partner für Berlin", bereits frohlockt. Die wollen, so mutmaßt ein SPD-Senator, "zu Hause ihrer Frau erzählen, dass sie tatsächlich dem Gysi die Hand gedrückt haben".
Für den Fall, dass einer aus den Chefetagen doch noch das Gespenst des Kommunismus fürchtet, schickt Gysi seinen Staatssekretär vorbei, einen freundlichen Herrn mit grauem Haar und eindringlicher Stimme. Volkmar Strauch, vor seiner Berufung in den Senatsdienst Geschäftsführer der Industrie- und Handelskammer und seit 1971 Sozialdemokrat, weiß um die Sorgen der Unternehmer und kennt sich auch mit Akten aus. Er rauscht für Gysi im silbernen Mercedes durch die Stadt, und kein schlechtes Wort über seinen Chef kommt ihm über die Lippen, allenfalls Sätze, die Spielraum für Interpretationen lassen: Der Senator, lobt er, "habe einen unbefangenen Zugang zum Problem".
Die Nummer eins der Stadt, der Regierende Bürgermeister, hält derweil sichtbar Distanz zu seinem Stellvertreter. "Sie beobachten sich", glaubt Justizsenatorin Karin Schubert (SPD). In den Senatssitzungen wechselt Wowereit vom vertrauten "Du" der Partys und Empfänge zur förmlichen Anrede. Dann ist kein Glucksen mehr in der Stimme, dann spricht er seinen Senator streng mit "Herr Kollege" an und freut sich hinterher, wie "lammfromm" der Gysi doch sei.
Wowereit weiß, dass er nicht nur auf Gysi aufpassen muss, sondern dass auch auf ihn aufgepasst wird. Kanzler Schröder möchte nicht, dass "der Gysi" die Berliner Polit-Bühne als Hauptdarsteller bespielt.
Und so weist der vermeintlich weiche "Wowi" dem angeblich so ausgebufften Gysi regelmäßig Nebenrollen zu. Gysi wollte gern medienwirksame Bürgersprechstunden im Roten Rathaus abhalten. Wowereit winkte ab, das sei Sache des Regierenden. Auch als Gysi fragte, wer von ihnen beiden denn bei welchen Anlässen die Berliner Landesregierung repräsentieren solle, war der bekennende "Kuschellinke" Wowereit alles andere als schmusig. Stünden an einem Wochenende zwei Termine an, sei klar, wer wohin dürfe: "Ich fahre nach Paris und Sie nach Cottbus."
Spurlos gehen solche Demütigungen nicht an Gysi vorbei. Er ist misstrauisch geworden. Er könne auch empfindsam sein, entfuhr es ihm einmal angesichts einer dieser Sticheleien seines Chefs.
Das Amt könnte für ihn zu einer Falle werden. Aber Fragen, ob er selbst das auch befürchte, lässt Gysi derzeit offiziell nicht zu. Nein, wimmelt sein Pressesprecher ab, der Senator stecke in den Haushaltsberatungen und gebe derzeit keine Interviews. Auch das ist neu im Leben des Gregor Gysi.
STEFAN BERG