DIE ZEIT
Politik 50/2001
Und nun gegen Saddam?
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In Washington tobt die Schlacht um den nächsten Feldzug
von Thomas Kleine-Brockhoff & Constanze Stelzenmüller
Washington
In Washington gibt es eine Gruppe einflussreicher Politiker, die eine verblüffend präzise Antwort auf die schwierige Frage kennt, wie es weitergehen soll im Krieg gegen den Terrorismus. Die Antwort ist knapp und folgenreich, sie besteht aus sechs Buchstaben: Saddam. Iraq is next! heißt die Parole.
Wer die Kriegspartei und ihre Argumente kennen lernen will, ohne den Nebel diplomatischer Rücksichtnahme, der muss sich aufmachen nach Chevy Chase, einen Vorort Washingtons. Dort, in einer dunkel gebeizten Holzvilla, inmitten von Kochbüchern und bewacht von einem Pudel namens Regan, lebt Richard Perle: intellektuell brillant, spielt im Politikbetrieb der Supermacht den Rechtsaußen und kann die Trompete zum Angriff blasen, weil er als "Berater des Verteidigungsministers" nicht der Regierungsdisziplin unterliegt.
Perle sieht seit dem 11. September keinen postnationalen Konflikt vor sich, in dem eine Weltmacht einzelnen Kriminellen nachstellt. Es gehe um Staaten, wie gehabt. Staaten, die Terroristen gestatteten, "jeden Morgen ohne Angst in ihr Trainingslager zu gehen". Nur wer solche Regime bekämpft, glaubt Perle, trocknet den Terrorismus aus. Wer Terroristen einzeln verfolgt, züchtet neue.
Auf der Weltkarte sieht Richard Perle "acht oder zehn" solcher Staaten. Nicht gegen alle müsse Amerika Krieg führen, nur gegen jenes Land, das die größte Bedrohung darstelle: den Irak. Wer dann Terrornester noch immer nicht ausfegt, muss fürchten, als Nächster dran zu sein. You're next - Diplomatie mit dem Revolver an der Schläfe.
Luftkrieg? Funktioniert doch!
Richard Perle fordert seit Jahren, den Diktator von Bagdad zu stürzen. Seit dem 12. November, dem Tag der Flucht der Taliban aus Kabul, weiß er sich im Besitz neuer, starker Argumente. Die Mahner und Warner, voran Außenminister Colin Powell, haben Unrecht gehabt, sagt er. Keineswegs befinde sich die arabische Welt - wie befürchtet - im Aufstand gegen die Vereinigten Staaten, nirgends im befreiten Afghanistan tobe ein Dschihad gegen die Amerikaner, vielmehr würden sie als Befreier begrüßt. Vor allem ist in Perles Augen ein Mythos zerstört: dass Luftkrieg ohne Bodentruppen nicht funktioniert, dass eine kleine, schlecht bewaffnete, zerstrittene Opposition nichts auszurichten vermag. Jeder dieser Einwände werde auch gegen einen Irak-Krieg benutzt, sagt Perle, keiner sei mehr ernst zu nehmen. Drum solle "Phase zwei" des Antiterrorkrieges nach dem Modell Afghanistan ablaufen und mit der Bewaffnung der irakischen Opposition beginnen.
Den Beweis einer Verwicklung Saddam Husseins in die Flugzeuganschläge von New York und Washington kann auch Perle nicht liefern. Aber ihm reicht, was alle wissen: Mohamed Atta, der eines der beiden Flugzeuge in das Wold Trade Center steuerte, traf sich in Prag mit einem irakischen Geheimagenten; Saddam Hussein gewährte schon früher Terroristen Unterschlupf; der Diktator hasst die USA und ließ auf den Präsidentenvater Bush einen Anschlag verüben; er besitzt Massenvernichtungswaffen und hat sie auch schon eingesetzt; er warf die UN-Waffenkontrolleure vor drei Jahren aus dem Land. Deshalb fragt Richard Perle: "Sollen wir mit einem Krieg warten, bis Saddam Atomwaffen in den Händen hält oder uns mit Anthrax angreift oder das Zeug an Terroristen weitergibt?"
