Hacker-Open-Air: Im Rudel und doch allein
Von Lorenz Wagner, Enschede
Sie starren, schweigen, feiern und sind dabei ganz brav. Wo sind die Bösen auf dem größten Hacker-Open-Air der Welt?
Diese Augen! Zwei, vier, sechs, zehn. Blau, grün, braun. Hell sind sie, leuchten in kaltem Licht. Starren auf den Bildschirm. Würden besser mal nach oben gucken. Denn Cap’n Crunch schleicht heran. Lächelnd. Zähne fehlen in seinem Oberkiefer.
Die Hacker sehen ihn nicht. Zahlen rennen an ihren Leuchtaugen vorbei, bremsen ab, laufen wieder los und tragen Bilder und Töne ran. Teufelswerk, sagen viele. Wohltat, sagen die Hacker. "Die werden sich wundern", sagt Cap’n Crunch. Er ist ein Spion, merkt sich ihre Tricks - und plant den Gegenschlag.
Cap’n Crunch ist eine Legende. Er hat Steve Jobs gezeigt, was eine Enter-Taste ist. Er kam Bill Gates zuvor, als IBM ein Programm für seinen ersten Rechner suchte. Doch wer weiß das schon? Cap’n Crunch - das ist der Telekom-Schreck mit den Knusperflakes und der Plastikflöte. Hacker, Feind des FBI, fünf Jahre saß er im Knast.
Zottelbart mit Soße
"Wenn ich wieder jung wäre, würde ich lieber Geld verdienen", nuschelt er. Cap’n Crunch trägt wirres, graues Haar, einen Zottelbart mit Soße drin, einen Pulli mit Senf drauf und Hosen, die im Lehm gesessen haben. Vor zwei Tagen ist er nach Holland gekommen, nach Enschede zum "Hackers at Large", einem Treff von 2800 Hackern aus aller Welt.
Der Campus in Enschede ist ein Campingplatz: Rundzelte, Pyramidenzelte, Hauszelte, Festzelte, Armeezelte, Bierzelte - kreuz und quer. Der Himmel tropft ein wenig, ein Piratenradio spielt "Somewhere Over the Rainbow", Kittelschürzen verkaufen Pommes, und mittendrin sitzen die Hacker: Wesen aus dem Untergrund, Schrecken von Politik und Wirtschaft, Erfinder von Viren und Würmern, Trojanern und Zombies.
Öffnen, nicht zerstören
Mehr Junge als Alte sind gekommen, mehr Männer als Frauen. Sie parken außerhalb, dämpfen die Musik, müllen nur in Tonnen, halten die Dusche sauber und gucken ganz glücklich. Sie haben, was sie zum Leben brauchen. Pizza und Glasfasern, Dixie-Klo und Steckdosen, Bier und Generatoren, Marihuana und Uplinks, Jolt Cola (mit doppelt Koffein) und Leute, die ihr Wissen in Kurse packen.
Hunderte stecken in den Hörsälen, gucken sich neue Technik an, palavern über Meinungsfreiheit und machen lyrische Augen, wenn ein Professor - sinngemäß - folgenden Rat gibt:
VJ+8ijXvbrTLeoAiEk/qMrdudRnYZM1VlqhNvhYuAcYfMfjfSUrmhPo+0/OZjW 66DJu bZ PmNSYXw==.
Vor den Sälen scharen sich zwanzig Leute um einen dicken, bärtigen Mann in Socken und Sandalen. Eben hat er noch einen Vortrag gehalten über Die Tragödie von Software-Qualität. "It’s a fucked up world", heisert er. "Ihr müsst die Programme testen und der Welt sagen, wie sie arbeiten." Alle nicken.
Ja, das ist ihr Auftrag. Hacker sind gut. Sie merken auf, entdecken Fehler, zeigen, was nicht klappt. Vor Monaten filterte ein Student Bill Gates’ Kreditkartennummer aus dem Netz und schickte ihm Viagra ins Büro. Beweisen wollte er Folgendes: Daten im Netz sind eine Gefahr. "Du kannst deiner Großmutter beibringen, wie du sie findest." Das FBI hat dann ihn gefunden.
