aus einem bühnenstück in berlin!
‘Der Physiker und Genetiker Michel flüchtet sich vor dem ungelebten Leben und der emotionalen Leere des Individuums in die Wissenschaft und landet bei dem umwälzenden Projekt: Fortpflanzung ohne Sex. Er entwirft eine Ersatzmenschheit am Reißbrett, und liefert die Grundlage "für eine vollständige Replikation", die endlich den unsterblichen und perfekten Menschen hervorbringen soll. Sein sex-besessener Stiefbruder Bruno arbeitet am umgekehrten Projekt: Sex ohne Fortpflanzung. Er landet in der Irrenanstalt, medikamentös sediert und selbstvergessen.’© Volksbühne
Die Farbe beige dominiert sowohl im Bühnenbild als auch in der Kleidung der beiden Stiefbrüder, die gewollt tapsig und wirklich witzig Stationen aus dem Leben des Aldous Huxley hersagen. Ihre Hemden zieren die Nummern 1 und 2. Was sich jedoch hinten den bleichen Stirnen der zu nachsichtigem Schmunzeln verleitenden Gestalten verbirgt, wird der eben erst begonnene Abend offenbaren. Es ist der Beginn einer Reise, in deren Verlauf der Käfig in den Tiefen ihrer Seelen weit geöffnet wird und Abgründe hervorzerrt, die besser für immer dort verborgen geblieben wären.
Die an eine Gummizelle gemahnende, als Wellness-Center mit pychatrisch/heilendem Charakter getarnte Bühne wird zum schmalen Grat zwischen Phantasie und Wirklichkeit, Wahn und Sinn. Um keinen Spaß aufkommen zu lassen, geht es schnell zur Sache. So entspannt sich exemplarisch ein Dialog zwischen den uniformen Männern, beginnend mit einer atemlosen Tirade von Nr. 2, der sich - höfliche Konversation - nach dem Befinden der Frau von Nr. 1 erkundigt. An die er jedoch nur die Erinnerung 'riesiger Titten' hegt - so, wie Nr. 1 es mag. Der Zerfall ihrer Ehe sei natürlich vorprogrammiert gewesen - Brüste und Ehe erschlafften gemeinsam. Nr. 1 gibt sich nicht überrascht über die zutreffende Analyse des anderen, leugnet nichts, spricht über die Liebe als etwas, das er nicht kennengelernt hat, auch nicht seinem Sohn gegenüber, der zwölf ist und das letzte, was irgendwie liebenswert wäre. "Das Kind ist die Falle die zuschnappt!" so seine Abrechnung mit der Familie.
Nr. 2 scheint zunächst empfindsamer. Er ist nicht gern allein, mag es, wenn ihn am Abend jemand begrüßt. Hierfür hat er einen weißen Kanarienvogel erwählt. Als das Tier stirbt, findet es seine (letzte) Ruhe im Müllschlucker. Immerhin wird Nr. 2 dadurch im Nachhinein zu schlimmen Gewissenbissen und Albträumen getrieben. Aber er verzeiht sich schließlich selbst "Hätte ich ihm etwa eine Messe lesen sollen?"
Nr. 1 (Zitat: "Ich kann nichts! Ich bin Lehrer!") versteht nicht, weshalb sein rassistisches und anitsemitisches Buch nicht veröffentlicht wird; versteht nicht, weshalb seine nordafrikanisches Schülerin von der Berührung seiner Hand auf ihrem Oberschenkel angewidert ist. Diese Ungewissheiten zermürben ihn.
Eine biedere Frau, Ende 40, betritt in rosa Buntfaltenhosen die Bühne. Sie spuckt die Bitterkeit über ihr vertanes Lebens aus - unschuldig daran, daß sie stets benutzt, nie geliebt wurde und nun ihr Leben ungelebt vorbei sei. Zu spät habe sie begriffen, daß ein Mann nicht mit einer Frau schläft, weil er verliebt, sondern weil er sexuell erregt ist.
