Rote Brigaden und RAF-Syndrom

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Rote Brigaden und RAF-Syndrom

 
27.03.02 17:17
In Italien hat, unbemerkt von der "Öffentlichkeit" ein faschistischer Putsch stattgefunden, so wie in den USA. Der folg. Artikel ist insoweit interessant, als ich mich frage, wann wir endlich öffentlich über die wahren Hintergründe der Todesfälle von Herrhausen und Rohwedder diskutieren dürfen. Wahrscheinlich nie, wir sind als nächste fällig. Wen interessiert schon das Grundgesetz?


92 Patronenhülsen, ein Balletttänzer und die CIA

Harald Neuber   25.03.2002
Die Geschichte der Roten Brigaden in Italien ist ein Lehrstück der Unterwanderung einer politischen Organisation durch gleich mehrere Geheimdienste - Nutzen brachten sie immer der Rechten - wie auch jetzt wieder

Am vergangenen Samstag protestierten in Rom über eine Millionen Menschen gegen Ministerpräsident Silvio Berlusconi. Der einflussreichste der drei Gewerkschaftsbünde,  CGIL, kann sich fortan damit rühmen, die größte Demonstration in der Geschichte der italienischen Republik zustande gebracht zu haben. Diese Demonstration war Ausdruck einer extrem gespannten Situation zwischen der Mitte-Rechts-Regierung und den sozialen Organisationen. Anlass für die jüngsten Proteste ist die geplante Änderung des Kündigungsrechtes. Der Artikel 18 wird von den Menschen aber unerwartet massiv verteidigt. "Dieser Kampf ist zum Symbol für den Kampf gegen Berlusconi und zum Symbol für den Kampf gegen die neoliberale Politik geworden", sagt der Philosoph Domenico Losurdo.






Inmitten dieses Konfliktes und vier Tage vor der wie erwartet großen Demonstration wurde am vergangenen Dienstag gegen 20.30 Uhr der Wirtschaftsprofessor Marco Biagi vor seinem Haus in Bologna  erschossen. Der 51-jährige Arbeitsrechtler beriet den Wohlfahrtsminister Roberto Maroni, Mitglied der extrem-rechten Lega Nord, zur Änderung des Artikel 18. Biagi war Mitautor eines Weißbuches der Regierung Berlusconi zum Arbeitsmarkt, das im vergangenen Oktober vorgestellt wurde.

Am Tatort fand die Polizei Stempel an den Wänden, die das Symbol der Gruppe "Brigate Rosse" (BR), der Roten Brigaden, zeigten. Die Roten Brigaden waren im August 1970 gegründet worden. Den ersten Teil ihres Namens entlieh die Gruppe einst von der deutschen "Rote Armee Fraktion" (  RAF), die "Brigaden" wählte man in Anlehnung an den Partisanenkampf gegen die Faschisten wenige Jahrzehnte zuvor. Der Mord an Marco Biagi löste nicht nur in Italien Unruhe aus. Viele Medien prophezeiten eine "Neuauflage des Terrors", als in mehreren Redaktionen per Email ein Bekennerschreiben der Gruppe einging. Nun war man sich sicher: Die Roten Brigaden sind wieder auf der politischen Bühne erschienen. In einer Fernsehansprache zeigte sich Ministerpräsident Berlusconi erschüttert. Der Anschlag sei ein Indiz für den "tiefen Hass", der das Land nach wie vor bestimme. Berlusconi forderte die Gewerkschaften auf, der Reform zuzustimmen. Man dürfe dem Druck des Terrors nicht nachgeben.