"Besser wir entdecken Sicherheitsmängel als irgendwelche Verbrecher", sagt ein Holländer mit Rot-Kreuz-Schild auf der Brust. Hier hackt jeder, Sanitäter, Türsteher und Kloputzer. "Wir wollen freie Information für alle. Hacker machen die Welt besser."
"Hacker machen die Welt besser"
Viren im Netz kosten die Menschen in diesem Jahr 100 Mrd. DM. "Schuld daran sind nicht wir", sagt der hackende Sanitäter. "Schuld sind die Cracker und Script Kiddies. Die Kiddies haben keine Ahnung von Rechnern, laden sich aus dem Netz Viren und Würmer und verschicken sie. Und die Cracker wissen, was sie tun, wenn sie schaden. Hacker dagegen öffnen Dateien nur und zerstören sie nicht. Wir sind hier, um unser Wissen zu teilen." Und so sitzen die Hacker im Zelt, auf der Wiese, unterm Baum, sitzen sich gegenüber, nebeneinander, im Kreis, und sie sehen sich nicht an, und sie schweigen; dabei tauschen sie Gedanken und Videos.
"Ich bin hier, weil ich mal das Gesicht von Freunden sehen wollte, die ich seit Jahren vom chatten kenne", sagt ein Ami mit verschlupften Lidern. Getroffen hat er die Freunde für ein paar Minuten. Jetzt sitzen die "irgendwo da hinten" und beantworten seine Mails. "Wer das Zelt verlässt, ist eine Flasche", sagt er und hebt einen Pulli über Kopf und Bildschirm. Die Sonne spitzt frech in die Zeltluke.
"Ich gehe schlafen, und die surfen; ich stehe auf, und die surfen. Das können die doch auch zu Hause", jammert eine angetrocknete Holländerin, die ohne Rechner angereist ist, "um zu feiern." Ist nix draus geworden. Schließlich hat sie sich einen Laptop geliehen und aus Langeweile eine Mail verschickt: Do you know what love is? "Da hat mir so ein Witzbold den Link zu einer Pornoseite geschickt." Ein anderer Spaßmacher schickte ihr einen Virus. "Was soll das? Das war bestimmt eines der Kids aus dem Hauptzelt."
Lara Croft ist auch schon da
Das Festzelt ist die Mitte des Treffs. 60 Meter lang, 40 Meter breit. Gewimmel und Getöse. Im Bauch rummeln fett die Bässe. Techno. Rechner überall. Händegeschüttel, Gelächter. Lara Croft ist auch da, groß, schlank, in Kampfschuhen, Minirock und Top. An den Hüften schleppt sie falsche Knarren mit sich rum, vorne falsche Titten - ein Mann. Sein Projekt: Hacken in "Tomb Raider". "Ihr werdet drüber lesen."
Ein bärtiger Computer geistert vorbei. Er hat sich einen Bildschirm vor die Stirn geschnallt, der so groß ist wie ein Feuerzeug, und er tippt auf einer Tastatur rum, die seine Hand umschließt. Fast erwischt es ihn: "Vorsicht, Betrunkene fährt!", ruft eine Rollstuhlfahrerin, bremst in letzter Sekunde und schwappt sich einen guten Schuss Bier aufs Laptop.
Rund 40 Biergartentische sind zusammengeschoben. In einer Reihe stehen vier Rechner, sechs Monitore, zwölf Laptops, Lautsprecher, CD-Brenner, ein Krümelmonster, Dosen, Becher, eine Adidas-Hose - und ganz hinten schläft ein struppiger Kopf.
Knusperflocken und Plastikpfeifen
Cap’n Crunch pflanzt sich mitten ins Durcheinander rein. Er klappt seinen Apple auf, beugt sich vor, lugt zurück, hält die linke Hand über die rechte und schreibt zitternd los. Seine Hände sind von Ausschlag angefressen, auf Fleisch und Blut zerkratzt.
"Geh weg da, du mit deiner Zigarette", brüllt er in der nächsten Sekunde. Eine junge Hühnerbrust weicht zurück. "Jajaja. Verrückter Alter!" - "Weißt du nicht, wer das ist?", flüstert eine Sonnenbrille, die bekifft neben der Hühnerbrust steht.
