Verkaufszahlen brechen ein - Umsatzträchtige Künstler fehlenNew York - Der Rote Teppich ist ausgerollt, die extralangen Limousinen bestellt, der Champagner auf Eis gelegt - mit allem Pomp wird Hollywood heute abend die «Grammy Awards» feiern, die Verleihung der Oskars der Musikindustrie. Die TV-Sender werden live dabei sein, wenn Bono - der politisch aktive Sänger der irischen Band U2 - seinem Auto entsteigt, alle werden fröhlich und beschwingt sein. Der Schein trügt: Der Musikindustrie geht es so schlecht wie seit 1990 nicht mehr. Damals rettete zumindest in Europa Britpop die Bilanzen.
Die Verkäufe von Tonträgern gehen - auch wegen der Rezession - weltweit zurück. Keine neuen Superstars - mit Ausnahme von Talenten wie den Punk-Nachfolgern The Strokes oder Linkin Park - sind in Sicht, was unter anderem an der Musikindustrie selbst liegt, die in den vergangenen Jahren auf schnelle Erfolge setzte und nicht darauf, neue Künstler aufzubauen.
Auch das Problem mit dem illegalen Brennen von CDs ist nicht gelöst - 2001 wurden weltweit mehr Rohlinge verkauft als bespielte CDs. Und über das Schicksal der kostenlosen Online-Börse Napster ist nicht entschieden. «Die Musikindustrie ist in einem erbärmlichen Zustand», sagt Peter Paterno, der unter anderem die Band Metallica vertritt.
Darüber hinaus haben die Plattenfirmen ein ganzes Heer von Stars und Künstlern gegen sich, die unter anderem behaupten: Die Industrie habe sie seit Jahren hintergangen, das Abrechnungssystem sei völlig undurchsichtig, und sie würden mit schlecht bezahlten Verträgen jahrelang geknebelt. In einem «Konzert für die Rechte der Künstler» haben Musiker wie Billy Joel, Sheryl Crow und Don Henley (The Eagles) jetzt ihrem Zorn Luft gemacht. Die Musiker wollen Geld für eine Initiative sammeln, die für eine Gesetzesänderung kämpfen soll. Das Ziel: flexiblere Verträge.
In keiner kreativen Branche fielen Künstler derart lange unter einen Vertrag wie in der Musikindustrie, sagen die Kritiker. Nach kalifornischem Recht sind die Bands an eine bestimmte Anzahl von Alben gebunden; oftmals kommen so Vertragslaufzeiten von zehn Jahren oder mehr zu Stande. Die Musiker wollen die Dauer der Verträge auf höchstens sieben Jahre begrenzen.
Weitaus deutlicher ist jedoch der Vorwurf, den die Musikerin Courtney Love, die Witwe des Nirvana-Sängers Kurt Cobain, erhebt. Die Industrie verstecke ihre Bilanzzahlen vor den Künstlern und bringe diese dadurch um ihre Honorare. Seit 1999 versucht Courtney Love, aus einem Vertrag mit Universal Music zu kommen. Das Unternehmen verlangt Vertragserfüllung, was weitere fünf Alben der Sängerin und Frontfrau der Gruppe Hole bedeutet. «Die Musiker haben keine Ahnung, welches Honorar sie bekommen und wie viele Alben sie tatsächlich verkauft haben», zitiert die New York Times die Sängerin.
Die nachlassende Konjunktur und die Anschläge am 11. September haben den Firmen in den USA, dem größten Musikmarkt der Welt, besonders zugesetzt. Im Gesamtjahr 2001 sank der Umsatz um 4,7 Prozent auf 13,7 Milliarden Dollar (15,7 Mrd. Euro). Die Unternehmen verkauften 959 Millionen Alben, 2000 waren es noch 1,06 Milliarden gewesen.
Jedes Unternehmen der fünf größten der Branche - Universal Music (Vivendi Universal), Warner Music, BMG (Bertelsmann Music Group), Sony Music Entertainment und die EMI Group ist betroffen. Und der Abschwung scheint sich mit jedem Tag zu beschleunigen. Im Januar gingen schon 9,5 Prozent weniger Tonträger über die US-Ladentische als im gleichen Monat des Vorjahres.
Immer mehr Menschen kaufen sich offenbar statt einer Musik-CD für das fast gleiche Geld eine DVD (eine Film-CD) oder ein Videospiel. Oder sie beschaffen sich die Musikstücke kostenlos aus dem Internet. Denn noch immer ist das Problem des illegalen Kopierens nicht gelöst. Unter dem Dach der Vereinten Nationen wurde gerade in Genf ein internationaler Pakt zum Schutz des Urheberrechts im Internet abgeschlossen. Er soll im Mai in Kraft treten. Doch hat die Europäische Union diesen Vertrag noch nicht ratifiziert, ein entsprechendes Votum wird für Ende dieses Jahres erwartet.
Nach Angaben einer amerikanischen Expertengruppe verliert allein die US-Industrie jährlich zwei Milliarden Dollar durch illegales Kopieren. Deshalb waren die USA auch eines der ersten Länder, die den Pakt - der jegliches illegale Herunterladen im Internet ächtet - unterzeichnet hatten.