Doch es gibt auch kritische Stimmen. Immerhin galt die Abschaffung des gemeinsamen Symbols, einem fünfzackigen Stern, 1981 als offizielles Ende der Roten Brigaden. In den Jahren davor war die Gruppe nachweislich von gleich mehreren Geheimdiensten unterwandert worden. Der langjährige Italienkorrespondent und Buchautor  Gerhard Feldbauer ist sich jedenfalls sicher, "dass es sich bei dem Mord an Biagi um ein weiteres Glied in einer Kette von Aktionen handelt, mit der die in den siebziger und achtziger Jahren praktizierte Spannungsstrategie neu aufgelegt werden soll". Im Rahmen dieser von der US-amerikanischen CIA konzipierten Strategie wurden nicht nur linksradikale Gruppen von Polizei- und Geheimdienstagenten zu Mord und Terror angestachelt. Polizeiagenten, meist Faschisten, führten auch selbst unzählige Terroranschläge durch, für die dann Anarchisten und Autonome verfolgt und oft jahrelang unschuldig eingesperrt wurden.

Bereits beim ersten Anschlag der Spannungsstrategen am 12. Dezember 1969 in der Mailänder Landwirtschaftsbank auf der Piazza Fontana (16 Tote, über 80 Verletzte), den neofaschistische Terroristen durchführten, war ein Agent provocateur am Werk, der die Spuren nach links lenken sollte. Der als Geheimdienstagent angeworbene Neofaschist Mario Merlino gründete einen anarchistischen Zirkel, für den er den Ballett-Tänzer Pietro Valpreda anwarb, der danach mit falschen Zeugenaussagen als einer der Organisatoren des Attentats präsentiert wurde.

Aus der langen Kette der bekannt gewordenen Fälle ein weiterer: Der Neofaschist und Angehörige der NATO-Gruppe "Gladio", Gianfranco Bertoli, führte im Mai 1973 einen Bombenanschlag auf das Mailänder Polizeipräsidium durch (vier Tote, 52 Verletzte). Dabei sollte auch Ministerpräsident Rumor getötet werden, der jedoch zu spät eintraf und so dem Attentat entging. Der noch am Tatort festgenommene Bertoli erklärte, Anarchist zu sein, der den Tod seines 1969 von der Polizei umgebrachten Anarchistenfreundes Pinelli rächen wollte. Als "Beweis" zeigte er auf seinem Arm ein tätowiertes "A" in einem Kreis, das Erkennungszeichen der Anarchisten.


Sabotage und Sympathie in den Fabriken


Die Roten Brigaden waren für den Staat weitaus gefährlicher, als jede andere linksextreme Gruppe. Während die "Rote Armee Fraktion" in Westdeutschland aus einigen wenigen Mitgliedern bestand, die isoliert von etwaigen sozialen Bewegungen agierte, konnten die Brigate Rosse auf die Unterstützung weiter Teile der Arbeitnehmerschaft zählen. Es war eine junge Generation, die sich gegen die Etablierung der Italienischen Kommunistischen Partei (IKP) richtete. In der Anfangsphase waren die BR von den Ideen Antonio Gamscis ebenso beeinflusst, wie von denen des IKP-Mitbegründers Amadeo Bordiga. Die späteren Führungsmitglieder der BR, Renato Curcio und Mauro Rostagno, brachten an der Soziologischen Fakultät der Universität von Trentino 1968 die Schrift "Fuori dei Denti" (Offen gesagt) heraus. Darin wiesen sie Gewalt als Mittel der politischen Aktion entschieden zurück und kritisierten die "revolutionäre Ungeduld" der Befürworter.

Den BR ging 1969 die Gründung des "Großstadtkollektiv" voraus. Diese Gruppe setzte auf Aufbauarbeit in Fabriken. Nach wenigen Monaten verfügte das Kollektiv über Basisgruppen bei Pirelli, Siemens und FIAT. Grundlage der Aktionen war die "bewaffnete Propaganda", die auf Einschüchterung der Manager zielte und die Forderungen der Belegschaften unterstützen sollte. Man forderte die Auflösung der privaten Werkspolizei und organisierte Sabotage in den Betrieben. Im September 1970 wurde der PKW des Siemens-Managers Giuseppe Leoni in Mailand angezündet, es folgten unter anderem Anschläge auf die Autos des Sicherheitschefs und des Personalchefs von Pirelli. Am dritten März 1971 entführte ein Kommando den Direktor der Arbeitsorganisation, Idalgo Macchiarini. Der Mann war für die Geschwindigkeit der Fließbänder verantwortlich und deswegen in den Fabriken nicht gerade beliebt. Macchiarini wird 20 Minuten lang festgehalten und mit einem Schild fotografiert. Darauf ist zu lesen: "Zuschlagen und abhauen! Nichts wird ungestraft bleiben! Einen treffen, um hundert zu erziehen!"