Cap’n Crunch, der Urhacker. Im Jahre 1969 studiert er in San Francisco, spielt mit Radios und Telefonen, findet raus, wie er umsonst telefonieren kann: Er wählt eine gebührenfreie Nummer und spielt auf einer Heimorgel ein eingestrichenes E: ein Ton mit 2600 Megahertz. Bei dieser Frequenz schaltet sich das Telefon frei.
Cap’n Crunch ruft die Auskunft in Japan an, weckt Liebespaare in Paris und bequatscht Passanten in einer Telefonzelle auf dem Londoner Trafalgar Square. Anfang der 70er Jahre findet er in seinen Knusperflakes - Marke Cap’n Crunch - eine Plastikflöte. Er klebt ein paar Löcher zu, und nun pfeift sie ihm die Leitungen frei. Er ruft von San Jose aus in Indien an, verbindet sich nach Südafrika, weiter nach Griechenland und zurück nach San Jose, wo er in der Zelle nebenan mit sich selbst spricht. 1972 wird Cap’n Crunch vom FBI verhaftet.
Die Jungen ignorieren Capt`n Crunch
Als ihn einige Hacker im Festzelt erkennen, treten sie an ihn heran, schütteln ihm die Hände. Capt’n Crunch lacht, plaudert, erzählt. Etwa 30 Jahre sind seine Fans, Jüngere gucken nicht groß hin. "Was juckt mich, was einer früher gemacht hat", sagt ein Milchgesicht, der gerade einen Comic-Panda tanzen lässt. Capt’n Crunch hört’s, guckt auf das Videospiel, schüttelt den Kopf. "Script Kiddies. Mit was füttert man heute die Köpfe der Jugend?" Er steht auf, geht.
Müde sind seine Augen, verletzt. Diese Milchzähnchen, wollen einem alten Jäger in die Flinte pissen! "Die sollen nur mal an meine Crunchbox geraten. Dann geht’s ihnen schlecht." Die Box ist ein Server, "den niemand knackt, ein Graus für Hacker".
Seitenwechsel
Cap’n Crunch hat die Seite gewechselt, führt mit Partnern eine Firma und möchte die Crunchbox zu einem Geschäft machen. "Das wird ein Erfolg, kommende Woche will sich ein Konzernchef mit mir treffen", sagt er und kratzt an den blutigen Händen. Er ist als Spion zu dem Festival gekommen, schaut sich an, was die Jungen so machen, lernt neue Technik kennen. Das nutzt ihm im Geschäft.
Trotzdem gehört er weiter dazu. Ein Piratensender hat ihn eingeladen, zwei Stunden soll er Musik machen. Zuvor rennt Cap’n Crunch noch schnell zu seinem Zelt, Musik holen. "Wo es steht, verrate ich nicht", murmelt er. "Ich fühle mich nie sicher. Bin ich in LA, schaue ich mich ständig um." Weiter geht’s zum Radio: "Hallo Holland. Hier ist Cap’n Crunch. Ich habe allen Techno der Welt, es ist Trance."
Im Nebenraum des Festzeltes reden derweil 300 Hacker über Ethik. Auf der Bühne thronen ein paar Raubritter aus der Zeit von Commodore, Atari, sagen einerseits und andererseits und ermahnen die Jungen, auch wirklich brav zu sein. Und die ermahnten Jungen hocken im Festzelt, tauschen Spiele und Videos, surfen, chatten, schicken ein paar Würmchen gegen das Netz los und finden alles gut - nur nicht das väterliche Gequatsche der Alten.
Nur kein Scheiß
Viele Brave sitzen unter ihnen: eine Holländerin mit Pekinesen-Näschen, die hier ist, um Linux zu lernen, "und immer einen fragen kann". Ein Student aus Köln, der ein Videospiel entwirft. "Vielleicht kann ich’s ja verkaufen."
Wo sind sie, die Bösen? Hat die Drohung der Organisatoren erschreckt? "Nur kein Scheiß bauen!", haben sie gewarnt. Die Polizei guckt zu. Und wer sich schlecht benehme, der könne froh sein, wenn ihn die Polizei zuerst erwischt. "Sicher, jeder Fünfte auf diesem Festival könnte beim Geheimdienst einsteigen. Aber die halten ihre Klappe. Wenn etwas passiert, dann in den kleinen Zelten draußen", sagt einer der Veranstalter des Festes.
