Russland: Reich an Risiken (EuramS)
Die Wirtschaft Rußlands boomt. Dennoch sind die Anleger seit dem Beginn der Yukos-Affäre vor einem Jahr verunsichert. Eine Bestandsaufnahme.
von Jörg Billina
Am Abend des 25. Oktober 2003 wird Michail Chodorkowski am Abheben gehindert. Eine Sondereinheit des russischen Inlandgeheimdienstes FSB zerrt den Chef des Ölkonzerns Yukos aus seinem Privatjet und steckt ihn in das Moskauer Untersuchungsgefängnis Matrosenstille. Eine der steilsten Karrieren im postkommunistischen Rußland findet damit ihr jähes Ende.
Der Fall Chodorkowski kratzt auch noch ein Jahr später am Image des bis dahin im Westen als energischen Reformer gelobten Staatspräsidenten Wladimir Putin. Und er belastet den russischen Aktienmarkt. Denn die wahren Gründe des seit Juni laufenden Prozesses gegen Chodorkowski sind nicht Steuerhinterziehung und Betrug. Der 41jährige Oligarch störte vielmehr die vitalen Interessen des Kreml. Zum Zeitpunkt seiner Festnahme schmiedete der reichste Mann Ruß-lands - geschätztes Privatvermögen 15 Milliarden Dollar - viele Pläne, die ihn künftig noch reicher, vor allem aber mächtiger machen sollten. So unterstützte er die Oppositionsparteien großzügig mit Geld. Zweimal gelang es ihm dadurch, einen Gesetzentwurf zur Abschöpfung von Ölgewinnen zu Fall zu bringen. Nicht auszuschließen, daß er am Ende der zweiten Amtsperiode Putins im Jahr 2008 selbst für ein hohes Amt kandidieren wollte.
Aber anstatt in das russische Parlament oder gar in den Kreml einzuziehen, wird Chodorkowski höchstwahrscheinlich nach dem für Januar 2005 erwarteten Urteilsspruch die kommenden zehn Jahre im Arbeitslager verbringen. "Konflikte zwischen dem Staat und Privaten enden in Rußland meist mit der Vernichtung der Person", sagt Heinrich Vogel von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik.
Was Putin überhaupt nicht paßte: Chodorkowski wollte seinen Konzern global aufstellen und plante, 40 bis 50 Prozent der Yukos-Aktien für rund 30 Milliarden Dollar an den US-Ölgiganten Exxon Mobil verkaufen. Nach Auffassung des Kreml muss die Erdölindustrie aber weitestgehend unter staatlicher Kontrolle bleiben. Aus zwei Gründen: "Der Staat braucht die Steuergelder der Ölfirmen, um seine Beamten und Sozialprogramme zu bezahlen. Zudem spielt Moskau dank des Öls auf der internationalen Bühne eine wichtige Rolle ", sagt Vogel.Deshalb treiben die Behörden Yukos immer mehr in die Enge. Der Konzern soll Steuern in Milliardenhöhe nachzahlen. Gleichzeitig machen es die Gerichtsvollzieher dem Management unmöglich, den Forderungen nachzukommen - die Behörden haben die Konzernkonten eingefroren. Der einzige Ausweg: Yukos muss seine Tochter Yugansneftegaz verkaufen. Sie ist für 62 Prozent der gesamten Ölförderung von Yukos verantwortlich. Als Favorit für die Ende November anberaumte Verkaufsauktion gilt Gazprom. Das weltgrößte Erdgasunternehmen gehört nicht nur zu 34 Prozent dem Staat, Gazprom gilt auch als stets williger Finanzier der Wünsche des Kreml.
