Die Welt, 28.12.01
Indiens und Pakistans militärische Traditionen beruhen auf demselben Fundament: den britischen Kolonialstreitkräften. Als auf dem Subkontinent 1947 Indien die Unabhängigkeit erhielt und Pakistan als neues Staatengebilde entstand, dienten Inder verschiedener Konfessionen in den britischen Streitkräften. Mit der Unabhängigkeit teilten sich Mannschaften und Dienstgrade nach religiösen Gesichtspunkten: Hindus und Sikhs bildeten den Kern der indischen und Moslems den der pakistanischen Armee. Aus ehemaligen Kameraden wurden fast über Nacht Gegner.
Die Profilierung der Armeen, vor allem, was die Bewaffnung betraf, erfolgte dann ebenfalls unterschiedlich. Indien bezog sein Rüstungsmaterial vorwiegend aus der damaligen Sowjetunion. Noch heute sollen die Streitkräfte zu etwa 70 Prozent mit russischen Waffen, Flugzeugen, Geschützen und anderem Material ausgerüstet sein. Pakistan hingegen war als zeitweiliges Mitglied der Seato und Cento (Bagdad-Pakt) stark auf die USA fixiert und erhielt vorwiegend von dort seine Waffen und Ausrüstungen. Zugleich trägt die enge Kooperation zwischen China und Pakistan einen unverkennbaren militärischen Akzent. Islamabads Raketenprogramm trägt in weiten Zügen Pekings Handschrift.
Seit dem Sommer des Jahres 1998, als beide Staaten ihre nuklearen Kapazitäten mit Atomtests demonstrierten, gehen die Pakistaner von einer gewissen militärischen Kräfteparität aus, auch wenn Indiens konventionelle Überlegenheit außer Frage steht. Doch nun, so argumentiert Islamabad, hat Pakistan das Mittel der Abschreckung zur Verfügung und kann bei abenteuerlichen indischen Aktionen stets mit dem Einsatz der Bombe drohen. Indien hat feierlich erklärt, im Konfliktfall nicht als Erster Kernwaffen einzusetzen. Pakistan hingegen möchte einen Nichtangriffspakt mit Indien abschließen.
Beide Seiten haben sich verpflichtet, auf weitere Atomtests zu verzichten. Über die Anzahl ihrer nuklearen Sprengköpfe kann nur spekuliert werden. Man rechnet mit etwa 60 bis 90 in indischen und 10 bis 30 in pakistanischen Arsenalen. Indien kann seine Sprengköpfe auf die Boden-Boden-Kurzstreckenrakete "Prithvi" montieren und damit Ziele in etwa 150 Kilometer Entfernung erreichen. Es soll über 15 mobile Startrampen und 75 Raketen dieses Typs verfügen. Es hat die Langstreckenraketen vom Typ Agni I (1500 km Reichweite), Agni II (2500 km Reichweite) erfolgreich getestet und arbeitet jetzt an Agni III mit einer Reichweite bis zu 3500 km. Indien hat auch angedeutet, es könnte Neutronen- und Wasserstoffbomben herstellen. Pakistan kann Raketen von 300 km bis 2500 km Reichweite einsetzen und scheint auf diesem Gebiet den Indern durchaus nicht unterlegen.
Nach Angaben des Londoner International Institute of Strategic Studies sieht das militärische Verhältnis zwischen beiden Staaten ungefähr so aus: Die Mannschaftsstärke der Inder beträgt 1,263 Millionen aktive Soldaten plus 535.000 Reservisten, die Pakistans 620 000 aktive Soldaten plus 513.000 Reservisten. Indien kann 3414 und Pakistan 2300 Panzer einsetzen. Im Bereich der Artillerie verfügt Indien über 4175 Geschütze und Pakistan über 1467 Geschütze. Indiens Luftwaffe hat 738 Kampfflugzeuge und 22 Kampfhubschrauber im Bestand, Pakistans hingegen 353 Kampfflugzeuge und keine Kampfhubschrauber. Indiens Marine besitzt einen Flugzeugträger und 16 U-Boote, Pakistans keinen Flugzeugträger und zehn U-Boote.
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