Ein Präventivschlag, ohne den Beweis einer direkten Verbindung zur Terrorattacke vom 11. September: Ist dies eine Idee, die Freunde hat? Der "Vorsitzende des Verteidigungsbeirats" hat nicht nur als Privatmann gesprochen. Hinter Perle steht ein illustrer Kreis von Gleichgesinnten. Der frühere CIA-Chef James Woolsey gehört dazu, desgleichen der stellvertretende Verteidigungsminister Paul Wolfowitz. Auch dessen Chef Donald Rumsfeld und Vizepräsident Richard Cheney werden Sympathien für die Kriegspartei nachgesagt. Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice hat vor kurzem ihr Beitrittsgesuch zum Club abgegeben, als sie erklärte: "Wir brauchen den 11. September nicht, um zu verstehen, wie bedrohlich Saddam Hussein für uns ist." Und wer den Außenpolitikern des Senats zuhört, der ahnt, dass der Verein der Falken gerade allerorten neue Freunde findet.
Die Büroflucht des demokratischen Senators Joseph Lieberman gleicht einer Bahnhofshalle. Ein ständiges Kommen und Gehen. Überall Schreibtische, Computer, Telefone, überall Menschen. Alle sprechen durcheinander und entschuldigen sich ständig für die Störung. Joseph Lieberman und die Seinen sind Exilanten, untergeschlüpft beim Ausschuss für Auswärtige Beziehungen. Das eigene Büro ist wegen Anthraxgefahr versiegelt. Bei der überstürzten Räumung hat Lieberman nicht einmal mehr die Zierfische in seinem Aquarium füttern dürfen. Ein Parlament im Ausnahmezustand.
Deshalb hat Senator Lieberman auch eigentlich keine Zeit für Gäste. Nur ein paar Sätze sind aufzuschnappen, doch die haben es in sich: "Wenn wir nicht handeln, um uns zu schützen, wird Saddam die Gewalt womöglich bis vor unsere Haustüren tragen." Lieberman gehört zu einer Gruppe von Senatoren beider Parteien (dazu zählen auch die Republikaner John McCain, Orrin Hatch und Fred Thompson), die Präsident Bush einen Strategiewechsel nahe legen. Nicht mehr containment, also Einhegung Saddams - mit einer Kombination von Inspektionen und Sanktionen -, soll Ziel amerikanischer Politik sein, sondern ein Regimewechsel. Lieberman: "Der Krieg gegen den Terrorismus kann ohne den Sturz Saddam Husseins nicht gewonnen werden." Statt eindämmen also einmarschieren? Vorerst fordert das keiner der Senatoren, wohl aber, dass der Kongress neue Gelder zur Förderung und Ausrüstung der irakischen Opposition freigibt. Und dass Amerika die Konsequenzen dieser Strategiewende trägt.
Die kunstvoll geschmiedete Antiterrorkoalition fiele sofort in sich zusammen - das ist im Senat jedem klar. Die meisten islamischen Verbündeten würden sich abwenden, die Europäer protestieren schon vorsorglich. Doch das scheint bisher nicht abschreckend zu wirken. Senator Fred Thompson sagt es so: "Natürlich ist es schön, Verbündete zu haben. Aber im letzten Golfkrieg haben uns die Alliierten daran gehindert, die Sache zu Ende zu bringen." Das soll nicht noch einmal geschehen. Fürs Militärische werden am Ende ohnehin nur Türken und Kuwaitis gebraucht, vielleicht die Saudis, und schön wäre auch eine Beteiligung der Engländer. Und die anderen Europäer? Sie werden, lautet die Kalkulation, jaulen und quietschen und am Ende doch irgendwie zustimmen.
Das Gespräch im Büro des Senators Lieberman nähert sich dem Ende. Aufbruchstimmung macht sich breit. Alle Mitarbeiter haben begonnen Taschen und Jacken zusammenzusuchen. Das Gebäude wird geräumt. Die Anthraxsporen sind am anderen Ende des langen Gebäuderiegels gefunden worden. Der gesamte Trakt wird nun von Gestalten in Astronautenkleidung chemisch gereinigt. Im Aufzug sagt eine von Liebermans Mitarbeiterinnen: "Ihr seid eben doch gute Verbündete und lasst euch zusammen mit uns evakuieren."
Opposition? Welche Opposition?
