Rot-Grün hat fast alles falsch gemacht
Für den Würzburger Ökonom Norbert Berthold
ist Deutschlands Arbeitsmarkt längst museumsreif - Interview
Kurz vor der Bundestagswahl hält sich die Arbeitslosigkeit hartnäckig über der Vier-Millionen-Marke.
Der Würzburger Ökonomieprofessor und einer der profiliertesten Arbeitsmarktforscher des Landes, Norbert Berthold, macht die Bundesregierung und die Tarifpartner für die Misere am Arbeitsmarkt verantwortlich. Mit ihm sprach Peter Hahne.
DIE WELT: Die Bundesregierung hat in der Arbeitsmarktpolitik ihre Ziele weit verfehlt. Was hat Rot-Grün in den vergangenen vier Jahren falsch gemacht?
Norbert Berthold: So gut wie alles. Erfolgreich in einem wirtschaftlich volatilen Umfeld ist nur, wer flexibel und differenziert reagiert. Mehr Wettbewerb auf dem Arbeitsmarkt ist das Gebot der Stunde. Nicht so bei Rot-Grün: Sie haben alle Register gezogen, den Arbeitsmarkt unbeweglicher zu machen. Die Sündenliste ist lang und reicht von einem schärferen Kündigungsschutz, der Abschaffung der 630-Mark-Jobs, dem Gesetz gegen Scheinselbständigkeit bis zur Reform des Betriebsverfassungsgesetzes und dem Recht auf Teilzeit. Anstelle von mehr Wettbewerb trat mehr staatliche Regulierung, mehr gewerkschaftlicher Einfluss und mehr Bürokratie.
DIE WELT: Der Bundeskanzler betont immer wieder, an den Problemen des Arbeitsmarktes sei vor allem die weltweite Konjunkturschwäche schuld.
Norbert Berthold: Es ist das alte Lied, schuld sind immer die anderen. Richtig ist, dass sich die weltwirtschaftliche Entwicklung in den letzten beiden Jahren abgekühlt hat. Das trifft aber alle hoch entwickelten Länder ganz ähnlich. Wenn in Deutschland die Lage besonders katastrophal ist, liegt dies vor allem an uns selbst. In der seit langem bestehenden Misere zeigt sich, dass die beiden wichtigsten strukturellen Probleme ungelöst sind. Die Arbeitsmarktverfassung ist reif für das Museum der Industriegeschichte, der gegenwärtige Sozialstaat ist ein Bremsklotz für Wachstum und Beschäftigung. Erst wenn diese Hausaufgaben gemacht sind, geht es auch am Arbeitsmarkt wieder bergauf.
DIE WELT: Arbeitsminister Walter Riester hält sich zugute, 1,2 Millionen neue sozialversicherungspflichtige Stellen geschaffen zu haben. Zählt das nicht?
Berthold: Ein erheblicher Teil dieser "neuen" Stellen wurde nicht neu geschaffen, sie existierten längst. Es handelt sich im Wesentlichen um die alten 630-Mark-Jobs, die bis zu Beginn der Legislaturperiode von Beiträgen zur Sozialversicherung befreit waren. Das Riester'sche "Job-Wunder" ist zu großen Teilen ein statistisches. Auch wenn es Regierungen immer wieder versuchen - die Statistik ist gänzlich ungeeignet, fehlende Arbeitsplätze zu schaffen. Die Realität lässt sich nicht schönen, Deutschland liegt bei der Wachstumsrate der Beschäftigung auf einem hinteren Tabellenplatz - allerdings nicht erst seit Riester.
DIE WELT: Die Jugendarbeitslosigkeit hat wieder den Stand von 1998 erreicht. War das viel gelobte Jump-Programm der Bundesregierung überflüssig?
Berthold: Die bisherige Bilanz des Programms, für das seit 1999 jährlich eine Milliarde Euro locker gemacht wurden, ist ernüchternd. Obwohl Geld zu Beginn zumindest keine Rolle zu spielen schien, zeigte sich, dass nur rund ein Drittel der Teilnehmer ein halbes Jahr nach Ende der Maßnahmen in Beschäftigungs- oder betrieblichen Ausbildungsverhältnissen waren. Das hat auch damit zu tun, dass viele der Maßnahmen nicht an besondere Gegenleistungen gebunden sind. Es wird zwar großzügig gefördert, aber zuwenig gefordert. Das Jump-Programm stärkt aber auch die über- und außerbetriebliche Ausbildung. Der guten Idee des Lernorts Betrieb entspricht das nicht. Die Anreize der Unternehmungen, selbst auszubilden, werden durch Jump geschwächt.