Zu gefährlich
Draußen ist es still und dunkel. Vom Festzelt weht ein wenig Musik rüber, ein Generator brummt, hinter einem Hügel leuchten Zelte. Schattenmenschen sitzen auf Schattenstühlen über Schattenrechnern. Windlichter tanzen, zusammengesetzt zu einem großen CCC: Chaos Computer Club.
Die haben ihre Zelte zur Burg gebaut, darüber weht eine Piratenflagge. "Eintritt für Betriebsfremde verboten", steht an einem Zelt. Treten Vorwitzige heran, blendet sie eine Taschenlampe.
"Die machen nur Fratzen. Da ist nichts", sagt ein Engländer. "Sie wissen, was sie anrichten können und müssen niemanden etwas beweisen", sagt ein Japaner. Wäre schlecht fürs Image - "und gefährlich", ergänzt Greg aus Kanada, er ist Unternehmensberater und hat das Londoner Auto-Überwachungssystem per Video mit aufgebaut.
"Als Junge habe ich den Sicherheitschef der Telefongesellschaft unserer Region geärgert, dessen Mailbox geändert. Da kam der Chef vorbei, hat mit meinen Eltern geredet. Heute kommt gleich der Geheimdienst."
Ein paar Meter weiter liegt eine Informatikerin aus Berlin, angereist, um sich weiterzubilden. "Die Vorträge sind Klasse." Das Ethik-Gedöns kratzt sie wenig. Keine Zeit. Ein Stückchen unterhalb trennt ein Zaun einen Wohnwagen und drei Zelte ab: "Windowsfreie Zone", steht auf Schildern. Ein Rudel Holländer trinkt, ein DJ legt auf: "Englishman in New York".
Cap’n Crunch hat genug Musik gespielt, ist zurück im Festzelt und tanzt. "Ich bin pure Energie." Ab und zu springt er an den Rechner, prüft die Crunchbox. Angriff! "Ha! Der wird sich wundern - die Box schlägt zurück."
So ein Pech für den Hacker: In diesem Augenblick sitzt er irgendwo im Zelt, guckt auf den Bildschirm - und er macht hinter den müden Lidern seine größten Augen. Zurückgehacked.
Mitarbeit: ChristophWinter
Von Lorenz Wagner, Enschede
Sie starren, schweigen, feiern und sind dabei ganz brav. Wo sind die Bösen auf dem größten Hacker-Open-Air der Welt?
Diese Augen! Zwei, vier, sechs, zehn. Blau, grün, braun. Hell sind sie, leuchten in kaltem Licht. Starren auf den Bildschirm. Würden besser mal nach oben gucken. Denn Cap’n Crunch schleicht heran. Lächelnd. Zähne fehlen in seinem Oberkiefer.
Die Hacker sehen ihn nicht. Zahlen rennen an ihren Leuchtaugen vorbei, bremsen ab, laufen wieder los und tragen Bilder und Töne ran. Teufelswerk, sagen viele. Wohltat, sagen die Hacker. "Die werden sich wundern", sagt Cap’n Crunch. Er ist ein Spion, merkt sich ihre Tricks - und plant den Gegenschlag.
Cap’n Crunch ist eine Legende. Er hat Steve Jobs gezeigt, was eine Enter-Taste ist. Er kam Bill Gates zuvor, als IBM ein Programm für seinen ersten Rechner suchte. Doch wer weiß das schon? Cap’n Crunch - das ist der Telekom-Schreck mit den Knusperflakes und der Plastikflöte. Hacker, Feind des FBI, fünf Jahre saß er im Knast.
Zottelbart mit Soße
"Wenn ich wieder jung wäre, würde ich lieber Geld verdienen", nuschelt er. Cap’n Crunch trägt wirres, graues Haar, einen Zottelbart mit Soße drin, einen Pulli mit Senf drauf und Hosen, die im Lehm gesessen haben. Vor zwei Tagen ist er nach Holland gekommen, nach Enschede zum "Hackers at Large", einem Treff von 2800 Hackern aus aller Welt.
Der Campus in Enschede ist ein Campingplatz: Rundzelte, Pyramidenzelte, Hauszelte, Festzelte, Armeezelte, Bierzelte - kreuz und quer. Der Himmel tropft ein wenig, ein Piratenradio spielt "Somewhere Over the Rainbow", Kittelschürzen verkaufen Pommes, und mittendrin sitzen die Hacker: Wesen aus dem Untergrund, Schrecken von Politik und Wirtschaft, Erfinder von Viren und Würmern, Trojanern und Zombies.