Geht der Deal wie geplant über die Bühne, dann ist der Bankrott des amputierten Yukos-Konzerns wohl nicht mehr aufzuhalten. "Die staatlich gewollte Zerschlagung von Yukos und der damit verbundene Griff nach dem Rohstoffsektor ist aber mit den Prinzipien einer freien Marktwirtschaft nicht vereinbar", urteilt Vogel. Bleibt Yukos ein Einzelfall oder dehnt der Kreml seine Maßnahmen auch auf andere Unternehmen aus? Immer wieder tauchen Gerüchte auf, daß Norilsk Nickel ins Visier der Behörden geraten könnte. Auch Sibneft gilt als gefährdet. Neue Nahrung erhielten die Vermutungen vergangene Woche. Viele Ölgesellschaften werden ihre Steuervergangenheit betrachten und künftig mehr Steuern zahlen müssen, kündigte der stellvertretende Leiter der Präsidialverwaltung, Igor Schuwalow, auf einer Investorenkonferenz an.
Sollen sich Anleger trotzdem in Rußland engagieren? Klar ist, daß ein Staat, der die Eigentumsrechte nicht schützt, die Meinungsfreiheit einschränkt, dessen Justiz willkürlich vorgeht und der massiv in das Wirtschaftsgeschehen eingreift, das Risiko für den Anleger drastisch erhöht. So verlor die Yukos-Aktie seit der Verhaftung Chodorkowskis mehr als 80 Prozent. Wie sehr das Vertrauen in die russische Politik derzeit gestört ist, zeigt auch die steigende Kapitalflucht. Experten schätzen, daß 2004 rund 15 Milliarden Dollar aus dem Land transferiert werden. Im vergangenen Jahr lag die Summe lediglich bei 2,6 Milliarden Dollar. Andererseits lockt eine boomende Wirtschaft: Das russische Bruttoinlands-produkt wird 2004 voraussichtlich um mehr als sieben Prozent wachsen. Seit dem Amtsantritt von Putin vor vier Jahren hat die Konjunktur damit insgesamt um über 30 Prozent zugelegt. Einen kräftigen Anstieg verzeichnen auch die Devisenreserven. Sie erreichen aktuell den Rekordwert von 100 Milliarden Dollar. Das ganze Ausmaß der Trendwende bei den russischen Staatsfinanzen wird deutlich, wenn man sich an 1998 erinnert. Seinerzeit konnte Rußland Anleihen im Volumen von 40 Milliarden Dollar nicht bedienen.
Allerdings: Der Aufschwung in Russland ist in erster Linie auf den hohen Ölpreis zurückzuführen. Da der Anteil der Öl- und Gaswirtschaft am russischen Sozialprodukt bei 25 Prozent liegt, bleibt das Land auf absehbare Zeit verwundbar für kommende Schwankungen der Energiepreise. Dabei drängt die Zeit. Schon ab dem Jahr 2015 rechnen Experten mit einem Rückgang der Ölförderung, bei Erdgas soll 2030 die Förderung nachlassen.
Putin ist sich der starken Öl- und Gasabhängigkeit wohl bewußt. Nur wenn er die Wirtschaft diversifziert, kann er sein Ziel erreichen, das Bruttoinlandsprodukt bis zum Jahr 2012 zu verdoppeln. Der Staatspräsident hat deshalb einen Stabilisierungsfonds aufgelegt, in den die Steuerabgaben der Ölfirmen fließen. Die Gelder sollen in den Ausbau der Infrastruktur investiert werden. Auch den Mittelstand will Putin fördern. Gute Idee, doch bislang scheint nicht viel passiert zu sein. Arkadij Wolskij, Präsident des russischen Unternehmerverbandes RSPP, wirft der Zentralregierung vor, die kleinen Firmen nur mangelhaft zu unterstützen.
Weiterhin hohe Abhängigkeit vom Öl, gewaltige Hindernisse auf dem Weg zu einer freien Marktwirtschaft - ein Einstieg in Rußland empfiehlt sich - trotz der hohen Renditen - derzeit nur für sehr risikobereite Investoren. Sie müssen jederzeit mit Überraschungen rechnen. Spätestens wenn sich ein zweiter Fall Chodorkowski abzeichnet, sollten auch sie ihr Geld abziehen.