Nr. 1 gelangt inzwischen zu der Auffassung, daß der Minirock der Schülerin, und nicht sein schlichtes Gemüt oder gar sein unzivilisierter Trieb, Schuld war an seiner Grenzüberschreitung - der anfängliche Selbstekel weicht wieder der Selbstgefälligkeit. Frauen haben oberhalb der männlichen Gürtellinie, von unten aus betrachtet, keinen Platz. Sobald sie Sehnsucht nach Nähe, Liebe oder Schutzbedürftigkeit zeigen, werden ihre Gefühle bloßgelegt wie offene Nerven, zerquetscht und fortgestoßen. Die Frauen zerbrechen daran.
Hin und wieder scheint es, als könne doch noch alles gut werden. Doch die klassischen, mit Glück in Verbindung gebrachten Ereignisse, haben hier einen anderen Stellenwert, wenn z. B. die Hochzeit definiert wird als Zusammenleben um dann gemeinsam dahinzusiechen und schließlich einer nach dem anderen zu sterben. Auch die Aussicht auf eine Reise nach Brasilien ist nicht mehr verlockend, wenn schwärmerisch über den perfekten Ablauf eines Tages sinniert wird: man könne ja wunderbar am Vormittag im Staub der sengenden Hitze achtjährige Soldaten und zwölfjährige Nutten "besichtigen" und dann den Nachmittag gemeinsam mit Drogenbossen am Strand verbringen. Lächeln gefriert.
Wo es noch eben noch versöhnlich aussah, wählt die einst so Angebetete – nun unheilbar Kranke - schließlich den Freitod, als sie einsehen muß, dass Nr. 1 sie mit ihren nun gelähmten Beinen eher unter der Sonnenbank verbrutzeln lassen würde, als sie zu pflegen. Sie versteht das wahrscheinlich sogar...
Die eigentliche Story dient nur noch als Transportband der heimlichen und unheimlichen Ängste und Agressionen und taucht nur versatzweise aus einem wahren Feuerwerk zum Teil unerträglichen verbalen Gemetzels auf. Am Ende bleiben Gewalt, Nacktheit als Blöße, Fühllosigkeit und Tod. Und der Tod ist das beste, was passieren kann, weil er die Erlösung vom Leben darstellt.
Schöne neue Welt, kann man da nur sagen, und so den Kreis im Sinne Aldous Huxleys schließen.
‘Der Physiker und Genetiker Michel flüchtet sich vor dem ungelebten Leben und der emotionalen Leere des Individuums in die Wissenschaft und landet bei dem umwälzenden Projekt: Fortpflanzung ohne Sex. Er entwirft eine Ersatzmenschheit am Reißbrett, und liefert die Grundlage "für eine vollständige Replikation", die endlich den unsterblichen und perfekten Menschen hervorbringen soll. Sein sex-besessener Stiefbruder Bruno arbeitet am umgekehrten Projekt: Sex ohne Fortpflanzung. Er landet in der Irrenanstalt, medikamentös sediert und selbstvergessen.’© Volksbühne
Die Farbe beige dominiert sowohl im Bühnenbild als auch in der Kleidung der beiden Stiefbrüder, die gewollt tapsig und wirklich witzig Stationen aus dem Leben des Aldous Huxley hersagen. Ihre Hemden zieren die Nummern 1 und 2. Was sich jedoch hinten den bleichen Stirnen der zu nachsichtigem Schmunzeln verleitenden Gestalten verbirgt, wird der eben erst begonnene Abend offenbaren. Es ist der Beginn einer Reise, in deren Verlauf der Käfig in den Tiefen ihrer Seelen weit geöffnet wird und Abgründe hervorzerrt, die besser für immer dort verborgen geblieben wären.
Die an eine Gummizelle gemahnende, als Wellness-Center mit pychatrisch/heilendem Charakter getarnte Bühne wird zum schmalen Grat zwischen Phantasie und Wirklichkeit, Wahn und Sinn. Um keinen Spaß aufkommen zu lassen, geht es schnell zur Sache. So entspannt sich exemplarisch ein Dialog zwischen den uniformen Männern, beginnend mit einer atemlosen Tirade von Nr. 2, der sich - höfliche Konversation - nach dem Befinden der Frau von Nr. 1 erkundigt. An die er jedoch nur die Erinnerung 'riesiger Titten' hegt - so, wie Nr. 1 es mag. Der Zerfall ihrer Ehe sei natürlich vorprogrammiert gewesen - Brüste und Ehe erschlafften gemeinsam. Nr. 1 gibt sich nicht überrascht über die zutreffende Analyse des anderen, leugnet nichts, spricht über die Liebe als etwas, das er nicht kennengelernt hat, auch nicht seinem Sohn gegenüber, der zwölf ist und das letzte, was irgendwie liebenswert wäre. "Das Kind ist die Falle die zuschnappt!" so seine Abrechnung mit der Familie.