Öffnen, nicht zerstören
Mehr Junge als Alte sind gekommen, mehr Männer als Frauen. Sie parken außerhalb, dämpfen die Musik, müllen nur in Tonnen, halten die Dusche sauber und gucken ganz glücklich. Sie haben, was sie zum Leben brauchen. Pizza und Glasfasern, Dixie-Klo und Steckdosen, Bier und Generatoren, Marihuana und Uplinks, Jolt Cola (mit doppelt Koffein) und Leute, die ihr Wissen in Kurse packen.
Hunderte stecken in den Hörsälen, gucken sich neue Technik an, palavern über Meinungsfreiheit und machen lyrische Augen, wenn ein Professor - sinngemäß - folgenden Rat gibt:
VJ+8ijXvbrTLeoAiEk/qMrdudRnYZM1VlqhNvhYuAcYfMfjfSUrmhPo+0/OZjW 66DJu bZ PmNSYXw==.
Vor den Sälen scharen sich zwanzig Leute um einen dicken, bärtigen Mann in Socken und Sandalen. Eben hat er noch einen Vortrag gehalten über Die Tragödie von Software-Qualität. "It’s a fucked up world", heisert er. "Ihr müsst die Programme testen und der Welt sagen, wie sie arbeiten." Alle nicken.
Ja, das ist ihr Auftrag. Hacker sind gut. Sie merken auf, entdecken Fehler, zeigen, was nicht klappt. Vor Monaten filterte ein Student Bill Gates’ Kreditkartennummer aus dem Netz und schickte ihm Viagra ins Büro. Beweisen wollte er Folgendes: Daten im Netz sind eine Gefahr. "Du kannst deiner Großmutter beibringen, wie du sie findest." Das FBI hat dann ihn gefunden.
"Besser wir entdecken Sicherheitsmängel als irgendwelche Verbrecher", sagt ein Holländer mit Rot-Kreuz-Schild auf der Brust. Hier hackt jeder, Sanitäter, Türsteher und Kloputzer. "Wir wollen freie Information für alle. Hacker machen die Welt besser."
"Hacker machen die Welt besser"
Viren im Netz kosten die Menschen in diesem Jahr 100 Mrd. DM. "Schuld daran sind nicht wir", sagt der hackende Sanitäter. "Schuld sind die Cracker und Script Kiddies. Die Kiddies haben keine Ahnung von Rechnern, laden sich aus dem Netz Viren und Würmer und verschicken sie. Und die Cracker wissen, was sie tun, wenn sie schaden. Hacker dagegen öffnen Dateien nur und zerstören sie nicht. Wir sind hier, um unser Wissen zu teilen." Und so sitzen die Hacker im Zelt, auf der Wiese, unterm Baum, sitzen sich gegenüber, nebeneinander, im Kreis, und sie sehen sich nicht an, und sie schweigen; dabei tauschen sie Gedanken und Videos.
"Ich bin hier, weil ich mal das Gesicht von Freunden sehen wollte, die ich seit Jahren vom chatten kenne", sagt ein Ami mit verschlupften Lidern. Getroffen hat er die Freunde für ein paar Minuten. Jetzt sitzen die "irgendwo da hinten" und beantworten seine Mails. "Wer das Zelt verlässt, ist eine Flasche", sagt er und hebt einen Pulli über Kopf und Bildschirm. Die Sonne spitzt frech in die Zeltluke.
"Ich gehe schlafen, und die surfen; ich stehe auf, und die surfen. Das können die doch auch zu Hause", jammert eine angetrocknete Holländerin, die ohne Rechner angereist ist, "um zu feiern." Ist nix draus geworden. Schließlich hat sie sich einen Laptop geliehen und aus Langeweile eine Mail verschickt: Do you know what love is? "Da hat mir so ein Witzbold den Link zu einer Pornoseite geschickt." Ein anderer Spaßmacher schickte ihr einen Virus. "Was soll das? Das war bestimmt eines der Kids aus dem Hauptzelt."
