Die mysteriöse Anzeige gegen den Äh-Kandidaten
Von Alexander Schwabe
Eine ganzseitige Anzeige in der "Süddeutschen Zeitung": Gesucht wird ein Kanzler. Voraussetzungen: vier Jahre Berufserfahrung in dieser Position, Vermeidung des Wortes "äh". Für die Aktion zeichnet die "Initiative Mittelstand". Doch die ist frei erfunden.
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In großen schwarzen Lettern prangt quer über die ganze Seite, welcher Job zu vergeben ist: Kanzler/Kanzlerin. Darunter werden die Voraussetzungen genannt, die der Bewerber mitbringen sollte: vier Jahre Berufserfahrung in dieser Position, sympathisches, sicheres Auftreten, internationale Erfahrung und Krisenfestigkeit, Reformfreudigkeit, Unternehmergeist (zielgerichtet, aber konsensfähig) - und als sechster Punkt: rhetorische Sicherheit, Vermeidung des Wortes "äh".
Weiter heißt es, gesucht sei eine "ausgewiesene Führungspersönlichkeit, die auch ohne ein überaltertes Kompetenzteam zukunftsfähige Entscheidungen treffen" könne. "Bewerbungen sind bis zum 22.09.2002, 18.00 Uhr, bei allen Wahlberechtigten abzugeben", schließt der Text.
Verantwortlich für die Anzeige zeichnet die "Initiative Mittelstand", stellvertretend dafür ein gewisser Leif Tom Loose, wohnhaft in Hamburg. Nach eigenen Angaben war Loose von "einer Person" angefragt worden, diese Art der Schröder-Werbung anzuleiern. Daraufhin gab er sie bei einer Hamburger Werbeagentur in Auftrag.
Die clever gemachte Annonce hat einen Haken: Die "Initiative Mittelstand" gibt es gar nicht. Es wird lediglich suggeriert, der Mittelstand stehe hinter dem amtierenden Kanzler Gerhard Schröder (SPD) und nicht hinter dem Herausforderer Edmund Stoiber (CSU), der bekanntermaßen die Stärkung des Mittelstandes zu einem zentralen Wahlversprechen gemacht hat. "Wir haben uns den Namen so ausgedacht", sagt PR-Agent Loose, der Mittelstand jedenfalls stecke nicht dahinter.
Wer aber wirklich hinter der Initiative steckt, will Loose nicht sagen. "Ich darf den Auftraggeber nicht nennen", sagt er gegenüber SPIEGEL ONLINE. Nur so viel: Es handele sich auch um keine Partei.
Bei der "Süddeutschen Zeitung", die für eine ganzseitige Anzeige in Schwarz-Weiß rund 35.000 Euro nimmt, ist nichts herauszubekommen. Man sei gegenüber Anzeigenkunden zum Schweigen verpflichtet, urheberrechtlich sei die Schalte unbedenklich. Anzeigen mit politischem Inhalt werden laut Pressesprecher Sebastian Lehmann sowohl von der Anzeigen- als auch von der Rechts- und der Chefredaktion geprüft. Dass die Zeitung per Anzeige eine irreführende Botschaft transportiert - daran nahm offenbar niemand Anstoß.