DIE WELT: Zur Belebung des Arbeitsmarktes setzt die Bundesregierung viel Hoffung in die Hartz-Kommission. Zu recht?
Berthold: Wer in dem Kommissionsbericht nach Vorschlägen sucht, das eigentliche Problem am Arbeitsmarkt, nämlich den Mangel an Arbeitsplätzen zu verringern, sucht vergebens. Auftrag war allein, Ideen zu entwickeln, die den Mangel effizienter verwalten. Damit bleibt ein wesentlicher Grund für die anhaltende Misere am Arbeitsmarkt, die marode Arbeitsmarktverfassung, außen vor. So innovativ hätten die Ideen von Hartz zur Reform der Tarifautonomie auch gar nicht sein können, dass sie nicht am Beton der Gewerkschaften zerschellt wären.
DIE WELT: Was ist mit der Reform zur Beratung und Vermittlung?
Berthold: Hier fällt das Urteil zwiespältig aus. Job-Center, vereinfachte Leistungen, eine schlankere Verwaltung, das alles ist zu begrüßen. Allerdings schlägt das Herz von Hartz - die Personalserviceagenturen (PSA) - staatlich und nicht marktwirtschaftlich. Es ist unbestritten, dass mehr Zeitarbeit notwendig ist, allerdings privat organisiert. Staatliche PSA schotten den Markt für private Zeitarbeit ab, Mega-Beschäftigungsgesellschaften sind programmiert. Die Vorschläge bei Arbeitslosengeld, -hilfe und Sozialhilfe sind alles andere als innovativ. Positiv, wenn auch nicht neu, sind die Umkehr der Beweislast, flexiblere Sperrzeiten, gerichtsfeste Vereinbarungen zur Eingliederung. Eindeutig kontraproduktiv ist allerdings, dass die Transfers nicht gekürzt werden. Es ist mehr als ein schlechter Scherz, wenn erwerbsfähige Sozialhilfeempfänger nun Anspruch auf die höhere Arbeitslosenhilfe haben. Bei Licht betrachtet ist Hartz eine Mogelpackung.
DIE WELT: Haben Union und FDP die besseren Konzepte?
Berthold: Beide wollen den Arbeitsmarkt mit Wettbewerb entriegeln. Das unterscheidet sie von der Bundesregierung. Allerdings ist die Geschwindigkeit, mit der sie den Arbeitsmarkt deregulieren wollen, unterschiedlich. Betriebliche Bündnisse für Arbeit sind ein gutes Beispiel. Beide wollen sie, die FDP mit ganzem Herzen, sie schlägt konkrete gesetzliche Öffnungsklauseln vor, sie will das Günstigkeitsprinzip ökonomisch sinnvoll reformieren. Die Union ist da zurückhaltender, sie will den Tarifpartnern bei betrieblichen Bündnissen ein Einspruchsrecht einräumen. Damit sind aber betriebliche Bündnisse tot, es sei denn, die Gewerkschaften vollziehen eine kopernikanische Wende.
DIE WELT: Welches sind aus Ihrer Sicht die zentralen Ansatzpunkte für die immer wieder geforderte Deregulierung?
Berthold: Der Kern allen Übels ist das Tarifkartell. Es verhindert Wettbewerb, wo es nur geht. Das Aushängeschild ist der Flächentarif, der trotz Verbands- und Tarifflucht noch immer viel zu viel über einen Kamm schert. Er wird ergänzt um ein von den Arbeitsgerichten ökonomisch unsinnig ausgelegtes Günstigkeitsprinzip. Garniert wird das Ganze mit einer seit dieser Legislaturperiode erleichterten Möglichkeit des Arbeitsministers, Tarifverträge für allgemeinverbindlich zu erklären.
DIE WELT: Und was ist damit?
Berthold: Das alles muss weg. Über Löhne und Tarife muss in den Betrieben entschieden werden. Der Tarifvorbehalt des Paragraphen 77 Absatz 3 Betriebsverfassungsgesetz muss fallen. Das Günstigkeitsprinzip muss vom Gesetzgeber so gefasst werden, dass die Arbeitnehmer mehr Arbeitsplatzsicherheit gegen weniger Lohn tauschen können. Die Allgemeinverbindlichkeitserklärung ist in einer Welt unterschiedlicher wirtschaftlicher Gegebenheiten in den Betrieben ein Anachronismus. Die Politik sollte das alles zur Kenntnis nehmen und sich nicht vor den Karren der Interessen gewerkschaftlicher Funktionäre spannen lassen. Das Problem ist aber, der Korporatismus in Deutschland ist für viele attraktiv, weil er einen dritten Weg zwischen Markt und Staat verspricht. Allerdings: Dritte Wege führen in die dritte Welt, zumindest wirtschaftlich.