Lara Croft ist auch schon da
Das Festzelt ist die Mitte des Treffs. 60 Meter lang, 40 Meter breit. Gewimmel und Getöse. Im Bauch rummeln fett die Bässe. Techno. Rechner überall. Händegeschüttel, Gelächter. Lara Croft ist auch da, groß, schlank, in Kampfschuhen, Minirock und Top. An den Hüften schleppt sie falsche Knarren mit sich rum, vorne falsche Titten - ein Mann. Sein Projekt: Hacken in "Tomb Raider". "Ihr werdet drüber lesen."
Ein bärtiger Computer geistert vorbei. Er hat sich einen Bildschirm vor die Stirn geschnallt, der so groß ist wie ein Feuerzeug, und er tippt auf einer Tastatur rum, die seine Hand umschließt. Fast erwischt es ihn: "Vorsicht, Betrunkene fährt!", ruft eine Rollstuhlfahrerin, bremst in letzter Sekunde und schwappt sich einen guten Schuss Bier aufs Laptop.
Rund 40 Biergartentische sind zusammengeschoben. In einer Reihe stehen vier Rechner, sechs Monitore, zwölf Laptops, Lautsprecher, CD-Brenner, ein Krümelmonster, Dosen, Becher, eine Adidas-Hose - und ganz hinten schläft ein struppiger Kopf.
Knusperflocken und Plastikpfeifen
Cap’n Crunch pflanzt sich mitten ins Durcheinander rein. Er klappt seinen Apple auf, beugt sich vor, lugt zurück, hält die linke Hand über die rechte und schreibt zitternd los. Seine Hände sind von Ausschlag angefressen, auf Fleisch und Blut zerkratzt.
"Geh weg da, du mit deiner Zigarette", brüllt er in der nächsten Sekunde. Eine junge Hühnerbrust weicht zurück. "Jajaja. Verrückter Alter!" - "Weißt du nicht, wer das ist?", flüstert eine Sonnenbrille, die bekifft neben der Hühnerbrust steht.
Cap’n Crunch, der Urhacker. Im Jahre 1969 studiert er in San Francisco, spielt mit Radios und Telefonen, findet raus, wie er umsonst telefonieren kann: Er wählt eine gebührenfreie Nummer und spielt auf einer Heimorgel ein eingestrichenes E: ein Ton mit 2600 Megahertz. Bei dieser Frequenz schaltet sich das Telefon frei.
Cap’n Crunch ruft die Auskunft in Japan an, weckt Liebespaare in Paris und bequatscht Passanten in einer Telefonzelle auf dem Londoner Trafalgar Square. Anfang der 70er Jahre findet er in seinen Knusperflakes - Marke Cap’n Crunch - eine Plastikflöte. Er klebt ein paar Löcher zu, und nun pfeift sie ihm die Leitungen frei. Er ruft von San Jose aus in Indien an, verbindet sich nach Südafrika, weiter nach Griechenland und zurück nach San Jose, wo er in der Zelle nebenan mit sich selbst spricht. 1972 wird Cap’n Crunch vom FBI verhaftet.
Die Jungen ignorieren Capt`n Crunch
Als ihn einige Hacker im Festzelt erkennen, treten sie an ihn heran, schütteln ihm die Hände. Capt’n Crunch lacht, plaudert, erzählt. Etwa 30 Jahre sind seine Fans, Jüngere gucken nicht groß hin. "Was juckt mich, was einer früher gemacht hat", sagt ein Milchgesicht, der gerade einen Comic-Panda tanzen lässt. Capt’n Crunch hört’s, guckt auf das Videospiel, schüttelt den Kopf. "Script Kiddies. Mit was füttert man heute die Köpfe der Jugend?" Er steht auf, geht.
Müde sind seine Augen, verletzt. Diese Milchzähnchen, wollen einem alten Jäger in die Flinte pissen! "Die sollen nur mal an meine Crunchbox geraten. Dann geht’s ihnen schlecht." Die Box ist ein Server, "den niemand knackt, ein Graus für Hacker".
Seitenwechsel
Cap’n Crunch hat die Seite gewechselt, führt mit Partnern eine Firma und möchte die Crunchbox zu einem Geschäft machen. "Das wird ein Erfolg, kommende Woche will sich ein Konzernchef mit mir treffen", sagt er und kratzt an den blutigen Händen. Er ist als Spion zu dem Festival gekommen, schaut sich an, was die Jungen so machen, lernt neue Technik kennen. Das nutzt ihm im Geschäft.