Ab Mitte der siebziger Jahre fand ein Wechsel in der Führung der Brigate statt. Damit ging ein rapider Anstieg der Gewalt einher. Wie aus den Ermittlungen einer parlamentarischen Kontrollkommission Anfang der neunziger Jahre hervorgeht, waren 1974 schon mehrere Agenten in die BR eingeschleust worden. Einer von ihnen ist Francesco Marra gewesen, der als Fallschirmjäger in einem NATO-Stützpunkt auf Sardinien stationiert war und bei der  Gladio-Spezialgruppe ausgebildet wurde. Die Gladio-Gruppe war eine Spezialeinheit der NATO, dort bekannt unter dem Namen "stay behind". Die "Gladiatoren", insgesamt dürften es über 15.000 gewesen sein, unterstanden maßgeblich der CIA. Marra war es, der nach späteren Aussagen von Renato Curcio nach der Entführung des Genueser Gerichtsvorsitzenden Mario Sossi 1974 für dessen Exekution plädierte. Die Führungsriege der Brigaden lehnte das ab.

Bis 1976 wurden die Gründungsmitglieder allesamt gefangengenommen. Dafür war maßgeblich die Tätigkeit der V-Leute in der Gruppe verantwortlich. Mit Mario Moretti rückte dann ein Hardliner an die Spitze der Organisation, der auch vor politischen Morden nicht zurückschreckte. Mit der Erschießung des Oberstaatsanwaltes Francesco Coco am 8. Juni 1976 in Genua auf offener Straße begannen die "bleiernen Jahre", das blutigste und zugleich letzte Kapitel der Roten Brigaden.


Die letzten 55. Tage des Aldo Moro


Am 16. März 1978, morgens um 9.00 Uhr, fielen im Nordwesten von Rom für eine Stunde die Telefone aus. Zwischen 9.00 Uhr und 9.05 Uhr wurde dort, am Rande des kleinen Parks Villa tre Colli, der christdemokratische Parteivorsitzende Aldo Moro in seiner Limousine überfallen. Dabei starben die fünf Leibwächter des Politikers. Moro selber wird verschleppt und 55 Tage später exekutiert.

Fünf Leute im Auto wurden getroffen. Moro selber blieb unverletzt: Der BR-Chef Moretti gab Jahre später zu Protokoll, dass es "mit der militärischen Präzision der BR nie weit her gewesen ist", bei der Aktion seien "keine hervorragenden Schützen" gewesen. Bei einem habe die Maschinenpistole gar Ladehemmungen gehabt. Trotzdem wurden, auch dass kommt erst Jahre später heraus, am Tatort 93 Patronenhülsen gefunden. Knapp die Hälfte war mit einem Speziallack überzogen, der nur bei den Gladio/Nato-Truppen verwendet wurde. Munition mit dem Lacküberzug konnte man über einen längeren Zeitraum vergraben.

Der damalige Ministerpräsident Giulio Andreotti kündigte in einer Ansprache nach dem Mord an, mit unnachgiebiger Härte vorzugehen. Verhandlungen wurden abgelehnt, der Sicherheitsapparat setzte sich in Bewegung. Hinter allem  stand zu diesem Zeitpunkt die Geheimloge "Propaganda due" (P2). Sie wurde Anfang der Siebziger Jahre gegründet und setzte sich aus US-amerikanischen und italienischen Geheimdienstlern zusammen. Unter den über 2000 Logenmitgliedern befinden sich 43 Generäle, darunter die gesamte Führungsspitze der Geheimdienste der vergangenen 30 Jahre, der komplette Generalstab des Heeres, hohe Polizeiführer und etwa 400 Offiziere. Die P2 verfolgte das Ziel, mit einem "kalten" Staatsstreich die Macht zu übernehmen, die IKP auszuschalten und ein diktatorisches Regimes nach chilenischem Vorbild zu errichten. Mitglied der P2 war auch der Generaldirektor der staatlichen Telefongesellschaft SIP, Michele Principe. Chef der Geheimloge war der Altfaschist Licio Gelli, dessen Sekretärin sagte allerdings zehn Jahre später vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss aus, dass "der eigentliche Chef Andreotti und nicht Gelli" war. Der Ministerpräsident hätte also von den Attentatsplänen wissen müssen. Warum schritt er nicht ein?