Wertpapiere des Artikels:
EXXON MOBIL CORPORATION
GAZPROM ADR REG.S
YUKOS, NK ADR 4/
Die Wirtschaft Rußlands boomt. Dennoch sind die Anleger seit dem Beginn der Yukos-Affäre vor einem Jahr verunsichert. Eine Bestandsaufnahme.
von Jörg Billina
Am Abend des 25. Oktober 2003 wird Michail Chodorkowski am Abheben gehindert. Eine Sondereinheit des russischen Inlandgeheimdienstes FSB zerrt den Chef des Ölkonzerns Yukos aus seinem Privatjet und steckt ihn in das Moskauer Untersuchungsgefängnis Matrosenstille. Eine der steilsten Karrieren im postkommunistischen Rußland findet damit ihr jähes Ende.
Der Fall Chodorkowski kratzt auch noch ein Jahr später am Image des bis dahin im Westen als energischen Reformer gelobten Staatspräsidenten Wladimir Putin. Und er belastet den russischen Aktienmarkt. Denn die wahren Gründe des seit Juni laufenden Prozesses gegen Chodorkowski sind nicht Steuerhinterziehung und Betrug. Der 41jährige Oligarch störte vielmehr die vitalen Interessen des Kreml. Zum Zeitpunkt seiner Festnahme schmiedete der reichste Mann Ruß-lands - geschätztes Privatvermögen 15 Milliarden Dollar - viele Pläne, die ihn künftig noch reicher, vor allem aber mächtiger machen sollten. So unterstützte er die Oppositionsparteien großzügig mit Geld. Zweimal gelang es ihm dadurch, einen Gesetzentwurf zur Abschöpfung von Ölgewinnen zu Fall zu bringen. Nicht auszuschließen, daß er am Ende der zweiten Amtsperiode Putins im Jahr 2008 selbst für ein hohes Amt kandidieren wollte.
Aber anstatt in das russische Parlament oder gar in den Kreml einzuziehen, wird Chodorkowski höchstwahrscheinlich nach dem für Januar 2005 erwarteten Urteilsspruch die kommenden zehn Jahre im Arbeitslager verbringen. "Konflikte zwischen dem Staat und Privaten enden in Rußland meist mit der Vernichtung der Person", sagt Heinrich Vogel von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik.
Was Putin überhaupt nicht paßte: Chodorkowski wollte seinen Konzern global aufstellen und plante, 40 bis 50 Prozent der Yukos-Aktien für rund 30 Milliarden Dollar an den US-Ölgiganten Exxon Mobil verkaufen. Nach Auffassung des Kreml muss die Erdölindustrie aber weitestgehend unter staatlicher Kontrolle bleiben. Aus zwei Gründen: "Der Staat braucht die Steuergelder der Ölfirmen, um seine Beamten und Sozialprogramme zu bezahlen. Zudem spielt Moskau dank des Öls auf der internationalen Bühne eine wichtige Rolle ", sagt Vogel.Deshalb treiben die Behörden Yukos immer mehr in die Enge. Der Konzern soll Steuern in Milliardenhöhe nachzahlen. Gleichzeitig machen es die Gerichtsvollzieher dem Management unmöglich, den Forderungen nachzukommen - die Behörden haben die Konzernkonten eingefroren. Der einzige Ausweg: Yukos muss seine Tochter Yugansneftegaz verkaufen. Sie ist für 62 Prozent der gesamten Ölförderung von Yukos verantwortlich. Als Favorit für die Ende November anberaumte Verkaufsauktion gilt Gazprom. Das weltgrößte Erdgasunternehmen gehört nicht nur zu 34 Prozent dem Staat, Gazprom gilt auch als stets williger Finanzier der Wünsche des Kreml.