Trotzdem gehört er weiter dazu. Ein Piratensender hat ihn eingeladen, zwei Stunden soll er Musik machen. Zuvor rennt Cap’n Crunch noch schnell zu seinem Zelt, Musik holen. "Wo es steht, verrate ich nicht", murmelt er. "Ich fühle mich nie sicher. Bin ich in LA, schaue ich mich ständig um." Weiter geht’s zum Radio: "Hallo Holland. Hier ist Cap’n Crunch. Ich habe allen Techno der Welt, es ist Trance."
Im Nebenraum des Festzeltes reden derweil 300 Hacker über Ethik. Auf der Bühne thronen ein paar Raubritter aus der Zeit von Commodore, Atari, sagen einerseits und andererseits und ermahnen die Jungen, auch wirklich brav zu sein. Und die ermahnten Jungen hocken im Festzelt, tauschen Spiele und Videos, surfen, chatten, schicken ein paar Würmchen gegen das Netz los und finden alles gut - nur nicht das väterliche Gequatsche der Alten.
Nur kein Scheiß
Viele Brave sitzen unter ihnen: eine Holländerin mit Pekinesen-Näschen, die hier ist, um Linux zu lernen, "und immer einen fragen kann". Ein Student aus Köln, der ein Videospiel entwirft. "Vielleicht kann ich’s ja verkaufen."
Wo sind sie, die Bösen? Hat die Drohung der Organisatoren erschreckt? "Nur kein Scheiß bauen!", haben sie gewarnt. Die Polizei guckt zu. Und wer sich schlecht benehme, der könne froh sein, wenn ihn die Polizei zuerst erwischt. "Sicher, jeder Fünfte auf diesem Festival könnte beim Geheimdienst einsteigen. Aber die halten ihre Klappe. Wenn etwas passiert, dann in den kleinen Zelten draußen", sagt einer der Veranstalter des Festes.
Zu gefährlich
Draußen ist es still und dunkel. Vom Festzelt weht ein wenig Musik rüber, ein Generator brummt, hinter einem Hügel leuchten Zelte. Schattenmenschen sitzen auf Schattenstühlen über Schattenrechnern. Windlichter tanzen, zusammengesetzt zu einem großen CCC: Chaos Computer Club.
Die haben ihre Zelte zur Burg gebaut, darüber weht eine Piratenflagge. "Eintritt für Betriebsfremde verboten", steht an einem Zelt. Treten Vorwitzige heran, blendet sie eine Taschenlampe.
"Die machen nur Fratzen. Da ist nichts", sagt ein Engländer. "Sie wissen, was sie anrichten können und müssen niemanden etwas beweisen", sagt ein Japaner. Wäre schlecht fürs Image - "und gefährlich", ergänzt Greg aus Kanada, er ist Unternehmensberater und hat das Londoner Auto-Überwachungssystem per Video mit aufgebaut.
"Als Junge habe ich den Sicherheitschef der Telefongesellschaft unserer Region geärgert, dessen Mailbox geändert. Da kam der Chef vorbei, hat mit meinen Eltern geredet. Heute kommt gleich der Geheimdienst."
Ein paar Meter weiter liegt eine Informatikerin aus Berlin, angereist, um sich weiterzubilden. "Die Vorträge sind Klasse." Das Ethik-Gedöns kratzt sie wenig. Keine Zeit. Ein Stückchen unterhalb trennt ein Zaun einen Wohnwagen und drei Zelte ab: "Windowsfreie Zone", steht auf Schildern. Ein Rudel Holländer trinkt, ein DJ legt auf: "Englishman in New York".
Cap’n Crunch hat genug Musik gespielt, ist zurück im Festzelt und tanzt. "Ich bin pure Energie." Ab und zu springt er an den Rechner, prüft die Crunchbox. Angriff! "Ha! Der wird sich wundern - die Box schlägt zurück."
So ein Pech für den Hacker: In diesem Augenblick sitzt er irgendwo im Zelt, guckt auf den Bildschirm - und er macht hinter den müden Lidern seine größten Augen. Zurückgehacked.
Mitarbeit: ChristophWinter