In Washington lassen sich dieser Tage im Dutzend Orte finden, an denen die Irak-Frage debattiert wird: Podiumsdiskussionen, TV-Streitgespräche, Expertenrunden und Geheimzirkel der Regierung. Vieles erinnert an die Phase nach dem 11. September, als die Amerikaner sich dem Klischee widersetzten und allen martialischen Sprüchen zum Trotz eine fein ziselierte Kriegs- und Bündnisstrategie entwarfen. Auch damals vibrierte und brodelte der gewaltige Analyse-Apparat der Hauptstadt. Sehr wahrscheinlich, dass das Kriegsgeschrei auch diesmal nicht in eine krude Politik mündet. Denn nicht nur Falken beraten die Regierung.
"Je genauer man das Problem Irak betrachtet", sagt zum Beispiel Professor Judith Yaphe, "desto mehr widersetzt es sich einfachen Lösungen." Yaphe beschäftigt sich seit drei Jahrzehnten mit dem Irak, zuerst in ihrer Doktorarbeit, dann zwanzig Jahre lang bei der CIA, seit fünf Jahren an der National Defense University. Wer sie sprechen will, muss nach Fort McNair, einem scharf bewachten Geländezipfel am Ufer des Potomac: halb Harvard, halb Kaserne. Der Besucher wird von Militärpolizei durchsucht, passiert dann eine Marmorwand mit dem Motto der Hochschule ("Den Frieden können nur die Starken schützen"), um schließlich das winzige Büro der Professorin zu erreichen. Die Irak-Memoranden, die hier entstehen, sind für den Verteidigungsminister und den Generalstab bestimmt. Ihr Tenor lautet: nicht jetzt und nicht so.
Nicht jetzt, weil Judith Yaphe die Kosten zu hoch erscheinen. Verlöre Amerika seine Verbündeten, sei die global koordinierte Terroristenjagd vorbei und nicht entdeckte Al-Qaida-Gruppen dürften unbehelligt weiterschlummern. Wenn schon ein Alleingang gegen den Irak, meint Yaphe, dann allenfalls nach Ende der Kampagne gegen Al-Qaida.
Die Irak-jetzt-Fraktion übersehe, vom Erfolg in Afghanistan berauscht, die Unterschiede zwischen beiden Ländern. Judith Yaphe entwirft ihr eigenes Panorama. Danach ist Saddam Hussein für die Vereinigten Staaten viel gefährlicher als Taliban-Führer Mullah Omar - wegen seiner Massenvernichtungswaffen. 1991, im Golfkrieg, hieß das Kriegsziel, Kuwait zu befreien. Saddam wusste, er konnte an der Macht bleiben, wenn er die Alliierten nicht zu sehr reizte und seine Chemiewaffen im Bunker ließ. Jetzt wäre er selbst das Kriegsziel und hätte nichts mehr zu verlieren. Also muss, so Yaphe, jede Strategie darauf zielen, sofort die Massenvernichtungswaffen unschädlich zu machen. Nur - wie?
Yaphe erinnert daran, dass der Irak kein failed state ist, kein Vierte-Welt-Land, in dem mittelalterliche Gestalten mit der Flinte die Diktatur verteidigen. Saddam besitzt eine Armee, deren harter Kern, die rund 100 000 Mann starke Republikanische Garde, mit sowjetischen Waffen noch immer schlagkräftig ausgestattet und sehr diszipliniert ist. Kein Wunder, denn Saddams Ende wäre auch das ihre. Die "irakische Opposition" hingegen besteht aus Exilanten - sowie den unzufriedenen Schiiten im Süden und Kurden im Norden. Sie wären erst noch zu bewaffnen und zu trainieren. Aber wo? Im Irak? Lebensgefährlich. Bei Nachbarn? Saddams gefürchtetes Spitzelregime reicht weit über die Landesgrenzen. Und selbst wenn es gelänge, meinen Kenner, kämen allenfalls ein paar Zehntausende zusammen. Bisher, sagt Professor Yaphe, habe sie "noch keine taugliche Strategie gesehen", nur "ein Schweinebucht-Szenario". Ein Rezept für ein Desaster also - wie 1961 beim gescheiterten Versuch der USA, mit Hilfe von Exilkubanern das Castro-Regime zu stürzen.