Die Kommunistische Partei konnte in den siebziger Jahren ihren Stimmenanteil stetig erhöhen. 1963 erhielt die Partei gut 23 Prozent der Stimmen, 1976 waren es schon fast 34 Prozent. Moro trat in dieser Situation für ein taktisches Bündnis mit der IKP ein. Die Kommunisten sollten so in das politische System integriert werden, um sie zu zähmen. Die Linie Moros stieß auf entschiedenen Widerstand der faschistischen Gruppen im Land und der USA. Als der Politiker 1974 nach Washington reiste, wurde er massiv unter Druck gesetzt, blieb seiner Linie aber treu. Der Ton wurde schärfer. "Entweder hören Sie auf damit, oder Sie werden es teuer bezahlen", habe man ihrem Mann damals gesagt, so die Witwe, Eleonora Moro.

Eine Schlüsselfigur ist Henry Kissinger, der Moro fortan auf den Fersen folgt. Kissinger wertete die Politik Moros als "äußerst negativ" und nannte ihn den "Allende Italiens", der "gefährlicher als Castro" sei. Aus Washington wurde derweil verlautbart, dass eine Beteiligung der Kommunisten im direkten Widerspruch zur NATO stehen würde. Im Januar, drei Monate vor seiner Entführung und knapp fünf Monate vor seiner Hinrichtung, schloss Moro das Regierungsabkommen mit Italiens Kommunistischer Partei.


Wiederauflage der Spannungsstrategie?


Bei den Anti-Globalisierungsprotesten gegen den G-8-Gipfel in Genua im Juli vergangenen Jahres wurde eine neue Organisation namens "Black Block" diskutiert. Tatsächlich ist eine solche Gruppe in Erscheinung getreten. Wie erst später bekannt wurde, gehörten ihr aber Mitglieder der neofaschistischen "Forza Nuova" an. Bei einem Sturm auf ein alternatives Medienzentrum "wurden Videokassetten und andere Bilddokumente unabhängiger Pressevertreter konfisziert, die beweisen, dass Teile des 'Schwarzen Blocks' von infiltrierten Polizisten gesteuert und organisiert wurden, dass die Polizei die Autonomen über jedes Maß hinaus toleriert hat, um eine pazifistische Bewegung von 300.000 Menschen zu diskreditieren und zu kriminalisieren", sagte der Vertreter der Gruppe "Tute bianche" nach den Ereignissen. Der für seine Enthüllungen über die Gladio-Gruppe und Geheimdienstkomplotte bekannte Professor Giuseppe de Lutis hat in Anbetracht dieser Erfahrung und nach einem Bombenanschlag auf das Innenministerium in Rom Anfang März darauf verwiesen, dass die Handlungsmuster der Spannungsstrategen deutlich sichtbar seien.

"Berlusconi kommen solche Anschläge wie gerufen", meint auch Buchautor Feldbauer. Er brauche sie nun einmal, um von den noch immer anhaltenden Protesten und Untersuchungen zu den Ausschreitungen in Genua abzulenken. Um das blutige Vorgehen in Genua zu rechtfertigen, "hat er als jüngstes Ablenkungsmanöver einen Mordanschlag erfunden, den in Genua Linksterroristen und Al-Qaida-Leute gegen US-Präsident Bush geplant hätten".