Für den Würzburger Ökonom Norbert Berthold
ist Deutschlands Arbeitsmarkt längst museumsreif - Interview
Kurz vor der Bundestagswahl hält sich die Arbeitslosigkeit hartnäckig über der Vier-Millionen-Marke.
Der Würzburger Ökonomieprofessor und einer der profiliertesten Arbeitsmarktforscher des Landes, Norbert Berthold, macht die Bundesregierung und die Tarifpartner für die Misere am Arbeitsmarkt verantwortlich. Mit ihm sprach Peter Hahne.
DIE WELT: Die Bundesregierung hat in der Arbeitsmarktpolitik ihre Ziele weit verfehlt. Was hat Rot-Grün in den vergangenen vier Jahren falsch gemacht?
Norbert Berthold: So gut wie alles. Erfolgreich in einem wirtschaftlich volatilen Umfeld ist nur, wer flexibel und differenziert reagiert. Mehr Wettbewerb auf dem Arbeitsmarkt ist das Gebot der Stunde. Nicht so bei Rot-Grün: Sie haben alle Register gezogen, den Arbeitsmarkt unbeweglicher zu machen. Die Sündenliste ist lang und reicht von einem schärferen Kündigungsschutz, der Abschaffung der 630-Mark-Jobs, dem Gesetz gegen Scheinselbständigkeit bis zur Reform des Betriebsverfassungsgesetzes und dem Recht auf Teilzeit. Anstelle von mehr Wettbewerb trat mehr staatliche Regulierung, mehr gewerkschaftlicher Einfluss und mehr Bürokratie.
DIE WELT: Der Bundeskanzler betont immer wieder, an den Problemen des Arbeitsmarktes sei vor allem die weltweite Konjunkturschwäche schuld.
Norbert Berthold: Es ist das alte Lied, schuld sind immer die anderen. Richtig ist, dass sich die weltwirtschaftliche Entwicklung in den letzten beiden Jahren abgekühlt hat. Das trifft aber alle hoch entwickelten Länder ganz ähnlich. Wenn in Deutschland die Lage besonders katastrophal ist, liegt dies vor allem an uns selbst. In der seit langem bestehenden Misere zeigt sich, dass die beiden wichtigsten strukturellen Probleme ungelöst sind. Die Arbeitsmarktverfassung ist reif für das Museum der Industriegeschichte, der gegenwärtige Sozialstaat ist ein Bremsklotz für Wachstum und Beschäftigung. Erst wenn diese Hausaufgaben gemacht sind, geht es auch am Arbeitsmarkt wieder bergauf.
DIE WELT: Arbeitsminister Walter Riester hält sich zugute, 1,2 Millionen neue sozialversicherungspflichtige Stellen geschaffen zu haben. Zählt das nicht?
Berthold: Ein erheblicher Teil dieser "neuen" Stellen wurde nicht neu geschaffen, sie existierten längst. Es handelt sich im Wesentlichen um die alten 630-Mark-Jobs, die bis zu Beginn der Legislaturperiode von Beiträgen zur Sozialversicherung befreit waren. Das Riester'sche "Job-Wunder" ist zu großen Teilen ein statistisches. Auch wenn es Regierungen immer wieder versuchen - die Statistik ist gänzlich ungeeignet, fehlende Arbeitsplätze zu schaffen. Die Realität lässt sich nicht schönen, Deutschland liegt bei der Wachstumsrate der Beschäftigung auf einem hinteren Tabellenplatz - allerdings nicht erst seit Riester.
DIE WELT: Die Jugendarbeitslosigkeit hat wieder den Stand von 1998 erreicht. War das viel gelobte Jump-Programm der Bundesregierung überflüssig?
Berthold: Die bisherige Bilanz des Programms, für das seit 1999 jährlich eine Milliarde Euro locker gemacht wurden, ist ernüchternd. Obwohl Geld zu Beginn zumindest keine Rolle zu spielen schien, zeigte sich, dass nur rund ein Drittel der Teilnehmer ein halbes Jahr nach Ende der Maßnahmen in Beschäftigungs- oder betrieblichen Ausbildungsverhältnissen waren. Das hat auch damit zu tun, dass viele der Maßnahmen nicht an besondere Gegenleistungen gebunden sind. Es wird zwar großzügig gefördert, aber zuwenig gefordert. Das Jump-Programm stärkt aber auch die über- und außerbetriebliche Ausbildung. Der guten Idee des Lernorts Betrieb entspricht das nicht. Die Anreize der Unternehmungen, selbst auszubilden, werden durch Jump geschwächt.
DIE WELT: Zur Belebung des Arbeitsmarktes setzt die Bundesregierung viel Hoffung in die Hartz-Kommission. Zu recht?