Da die Pläne für den möglichen Krieg nicht einfach im Pentagon abzuholen sind, empfiehlt sich stattdessen ein kleiner Besuch beim örtlichen Repräsentanten der irakischen Opposition. Der Mann ist semmelblond, Anfang 40, Typ in die Jahre gekommener College-Boy: kein Iraker, sondern Amerikaner. Er heißt Francis Brooke und nennt sich selbst einen "Lobbyisten". Vom Irakischen National-Congress (INC) sei er dazu beauftragt, die Regierung Bush für den geplanten Befreiungsaufstand zu mobilisieren. Während er zum Spaziergang durch den Bürgerstadtteil Georgetown bittet, berichtet er in entwaffnender Offenheit von seinen Geldgebern. Sein Honorar bekommt er vom INC, dem Londoner Dachverband der irakischen Exilgruppen, doch der erhält das Geld vom amerikanischen Außenministerium. Vor zehn Jahren, als er mit der Subversion gegen Saddam begann, sei sein Lohn - "jeden Monat eine unsittlich hohe Summe" - noch von der CIA gekommen.
Weil also Geld kein Problem ist, hat sich Brooke vor einiger Zeit einen ausgemusterten amerikanischen General gemietet, um einen Schlachtplan zu entwerfen. Und dieser Plan sieht so aus: Zuerst bewaffnet Amerika die Opposition und bildet sie aus. Dann verhängt der Präsident ein Flugverbot über dem Irak und ein Bewegungsverbot für Militärfahrzeuge am Boden. Wird es gebrochen, schlägt die Luftwaffe zu. Im Schutz amerikanischer Präzisionswaffen rückt die Opposition vor, nimmt Basra im Süden, dann Mosul im Norden. Und dann geht alles weiter wie gerade in Afghanistan gezeigt. Auch Spezialkommandos bekommen ihren Auftritt. Sie sollen vor allem die Massenvernichtungswaffen unschädlich machen. Aber US-Bodentruppen zu Hunderttausenden, eine Invasion Iraks oder gar eine Besetzung mit Friedenstruppen - Militärexperten halten dies für unabdingbar, wenn der Regimewechsel gelingen soll -, das soll alles nicht notwendig sein. Siehe, wie gesagt, Afghanistan.
Der Autor dieses Planspiels heißt Wayne Downing, Golfkriegsveteran und Kommandeur von Spezialeinheiten. Vor kurzem hat Präsident Bush den General reaktiviert und in den Nationalen Sicherheitsrat berufen. Downing leitet dort die neue Antiterrorzelle. Sein Büro im Westflügel des Weißen Hauses ist wenige Meter vom Oval Office entfernt. Nun hat er Gelegenheit zuhauf, den Präsidenten für seine Kriegsblaupause zu erwärmen.
George W. Bush hat sich in der vergangenen Woche erstmals öffentlich in die Schlacht um den nächsten Feldzug eingemischt und ist dabei der Kriegspartei einen großen Schritt entgegengekommen. Im Rosengarten des Weißen Hauses befragt, definiert er plötzlich neu, wer sich vor seinem Visier befindet. Nicht mehr allein jene Länder, die Terroristen "unterstützen oder beherbergen", sondern auch die, die "Massenvernichtungswaffen entwickeln, um andere Länder zu terrorisieren". Gemeint ist, kein Zweifel, Saddam. Der Diktator, fordert Bush, müsse die UN-Waffeninspektoren wieder in sein Land lassen, und wenn er sich weigere, dann "wird er schon sehen", was geschehe - ein kaum verschleiertes Ultimatum.
Seither bemühen sich die Berater des Präsidenten, der Äußerung die Schärfe zu nehmen: Eine Entscheidung über die Irak-Politik sei noch nicht gefallen. Gut möglich, dass alles nur texanische Kraftsprache oder kalkulierte Drohkulisse ist. Jedenfalls scheint die Regierung noch Zeit zu brauchen, weil sie nach jener ausgefeilten Strategie sucht, die ihr in Afghanistan so geholfen hat.
Die kurioseste Rolle kommt dabei auf Colin Powell zu. Der Außenminister müsste nämlich Allianz und Argumente für einen Feldzug zusammenstellen, den er ablehnt. Intelligente Sanktionen, die die Machthaber treffen statt wie bisher die Zivilbevölkerung, zieht er intelligenten Waffen vor. Doch wie lange wird der Liebling der moderaten Europäer noch hinhaltenden Widerstand gegen den erstarkenden Club der Falken leisten können?