Der Philosoph und Hegel-Forscher Losurdo weist auf einen anderen Umstand hin:


 
"Der letzte Mordanschlag, für den die Brigaden verantwortlich gemacht werden, ereignete sich 1999. Auch damals wurde ein Regierungsberater erschossen. Zum Zeitpunkt des Anschlages fanden im ganzen Land Massendemonstrationen der Linken gegen den NATO-Krieg in Jugoslawien statt, an denen ein breites Spektrum von Parteien und Organisationen teilnahm. Nach dem Anschlag brach die Bewegung fast zusammen, und die Beteiligung an den Aktionen ging rapide zurück, weil die Regierung die linken Demonstranten und die sogenannten Roten Brigaden auf eine Stufe setzten. Das geschah mit der enormen Medienmacht, über die Berlusconi verfügt. Heute haben wir wieder Massendemonstrationen - und wieder geschieht ein Mord."  
 



Dessen ungeachtet gehen in Italien die Proteste gegen Berlusconi weiter. Als nächstes soll ein Generalstreik ausgerufen werden, gegen die Reformen und die "Etablierung des Faschismus", wie Dario Fo es nannte. Am vergangenen Samstag haben die Demonstranten aber auch eine Schweigeminute für den Ermordeten eingelegt.


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Aktien könnt Ihr vergessen, demnächst gehts zur

 
27.03.02 17:32
Sache. Und es scheint so, als ob man nur darauf wartet, daß alle Schubladen aufgemacht werden.



Israel bereitet große Militäraktion gegen Palästinenser vor

Peter Schäfer   27.03.2002
Nach umstrittenen Fernsehbildern einer Aktion dürfte diese unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden

Israel plant zurzeit die größte Militäraktion gegen die Palästinenser seit dem Beginn der Besatzung vor 35 Jahren. Das sagten israelische Politiker gegenüber der  Washington Post. Falls die Vermittlungsbemühungen des US-Abgesandten Anthony Zinni scheitern, will Israel eine "umfassende militärische Konfrontation" mit den Palästinensern suchen.






Der vor zwei Wochen aus israelischer Administrativhaft entlassene palästinensische Menschenrechtler  Dawud Darawi hegt ähnliche Befürchtungen. Gefangenenvertreter des Militärgefängnisses Meggido sind von der Verwaltung angewiesen worden, die Häftlinge zur Verlegung in das momentan geschlossene, berüchtige Lager Ansar III (Ketziot) vorzubereiten, so Darawi gegenüber telepolis. Das Lager wurde im März 1988, drei Monate nach Beginn der ersten Intifada, aufgebaut und erst 1996 geschlossen. Jeweils 25 Gefangene wurden in einem Zelt gehalten, von denen das Lager nach Schätzungen von Ex-Gefangenen etwa 220 umfasste. Wegen seiner Lage in der Negev-Wüste waren die Häftlinge dort extremen Temperaturen ausgesetzt. Wasserentzug, Tränengas in geschlossenen Zelten, Schläge und andere Formen der Folter wurden damals von internationalen Menschenrechtsorganisationen kritisiert. Das Gefängnis Meggido ist mit 1.200 Gefangenen an seine Grenzen gelangt. Nun soll Ansar III wieder geöffnet werden.

Bereits während der abwechselnden Besetzung palästinensischer Städte vor der Ankunft Zinnis Mitte März verhaftete die israelische Armee Tausende von Palästinensern, die aber in den meisten Fällen nach kurzer Zeit wieder freigelassen werden mussten, weil die Kapazitäten für deren Unterbringung derzeit noch fehlen. In den sechs Jahren der ersten Intifada wurden an die 100.000 Palästinenser von Israel verhaftet, davon etwa 15.000 administrativ, so ein Vertreter der Menschenrechtsorganisation  Al-Haq. Administrativhäftlinge werden maximal sechs Monate ohne Gerichtsbeschluss oder Anklage festgehalten, die Haftzeit kann allerdings beliebig oft erneuert werden.

