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Auf vielen Bauernhöfen in Deutschland herrscht beste Stimmung. Weltweit steigende Agrarpreise, die biobegeisterte Bevölkerung sowie der Boom der erneuerbaren Energien bringen erstmals seit Jahrzehnten ordentlich Geld aufs Land. Und das wird wohl noch eine ganze Weile lang so bleiben
Wachsender Wert: Rapsfeld in der Prignitz
Wachsender Wert: Rapsfeld in der Prignitz
Foto: dpa
Es ist einer der seltenen Momente, in denen es Bauer Rolf Winter noch in den Stall schafft. Die Angus-Rinder in der ersten Reihe recken die lockigen Köpfe durchs Stallgitter, als Winter ihnen eine Schippe Kartoffeln hinwirft. Landwirt Winter kommt so selten, weil er mittlerweile mehr Manager als Bauer ist. Und er ahnt, dass diese Momente noch viel seltener werden könnten. "Ich bin seit 25 Jahren in der Landwirtschaft tätig, aber eine solche Situation habe ich noch nicht erlebt." Früher hätte die Preisentwicklung für Feldfrüchte und Fleisch nur eine Richtung gekannt: nach unten. Derzeit bekommt er mehr, als er noch vor Jahresfrist erwartet hatte. "Wie Öl, Gas oder Metalle genießen nun auch Agrarrohstoffe eine weltweite Wertschätzung", sagt der Bauer.
Rolf Winter hat wenig mit dem althergebrachten Bild des Biobauern zu tun, der in Gummistiefeln einen Korb voll wurmstichiger Äpfel auf den Markt trägt. In Tangstedt vor den Toren Hamburgs hat er einen 240 Hektar großen Betrieb gepachtet. Er pflanzt Kartoffeln, Getreide, Viehfutter, Erbsen und Erdbeeren. Er hält Rinder, Schweine, Geflügel. Alles Bio, aber im großen Stil. "Wir hatten im vergangenen Jahr 22 Prozent Umsatzwachstum, 2005 waren es auch schon 20 Prozent." Einen wesentlichen Beitrag dazu liefert die eigene Gutsbäckerei und die Direktvermarktung nach Hamburg. Viel Arbeit, und die meiste davon im Büro.
Winter profitiert mit seinem Bioland-Betrieb voll vom Bioboom. 4,5 Milliarden Euro geben die Deutschen mittlerweile für kontrolliert angebaute Lebensmittel aus. Bei einem jährlichen Wachstum von 15 Prozent. Kein Wunder, dass die Erzeuger da nicht mehr mitkommen. Obwohl mittlerweile 17 000 Betriebe ihre Äcker und Ställe ökologisch bewirtschaften, kann die Nachfrage kaum befriedigt werden, der Biogroßhandel muss zunehmend im Ausland zukaufen.
Doch der Aufwärtstrend erfasst längst auch konventionell arbeitende Landwirte. Um Deutschlands Äcker ist ein regelrechter Konkurrenzkampf entbrannt. Wo früher die EU mit üppigen Subventionen düngte, finden die Bauern heute lukrative Absatzfelder abseits der EU-Quoten. Ob Biodiesel oder Biogas, Schweinemast oder Getreideproduktion: Jetzt ernährt der Markt die Bauern und nicht mehr der Zuschuss aus Brüssel. Landwirtschaft lohnt sich wieder.
Fast jeder zweite deutsche Landwirt will in naher Zukunft wieder investieren, die Zahl der geschlachteten Schweine ist im Vorjahr um drei Prozent gestiegen, für Milch und Getreide werden stabile bis steigende Preise erwartet. Wenn sich in früheren Jahren der Präsident des Deutschen Bauernverbandes (DBV) an die Öffentlichkeit wandte, konnten die Journalisten entspannt einnicken und später die eigenen alten Texte aus dem Archiv ziehen. Die Preise, das Ausland, und dann die strengen Umweltauflagen: Kein Wunder, dass kein Bauer mehr einen Hofnachfolger finde.
In diesem Jahr hatte Bauernpräsident Gerd Sonnleitner überraschend einen neuen Text parat, als er über die Perspektiven für 2007 sprach: "Der Export von deutschen Agrargütern boomt." Deutscher Edelkäse, Fleisch- und Ölsaatprodukte seien wahre Exportschlager. Dass die Bauern nach Jahrzehnten des Jammerns wieder positiv in die Zukunft blicken, ist Marktveränderungen geschuldet, die dauerhafter Natur sein dürften.
Zunächst gibt es die weltweit steigende Nachfrage. "Das Wirtschaftswachstum in Indien und China führt dazu, dass auch dort zunehmend qualitativ hochwertige Lebensmittel nachgefragt werden", so Michael Lohse vom Bauernverband. Schwache Ernten verstärkten den Nachfrageüberhang. Zum sechsten Mal in Folge hat der Getreideverbrauch im vergangenen Jahr die Erntemengen überstiegen. Die Vorräte sind zusammengeschmolzen.