Geht der Deal wie geplant über die Bühne, dann ist der Bankrott des amputierten Yukos-Konzerns wohl nicht mehr aufzuhalten. "Die staatlich gewollte Zerschlagung von Yukos und der damit verbundene Griff nach dem Rohstoffsektor ist aber mit den Prinzipien einer freien Marktwirtschaft nicht vereinbar", urteilt Vogel. Bleibt Yukos ein Einzelfall oder dehnt der Kreml seine Maßnahmen auch auf andere Unternehmen aus? Immer wieder tauchen Gerüchte auf, daß Norilsk Nickel ins Visier der Behörden geraten könnte. Auch Sibneft gilt als gefährdet. Neue Nahrung erhielten die Vermutungen vergangene Woche. Viele Ölgesellschaften werden ihre Steuervergangenheit betrachten und künftig mehr Steuern zahlen müssen, kündigte der stellvertretende Leiter der Präsidialverwaltung, Igor Schuwalow, auf einer Investorenkonferenz an.
Sollen sich Anleger trotzdem in Rußland engagieren? Klar ist, daß ein Staat, der die Eigentumsrechte nicht schützt, die Meinungsfreiheit einschränkt, dessen Justiz willkürlich vorgeht und der massiv in das Wirtschaftsgeschehen eingreift, das Risiko für den Anleger drastisch erhöht. So verlor die Yukos-Aktie seit der Verhaftung Chodorkowskis mehr als 80 Prozent. Wie sehr das Vertrauen in die russische Politik derzeit gestört ist, zeigt auch die steigende Kapitalflucht. Experten schätzen, daß 2004 rund 15 Milliarden Dollar aus dem Land transferiert werden. Im vergangenen Jahr lag die Summe lediglich bei 2,6 Milliarden Dollar. Andererseits lockt eine boomende Wirtschaft: Das russische Bruttoinlands-produkt wird 2004 voraussichtlich um mehr als sieben Prozent wachsen. Seit dem Amtsantritt von Putin vor vier Jahren hat die Konjunktur damit insgesamt um über 30 Prozent zugelegt. Einen kräftigen Anstieg verzeichnen auch die Devisenreserven. Sie erreichen aktuell den Rekordwert von 100 Milliarden Dollar. Das ganze Ausmaß der Trendwende bei den russischen Staatsfinanzen wird deutlich, wenn man sich an 1998 erinnert. Seinerzeit konnte Rußland Anleihen im Volumen von 40 Milliarden Dollar nicht bedienen.
Allerdings: Der Aufschwung in Russland ist in erster Linie auf den hohen Ölpreis zurückzuführen. Da der Anteil der Öl- und Gaswirtschaft am russischen Sozialprodukt bei 25 Prozent liegt, bleibt das Land auf absehbare Zeit verwundbar für kommende Schwankungen der Energiepreise. Dabei drängt die Zeit. Schon ab dem Jahr 2015 rechnen Experten mit einem Rückgang der Ölförderung, bei Erdgas soll 2030 die Förderung nachlassen.
Putin ist sich der starken Öl- und Gasabhängigkeit wohl bewußt. Nur wenn er die Wirtschaft diversifziert, kann er sein Ziel erreichen, das Bruttoinlandsprodukt bis zum Jahr 2012 zu verdoppeln. Der Staatspräsident hat deshalb einen Stabilisierungsfonds aufgelegt, in den die Steuerabgaben der Ölfirmen fließen. Die Gelder sollen in den Ausbau der Infrastruktur investiert werden. Auch den Mittelstand will Putin fördern. Gute Idee, doch bislang scheint nicht viel passiert zu sein. Arkadij Wolskij, Präsident des russischen Unternehmerverbandes RSPP, wirft der Zentralregierung vor, die kleinen Firmen nur mangelhaft zu unterstützen.
Weiterhin hohe Abhängigkeit vom Öl, gewaltige Hindernisse auf dem Weg zu einer freien Marktwirtschaft - ein Einstieg in Rußland empfiehlt sich - trotz der hohen Renditen - derzeit nur für sehr risikobereite Investoren. Sie müssen jederzeit mit Überraschungen rechnen. Spätestens wenn sich ein zweiter Fall Chodorkowski abzeichnet, sollten auch sie ihr Geld abziehen.
Wertpapiere des Artikels:
EXXON MOBIL CORPORATION
GAZPROM ADR REG.S
YUKOS, NK ADR 4/