Die sich in ihren Ausmaßen langsam steigernden israelischen Militäraktionen der vergangenen Monate können als Testlauf für den nun angekündigten Angriff gelten. Wirkungsvolle internationale Sanktionen abseits der bekannten verbalen Verurteilungen erwartet die israelische Regierung offensichtlich nicht. Weder die anhaltende Besatzung noch die Liquidierungen von Palästinensern mit den einkalkulierten "Kollateralschäden" oder der Einsatz der gesamten Kriegsmaschinerie gegen die palästinensische Zivilbevölkerung stoßen im Ausland auf nennenswerten Widerstand. Morde an Zivilisten wie der Ehefrau und den Kindern eines Hamasaktivisten vor wenigen Wochen werden von Israel verständnisvoll bedauert, obwohl das "Ziel" von der Siedlung Psagot am Stadtrand Ramallahs aus, von wo die Panzergranate auf das Auto der Familie geschossen wurde, mit einem mittelmäßigen Fernglas zu erkennen gewesen sein muss.


Militärinvasion live


Eines dieser zivilen Opfer wurde dem Militär in Israel aber  kürzlich zum Verhängnis. Als die Soldaten Mitte März im Flüchtlingslager Aida bei Bethlehem - wie in den anderen Flüchtlingslagern zuvor auch - durch Wände und Türen brachen, starb eine Frau. Huda Hawadscha, eine Mathematiklehrerin, wäre unter normalen Umständen undramatisch in die Statistik der palästinensischen Opfer eingegangen. Aber ein israelisches Kamerateam (Kanal 2) begleitete die Soldaten, die Tragödie der Mutter von fünf Kindern war in den israelischen Abendnachrichten. Dort konnten die Zuschauer mitansehen, wie die Soldaten die Tür zu einem Haus aufsprengten. Frau Hawadscha, von Splittern getroffen, wurde von der Kamera zwar nicht erfasst, aber ihr Ehemann Ismail, der verzweifelt um Hilfe rief. Dann kam die weinende 9-jährige Tochter ins Bild. Der Reporter erklärte, dass sie im Moment ihre Mutter auf dem Boden liegen sieht. Sanitäter des palästinensischen  Roten Halbmondes konnten Frau Hawadscha zwar wenig später versorgen, kamen aber zu spät. Unterdessen begleitete die Kamera die Soldaten im Haus weiter. Sumud, die 11-jährige Tochter, bat die Soldaten, kein Loch in die Wand zu schlagen. "Please, please", flehte sie auf Englisch. Die Soldaten ließen sich davon nicht abhalten.

Die Meinungen des israelischen Publikums war nach der Sendung gespalten. Einige glaubten, dass die Aufnahmen der Kinder, die ihre Mutter verbluten sehen, nicht gesendet hätten werden sollen. "Zu demoralisierend in Kriegszeiten", sagten sie. Andere waren der Ansicht, dass es wichtig ist zu wissen, was die Armee in den besetzten Gebieten anstellt. Zur selben Zeit gingen Fotos von israelischen Soldaten um die Welt, die in palästinensischen Wohnzimmern randalieren. Darüber hinaus schockte der Anblick der Hunderten von Festgenommenen - die Augen verbunden, gefesselt und mit Nummern markiert. Unmut riefen die Äußerungen eines beteiligten Soldaten hervor. "Ich weiß nicht, was wir hier machen", sprach er in die Kamera. "'Aufräumen', also muss es hier dreckig sein. Ich weiß nicht, was ein hebräischer Junge hier, fernab der Heimat, soll." Die erste Reaktion des israelischen Verteidigungsministeriums: Kamerateams dürfen ab jetzt die Soldaten nicht mehr begleiten.


