ich bin nicht happy end
Ostunternehmen schluckt Wessi-Konkurrent. Hüben wie drüben hoffen jetzt alle auf Normalität
Freyburg/Eltville mg - Zurzeit sind sie in Eltville ziemlich sensibel. "Man könnte auch sagen, wir hören hier die Flöhe husten", sagt Andrea Rottmann vom Betriebsrat. Kein Wunder. Schließlich erlebt das beschauliche Örtchen im hessischen Rheingau gerade eine der spektakulärsten Übernahmen der bisherigen deutsch-deutschen Wirtschaftsgeschichte.
Seit im Januar dieses Jahres die Ost-Kellerei "Rotkäppchen" aus Freyburg in Sachsen-Anhalt die West-Kellerei "Mumm" schluckte, ist nichts mehr so wie es mal war im auch nach zwölf Jahren Wiedervereinigung noch relativ fest zementierten Hierarchie-Verständnis Deutschland West und Ost. Erstmals nämlich kaufte ein ehemaliger DDR-Betrieb einen angeschlagenen West-Konkurrenten auf - und nicht umgekehrt. Außerdem wurden, sozusagen als erste Amtshandlung, fünf Manager, naturgemäß West, auf einen Schlag entlassen. Entsprechend bang ist es den verbliebenen 234 Mitarbeitern derzeit um ihren Arbeitsplatz.
Dass gerade diese Ost-West-Pikanterie besonders bitter-süß schmeckt, will man allerdings hüben wie drüben nicht öffentlich zugeben. "Die Tatsache, dass wir von einem Ost-Konkurrenten gekauft wurden, spielt bei unseren Problemen keine Rolle", sagt die Betriebsrätin. Und auch der neue Chef vom Ganzen, Gunter Heise, wiegelt energisch ab. "Es gab ein paar Befindlichkeiten, natürlich. Aber ansonsten läuft die Integrationsphase ganz gut für die paar Wochen, die wir erst zusammen sind."
Dabei muss es gerade für Heise und seine Mitstreiter eine ziemliche Genugtuung sein, es trotz aller Widerstände geschafft zu haben. Schließlich erinnert die Rotkäppchen-Erfolgsgeschichte an ein modernes Märchen: Weinbau-Ingenieur kauft, mit viel Häme beobachtet und kommentiert, unter hohem, persönlichem Risiko gemeinsam mit drei Kollegen nach der Wende marode Sektkellerei von der Treuhand auf und steigt mit dem im Osten inzwischen verpönten, im Westen sowieso als süßes DDR-Gesöff geschmähten Rotkäppchen-Sekt innerhalb kurzer Zeit auf in die Beletage der edlen Getränke. Einziges Zugeständnis an westdeutsche Hilfsangebote: Mit dem Spirituosen-Unternehmer Harald Eckes-Chantré und seinen zwei Töchtern beteiligt sich auf Grund einer persönlichen Beziehung ein "Besser-Wessi" privat an der Kellerei.
Eine Investition, die sich lohnte. Seit 1993 stieg der Umsatz von 20 auf 147,5 Millionen Euro, der Flaschen-Absatz konnte im gleichen Zeitraum von 10 auf 49,1 Millionen gesteigert werden - die Obergrenze der vorhandenen Produktionskapazitäten. Dazu die selbstbewusste Kampfansage an Marktführer Henkel.
"Wir wollen unser Unternehmen zum führenden deutschen Sekthaus ausbauen", hatte Gunter Heise bereits im September vergangenen Jahres angekündigt - noch vor dem endgültigen Ja des Kartellamtes zum Erwerb der Mumm-Kellerei von der kanadischen Seagram-Gruppe und wohl wissend, dass der Marktanteil des DDR-Kultsektes in den alten Bundesländern erst knapp über drei Prozent beträgt.
Derzeit pendelt Heise mit seinen Mitarbeitern alle paar Tage zwischen Freyburg und den neuen Produktionsstätten Eltville und dem benachbarten Hochheim. Dabei ist Eile nicht angesagt. Erst 2003 sollen die Integrationsmaßnahmen abgeschlossen sein. Zugesichert wurde immerhin schon, dass beide Produktionsstätten erhalten bleiben. "Wir brauchen die neuen Kapazitäten", sagt Heise. Doch angeblich gemachte Zusagen, was die Sicherheit der Arbeitsplätze West betrifft, verneint er. "Wir wären schlechte Wirtschafter, wenn wir das täten."