Die Verbraucher werden das an den Ladenkassen registrieren. "Die Erzeugerpreise für Schweinefleisch sind im letzten Jahr um etwa 20 Prozent gestiegen", freut sich etwa Norbert Meyer, der in Lutten im Landkreis Vechta 2800 Mastplätze hat, auf einem Familienbetrieb in fünfter Generation. Er hat auch schon einen Nachfolger in der Familie. Es läuft. "2006 war ein gutes Jahr. Gute Preise, die Kosten sind noch erträglich", sagt Meyer.
Erstaunlicherweise scheinen sich ausgerechnet die Bereiche besonders gut zu entwickeln, für die die EU ihre Fördermilliarden und Quoten gestrichen hat. So in der Schweinemast, für die vor zwei Jahren die Subventionen gestrichen wurden. Kein Grund zum Jammern für Mäster Meyer: "Es gibt weniger Auflagen und Papierkram. Wir kriegen das Geld jetzt über den Markt." Das sei letztlich ehrlicher, wenn die Kunden die Ware im Laden bezahlen und nicht indirekt über ihre Steuern.
Allerdings werden die steigenden Getreidepreise für viele Bauern auch zum Problem, denn damit steigen auch die Futterpreise - teilweise um bis zu 40 Prozent. "Das Futter macht in der Mast die Hälfte der Kosten aus, das haut natürlich ziemlich rein", so Landwirt Meyer, der neben Schweinen auch noch 100 Bullen im Stall hat. Diese Tiere konsumieren mit Vorliebe Mais-Silage - und stehen damit quasi in direkter Konkurrenz zum deutschen Stromverbraucher. Silage ist zum begehrten Rohstoff auf dem wachstumsstärksten Ertragsfeld der Landwirte geworden, der Produktion von Energie: Immer mehr Landwirte werden mittlerweile zu Energiewirten. "Der Energieträger Biomasse hat ein Riesenpotenzial", so Michael Lohse. Die steigenden Preise für Strom, Gas und Öl führen zu einer rasant wachsenden Nachfrage nach praktisch allem, was brennt. Selbst Holz ist heute wieder gefragt und erzielt Rekordpreise. Während US-Präsident Bush gerade anfängt, im Biodiesel einen Ausweg aus der Abhängigkeit vom Öl zu entdecken, seien die Deutschen hier bereits Weltmeister. "Zwei Millionen Hektar nachwachsende Rohstoffe werden mittlerweile angebaut - mehr als irgendwo sonst", sagt Lobbyist Lohse. Neben dem Biodiesel aus Rapsöl produzieren neuerdings immer mehr Landwirte auch Wärme und Strom aus Feldfrüchten, mit Biogasanlagen.
Seit über 400 Jahren betreibt die Familie von Carsten Kühl bereits den Bauernhof in Rade bei Rendsburg. Seit einem Jahr ist der Bauer Stromerzeuger. "Ein Ingenieur aus Süddeutschland hat für uns eine einfache Biogasanlage entwickelt, die aus Gülle und Silomais elektrischen Strom erzeugt", sagt Kühl.
Die Grundstoffe vergären in einem sechs mal zwölf Meter großen Silo bei 40 Grad Celsius, dabei wird Methangas frei. Dieses wird in einem umgebauten Dieselmotor verbrannt und treibt einen Stromgenerator an. Klingt simpel und ist es tatsächlich auch. Die Anlage liefert ein erkleckliches Zubrot zu dem Einkommen aus 1800 Mastplätzen. Sie produziert unabhängig von Wind und Wetter 1800 bis 1900 Kilowattstunden pro Tag - so viel, wie ein Durchschnittshaushalt im Jahr verbraucht.
E.on zahlt pro Kilowattstunde 18,3 Cent. Und das Energie-Einspeise-Gesetz (EEG) schreibt fest, dass dies auch die nächsten 20 Jahre so bleibt. Kühl: "Ich habe 300 000 Euro investiert. In weniger als zehn Jahren wird sich die Anlage amortisiert haben. In einem Mähdrescher wäre das Geld schlechter angelegt gewesen." Auch Kühles Schweine haben etwas davon, dass sie kräftig Biomasse von sich geben. Mit der Abwärme heizt der Landwirt Ställe und Hofgebäude.
Dumme Bauern mögen zwar immer noch die dicksten Kartoffeln ernten, wie es das Sprichwort sagt. Der schlaue Bauer erweitert aber die Wertschöpfungskette. Rolf Winter demonstriert in Tangstedt, wie das geht: Statt eines Hofhundes empfangen freundliche Angestellte. Im 200 Quadratmeter großen Hofladen gibt es neben landwirtschaftlichen Erzeugnissen Biobrot aus gutseigener Bäckerei. Im Onlineshop können Kunden 1600 verschiedene Bioprodukte übers Internet bestellen, fünf Transporter liefern in ganz Hamburg aus. "Wir vermarkten 90 Prozent unserer Produkte inzwischen selbst." Der Hofladen wurde dreimal erweitert. Und ist doch schon wieder zu klein.
Steffen Fründt
Artikel erschienen am 14.01.2007
Quelle:
www.welt.de/data/2007/01/14/1175970.html