Berthold: Wer in dem Kommissionsbericht nach Vorschlägen sucht, das eigentliche Problem am Arbeitsmarkt, nämlich den Mangel an Arbeitsplätzen zu verringern, sucht vergebens. Auftrag war allein, Ideen zu entwickeln, die den Mangel effizienter verwalten. Damit bleibt ein wesentlicher Grund für die anhaltende Misere am Arbeitsmarkt, die marode Arbeitsmarktverfassung, außen vor. So innovativ hätten die Ideen von Hartz zur Reform der Tarifautonomie auch gar nicht sein können, dass sie nicht am Beton der Gewerkschaften zerschellt wären.
DIE WELT: Was ist mit der Reform zur Beratung und Vermittlung?
Berthold: Hier fällt das Urteil zwiespältig aus. Job-Center, vereinfachte Leistungen, eine schlankere Verwaltung, das alles ist zu begrüßen. Allerdings schlägt das Herz von Hartz - die Personalserviceagenturen (PSA) - staatlich und nicht marktwirtschaftlich. Es ist unbestritten, dass mehr Zeitarbeit notwendig ist, allerdings privat organisiert. Staatliche PSA schotten den Markt für private Zeitarbeit ab, Mega-Beschäftigungsgesellschaften sind programmiert. Die Vorschläge bei Arbeitslosengeld, -hilfe und Sozialhilfe sind alles andere als innovativ. Positiv, wenn auch nicht neu, sind die Umkehr der Beweislast, flexiblere Sperrzeiten, gerichtsfeste Vereinbarungen zur Eingliederung. Eindeutig kontraproduktiv ist allerdings, dass die Transfers nicht gekürzt werden. Es ist mehr als ein schlechter Scherz, wenn erwerbsfähige Sozialhilfeempfänger nun Anspruch auf die höhere Arbeitslosenhilfe haben. Bei Licht betrachtet ist Hartz eine Mogelpackung.
DIE WELT: Haben Union und FDP die besseren Konzepte?
Berthold: Beide wollen den Arbeitsmarkt mit Wettbewerb entriegeln. Das unterscheidet sie von der Bundesregierung. Allerdings ist die Geschwindigkeit, mit der sie den Arbeitsmarkt deregulieren wollen, unterschiedlich. Betriebliche Bündnisse für Arbeit sind ein gutes Beispiel. Beide wollen sie, die FDP mit ganzem Herzen, sie schlägt konkrete gesetzliche Öffnungsklauseln vor, sie will das Günstigkeitsprinzip ökonomisch sinnvoll reformieren. Die Union ist da zurückhaltender, sie will den Tarifpartnern bei betrieblichen Bündnissen ein Einspruchsrecht einräumen. Damit sind aber betriebliche Bündnisse tot, es sei denn, die Gewerkschaften vollziehen eine kopernikanische Wende.
DIE WELT: Welches sind aus Ihrer Sicht die zentralen Ansatzpunkte für die immer wieder geforderte Deregulierung?
Berthold: Der Kern allen Übels ist das Tarifkartell. Es verhindert Wettbewerb, wo es nur geht. Das Aushängeschild ist der Flächentarif, der trotz Verbands- und Tarifflucht noch immer viel zu viel über einen Kamm schert. Er wird ergänzt um ein von den Arbeitsgerichten ökonomisch unsinnig ausgelegtes Günstigkeitsprinzip. Garniert wird das Ganze mit einer seit dieser Legislaturperiode erleichterten Möglichkeit des Arbeitsministers, Tarifverträge für allgemeinverbindlich zu erklären.
DIE WELT: Und was ist damit?
Berthold: Das alles muss weg. Über Löhne und Tarife muss in den Betrieben entschieden werden. Der Tarifvorbehalt des Paragraphen 77 Absatz 3 Betriebsverfassungsgesetz muss fallen. Das Günstigkeitsprinzip muss vom Gesetzgeber so gefasst werden, dass die Arbeitnehmer mehr Arbeitsplatzsicherheit gegen weniger Lohn tauschen können. Die Allgemeinverbindlichkeitserklärung ist in einer Welt unterschiedlicher wirtschaftlicher Gegebenheiten in den Betrieben ein Anachronismus. Die Politik sollte das alles zur Kenntnis nehmen und sich nicht vor den Karren der Interessen gewerkschaftlicher Funktionäre spannen lassen. Das Problem ist aber, der Korporatismus in Deutschland ist für viele attraktiv, weil er einen dritten Weg zwischen Markt und Staat verspricht. Allerdings: Dritte Wege führen in die dritte Welt, zumindest wirtschaftlich.