Nr. 2 scheint zunächst empfindsamer. Er ist nicht gern allein, mag es, wenn ihn am Abend jemand begrüßt. Hierfür hat er einen weißen Kanarienvogel erwählt. Als das Tier stirbt, findet es seine (letzte) Ruhe im Müllschlucker. Immerhin wird Nr. 2 dadurch im Nachhinein zu schlimmen Gewissenbissen und Albträumen getrieben. Aber er verzeiht sich schließlich selbst "Hätte ich ihm etwa eine Messe lesen sollen?"
Nr. 1 (Zitat: "Ich kann nichts! Ich bin Lehrer!") versteht nicht, weshalb sein rassistisches und anitsemitisches Buch nicht veröffentlicht wird; versteht nicht, weshalb seine nordafrikanisches Schülerin von der Berührung seiner Hand auf ihrem Oberschenkel angewidert ist. Diese Ungewissheiten zermürben ihn.
Eine biedere Frau, Ende 40, betritt in rosa Buntfaltenhosen die Bühne. Sie spuckt die Bitterkeit über ihr vertanes Lebens aus - unschuldig daran, daß sie stets benutzt, nie geliebt wurde und nun ihr Leben ungelebt vorbei sei. Zu spät habe sie begriffen, daß ein Mann nicht mit einer Frau schläft, weil er verliebt, sondern weil er sexuell erregt ist.
Nr. 1 gelangt inzwischen zu der Auffassung, daß der Minirock der Schülerin, und nicht sein schlichtes Gemüt oder gar sein unzivilisierter Trieb, Schuld war an seiner Grenzüberschreitung - der anfängliche Selbstekel weicht wieder der Selbstgefälligkeit. Frauen haben oberhalb der männlichen Gürtellinie, von unten aus betrachtet, keinen Platz. Sobald sie Sehnsucht nach Nähe, Liebe oder Schutzbedürftigkeit zeigen, werden ihre Gefühle bloßgelegt wie offene Nerven, zerquetscht und fortgestoßen. Die Frauen zerbrechen daran.
Hin und wieder scheint es, als könne doch noch alles gut werden. Doch die klassischen, mit Glück in Verbindung gebrachten Ereignisse, haben hier einen anderen Stellenwert, wenn z. B. die Hochzeit definiert wird als Zusammenleben um dann gemeinsam dahinzusiechen und schließlich einer nach dem anderen zu sterben. Auch die Aussicht auf eine Reise nach Brasilien ist nicht mehr verlockend, wenn schwärmerisch über den perfekten Ablauf eines Tages sinniert wird: man könne ja wunderbar am Vormittag im Staub der sengenden Hitze achtjährige Soldaten und zwölfjährige Nutten "besichtigen" und dann den Nachmittag gemeinsam mit Drogenbossen am Strand verbringen. Lächeln gefriert.
Wo es noch eben noch versöhnlich aussah, wählt die einst so Angebetete – nun unheilbar Kranke - schließlich den Freitod, als sie einsehen muß, dass Nr. 1 sie mit ihren nun gelähmten Beinen eher unter der Sonnenbank verbrutzeln lassen würde, als sie zu pflegen. Sie versteht das wahrscheinlich sogar...
Die eigentliche Story dient nur noch als Transportband der heimlichen und unheimlichen Ängste und Agressionen und taucht nur versatzweise aus einem wahren Feuerwerk zum Teil unerträglichen verbalen Gemetzels auf. Am Ende bleiben Gewalt, Nacktheit als Blöße, Fühllosigkeit und Tod. Und der Tod ist das beste, was passieren kann, weil er die Erlösung vom Leben darstellt.
Schöne neue Welt, kann man da nur sagen, und so den Kreis im Sinne Aldous Huxleys schließen.