Demnächst: Besatzung unter Ausschluss der Öffentlichkeit


Der nächste militärische Angriff wird also unter Ausschluss der Öffentlichkeit erfolgen. Und da Israel keinen Schritt auf die Palästinenser zugehen will, kommt er bestimmt. "Solange der Terror (gegen Israel) weitergeht, muss Israel jedes Mittel, einschließlich von Einmärschen in jeden Ort, ergreifen, um Waffen zu beschlagnahmen und den Terror mit Stumpf und Stiel auszureißen." So die offizielle Erklärung des israelischen Justizministers Meir Schetrit vom Montag. In der Debatte der letzten Monate wurde allerdings noch nie die Frage aufgeworfen, ob die Ursache des zunehmenden palästinensischen "Terrors" nicht vielleicht in der Eskalation der israelischen Besatzung liegt; auch nicht von den internationalen Friedensvermittlern.

Hunderte von Dörfern sind seit Monaten weitgehend von der Umwelt abgeschlossen. Lebensmittel können dort kaum noch transportiert, medizinische Notfälle nicht mehr versorgt werden. Die Wirtschaft liegt am Boden, Verelendung breitet sich aus. Palästinenserpräsident Jassir Arafat hat sich den Auflagen zwar gebeugt und letzten Donnerstag die gewünschte arabische und englische  Anweisung zur Einstellung der militärischen Widerstandsaktionen gegen Israel verbreitet. Die im Moment aktivste Gruppe, die Arafats Fatah-Partei nahestehenden Al-Aqsa Märtyrerbrigaden, hat aber bereits angekündigt, sich danach zu richten, was der Bevölkerung dient. Sie haben viele der in der letzten Zeit verübten Selbstmordattentate ausgeübt und so die Spirale der Gewalt mit aufrecht erhalten.

Jeder Palästinenser leidet unter der Situation. Bewegungsfreiheit existiert nicht. Rita Giacaman von der  Birzeit-Universität nördlich von Ramallah erforscht die Haltung von Studenten. "Der Selbstmordattentäter ist nur der extremste Fall", sagt sie. "Unsere Studenten sind unfähig zu träumen oder sich eine bessere Zukunft vorzustellen." Mehr als die Hälfte der Befragten beklagten Instabilität in ihrem Leben. Zwei Fünftel geben in Zeiten, in denen die israelische Armee ihr Leben weitgehend kontrolliert, an, sich wertlos und enttäuscht zu fühlen. Konzentrationsunfähigkeit, Schlafstörungen, Zittern und Kopfschmerzen sind die medizinischen Symptome.

Unter den Palästinensern hat sich die Ansicht durchgesetzt, dass mit Israel nicht friedlich verhandelt werden kann. In den sieben Jahren der Friedensverhandlungen vor der jetzigen Intifada wurde die Zahl der israelischen Siedler in den besetzten Gebieten verdoppelt. Ihnen gingen neue Landenteignungen und der Aufbau eines von der Armee kontrolliertes Straßennetz voran, dessen Benutzung den Palästinensern verboten ist und das die eigenen Verkehrswege zerteilt. Seit dem Amtsantritt des israelischen Ministerpräsidenten Ariel Scharon vor einem Jahr wurden 34  neue Siedlungen gebaut. Palästinenser äußern heute die Ansicht, dass die israelische Bevölkerung nur willens ist, die Besatzung zu beenden, wenn auch sie Opfer zu beklagen hat.

Der Alltag der Menschen hier - Israelis wie Palästinenser - findet heute zwischen Beerdigungen statt. Beide fühlen sich als Opfer, und diese Perspektiven sind isoliert voneinander betrachtet identisch und verständlich. Allerdings hält Israel die Fäden in der Hand, die Besatzung und damit den langen Konflikt zu beenden. Ungeachtet dieser Realität wird aber weiterhin vergeblich versucht, unter der Aufsicht von US-"Vermittlern" zu verhandeln, deren einzige Qualifikation für diese schwierige Aufgabe offensichtlich die US-Staatsbürgerschaft ist.

Peter Schäfer, Ramallah


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War Games. Die Strategen des Videozeitalters

 
27.03.02 17:44
schlagen zu. Wie schon einmal gepostet: mit Italien kann man keinen Krieg gewinnen, weil die das als Römer schon hinter sich haben. Wenn man den Offizier von hinten erschießt, ist das Märtyrertum.


www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/co/12176/1.html

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